KRITIK UND PROTEST

Seit ihrem Beginn reizte die documenta zum Widerspruch. Nicht nur die Feuilletons kritisierten Kuratoren, Künstler und ihre Kunst, und manch ein Vorhaben wurde als »öffentliches Ärgernis« wahrgenommen. Zur documenta 4 sprengten 1968 einige nicht beteiligte, aber (später) prominente Künstler, unter anderem Jörg Immendorf, mit einer Performance-Aktion die Eröffnungspressekonferenz und wurden damit zum Schlüsselereignis dieser Ausstellung. Sie kritisierten eine »documenta der Händler«, die der politisch-kritischen und der Aktions-Kunst keinen Raum gab. Bei der nächsten documenta im Jahr 1972 kippte ein aus Norddeutschland herbeigerufener Bauer aus dem rechten Milieu eine Ladung Mist direkt vor dem Fridericianum ab, um gegen die Unterstützung dieses »abgehobenen Mists« durch öffentliche Gelder zu protestieren. Zur documenta 6 kam es 1977 aufgrund des für Walter de Marias Projekt Vertikaler Erdkilometer aufgestellten Bohrturms zu nicht enden wollenden Proteststürmen. Auf Fotos des Bohrturms schrieben Bürger und Besucher Kommentare wie »lärmiger Blödsinn«, »Soll das Kunst sein?« oder »Geldverschwendung«. Ganz in der Nähe errichtete Richard Serra seine begehbare Installation Terminal aus haushohen CorTen-Stahl Platten, die im Volksmund bald als »teuerstes Pissoir der Welt« bezeichnet wurde. Als Kuratorin der documenta 10 war Catherine David 1997 die erste Frau in dieser Rolle. Wegen ihrer Abneigung gegen Kassel und ihres arroganten Auftretens wurde sie als »Domina des Kunstbetriebs« abgestempelt. Pikierte Kasselaner rächten ihre Stadt mit selbst gemalten Protestplakaten. Protest und Kritik trugen dabei stets wesentlich zur öffentlichen Aufmerksamkeit und Interesse bei. In letzter Zeit aber ist die öffentliche Kritik zunehmend verstummt. Droht die documenta nun an ihrem Erfolg zu ersticken?