Der Messinghof mit den Firmen Lieberg & Co. und

Metallwerke Imfeld & Co.

 

1679 errichtete Landgraf Carl den Messinghof, eine schlossähnliche Anlage mit zwei zweistöckigen länglichen Gebäuden, parallel zur Leipziger Straße.

Im Südflügel standen die Kupferhämmer und im Nordflügel war die Gießerei untergebracht. Der Mühlgraben, als künstlicher Bachlauf angelegt, von der Losse gespeist, führte direkt am Hammerhaus vorbei. Die Hammerwellen wurden durch unterschlächtige, später oberschlächtige Wasserräder angetrieben.

 

Für die Standortwahl war die Versorgung mit Rohstoffen, die Lage an der wichtigen Handelsstraße nach Leipzig und vor allem die ständige und schnell fließende Kraftquelle der Losse entscheidend.

 

Der Messinghof war ein Monopolbetrieb, denn nur hier durften Kupfer- und Messingwaren

verarbeitet werden. Das Kupfer aus den großen Kupfervorkommen in Richelsdorf und teilweise Frankenberg sowie der

Hammerflügel ca. 1925 Bild 1

Galmeie (Zinkerze) aus den Gruben bei Brilon wurden im Messinghof zu Messing- und Kupferwaren verarbeitet. Es wurden u. a. Braukessel, Kesselböden, Kesselbleche, Kupferdraht, Stangenkupfer, Schalen und Glocken hergestellt. Ab 1723 wurden hier auch die zum Prägen der Kupferheller erforderlichen Platten gefertigt und an die staatliche Münze am Renthof in Kassel geliefert. Für das Stehende Heer von Landgraf Carl wurde im Messinghof ein Teil der Ausrüstung gefertigt.

 

Auch das Kasseler Wahrzeichen wurde im Messinghof fertig gestellt: die zwischen 1713 und 1717 unter Leitung des aus Berlin zugereisten Augsburger Goldschmieds Jacob Anthoni geschaffene Herkulesstatue.

 

Im Jahre 1866 wurde das Kurfürstentum Hessen-Kassel preußisch. Der preußische Staat privatisierte 1869 die bis dahin staatlichen Mühlen an der Losse, und der jüdische Kaufmann Wolf Lieberg (* 21.4.1817 in Kassel, † 28.5.1889) erwarb 1869 den Messinghof, den Kupferhammer und den Eisenhammer.

 

Wolf Lieberg war ein Nachkomme der in Istha bei Wolfhagen lebenden jüdischen Familie von Moses Katz, die 1808 den Beinamen Lieberg erhielt. Er selbst hatte mit seiner Frau Betty (* 9.10.1824, † 21.9.1887) zunächst ein Haus in Wolfhagen, später lebten sie in Kassel. Er war wohl ein unternehmerischer Geist, der es zu ansehnlichem Wohlstand gebracht haben soll. Wahrscheinlich hat er auch das Gut vor dem Holländischen Tor besessen.

Um 1870 verlor er aber einen Teil seines Vermögens und zog am 30.4.1879 mit seiner Frau und einigen seiner elf Kinder von der Kölnischen Str. 4 in den Nordflügel des Messinghofs. Es ist wahrscheinlich, dass zwischen Erwerb des Messinghofs 1869 und dem Umzug 1879 bauliche Veränderungen, vornehmlich im Innenbereich, vorgenommen wurden, während der Gebäudekomplex außen nahezu unverändert blieb.

 

Den Kupferhammer verkaufte Lieberg 1870 an den Brauereibesitzer Schiebeler, und der Eisenhammer wurde 1872 zur Rochollschen Stockfabrik.

 

1877 wird die Firma Lieberg im Kasseler Adressbuch als „Kupferwalz- und Hammerwerk“ bezeichnet. Der Betrieb verarbeitete Metalle aller Art. In der Metallgießerei wurde Formguss für den Maschinen- und Lokomotivbau gefertigt, für die Fahrrad- und Automobilindustrie wurden Schlaglote hergestellt. 1915 kam eine Zinnhütte zur Produktion von Fahrradersatzteilen und Fahrradwerkzeugen hinzu, Lagermetall und Lötzinn wurden erzeugt. Berühmt aber wurde die Firma Lieberg mit der Fertigung von nahtlosen „Herkules-Kupferkesseln“ mit einem Fassungsvermögen von 25 bis 550 Litern.

