AKTIVIERUNG VON ORTEN

In der Heimatlosigkeit des Temporären war die documenta immer wieder aufs Neue gezwungen, neue Orte zu erobern. 1955 erkannte Arnold Bode zur ersten documenta das Potenzial der Kriegsruine des Fridericianums und verstand ihre Qualität des Provisorischen für die Ausstellung zu nutzen. In den Trümmern einer untergegangenen Welt inszenierte er den Aufbruch in die moderne Gegenwart. Der Rohbau wurde nur notdürftig hergerichtet, und sein rauer Charakter blieb bis zum Umbau Anfang der 1980er Jahre erhalten. Das Fridericianum wurde nicht nur zum Stammsitz aller folgenden documenta-Ausstellungen, ab 1988 folgte auch der permanente Ausstellungsbetrieb der Kunsthalle Museum Fridericianum. Das Gebäude avancierte damit zum Prototyp für die Aktivierung verlassener Orte durch die documenta. In ähnlicher Weise wurde die Orangerie »reanimiert«, deren Ruine erstmals 1959 als Schauplatz einer documenta-Ausstellung diente. Nach weiteren documenta-Bespielungen erfolgte ihr Wiederaufbau Ende der 1970er Jahre; nach dem Bau der documenta-Halle zog dann das Astronomisch-Physikalische Kabinett ein. Die ebenfalls kriegszerstörte ehemalige Gemäldegalerie Alte Meister wurde 1964 in die documenta 3 einbezogen. Anschließend folgte der Wieder-aufbau bis Mitte der 1970er Jahre und die Wiedereröffnung als Neue Galerie mit Kunstwerken von 1750 bis zur Gegenwart. Jüngstes Beispiel in dieser Serie ist der Kasseler Hauptbahnhof, der mit der Eröffnung des Fernbahnhofs Wilhelmshöhe 1991 seine einstige Funktion weitgehend einbüßte. Zur Umwidmung zum »Kulturbahnhof« im Jahr 1995 wurde Borofskys documenta-Skulptur Man walking to the Sky auf dem Vorplatz aufgestellt. Die Einbeziehung des Bahnhofgebäudes in die documenta 10 und 11 trug auch hier erheblich zu dessen erfolgreichen Umnutzung bei.