Niedermühle Helsa

 

Quelle

Helmut Jordan :Industrialisierung in Helsa

Geschichtsverein Helsa

Seite 30 - 43

 

Neue Technik hält Einzug in alte Mühle

 

Wie vom Besitzer der Helsaer Niedermühle Andreas Kramer mitgeteilt wurde, hat er das Mühlengrundstück an den Fabrikanten Jakob Volmar aus Cassel verkauft. Herr Volmer beabsichtigt auf dem Grundstück eine Fabrik zu errichten, wo Papier hergestellt werden kann.

 

Herr Volmar sucht Arbeitskräfte für seine neue Fabrik in Helsa.

 

Helsa, den 11. November 1900

 

Gestern gab Herr Fabrikant Volmar seinem Personal und Arbeitern ein solennes Festessen. Herr Volmar wurde im Verlauf des Festes verschiedenlich gefeiert, ebenso Herr Direktor Staudinger und zeigte die Feier, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer im besten Einvernehmen zu einander stehen.

 

Helsa, den 13. Februar 1904

 

Junger Mann, mit doppelter Buchführung vertraut, möglichst Stenograph, für mein Fabrikkomtoir zum alsbaldigen Eintritt gesucht. Reflektanten wollen ihre Offerten mit Lebenslauf, Photographie und Gehaltsansprüchen etc. umgehend einsenden.

 

Oberkaufungen, den 14. August 1904. Die Verunreinigung und Verpestung der Losse von Helsa bis zum Einfluß in die Fulda, wird nach wie vor von Helsa weitergetrieben. Gibt es keine Behörde, muß man sich da fragen, welche diesem aller Gesetze Hohn sprechenden Handeln ein Ende macht? Die Papierfabrik Niederkaufungen führt auch einen Teil ihrer Abfälle durch die Losse nachts ab, jedoch so, dass niemand dadurch belästigt wird, während von Helsa aus die Losse zu jeder Tages- und Nachtzeit das ganze Lossetal verpestet.

 

Einige Arbeiter für Sommer- und Winterarbeit gesucht.  

Jakob Volmar Helsa, den 10. Oktober 1905

 

Helsa, den 3. Dezember 1905.

 

In vergangener Nacht ½ 3 Uhr brach auf dem Hausboden des Volmarschen Hauses, in welchem Fabrikarbeiterinnen wohnen, Feuer aus. Dasselbe hatte reichlich Nahrung, weil der Boden voll Heu und Stroh war. Auch teilte sich das Feuer dem Nachbarhause mit und standen beide in hellen Flammen, ehe die Leute aus dem Schlaf geweckt wurden. Bald war die Feuerwehr zur Stelle und konnten die Nachbarhäuser mit Hilfe der Hydranten schützen, so dass nur die beiden Wohnhäuser niederbrannten. Die Entstehungsursache soll Unvorsichtigkeit der Polenmädchen gewesen sein.

 

Helsa, den 30. Januar 1910.

 

Gestern Morgen um 10 Uhr entstand in der hiesigen Papierfabrik des Herrn Jakob Volmar ein Großfeuer, welches bis auf einige kleine Reste den ganzen Fabrikkomplex einäscherte. Die zahlreich anwesenden Feuerwehren konnten gegen den riesigen Brand nicht viel ausrichten. Der Schaden wird auf 400. 000 Mk geschätzt und ist durch Versicherungen gedeckt. Die Aufräumungsarbeiten zum Wiederaufbau werden alsbald beginnen. Für die zahlreichen brotlos gewordenen Arbeiter hat man sich erfolgreich um Arbeiten bei Casseler Industriewerken usw. bemüht.

 

Helsa, den 22. Juli 1912.

 

Kostenlos freigesprochen wurde von der Casseler Strafkammer der Ingenieur J. aus Frankfurt, welcher die Deckenbauten in der Volmarschen Fabrik hierselbst zu überwachen hatte und sich dabei angeblich einen Verstoß gegen die allgemeinen Regeln der Baukunst zu schulden kommen ließ, wodurch eine Betonndecke zusammenbrach. Der Staatsanwalt hatte eine Geldstrafe von 300 Mk bzw. 30 Tage Gefängnis beantragt.