 

Bereits 1878 wurde der älteste Sohn Wolf Liebergs, Moritz Lieberg (* 24.6.1851 in Wolfhagen, † 20.6.1927), Kommanditist im Betrieb. Moritz Lieberg hatte mit seiner Ehefrau Ida drei Kinder, Erna, Margarethe und Wilhelm, die auch Gesellschafter in der Firma wurden.

Prospekt aus dem Jahre 1936 Bild 2

 

1897 wurde Moritz Lieberg als Geschäftsführer geführt. Sein Bruder Carl Lieberg (* 25.5.1861, † 19.5.1940) wurde Prokurist, und sie führten das Unternehmen gemeinsam.

 

Bis 1906 war Carl Lieberg im letzten Gemeinderat in Bettenhausen.

Nach dem damals geltenden preußischen Drei-Klassen-Wahlrecht bildeten Fabrikbesitzer, Handwerksmeister, Landwirte und Mühlenbesitzer die Mehrheit im 24-köpfigen Gemeinderat.

 

 

 

 

 

Moritz Lieberg Bild 3

Ein weiterer Bruder von Moritz und Carl Lieberg war der Maler Max Lieberg
(* 23.7.1856, † 10.8.1912), der im 1. Stock in seinem Atelier lebte. Er hat wahrscheinlich das Bild mit der Schmiede im Torhaus des Messinghofs gemalt. Zwei seiner Bilder wurden von den Staatlichen Museen Kassel erworben.

 

Heinrich Baumann Bild 4

Remise 1995 Bild 5

In der Zeit zwischen 1901 und 1914 wurde hinter dem Gießhaus die Remise aus Ziegelmauerwerk erbaut. In ihr wohnte im 1. Stock der Kutscher Heinrich Baumann.

 

Ab 1905 war Franz-Otto Müller Oberwerkmeister im Betrieb. Die Schmiede und Schmelzer waren seit Generationen mit ihren Familien im Messinghof untergebracht. Die Familien hatten ihre eigenen Gärten und Schweineställe.

Sie wohnten kostenfrei, d.h. sie zahlten keine Miete, kein Wasser- und Stromgeld, und auch die Kohlen gab es kostenlos. Die Handwerker waren gesuchte Spezialisten und gaben ihr Wissen weiter. Die Öfen waren Tag und Nacht in Betrieb. Nur zu Ostern, Pfingsten

und Weihnachten erloschen sie. An diesen Tagen, wenn die Glut langsam nachließ, kamen die Frauen der Arbeiterfamilien und backten in den Öfen ihre Kuchen.

 

Die Transmissionsriemen wurden von Sattlermeister Osterberg in Bettenhausen, Inselweg, geliefert und gewartet.

 

Noch vor 1927 soll eine Dampfturbine die Funktion der Mühlräder übernommen haben, die daraufhin entfernt wurden. Zu den technischen Neuerungen, wie der Einsatz von Elektromotoren, dürfte auch

Jubiläum von Franz-Otto Müller 1931 in der Wohnung über der Schlosserei

Bild 6

die Ausstattung der Gießerei mit den drei Koksöfen, der Laufkatze sowie den Transmissionsgestängen in der Formerei zählen.

Nach dem Tod von Moritz Lieberg im Jahre 1927 wurde sein Sohn Wilhelm
(* 19.12.1893 in Kassel) neuer Inhaber. Er führte den Betrieb allerdings nicht allein, denn er stellte einen Verwandten, Kurt Kaufmann (* 17.8.1887), der in der Schweiz gelebt hatte, als Geschäftsführer ein.

 

Die Anzahl der beschäftigten Arbeiter im Jahr 1928 betrug ca. 140 in allen Abteilungen.

 

Als Wilhelm Lieberg und seine Ehefrau 1933 mit dem Rassenwahn der Nationalsozialisten konfrontiert wurden, zog Kurt Kaufmann wieder in die Schweiz. Viele Familienmitglieder emigrierten in diesen Jahren ins Ausland.

 

Messingstampfe Bild 7

 

1937 mussten die vier Gesellschafter der Metallwerke Lieberg & Co. GmbH, Kurt Kaufmann, Erna Sander, Margarethe Garthe und Wilhelm Lieberg, die Firma, wie

gesetzlich vorgeschrieben, in eine Kommanditgesellschaft umwandeln.

Erna Sander emigrierte danach nach Israel, die Familie Garthe flüchtete in die Schweiz. Kurt Kaufmann, in der Schweiz lebend, blieb Geschäftsführer und allein haftender Gesellschafter.

Am 12.11.1938 verordnete Hermann Göring das Ende der wirtschaftlichen Betätigung der Juden.

