SeiteneinsteigerInnen

Projektseminar „DaZ-Unterricht für SeiteneinsteigerInnen: Modelle zur Integration ins Bildungssystem"

Aufgrund der aktuellen Flüchtlingssituation ist der Anteil an neu zugewanderten SchülerInnen stark gestiegen. Sogenannte SeiteneinsteigerInnen stellen wegen ihrer heterogenen Vorbildung hohe Anforderungen an Lehrkräfte.

Im Projektseminar, das im Sommersemester 2016 unter der Leitung von Jun.-Prof. Christine Czinglar durchgeführt und durch die Zentrale Lehrförderung (Lehrinnovation) finanziell unterstützt wurde, untersuchten Studierende im Rahmen von Exkursionen zu zwei Best Practice Schulen in Schleswig und München und zwei Kasseler Schulen den DaZ-Unterricht mit SeiteneinsteigerInnen.
Im Projektseminar ging es darum, verschiedene Modelle kennenzulernen, bereits erprobte und bewährte Konzepte für die Beschulung von SeiteneinsteigerInnen in der Praxis zu beobachten und die unterschiedlichen Umsetzungsmöglichkeiten zu vergleichen und zu diskutieren. MA-Studierende des Fachgebiets DaFZ, Lehramtsstudierende und TeilnehmerInnen des Weiterbildendenden Studienprogramms DaFZ beschäftigten sich in Kleingruppen mit verschiedenen Beschulungsmodellen und Schulen. Auf Basis der aktuellen Fachliteratur wurden Hospitations- und Interviewleitfäden entwickelt, die an den vier Schulen eingesetzt wurden.

Die ausgewerteten Daten wurden bei einer öffentlichen Abschlussveranstaltung im Juli 2016 präsentiert und anschließend u.a. im Rahmen einer Podiumsdiskussion mit Lydia Gundlach, Schulleiterin der Schule Hegelsberg, Ines Mooshage, DaZ-Lehrerin der Carl-Schomburg-Schule und Dr. Hartmut Quehl, dem Leiter des Instituts für Sprachen, diskutiert. Die Anwesenden vertraten einhellig die Meinung, dass das Land Hessen Nachholbedarf bezüglich der Beschulung von SeiteneinsteigerInnen hat. Ungefähr 40 DaFZ-Studierende, Lehramtsstudierende und LehrerInnen ließen sich von den Posterpräsentationen und der Diskussion inspirieren und nahmen einige neue Ideen für ihre Institutionen mit.

Die TeilnehmerInnen des Projektseminars waren sich einig, dass es interessant wäre zu sehen, welche Änderungen diese Veranstaltung bewirkt bzw. angeregt hat. Astrid Lange, die gemeinsam mit Ingrid Kutz das Projektseminar als Tutorin begleitet hat, bietet daher im Wintersemester 2016/17 eine Weiterführung des Projektseminars mit dem Titel „Neue Unterrichtskonzepte für DaZ-SeiteneinsteigerInnen an Schulen (Sek I + II)“ an, in dem einige Ideen und Konzepte für einen erfolgreichen DaZ-Unterricht mit SeiteneinsteigerInnen an Kasseler Schulen erprobt werden sollen.

 

Vergleich 1: SeiteneinsteigerInnen an Gesamtschulen - Dannewerkschule und Schule Hegelsberg

Dannewerkschule

Die Dannewerkschule ist eine Gesamtschule in Schleswig-Holstein, der ein DaZ-Zentrum angegliedert ist. Die neu zugewanderten SchülerInnen werden nach einem teilintegrativen Modell (nach Massumi & von Dewitz et al. 2015) unterrichtet. In Schleswig-Holstein wird ein Mehrstufenmodell verfolgt, welches vorsieht, dass SchülerInnen zuerst einen Vollzeit Basiskurs absolvieren, um anschließend nach einer Sprachprüfung eine Regelklasse besuchen zu können (vgl. Schulte-Brunert, E. 2016).