 

Helsa, den 22. Mai 1913.

Heute traf der erste Waggon mit Baumaterialien für den Neubau der Volmarschen Fabrik hier ein.

 

Helsa, den 26. Juni 1913.

Mit dem Aufbau der Volmarschen Fabrik wird es jetzt schnell voran gehen. Zum Teil sind die Arbeiten schon vergeben. Herr Maurermeister Friedrich Briehle stellt gegenwärtig auch oberhalb der Fabrik die bei dem vorjährigen Hochwasser der Losse zerstörte Stauanlage wieder her.

 

Helsa, den 25. September 1913

Am 1.Oktober d. J. wird mit der Aufnahme der Arbeit in der hiesigen J. Volmarschen Fabrik wieder begonnen. Es ist geplant, den Betrieb in der alten Weise wieder aufzunehmen.

 

Wenn man davon ausgeht, dass die Volmarsche Fabrik zum Oktober 1913 die Produktion wieder aufgenommen hat, so wurde die Papierherstellung mit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges 1914 sehr wahrscheinlich wieder eingestellt. Am 24. Mai 1915 teilt uns der Beobachter an der Losse mit, dass auf dem Fabrikgrundstück des Fabrikanten Volmar ein Großfeuer ausgebrochen ist und mehrere Tausend Zentner Stroh verbrannt sind, welche als Heeresgut dort gelagert waren.

 

Dieses ist der letzte Hinweis der vom „Beobachter an der Losse“ 1915 erscheint, da der Redakteur um Kriegsdienst einberufen wurde.

 

Es ist davon auszugehen, dass die Fabrik von Herrn Volmar während der Kriegsjahre von 1914 bis 1918 als Heereslieferant Futtermittel hergestellt hat. Im Jahr 1920 übernimmt die Firma Salzmann & Companie aus Cassel-Bettenhausen den Betrieb und richtet eine Flachsfabrik ein. Der Chronist der Unterlagen, welche sich im Knauf des Kirchturms befinden schreibt: „ Es war wirtschaftlich eine schwere Zeit und in dieser Zeit der Arbeitslosigkeit hatten viele Helsaer Bürger Arbeit in der Flachsfabrik".

 

Nach einer Betriebsdauer von 5 Jahren stellt die Firma Salzmann die Produktion wieder ein. Es muß aber noch nicht das Ende der Flachsbearbeitung in Helsa gewesen sein, denn ein neuer Besitzer,und zwar die Flachsfabrik Hessen GmbH. Oberkaufungen hat bis 1932 in der ehemals Volmarschen Fabrik gearbeitet. Dann kam das Aus, da es große Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Flachs gab.

 

Für die nächsten Jahre standen die Gebäude leer bis auf die große Halle, welche in den Wintermonaten von einem Schäfer benutzt wurde zum Unterbringen seiner Schafherde. Dieses sollte sich erst 1937 ändern, als die ehemalige Flachsfabrik von dem Melsunger Fabrikant Dr. Rudolf Braun käuflich erworben wurde. Dr. Braun besaß in Kassel eine kleine Fabrik zur Herstellung ärztlicher Bedarfsartikel und in Melsungen einen pharmazeutischen Betrieb zur Herstellung von Uzara-Tropfen.

 

Mit wenigen Arbeitern und Angestellten spezialisierte er sich auf die Ausrüstung von Feldlazaretten, Feldbetten, Spinde, Bestecke für Ärzte und Operationstische waren die ersten Produkte die in Helsa hergestellt wurden.

 

Wer war Dr. Rudolf Braun?

 

Geboren wurde Dr. Rudolf Braun in Marburg, wo er auch an der Philipsuniversität studierte. In Marburg verbrachte er viele Jahre, wo er ein chemisches Labor besaß und aus einer afrikanischen Pflanze ein Produkt herstellte, welches in der damaligen Medizin sehr gefragt war. Bei einem Besuch in Afrika hatte er von einer Uzarawurzel erfahren, womit die Bewohner des Landes Magen- Darmprobleme behandelt haben. Nach Deutschland zurück gekommen, befaste sich Dr.Braun mit der wissenschaftlichen Erforschung der afrikanischen Wurzel und stellte dann seine UZARA Tropfen her. Da ich selbst diese Tropfen bei Magen­und Darmproblemen einnehme (sie besitzen viele Bitterstoffe, wodurch sie krampflösend wirken) kann ich sagen, sie sind gut.

