Forschung

Forschungsprojekte und Veranstaltungen der letzten Jahre (Auswahl)

Workshop & Publikationsprojekt (Max Weber Stiftung, Deutsches Historisches Institut in Rom)

Im April 2022 brachte ein mehrtägiger Workshop am Deutschen Historischen Institut in Rom Wissenschaftler/innen aus Italien, Deutschland, Österreich und Großbritannien in einen transdisziplinären Dialog über das Image und die zahlreichen Klischees rund um das Faszinosum ‚Italien‘ in der internationalen Musik- und Mediengeschichte der Nachkriegszeit. Ziel des Projekts war es, die Konstruktion des mächtigen Mythos von Italien in der Moderne sowie das damit häufig verbundene Phänomen international verbreiteter Klischees voller nationaler Subexte besser zu verstehen. Im Rahmen des Workshops wurden Perspektiven aus der Historischen Musikwissenschaft mit solchen aus Ethnomusikologie, Literatur- und Medienwissenschaft konfrontiert. Die diskutierten Fallstudien trugen nicht allein der Tatsache Rechnung, dass die Pluralisierung der Medien, der Massentourismus, die Internationalisierung aber auch oftmals politisch aufgeladene Kategorien wie Heimat, Folklore oder Exotismus im 20. Jahrhundert zu einer Reaktivierung und verstärkten Vermarktung Italiens als historischem Sehnsuchtsort geführt haben. Vielmehr wurde anhand aussagekräftiger Bild-, Ton- und Textquellen aus italienischem, US-amerikanischen, südamerikanischen, französischem, niederlândischem und deutsch-österreichischem Kontext auch deutlich, wie offensiv die audio-visuelle Konstruktion des Assoziationsgegestands ‚Italien‘ in die Alltagskultur eingeschrieben worden ist und zu welchen Deutungen und Rekontextualisierungen es in diesem Zuge kam. Aus dem Workshop entstanden ist ein speciel issue, welches die multimediale Re-Imagination von ‚Italien‘ seit Mitte des 20. Jahrhunderts aufzeigt. Bekannte Ohrwürmer, Werbeclips und Postkarten kommen dabei ebenso zum Tragen wie Schlager-Übersetzungen, die Figur James Bond, DDR-Filme oder die Allianz-Versicherung. Wie es im Vorwort der Publikation heißt: Die hiermit eröffneten Perspektiven ergänzen einander in Hinblick auf die kritische Betrachtung einer kaum überschaubaren, fortwährenden Produktion und Diffusion von Italienbildern voller Klischees und Stereotypen auf auditiven wie visuellen Ebenen. Gerade weil sie längst einen Medien übergreifenden Weg in die internationale Alltagskultur des 21. Jahrhunderts gefunden haben, bleibt zu hoffen, dass die Lektüre der vorliegenden Beiträge eine produktive Skepsis gegenüber dem zu fördern vermag, was Italien tatsächlich ausmacht – oder entgegen weit verbreiteter Vorstellungen eben nicht. (Zitiert aus: C. Krahn, Fakturen eines Faszinosums: ‚Italien‘ als multimedialer Assoziationsgegenstand, in: QFIAB 103 (2023), S. 3–7, hier S. 7.)

Weitere Informationen: Publikation auf der Verlagsseite

Beteiligte: Luca Aversano, Marina Forell, Marita Liebermann, Julio Mendívil, Nina Noeske, Goffredo Plastino

Projektleitung: Carolin Krahn

Forschungsprojekt
Mythen und Monumente der Nation. ‚Alte Musik‘ in Italien zwischen Unità und fascismo

Postdoc-Projekt (Max Weber Stiftung, Deutsches Historisches Institut in Rom)

Inwiefern wurde das Konzept ‚alte italienische Musik‘ als nationale Referenzgröße in Italien zwischen der politischen Einheit und dem Ende des faschistischen Regimes gestaltet? Wie veränderten sich dabei Repertoires und Darstellungen der italienischen Musiktradition? Ausgehend von diesen Fragen liegt der Fokus des Forschungsprojekts auf der Idee der 'Alten Musik' und dem praktischen Umgang damit im Zeitraum von 1861 bis 1943.

