Ziegelei Oberkaufungen

 

 

Ludwig Fischer gründete 1870 ein Ziegelwerk zur Herstellung von Brettziegeln und Biberschwänzen (Schillziegeln) an der Niester Straße in Oberkaufungen nahe des Schienennetzes der Cassel-Waldkappeler Eisenbahn.

Die 10 bis 12 Beschäftigten produzierten täglich je 300 bis 400 Ziegel im Handstrich. Die Aufbereitung des Materials geschah in einer Tonmühle, die Lufttrocknung der Ziegelrohlinge in Trockenschuppen und die Brennung in 22 „Kasseler Öfen“.

 

1880 wurde ein Ringofen in Betrieb genommen und in einer Handpresse wurden Drainagerohre und Lehmsteine geformt.

1895 kam eine Dampfmaschine zum Einsatz, zum Betrieb einer Strangpresse und von vier Dachziegel-Revolverpressen zum Formen von Dachfalzziegeln. Durch die Mechanisierung konnte der Handbetrieb eingestellt werden.

Inzwischen arbeiteten in dem Werk 80 bis 100 Beschäftigte, darunter viele Frauen aus Ostpreußen als Saisonarbeiterinnen.

1898 wurde das Unternehmen zu einer GmbH, die „Falzziegelwerke Oberkaufungen G.m.b.H.“, umgewandelt. Die Teilhaber waren Friedrich Barchfeld, Friedrich Fischer, Siebel und Müller.

 

1906/07 wurde der Ringofen abgerissen und ein großer moderner Zickzackofen mit 16 Brennkammern in Betrieb genommen. Es wurde ein Kollergang (Tonmühle) angeschafft. Die Trocknung der Rohlinge geschah auf Gerüsten (Trockenregalen) in den Geschossen über der Ofenanlage.

Die Hauptherstellung zu dieser Zeit waren Ziegelsteine sowie Dachziegel in Naturfarbe oder farbig glasiert, der Vertrieb ging hauptsächlich in die nähere Umgebung, aber auch nach Berlin und Hamburg.

 

Trotz Einschränkungen konnte sich der Betrieb über den Ersten Weltkrieg hinaus halten, aber nach einer Phase des Aufblühens wurde der Betrieb 1924 aufgrund wirtschaftlicher Depression und Inflation eingestellt. Die Maschinenanlage wurde teilweise verkauft.

 

Im Jahr 1928 zerstörte ein Brand das dritte Obergeschoss einschließlich der Holzbalkendecke. Das baufällige Werk wird vom Ziegelmeister Hermann Lohöfer im November des gleichen Jahres gekauft. Die umfangreichen Tonvorkommen waren ja noch vorhanden und so baute er den Betrieb unter dem Namen „Hermann Lohöfer K.G.“ nach und nach wieder auf. Der Wiederaufbau erfolgte ohne das dritte Obergeschoss. Stattdessen bekam das Gebäude ein Walmdach (vorher 3. OG und Flachdach).

Es wurde eine neue Strangpresse angeschafft, der Kollergang wurde umgebaut und durch den Einbau von neuen Maschinenanlagen 1936 konnte die Produktion auf vier Millionen Ziegeleinheiten erhöht werden. Zu den hergestellten Produkten gehörten neben Dachziegeln auch Mauer- und Deckenziegel, Drainagerohre, Stallplatten und Verblender.

 

Während des Zweiten Weltkrieges wurden fast alle Beschäftigten eingezogen. Das Unternehmen konnte dennoch, wenn auch mit Mühe, den Krieg überstehen und die Produktion stetig vorantreiben.

1941 wurde wegen Brennstoffmangels die Maschinenanlage auf den elektrischen Betrieb umgestellt.

 

Die Dachziegelproduktion wurde 1951 eingestellt und die Revolverpressen abgeschafft. 1952 wurde eine künstliche Trockenanlage eingerichtet. So konnte die Produktion auch im Winter weiter gehen und die Arbeitsplatzsituation der Beschäftigten änderte sich von Saisonarbeiter zu einem sicheren Arbeitsplatz. Der Betrieb hatte zu dieser Zeit ca. 40 Mitarbeiter.