 

Dr. Braun wurde in Fachkreisen als „Uzara Braun" benannt. Im Jahr1929 wurde er zum Gauwirtschaftberater ernannt und 1932 in die Kommision für Wirtschaftpolitik berufen. Im Februar 1933 zog er in den neugewählten Reichstag ein. Bereits schon vor der Machtübernahme der NSDAP hatte er im Preußischen Landtag ein Mandat. Seinen ersten Wohnsitz hatte Dr. Braun bereits von Marburg nach Melsungen verlegt, wo er viele Jahre 1. Beigeordneter im Stadtparlament gewesen ist und als Vertreter des Bürgermeisters gewirkt hat. Einer Berufung zum Preußischen Staatsrat schloß sich 1933 die Ernennung zum Präsidenten der Industrie- und Handwerkskammer Kassel - Mühlhausen an. Zu seinem 50. Geburtstag, ernannte ihn die Stadt Kassel zu ihrem Ehrenbürger.

Der Reichswirtschaftsminister machte ihn zum Wehrwirtschaftsführer. Auch während des Krieges hat er in wichtigen Positionen gearbeitet.

 

Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches wurde der gesamte Besitz von Dr. Rudolf Braun von der Militärbehörde beschlagnahmt und er selbst in ein Umerziehungslager gebracht. Bei seinem Spruchkammerverfahren 1948 ist Dr. Braun trotz seiner vielen Parteiämter glimpflich davon gekommen. Die emalige Besitzerin der Firma Frölich und Wolf in Hessisch Lichtenau kam extra von Amerika zu seinem Spruchkammerverfahren und hat ihn stark entlastet. Frau Wolf welche Jüdin war, konnte 1937 Deutschland mit Hilfe von Dr. Braun verlassen und konnte auch einen Teil ihres Vermögens mitnehnem, so dass sie sich ihrem Wohltäter verpflichtet fühlte. Auf Grund der Entlastung von Frau Wolf wurde Dr. Braun nur als Mitläufer eingestuft und bekam sein ganzes Vermögen, welches all die Jahre von einem Treuhändler verwaltet wurde,zurück.

 

 

Zurück zum Beginn der Produktion von 1937

 

Mit 5 Arbeitern in der Schlosserei und ebensoviel in der Schreinerei begann Dr. Braun in Helsa. Die Schlosserei wurde geleitet von Emil Küllmer aus Helsa und die Schreinerei von Herr Theodor Lorenz. Die Belegschaft vergrößerte sich jedoch sehr schnell, da Dr. Braun in Vorbereitung auf den bevorstehen Krieg wusste, was gebraucht werden würde.

 

Mit dem Ausbruch des Krieges am 1. September 1939 vergrößerte sich die Belegschaft und auch die Produktion wurde zum Teil umgestellt auf Kriegsgerät. Ein kleiner Anhänger mit zwei gummibereiften Rädern zum Transport von Munition und Holzkisten für die Verpackung von Granaten gehörten nun zum neuen Programm.

 

Nach dem Ende des Feldzuges gegen Polen im Herbst 1939 wurden die Fabrikanlagen gewaltig vergrößert. Eine neue große Werkhalle entstand, ein Kran wurde installiert und auch die Lackfabrik musste vergrößert werden, denn es sollten Schützenpanzer im Auftrag der Firma Wegmann in Helsa montiert werden. Die Belegschaft vergrößerte sich auf über einhundert Mitarbeiter. Nach der Inbetriebnahme der neuen Halle kamen die ersten Fahrgestelle von der Firma Opel und die Aufbauten von Hanomag in Hannover zur Endmontage nach Helsa. Die Anhänger wurden aus der Produktion genommen und zur Montage der SPWs (Schützenpanzerwagen) kamen noch Panzerspähwagen, die aber nur vorübergehend in Helsa gebaut wurden. Die Betriebsleitung übernahmen jetzt zwei Ingeneure und zwar die Herren Deiters und Weizenäcker.