Zurzeit besuchen 506 SchülerInnen die Schule, aufgeteilt auf 22 Klassen. Die SeiteneinsteigerInnen wechseln sukzessiv in handlungsorientierten Fächern (z.B. Sport, Kunst, Musik) oder in Englisch in die Regelklassen. Das DaZ-Zentrum besuchen im Moment 70 SchülerInnen, welche im Durchschnitt 15 Jahre alt sind und vornehmlich aus den Herkunftsländern Syrien und Afghanistan kommen. Der Alphabetisierungsbedarf der SchülerInnen liegt bei etwa 25% in der deutschen Sprache und bei ca. 2 % in der Muttersprache.

Schule Hegelsberg

Die Schule Hegelsberg ist eine Gesamtschule in Kassel und arbeitet mit dem integrativen Modell des Intensivkurses, d.h." […] Neu zugewanderte Kinder und Jugendliche besuchen ab dem ersten Schultag eine Regelklasse und erhalten additive Sprachförderung" (Massumi & von Dewitz et al. 2015: 7).
Zurzeit besuchen ca. 630 Schülerinnen aus 40 verschiedenen Nationen die Schule, etwa 1/6 der SchülerInnen sind SeiteneinsteigerInnen (v.a. aus Syrien, Afghanistan, Somalia, Ost-und Südosteuropa). Im letzten Schuljahr gab es fünf jahrgangsübergreifende Intensivkurse, in denen die SchülerInnen 10-12 Stunden verbringen, in der verbleibenden Zeit nehmen sie am Regelunterricht teil.


Ergebnisse der Hospitationen

Die Dannewerkschule ist eine der beiden Best Practice Schulen die im Projektseminar besucht wurden. Sie unterscheidet sich vor allem durch die Unterrichtssituation und das Lehrmaterial von der Schule Hegelsberg. Die Dannewerkschule bemüht sich durch Binnendifferenzierung und selbstgesteuertes Lernen dem Umgang mit Heterogenität gerecht zu werden. Die Lehrenden erstellen individualisierte Arbeitspläne für die SchülerInnen, welche durch einen Test abgeschlossen werden können. Wenn dieser nicht bestanden wird, muss der Lernende den Arbeitsplan wiederholen. Die Studierenden konnten sich vor Ort einen Eindruck über die Arbeitsweisen der Schule verschaffen, z.B. über die Sozialformen (wie Gruppentische) und die Lernumgebung (die Atmosphäre wurde als entspannt, ruhig und konzentriert empfunden). Die Schule setzt im DaZ-Zentrum vor allem auf das Selbststudium und stellt mehr Personal und ehrenamtliche HelferInnen als LernberaterInnen zur Verfügung als die anderen besuchten Schulen. Außerdem wird in der Schule viel Wert auf die Kooperation zwischen den einzelnen AkteurInnen gelegt, d.h. zwischen Lehrkräften, Eltern und SchülerInnen (vgl. Brömel, S. 2016: 35ff).

In der Schule Hegelsberg gibt es bisher keine feste Struktur zur Integration. Die Schule musste sich im letzten Jahr zwischen Intensivkursen und Intensivklassen entscheiden, was der Schulleiterin Lydia Gundlach nicht leicht fiel, wie sie während der Podiumsdiskussion berichtete. Sowohl die Teilnahme am Regelunterricht sei zur Integration der SchülerInnen wichtig (Intensivkurse/teilintegratives Modell) als auch eine intensive Beschäftigung mit Sprache (Intensivklassen/paralleles Modell).

Es wurde festgestellt, dass Intensivkurse leider nicht das leisten können, was das Modell der Dannewerkschule leistet. Lydia Gundlach und ihre KollegInnen wünschen sich mehr Unterstützung durch die Landesregierung und möchten mit der Integration der SchülerInnen nicht alleine gelassen werden. Sehr deutlich traten die Unterschiede zwischen der Schleswiger und der Kasseler Gesamtschule bei den personellen Ressourcen hervor. 

