Wintersemester 2018/19

Seminar
Dienstags 10-12 Uhr
Ort: Moritzstr. 2 / Raum 3200

Der zoologische Garten ist historisch gesehen ein Phänomen des 19. Jahrhunderts, dessen Anliegen zunächst vor allem die Befriedigung bildungspolitischer Bedürfnisse des aufkommenden Bürgertums war. Die zuvor bereits bestehenden höfischen Menagerien hatten hingegen primär Repräsentationszwecke. Die Zoos waren in der Folgezeit Schaustätten kolonialer und imperialer Handlungsstrategien sowie der Nationenbildung. Dies gilt insbesondere für den 1844 nach Londoner Vorbild errichteten Berliner Zoo. Eine zentrale Funktion des Zoos war es, die Welt im Kleinen zu erklären und politische Zugehörigkeiten zu verdeutlichen. Als Forschungsfeld für die multiplen Bedeutungen von historischen Umbrüchen ist er aufgrund der symbolischen Aufladung von Herrschaftssicherung, kolonialen Großerzählungen und national-völkischen Ideologien besonders geeignet.

Ziel des Seminars ist es, das dialektische Verhältnis zwischen dem Zoo als vermeintlichem Tierort und der großen Politik, die sich vor seinen Toren abspielte, zu erfassen und damit die verschiedenen Funktionen des Zoos einerseits und seine Verstrickung mit zentralen Aspekten deutscher Geschichte anderseits kritisch zu analysieren. Wir werden fragen, wie sich die Revolution von 1848, die Reichsgründung, die kolonialen Bestrebungen des Deutschen Reiches, die Weltkriege, Weimar und der Nationalsozialismus, die deutsche Teilung und der Kalte Krieg jeweils auf die Zurschaustellung von Tieren, ihre Haltung und Anordnung auswirkte und was eigentlich über diese Anordnung jenseits der Unterhaltung der Zuschauer_innen vermittelt werden sollte.

De Studierenden solle hierbei lernen die Kategorien von Raum und Zeit zusammenzudenken, eine Kulturgeschichte des Zoos mit einer Politikgeschichte des Deutschen Staates zu verbinden und hierüber Fragen nach den Funktionen von Unterhaltungsorten zu stellen. Hierzu werden verschiedene Texte gegen und miteinander zu lesen sein. Da zentrale Sekundärliteratur auch auf Englisch ist, sind sichere Englischkenntnisse Voraussetzung für den Besuch des Seminars.

Literatur zur Vorbereitung:

Bruce, Gary. Through the Lion Gate: A History of the Berlin Zoo. Oxford University Press, 2017.

Klothmann, Nastasja. Gefühlswelten im Zoo: eine Emotionsgeschichte 1900-1945. transcript Verlag, 2015.

Roscher, Mieke. Curating the Body Politic: The spatiality of the Zoo and the symbolicconstruction of German nationhood (Berlin 1933?1961), in: Jacob Bull / Tora Holmberg / Cecilia Åsberg (Hrsg.), Animals and Place: Lively Cartographies of Human-Animal Relations. Routledge, 2017, 115-131

Seminar
Mittwochs 08-10 Uhr
Ort: Moritzstr. 25-31 Systembau1 / Raum 0104

"Animal liberation ... or else!" war einer der populären Schlachtrufe, die in den 1980er Jahren von der in Großbritannien rasant wachsenden Tierrechtsbewegung genutzt wurde. Er richtete sich sowohl an die britische Regierung wie auch an die tiernutzende Industrie. Dass es sich hierbei keineswegs um eine leere Drohung handelte, bewies die Bewegung immer wieder, indem sie Versuchslaboratorien stürmte, Briefbomben versendete und erheblichen Sachschaden bei Einrichtungen verursachte, die mit der tiernutzenden Industrie in Verbindung gebracht wurden: den Laboratorien, Massentierhaltungsfabriken, Schlachthäusern und Pelzgeschäften. Tierversuche, Massentierhaltung, Pelztierzucht oder Jagd - es gab vieles, gegen das Tierrechts-Aktivist_innen zu Felde zogen. Die Befreiungs-Aktionen der Animal Liberation Front der 1980er und 1990er Jahre waren nur die schrillsten Ereignisse dieser Art. Sie wandelte ein als harmlos geltendes bürgerliche Anliegen in revolutionäre Forderungen. Die Tierrechtsbewegung war damit mit ihrem radikalen Auftreten eine der brisantesten gesellschaftspolitischen Erscheinungen in Westeuropa, vor allem aber in Großbritannien, der letzten 50 Jahre.

Ziel des Seminars ist es, tierethische Beweggründe, gesellschaftspolitische Kontexte und kulturelle Transformationsprozesse zu beleuchten, die Grundlage für die Entstehung der Bewegung waren. Mit Fokus auf Großbritannien, werden wir uns sowohl mit den Neuen Sozialen Bewegungen der 1960er und 1970er (beispielsweise der Anti-Atom-, Umweltschutz- und Zweiten Frauenbewegung) beschäftigen wie auch mit der langen Vorgeschichte, die der organsierte Tierschutz mit seinen Wurzeln im 19. Jahrhundert hatte.
Über die zeitgeschichtliche Betrachtung von (radikalen) Gegenbewegungen hinaus, sollen die Studierenden lernen, mit welchen Quellen die Bewegungsforschung arbeitet, wie diese zu beschaffen sind und welche Herausforderungen sich mit ihrer Betrachtung an Historiker_innen stellen.
Da zahlreiche Quellen und Sekundärliteratur auch auf Englisch ist, sind sichere Englischkenntnisse Voraussetzung für den Besuch des Seminars.

Literatur zur Vorbereitung:


Kean, Hilda. Animal rights: political and social change in Britain since 1800, Reaktion 1998.

Roscher, Mieke. "Animal Liberation ... or else!" Die britische Tierbefreiungsbewegung als Impulsgeber autonomer Politik und kollektiven Konsumverhaltens, in: H. Balz/ J.H. Friedrichs (Hrsg.), "All We Ever Wanted..." - Eine Kulturgeschichte europäischer Protestbewegungen der 1980er Jahre, 2012, S.178-196.