 

Auf zwei Fließbändern wurde die Montage durchgeführt und belief sich im Monat auf zirka 100 SPWs mit der Typenbezeichnung SdKfz 250 und 251. (siehe Anhang ) Die Produktion wurde jedoch im Lauf des Krieges bis auf 150 Fahrzeuge angehoben. Was jedoch noch zu großen Schwierigkeiten führen sollte, da es zu Engpässen kam in der Versorgung mit Fahrgestellen und Aufbauten,obwohl zu den bisherigen Lieferfirmen, noch die Firma Maybach für die Versorgung mit Fahrgestellen und die Firma Demag als Lieferant für die Aufbauten hinzu kamen. In einer Anlage zum Lagebericht vom August 1944 wurde festgestellt, dass die Firma Evens & Pistor statt der verlangten Lieferung von 150 Schützenpanzer, nur 125 geliefert hatte. Als Grund der Nichterfüllung des Planes, hieß es :"Mangel an Fahrgestellen".

 

Da ein großer Teil der Belegschaft zur Wehrmacht einberufen worden war, gab es Probleme im Bezug auf Arbeitskräfte, welche dann jedoch sehr schnell durch polnische Fremdarbeiter und französischen Kriegsgefangenen gelöst werden konnten. Für die Unterbringung der Franzosen wurde ein Gefangenenlager bestehend aus mehreren Baracken,unterhalb der Fabrik gebaut. Die Fremdarbeiter bekamen ebenfalls eine Baracke, die gegenüber der Fabrik an der Losse errichtet wurde. Nicht nur für die Unterbringung hatte die Firma Evens & Pistor aufzukommen, sondern auch für die Verpflegung. Wie das Essen der Franzosen war,ist mir nicht bekannt. Das der Fremdarbeiter muß nicht gut gewesen sein, denn sie versuchten oft im Dorf nach Feierabend noch in der Landwirtschaft zu helfen, um etwas zu Essen zu bekommen.

 

Nach dem Überfall auf die Sowjetunion 1941 traten erneut große Veränderungen ein, denn weitere Arbeiter wurden zum Kriegsdienst eingezogen. Die Arbeitszeit hat man auf 60 Wochenstunden verlängert, um diesen Mangel auszugleichen. Aber diese Maßnahme, reichte nicht aus, so dass weitere Arbeitskräfte, die der Firma zur Verfügung gestellt wurden, waren Ostarbeiter, welche aus ihrerer Heimat,der Ukraine, zum Arbeitseinsatz nach Deutschland angeworben wurden. Mit der weiteren Dauer des Krieges, und nachdem sich vermutlich herumgesprochen hatte, wie schwer das Leben in Deutschland wirklich war, wurden weitere Arbeitskräfte einfach zwangsverschleppt, da keiner mehr freiwillig bereit war nach Deutschland zu gehen. Zum Teil wurden in der Sowjetunion die Bürger einfach von der Straße verhaftet und nach Deutschland verschleppt. Dabei spielte es keine Rolle,ob es sich um Männer oder Frauen handelte. Die Ostarbeiter, durften sich ebenfalls,wie die Fremdarbeiter nach Feiierabend in ihrem Wohnort frei bewegen, jedoch ohne Genehmigung der örtlichen Polizeibehörde diesen nicht verlassen. Die Firma Evens & Pistor übernahm von der Familie Barchfeld ein Wiesengrundstück gegenüber der Fabrik und errichtete dort eine Baracke zur Unterbringung der ausländischen Arbeiter. Nach Angaben von Zeitzeugen soll es sich um zirka 150 Personen gehandelt haben. Verpflegt wurden sie aus einer Küche die von der Firma eingerichtet worden war. Die Verpflegung muß nicht gut gewesen sein, denn oft kamen diese Menschen in den Ort und haben um Essen gebettelt, ja sie wurden sogar dabei beobachtet, wie sie auf Misthaufen nach Essbaren Ausschau hielten. In der Erntezeit kamen sie zu den Landwirten auf die Höfe, um sich nach Feierabend als Arbeitskraft anzubieten. Mein Vater, der in der Firma gearbeitet hat, brachte oft in der Erntezeit für meine Großeltern Männer und Frauen mit, die uns dann bei der Einbringung der Ernte geholfen haben. Nach getaner Arbeit wurde gemeinsam gegessen, was zwar streng verboten war, doch meine Großmutter bestand darauf, dass die Leute bei uns am Tisch Platz nahmen. Außerdem gab sie ihnen noch für den nächsten Tag ein Frühstücksbrot mit,was mein Großvater nicht gern sah (weil es eben streng verboten war). Sie sagte dann zu ihm: „Wilhelm denke daran, unser Konrad und der Willi sind in Russland vermisst, vielleicht, wenn sie noch leben sollten gibt ihnen dort auch ein Mensch eine Scheibe Brot".