Vergleich 2: SeiteneinsteigerInnen an beruflichen Schulen
Vergleich BOKI Außenstelle Balanstraße und Elisabeth-Knipping-Schule

BOKI Außenstelle Balanstraße (seit Sommer 2016 "Städtische Berufsschule zur Berufsintegration")

Die Städtische Berufsschule zur Berufsintegration ist seit dem Sommer 2016 eine Selbstständige Berufsschule und bietet ein paralleles Modell, d.h. Unterricht in speziell eingerichteten Klassen, an (vgl. Massumi et al. 2015: 44ff). In Bayern sind Flüchtlinge seit 2000 schulpflichtig und werden größtenteils an Berufsschulen untergebracht. Die Dauer der Beschulung beträgt regulär 2 Jahre, kann aber in Sonderfällen ausgeweitet werden.
Die Städtische Berufsschule zur Berufsintegration besteht in dieser Form seit 2011/12 und bietet ausschließlich Unterricht für Flüchtlinge und MigrantInnen, weshalb sich dieses Modell stark von den anderen Modellen unseres Projekts absetzt. Eine große Bedeutung kommt sowohl der internen- als auch der externen Kooperation zu (vgl. Gahl, E. 2014: 50). Die Schule besteht aus drei parallel laufenden Lernhäusern, die allerdings nichts mit dem Sprachniveau zu tun haben. In diesen Lernhäusern soll gewährleistet werden, dass die SchülerInnen nur mit einem kleinen Pool an Lehrkräften arbeiten, ähnlich dem "Klassenlehrer-Prinzip" in der Grundschule. (vgl. Hessischer Bildungsserver) Die Größe der Klassen schwankt zwischen 9-18 SchülerInnen.

Die Erfolgsquoten der Städtischen Berufsschule zur Berufsintegration sprechen für sich, fast alle SchülerInnen schaffen den Mittelschulabschluss (vergleichbar mit dem hessischen Hauptschulabschluss) und 15 % sogar den qualifizierenden Mittelschulabschluss.

Elisabeth-Knipping-Schule

Die Elisabeth-Knipping-Schule ist eine berufsvorbereitende Schule, die ebenfalls ein paralleles Modell (vgl. Massumi 2015: 44ff) anbietet. Seit dem Schuljahr 2015/16 arbeitet sie mit so genannten InteA-Klassen (InteA: Integration und Abschluss), die SeiteneinsteigerInnen den Übergang in andere schulische Bildungsgänge ermöglichen und den Zugang zur Ausbildungs- und Berufswelt eröffnen sollen.

Zurzeit besuchen über 2300 SchülerInnen die Elisabeth-Knipping-Schule und es gab im letzten Schuljahr vier InteA-Klassen, mit einer durchschnittlichen Klassengröße von 20-25 SchülerInnen. Mit verschiedenen Projekten sollen die SeiteneinsteigerInnen in den Schulalltag integriert werden, z.B. werden SchulpatInnen verteilt, die die Integration der neu zugewanderten SchülerInnen in den Schulalltag unterstützen sollen oder es werden klassenübergreifende Projekte organisiert. Hinzu kommt ein Lernzentrum mit Büchern, Medien und Arbeitsplätzen, die alle SchülerInnen der Schule nutzen können. Die Elisabeth-Knipping-Schule bietet keine zusätzlichen Sprachkurse für Flüchtlinge an, trotz des hohen Alphabetisierungsbedarfs. Außerdem stellt sich in Zukunft die Frage, wie man SchülerInnen besser fördern kann, die während des laufenden Schuljahrs in die Klasse kommen.


Ergebnisse der Hospitation

Die Städtische Berufsschule zur Berufsintegration war die zweite Best Practice Schule, die im Rahmen des Projektseminars besucht wurde und beeindruckte die Studierenden durch die gute Zusammenarbeit des Kollegiums.

Des Weiteren beeindruckten die Studierenden die individualisierten Materialien, die Werkstätten und die Binnendifferenzierung in Form von Arbeitsblättern, Plakaten etc., da die Schule mit keinem Lehrwerk arbeitet, sondern aus einem eigens angelegten Pool an Materialien schöpft, in den jede Lehrperson Materialien einspeist. Neue Lehrkräfte werden von allen unterstützt und bekommen einen Leitfaden für die Arbeit mit den SchülerInnen.