Die Hypothese dieses mitten in der Covid-19-Pandemie aufgenommenen Forschungsprojekts lautet, dass es sich bei dem, was sich hinter dem Begriff ‚Alte Musik‘ (bzw. musica antica) verbirgt, um einen in unterschiedlichen Kontexten changierenden Bedeutungskomplex handelt, mit welchem die Idee der italienischen Nation verknüpft worden ist. Dementsprechend gilt es, ‚Alte Musik‘ in Italien im genannten Untersuchungszeitraum nicht als gegebene, durchweg unveränderte Kategorie zu behandeln, sondern als ein aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachtendes Phänomen. Dieses ging mit dem nationalen Identitätsbildungsprozess in Italien einher und konnte darum in unterschiedlichen Kontexten bewusst geformt und auch für kulturpolitische Zwecke genutzt werden. Vor diesem Hintergrund soll hier die Bezeichnung ‚Alte Musik‘ als ein Mythos verstanden werden, der immer wieder neu interpretiert und mit musikalischen Inhalten von Palestrina oder Marenzio über Tartini, Boccherini und darüber hinaus gefüllt sowie historiographisch vermittelt worden ist, um beispielsweise die Monumentalität und Kontinuität der italienischen Musiktradition zu unterstreichen.
Der Umgang mit der musica antica innerhalb Italiens wird im Forschungsprojekt auf vier Ebenen analysiert, die einander in Hinblick auf Material und Methode ergänzen: musikhistorische Monographien; Editionen von ‚Alter Musik‘; Komponieren mit ‚Alter Musik‘ sowie publizistische Diskurse über ‚Alte Musik‘ im Faschismus. Auf Basis des ausgewerteten Quellenmaterials aus diversen italienischen Archiven verbinden die genannten Akzentuierungen die kulturelle Gedächtnisforschung mit Theorien der Traditions- und Kanonbildung. Zugleich wird damit an Forschungsbeiträge zu Teilaspekten der skizzierten Thematik auf dem Gebiet der Musikwissenschaft angeknüpft (vgl. Nicolodi 1991, Garratt 2002, Ellis 2005, Celestini 2007, Vitzthum 2007, Bertola 2014).
Das Erkenntnisinteresse der von Anbeginn dynamisch gehaltenen Perspektive auf ‚Alte Musik‘ besteht darin, spezifische darauf bezogene Praktiken innerhalb der politischen Grenzen Italiens in ihrer Komplexität zu erfassen. Demgemäß zielt das Projekt auch darauf ab, Musik und deren Repräsentation im Spannungsfeld von Historismus, musikalischer Moderne und nationaler Kulturpolitik umfassend zu verorten. Auf dieser Grundlage wird die Behandlung unterschiedlicher Repertoires anhand ausgewählter Fallstudien, die unter dem Begriff ‚Alte Musik‘ subsumiert und in den Kontext der Nation gerückt worden sind, differenziert reflektiert. Damit können Desiderate in der kultur- und musikhistorischen Forschung zum Nationalismus im 19. Jahrhundert sowie zur Rolle der Musik im Faschismus geschlossen werden.

Weitere Informationen: Essay und Interview zum laufenden Forschungsprojekt

Projektleitung: Carolin Krahn

Transdisziplinäre Seminarreihe (Max Weber Stiftung, Deutsches Historisches Institut in Rom)

This public seminar series provides an international and transdisciplinary exchange forum bringing together the fields of modern history and music history. Hosted by the German Historical Institute (DHI) in Rome, which enjoys a privileged position as a bridge between different disciplines and scholarly traditions, Contrappunto strengthens such links by exploring topics from a transdisciplinary and transnational perspective. Historians and musicologists at different career stages were invited to add their voices to this public seminar. They will be presenting either in person (in hybrid form, in order to reach as vast an audience as possible) or remotely. Each 30-minute presentation will be followed by an open discussion moderated by the chair, who will provide additional food for thought to stimulate the Q&A. Historians will chair the music history sessions and vice versa as a way of enhancing the interdisciplinary contrappunto.