1938 wurde der Liebergsche Betrieb in der dritten Generation zwangsweise enteignet und „arisiert“. Der Mitgesellschafter Wilhelm Lieberg war während der gesamten Verhand-

lungsdauer bis über den Tag des Vertragsabschlusses, den 30.11.1938, hinaus im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert

 

Umzugswagen 1927 auf dem Messinghof Bild 8

Der Betrieb wurde weit unter dem tatsächlichen Wert, man kann wohl von einem Ausbeutungsvertrag sprechen, verkauft. Käufer waren zu gleichen Teilen der Schweizer Karl Imfeld und der Kasseler Dr. Fritz Hinz. Hinz war zu diesem Zeitpunkt Betriebsleiter bei Henschel.

 

Hans Oppenheim (* 16.4.1895), seit 1919 bei Lieberg & Co. beschäftigt, mit allen kaufmännischen Sachverhalten betraut, wurde im April 1938 im Zuge der „Arisierung“ des Betriebs entlassen. Zusammen mit seiner Frau wurde er 1941 ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert.

 

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs arbeitete Wilhelm Lieberg in seiner früheren Fabrik als einfacher Arbeiter mit geringem Lohn.

Am 1.6.1942 wurden er, seine Frau Herta, geb. Hersch und ihr Sohn Ralf Michael
(* 16.5.1933) in das Konzentrationslager Majdanek/Lubin deportiert. Wilhelm Lieberg starb auf dem Transport.

 

Während des Zweiten Weltkrieges waren bei Imfeld & Co. 55 niederländische und ca. 20 polnische Zwangsarbeiter beschäftigt. Sie bauten u. a. für die Firma Henschel Gasgeneratoren. Beschlagnahmtes Silbergeld aus den Ostblockstaaten wurde zu Barren eingeschmolzen.

 

Nach dem Krieg wurde ein Entschädigungsverfahren in Gang gesetzt. Als Treuhänder wurde Albert Neumann eingesetzt, der bereits während der NS-Zeit Geschäftsführer bei Imfeld & Co. war. Er kam zu dem Ergebnis, dass der Messinghof 1938 zu einem gerechten Preis verkauft worden sei. Im Vergleich wurde der Zusatz „weitere Entschädigung vorbehalten“ aufgenommen.

So ging im Jahre 1949 der Messinghof endgültig an das Hessische Metallwerk Imfeld & Co. über.

 

Obwohl die Wohngebäude des Messinghofs nach dem Krieg baulich noch in Ordnung waren, wurden sie abgerissen, weil man nicht weiter investieren wollte. Der teilweise ausgebombte Hammerflügel wurde 1960 abgerissen.

 

Die Firma Imfeld & Co. fertigte Waschkessel, die in der damaligen Zeit in jedem Haus gebraucht wurden. Mitte der 60er Jahre - mit dem Aufkommen der Waschmaschine - ging der Bedarf an Waschkesseln zurück, und man verlagerte die frei werdenden Kapazitäten auf die Produktion von Heizöltanks.

 

1975 meldete das Unternehmen Konkurs an.

 

Der Messinghof wechselte danach mehrmals den Besitzer. Ab 1977 diente das Gebäude Professor Rolf Lobeck, Kunststudentinnen und -studenten als Wohnraum und Atelier. Diese Nutzung endete mit der Zwangsräumung am 16.12.1996.

 

Der gemeinnützige „Verein zur Erhaltung und Nutzung des Messinghofs“ wurde 1979 gegründet.

 

Peter Jacob erwarb 2007 den Messinghof, um in ihm ab 2008 einen gastronomischen Betrieb mit Biergarten zu betreiben.

 

Der Messinghof im Jahr 2007 Bild 9

 

 

 

 

Text:

 

Klaus-Peter Wieddekind, Kassel, Juli 2007

mit freundlicher Unterstützung von Heidi Sieker, Verein zur Erhaltung und Nutzung des Messinghofes e.V.

 

Quellennachweis

 

Bettenhausen 1126 – 1926“ von Bruno Jacob

Industriedenkmal Messinghof“, Denkmalbuch der Stadt Kassel

Video „Fetzen von Erinnerungen“ von Heidi Sieker, Kassel

Studien zur Geschichte der Industriearchitektur in Hessen (III) – Der Messinghof in Kassel-Bettenhausen“ von Gerhard Seib

HNA vom 23.4.2007

 

Bildnachweis

Anneliese Heinel, Ahnatal, Bild 1 und 6

Sammlung Heidi Sieker, Kassel, Bild 3,4,7 und 8

Klaus-Peter Wieddekind, Kassel, Bild 2, 5 und 9