Die Atmosphäre in der Städtischen Berufsschule zur Berufsintegration war sehr harmonisch und alle befragten Lehrpersonen waren über die Schulstrukturen informiert und standen hinter der Schulphilosophie. Die Einstellung der Lehrkräfte war sehr wohlwollend und positiv. Auch Lehrkräfte, die nichts mit Sprachunterricht zu tun hatten (z.B. Werkstattunterricht) beschäftigten sich in ihrem Unterricht mit Sprache und förderten die SchülerInnen dahingehend.

Im Unterschied zur Städtischen Berufsschule zur Berufsintegration beschult die Elisabeth-Knipping-Schule auch heimische SchülerInnen und kann sich nicht allein auf die Arbeit mit Flüchtlingen und MigrantInnen konzentrieren. Anders als bei der Städtischen Berufsschule zur Berufsintegration arbeiten die Lehrkräfte hier mit dem Lehrwerk "Berliner Platz 1", dass sich zwar an LernerInnen ohne Vorkenntnisse richtet, aber mit seiner Ausrichtung auf die Bewältigung des Alltags für den schulischen Kontext nur bedingt geeignet erscheint. Ähnlich wie an der Städtischen Berufsschule zur Berufsintegration werden an der Elisabeth-Knipping-Schule ebenfalls die herkömmlichen Fächer (Mathe, Deutsch, Sport, etc.) unterrichtet und die Absolvierung von Praktika gefördert.

In der Städtischen Berufsschule zur Berufsintegration können SchülerInnen nur zu zwei festen Terminen im Schuljahr die Niveaustufe wechseln bzw. neu in die Klassen kommen, sodass es keine ständigen "Neuankömmlinge" gibt. Dies gehört in Hessen und damit auch in der Elisabeth-Knipping-Schule leider zum Alltag und beeinflusst die Unterrichtsdynamik negativ. Die SchülerInnen einer Klasse sind selten auf einem Leistungsstand, was die Arbeit, trotz Binnendifferenzierung, für die Lehrkräfte erschwert.

In beiden Schulen war die vorherrschende Unterrichtssprache Deutsch, darüber hinaus war es allen SchülerInnen erlaubt, sich in der Muttersprache über einzelne Sachverhalte auszutauschen und Wörter zu erklären. Die Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden war in beiden Schulen wohlwollend, der Umgang wurde als sehr respektvoll und höflich wahrgenommen und die befragten SchülerInnen fühlten sich sehr wohl.

 

Bibliographie:

Brömel, S. (2016): Herausforderung Differenzierung im DAZ-Unterricht. In: Fremdsprache Deutsch, Sonderheft 2016, S.34-39

Gahl, E. (2014): Was heißt schon alphabetisiert. In: Ursula Männle/ Ludwig Spaenle (Hrsg.) (2014): Alphabetisierung eine Gesamtgesellschaftliche. Hanns-Seidel-Stiftung e.V., München. S.45 ff.

Hessischer Bildungsserver: http://hauptschule.bildung.hessen.de/Klassenlehrerprinzip.html (Zugriff: 30.10.2016)

Massumi & von Dewitz et al. (2015): Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache und Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität zu Köln. Köln.

Schulte-Brunert, E. (2016): Umsetzung des Mehrstufenmodells. Die Notwendigkeit langfristiger sprachlicher Eingliederung. Fremdsprache Deutsch-Sonderheft 2016. Online-Material.

 

Berichte und Publikationen:

Projektbericht zur Hospitation an der Städtischen Berufsschule zur Berufsintegration (vormals BOKI Außenstelle Balanstraße) von Anne-Christin Schumacher: Bericht BOKI Schumacher PDF

Lange, Astrid, Ingrid Kutz & Christine Czinglar (2017). Voneinander lernen: Modelle für den DaZ-Unterricht für neu zugewanderte Kinder und Jugendliche. Babylonia 1/2017.
Manuskript des Artikels zum Projektseminar: Artikel_Manuskript.PDF

 

Konzept und Text der Website: Wenke Seibert, Teilnehmerin des Projektseminars

Wissenschaftliche Hilfskräfte / Tutorinnen: Ingrid Kutz, Astrid Lange

Projektleiterin und für den Inhalt verantwortlich:
Jun. -Prof. Dr. Christine Czinglar