DOCUMENTA-STADT: DAS 5% PARADOX

Bereits zur zweiten documenta 1959 veröffentliche der Magistrat der Stadt Kassel ein Buch: Kassel – Stadt der documenta. Man suchte die Aufmerksamkeit und den Glamour der internationalen Kunstausstellung zur Profilierung und Aufwertung der Stadt zu nutzen. Andererseits stand im folgenden Jahrzehnt der Fortbestand der documenta immer wieder in Frage. Nach der documenta 5 war diese Krisenphase überwunden, die documenta ohnehin von wachsendem Erfolg geprägt. Zunehmend identifizierte man sich mit dem Projekt – trotz mancher Konflikte um Außenkunstwerke, die zunehmend in der Stadt selbst auftauchten – und sah seine positiven Wirkungen für die Stadt. Ende der 1990er Jahre beantragte die Stadt beim Land nach einstimmigen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung, Kassel zukünftig documenta-Stadt nennen zu dürfen. Zusatznamen wie Universitäts-Stadt, Messe-Stadt oder der Verweis auf berühmte Persönlichkeiten wie etwa Lutherstadt sind ein klassisches Mittel des Stadtmarketings, um in der Standortkonkurrenz ein klares Profil zu gewinnen. Im Frühjahr 1999 wurde dem Ansinnen Kassels stattgegeben. Die documenta GmbH finanzierte ihrerseits die 33 neuen Ortseingangsschilder. Kein Wunder, war doch mit dieser Neubenennung jegliche Diskussion über den möglichen Fortbestand des Kunstereignis für immer beendet. Allerdings stellt sich die Frage, was die Bezeichnung als documenta-Stadt eigentlich bedeuten soll – folgen doch auf 100 Tage Ausstellung jeweils 1724 ausstellungsfreie Tage. Vielen Versuchen, in den 95 Prozent Zwischenzeit mit zeitgenössischen Kulturprogrammen zu reüssieren, blieb der erhoffte Publikumszuspruch versagt. Das Museum Fridericianum hat zu wenig Besucher, die documenta-Halle steht oft genug leer. Kann ein internationales Event im Fünf-Jahresrhythmus wirklich die Identität einer Stadt prägen?