 

Auch meine Eltern versuchten ganz bescheiden den Menschen zu helfen, indem sie beide zur Arbeit etwas mehr mitnahmen zum Essen als sie brauchten, was jedoch streng verboten war. Doch meine Eltern die beide in den Panzern arbeiteten (meine Mutter brachte Halterungen für Gasmasken an und mein Vater kontrollierte die fertigen Panzerwagen auf Mängel), fanden immer eine Gelegenheit, wo ein Stück Brot hingelegt werden konnte. Mein Vater war seit 1939 bei der Firma Evens & Pistor beschäftigt als Schlosser und meine Mutter wurde 1943 zwangsverpflichtet durch Gesetz, wonach alle Frauen, welche keine kleinen Kinder mehr zu betreuen hatten in der Rüstungindustrie arbeiten mussten. In den ersten Jahren des Krieges musste ich als 10 jähriger das Mittagessen zu meinem Vater in die Fabrik bringen. Oft machte die Mutter die Portion etwas größer und ich bekam noch einen zweiten Löffel mit und habe mit dem Vater dann zusammen gegessen. Viel lieber aber zog ich in der Mittagspause des Vaters durch die Werkhalle, um mir die Panzerwagen ganz genau anzuschauen. Ja die Panzer hatten es uns Jungen angetan, denn täglich ertönte die Fanfare zu Sondermeldungen im Radio und immer hieß es, deutsche Panzer eroberten irgend eine Stadt, oder Festung. Unsere Verehrung im Bezug auf die siegreichen Panzerschlachten ging so weit, daß wir (drei Jungen) im Jauchefaß meiner Großeltern Panzerfahren gespielt haben. Für uns zum Glück, kam ein Geselle meines Großvater, der zu Besuch des Herzenshäuschens auf den Hof kam bei uns vorbei, er lief ins Haus und rief :"Meister kommen sie ganz schnell die Jungen spielen im Jauchefaß Panzer". Da das Jauchefaß meinen Großeltern gehörte, war ich der Panzerkommandant der die Luke ( den Deckel ) auf und zu machen musste. Als ich den Heinrich Müller laut rufen hörte, gab es nur eins sofort raus aus dem Panzer, denn der Großvater hatte eine gute Handschrift. Wir hatten gerade den Rand des Hofes erreicht, als der Großvater auch schon erschien und uns noch irgend eine Drohung nachrief. Wir sollen jedenfalls gut gerochen haben wie man sich oft später noch erzählte und ich hatte für lange Zeit den Ehrennamen „Helmut der Panzerkommandant".

 

Im Jahr 1943 brach in der Lackierrei der Firma Evens & Pistor ein Großfeuer aus, mächtige schwarze Rauchwolken zogen über das Fabriksgelände und die Feuerwehr hatte große Mühe bei der Brandbekämpfung, insbesondere wegen der giftigen Gase, die durch das Verbrennen der Farbe entstanden sind. Da es der Feuerwehr gelang, den Brandherd unter Kontrolle zu bringen, blieben andere Fabrikteile unversehrt und die Produktion konnte weiter geführt werden..