1953/54 wurde ein leistungsstärkerer Kollergang angeschafft.

 

Im Jahr 1958 verstarb Hermann Lohöfer und seine Söhne Helmut und Herbert Lohöfer führten den Betrieb weiter.

Anfang der 1960er Jahre war das Unternehmen eines der bekanntesten und leistungsfähigsten Ziegelwerke Nordhessens, das jährlich 10 bis 12 Millionen Ziegeleinheiten produzierte.

 

Der Betrieb der „Hermann Lohöfer K.G.“ (Stein- und Dachziegelwerke) wurde 1982 aufgrund der Rezession in der Bauwirtschaft eingestellt und 1983 stillgelegt.

 

1985 kommt es zum Einsturz des baufälligen Kamins, wodurch ein Teil der Dachkonstruktion zerstört wurde.

 

1989 wurde das Planungsbüro „Sprengwerk“ mit einer Bestandsaufnahme beauftragt. Es wurde ein Nutzungskonzept erarbeitet, das ein Altenpflegezentrum vorsieht. Die Umsetzung scheitert jedoch an denkmalpflegerischen Belangen.

1992 wurde die Ziegelei unter Denkmalschutz gestellt.

 

1994 wurde das 17.300 qm große Ziegeleigelände (Niester Straße 24) an die Firma „Talis Baustoffhandel und Denkmalpflege G.m.b.H.“, Inhaber Frau Tamara Leszner und Herr Ingolf Stein, verkauft, wodurch ein Abriss verhindert werden konnte. Seitdem wird das Gelände nach und nach denkmalgerecht saniert, umgebaut und umgenutzt. Die ehemalige Tongrube (Lohöfersche Tongrube), südöstlich der Fabrikgebäude gehört nicht mehr zum Ziegeleigelände – heute Industriedenkmal.

 

Seit 1999 sind in einigen Gebäuden/Gebäudeteilen bereits unterschiedliche Einrichtungen untergebracht.

Dem im Jahr 2000 gegründeten Verein „Hessisches Ziegelei- und Technikmuseum, Oberkaufungen e.V.“ wurde die Maschinenhalle mit Nebengebäuden zur musealen Nutzung überlassen. Im Sommer 2006 wurde das „Hessische Ziegeleimuseum“ offiziell eröffnet.

Im November 2007 hat in einem der Nebengebäude – im ehemaligen Maschinenraum der Dampfmaschine - ein Frisörsalon „Freestyle“ eröffnet. Weitere Einrichtungen auf dem Gelände sind neben sechs Wohnungen, eine Schreinerei, ein Innenausbauer, Seminarräume für Leerstellenvermittlung u.a. und ein Kreativbüro „Kreatyv GbR“ sowie (ausgelagerte) Unterrichtsräume der Dietrich-Bonhoeffer-Schule, Immenhausen.

 

 

Text von: Maren Witte (11.12.2007)

 

Quellen:

 

Meyer, Fritz (1962): Oberkaufungen – Im Wandel der Zeiten. Hg. Gemeinde Oberkaufungen

 

Merle, Ulla (2005): Hessisches Ziegeleimuseum. Maschinenziegelei von 1870 bis 1982. Realisationskonzept der Dauerausstellung. Hg. Ulla Merle, Marburg

 

Hessisches Ziegelei Museum Oberkaufungen. Online. http://www.hessisches-ziegeleimuseum.de [28.10.2007]

 

Eisele, Olaf (1999): Sanierungsobjekt Ziegelei Oberkaufungen. Bericht zum Berufstpraktischen Studiensemester I. Universität Kassel

 

Leszner, Tamara. Inhaberin der Ziegelei Oberkaufungen. Gespräche vom 14.11.2007 und 11.12.2007