Weitere Informationen: Programm 2021/2022, Programm 2022/2023

Beteiligte: Tobias Becker, Charlotte Bentley, Annalisa Capristo, Alessandro Carrieri, Axel Körner, Martin Rempe, Silvia Salvatici, Astrid Swenson, Ruben Vernazza, Rebecca Wolf

Projektleitung: Antonio Carbone, Bianca Gaudenzi, Carolin Krahn, Andrea Carlo Martinez

Forschungskolloquium & kooperative Studie (Studienstiftung des deutschen Volkes, Elisabeth und Helmut Uhl Stiftung, Johannes Gutenberg-Universität Mainz)

Was geschieht, wenn Menschen ins Staunen geraten? Diese auch für die Auseinandersetzung mit Musik relevante Frage stand im Zentrum zweier transdisziplinärer Forschungskolloquien im Begegnungszentrum „Buchnerhof“ in Bozen/Südtirol, die in den Sommern 2016 und 2017 stattfanden. Versammelt waren hier die Disziplinen Philosophie, Theologie, Romanistik, Germanistik, Linguistik, Kunstgeschichte, Musik- und Medienwissenchaft, Musikpraxis, Mathematik und Physik, um das Staunen gemeinsam im Spannungsfeld von Natur und Kultur zu verorten. Die im Rahmen der Forschungskolloquien entstandene Studie rekurriert medienübergreifend insbesondere auf Impulse aus Philosophie, Kunst, Literatur, Technik und Naturwissenschaften und nähert sich dem Staunen systematisch an. Die verschiedenen fachlichen Perspektiven verbindet dabei das Anliegen zu untersuchen, wie sich das Staunen im konkreten Einzelfall in das Verhältnis von Natur und Kultur einschreibt. Dabei zeigt sich, dass das Staunen weit mehr als nur ein momentbezogener Affekt jenseits des menschlichen Verstandes ist. Die entstandene Studie wurde in die Publikationsreihe des SNF-Sinergia-Projekts „The Power of Wonder“ aufgenommen. 

Weitere Informationen: Veranstaltungsbericht und Verlagsinformation zur entstanden Publikation

Projektleitung: Timo Kehren, Carolin Krahn, Georg Oswald, Christoph Poetsch

Dissertationsprojekt (Studienstiftung des deutschen Volkes)

Das ambivalente Image von Musik und Musikern aus Italien war für die Historiographie der Musik im deutschsprachigen Raum um 1800 von grundlegender Bedeutung. Allerdings wurde dies – obwohl zahlreiche Kulturkontakte und Austauschprozesse zwischen deutschsprachigem Raum und Italien hinlänglich bekannt sind und immer wieder diskutiert werden – bis vor Kurzem kaum systematisch erforscht. Vor diesem Hintergrund besteht das Anliegen dieses Forschungsprojekts darin, exemplarisch zu verdeutlichen, wie stark die deutsche Musikhistoriographie und auch der öffentliche Diskurs über Musik bereits in der Frühphase der Nationalstaatsbildung von der Hinwendung zu Italien getragen waren. Von diesem transnationalen Blickwinkel ausgehend, wird im Rahmen dieses Forschungsprojekts ein breites Spektrum von Schriften und Dokumenten rund um den bekannten, für die deutsche Musikgeschichtsschreibung zentralen Leipziger Musikschriftsteller, Erzähler, Librettisten, Kritiker und Herausgeber Johann Friedrich Rochlitz untersucht. Im kulturhistorisch vielseitigen Kontext seiner Gegenwart verortet, eröffnet Rochlitz’ Œuvre ein facettenreiches diskursives Feld, das neben ästhetischen auch konfessionelle, national aufgeladene, oft polemische Haltungen gegenüber dem musikalischen Italien aufweist. Zentrale Akteure (und wenige Akteurinnen), Infrastrukturen und Institutionen, ‚alte‘ und ‚neue‘ Musik, Malerei, Oper, Kirchen- und Instrumentalmusik werden in der vorliegenden Studie ebenso beleuchtet wie mediale Verbreitungsstrategien im Streben nach dem Primat deutscher Tonkunst. Das Forschungsprojekt trägt zur transnationalen Reflexion einer bis in die Gegenwart reichenden, dialektisch zugespitzten Beziehung zwischen deutscher und italienischer Musik- und Kulturgeschichte bei, die von zahlreichen Generalisierungen, Klischees und Stereotypen getragen ist und deren Wurzeln sich bis in die Goethe-Zeit und bisweilen darüber hinaus zurückverfolgen lassen. 

Weitere Informationen: Interview zum Projekt und Verlagsinformation zum entstandenen Buch

Projektleitung: Carolin Krahn