 

Wurde in den ersten Kriegsjahren überwiegend der Fahrzeugtyp SPW Sdkfz. 250 gebaut, so kam 1944 noch der SPW Typ 251 hinzu. Dieses Fahrzeug war größer und hatte statt 6 nun 8 Kettenräder. Beide Fahrzeuge waren im Krieg von großer Bedeutung, denn vielseitig war ihr Einsatz, in ganz unterschiedlicher Verwendung. Bis zum 31. März 1945 wurden sie in Helsa gebaut und während der Kämpfe um Helsa vom 31.März bis zum 6. April wurden noch unfertige Fahrzeuge aus den Werkshallen geholt und kamen zum Einsatz. Die Bewaffnung war ebenfalls sehr unterschiedlich, meistens wurden die Fahrzeuge mit einem Maschinengewehr ausgerüstet, doch auch eine Kanone mit einem Kaliber 3,7 cm gehörte dazu. Zum Einschießen der Kanone fuhren die Panzer nach Niederkaufungen in eine Sandgrube. Auf den Fahrzeugtyp 251 wurden Nebelwerfer montier. Dieses waren die deutschen Stalinorgeln.

 

Die Montageteile bestehend aus Fahrgestell und Aufbau wurden per Bahn nach Helsa geliefert und mussten durch den ganzen Ort transportiert werden, denn die vorhandene Gleisanlage konnte nicht oder nur bedingt benutzt werden. Der Haupteingang zur Fabrik befand sich am Ortsausgang Richtung Oberkaufungen. Nachdem 1941 eine neue Werkhalle errichtet worden war, baute man 1942 eine Straßenverbindung zwischen dem Bahnhof und der Firma Evens & Pistor, die heute noch von der Firma Dr. Esterer benutzt wird. Der alte Wassergraben für die Versorgung der ehemaligen Niedermühle wurde verfüllt und zum Teil als Straße hergerichtet. Da im Fabriksgelände wenig Platz war und vor allem aus Sorge im Bezug auf Fliegerangriffe, wurden die Fahrgestelle oft im Stiftswald oberhalb des Mariengrundes auf Waldwegen abgestellt. Dieses war der Anlaß, warum Helsaer Jungen häufig im Stiftswald anzutreffen waren. Mit Hilfe eines dreizölligen Nagels konnten die Fahrzeuge angelassen werden und man konnte etwas hin- und her fahren, natürlich auf Kosten der Batterien. Nur erwischen lassen durfte man sich nicht, denn dann gab es großen Ärger. Ein Bekannter erzählte mir einmal wie sein Vater alle Mühe hatte, um das nicht Erlaubte seines Sohnes wieder auszubügeln, da das Söhnlein angeblich das Getriebe kaputt gemacht haben sollte, was zur damaligen Zeit böse Folgen haben konnte. Da die Fahrzeuge des Nachts in den Wald gefahren wurden bei fast völliger Dunkelheit kam es zu einem Unfall, wobei eine junge Frau aus der Familie des Försters Bär ums Leben kam. Im Sommer 1944, wir befanden uns auf den Feldern zur Arbeit, als ein englischer Jagdbomber die Fabrik und den Bahnhof von Helsa angegriff. Der Schaden jedoch war sehr gering und auch die Arbeiter hatten nur geringe Verluste an Verletzten, mein Vater erzählte uns am Abend, dass er im Wassergraben des Baches von der Mariengrund gelegen habe als einem Russen, der hinter ihm lag ein Bein zerschossen worden war.

 

Der nächste Fliegerangriff auf den Bahnhof und die Fabrik geschah dann am 31. März 1945 wobei es, wie bekannt ist mehrere Tote gegeben hat. vermutlich ruhte die Arbeit in der Fabrik bereits schon zu dieser Zeit: Denn in der Fabrik hat es nur Sachschaden gegeben, die Toten waren Bahnarbeiter des Rangierdienstes.

 

Nachdem der Krieg nun vorbei war, benutzten die Fremd- und Ostarbeiter die verbliebenen Fahrgestelle und fuhren in Siegermanier durch das Dorf. Ja es war ein echt makaberes Bild, diese Leute nun zu sehen. Sie hatten sich in der ehemaligen Motorschule neu eingekleidet (sie hatten alle braune Uniformen an) die Farbe, welche nun in Helsa kein Mensch mehr leiden konnte. Auch sollte es jetzt ein böses Erwachen geben, denn so mancher Helsaer war nicht unbedingt während des Krieges gut mit den Fremdarbeitern umgegangen. Man hatte sie sogar geschlagen, beziehungsweise in den Hintern getreten. Was die nicht vergessen hatten. Nun übten sie Vergeltung, ja sie nahmen sogar böse Rache an ihren Herren von einst aus dem „Tausendjährigen Reich".Ich habe selbst gesehen, wie sie einen leitenden Mitarbeiter der Firma , der bei amerikanischen Soldaten, die in der Villa Orplid sich einquartiert hatten Schutz suchte, von den Soldaten jedoch nicht eingelassen wurde und vor der Haustür schwer misshandelt wurde. In der Villa Orplid hatte ein höherer amerikanischer Offizier Quartier bezogen, denn die Firma Evens & Pistor war von der Militärbehörde beschlagnahmt worden.

 

Da die Firma Evens & Pistor ein Rüstungsbetrieb gewesen ist und wie bekannt Dr. Braun in den Augen der Siegermächte ein alter Nazi war, wurde der Betrieb beschlagnahmt und mein Vater als Treuhändler eingesetzt. Nach ein paar Wochen erschienen amerikanische Offiziere und erklärten, dass die Fabrik von der Militärverwaltung übernommen werden würde und als Reparaturwerkstatt für amerikanische Militärfahrzeuge benutzt werden sollte. Kurze Zeit später war das gesamte Fabriksgelände mit schweren amerikanischen Militärfahrzeugen versehen. Sehr schnell fanden sich Arbeiter die bereit waren für die Amerikaner zu arbeiten. Da in den letzten Kriegstagen und vor allem nach dem Krieg in der Fabrik geplündert worden war, ging es jetzt ans große Aufräumen, ehe man mit den Reparaturarbeiten der Fahrzeuge beginnen konnte. Die Belegschaft betrug etwa 5o Arbeiter. Da die Amerikaner eine Werkskantine eingerichtet hatten, bekam die Belegschaft täglich ein warmes Essen. Was diese Einrichtung für einen hohen Stellenwert zur damaligen Zeit hatte, kann nur der ermessen, der diese Hungerzeit selbst erlebt hat. Bis 1947 wurde in Helsa gearbeitet, dann verließen die Amerikaner Helsa, um in Kassel-Waldau im ehemaligen Fislerwerk weiter zu machen. In Helsa war man über den Verlust der Arbeitsplätze traurig, da es hierfür kaum Ersatz gab.

 

Am 1. August 1948 schloß die Deutsch-Amerikanische Petroleumsgesellschaft einen Pachtvertrag mit Dr. Rudolf Braun zum Betreiben des Werkes. Man wollte hier eine Reparaturwerkstatt einrichten, wo alle Tankfahrzeuge dieses Konzerns in der Trizone repariert werden sollten. Zur Leitung des Betriebes kamen zwei leitende Mitarbeiter des Konzerns aus Hamburg und außerdem ein Meister Namens Kraft aus Mannheim. Die Herren aus Hamburg waren die Ingenieure Kohlmorgen und Basting. Mit etwa So Mitarbeitern wurde die Arbeit aufgenommen. Ab 1950 bekam die Firma einen neuen Namen und hieß von nun an: „Esso AG. Hamburg". Im Betrieb änderte sich nichts, denn alles ging seinen gewohnten

Gang.

 

Eine weitere Veränderung trat jedoch schon 1955 ein und zwar gab die Esso AG. den Betrieb auf und aus Hamburg kam ein bisheriger Mitarbeiter, um in eigener Regie das Werk zu übernehmen und weiterzuführen. Zu den bisherigen Reparaturarbeiten kam jetzt der Neubau von Tankfahrzeugen hinzu. Der neue Pächter der Braunschen Fabrik in Helsa hieß Dr. Ulrich Esterer. Die Belegschaft vergrößerte sich, da die Produktion erheblich gesteigert wurde. Außerdem schlossen Dr. Esterer und Dr. Rudolf Braun einen Kaufvertag ab, nachdem der Betrieb somit in das Eigentum von Dr. Esterer überging. Zu einem späteren Zeitpunkt übergab Dr. Ulrich Esterer den Betrieb an seinen Sohn Harold, der auch heute noch im Jahr 2005 den Betrieb weiterführt. Nachdem noch eine neue Werkhalle erstellt wurde, baut die Firma Esterer die größten Tankfahrzeuge für die Flughäfen in aller Welt.