Stefan Beck
Exposé zum Dissertationsvorhaben von Stefan Beck:
Zauberformel Export?
Wachstumsperspektiven der ostdeutsche Wirtschaft
14 Jahre nach der Wiedervereinigung sind die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland noch immer erheblich. Seit nunmehr fast zehn Jahren verharrt das ostdeutsche BIP bei rund zwei Dritteln und die gesamtwirtschaftliche Produktivität hat gerade 70% des westdeutschen Niveaus erreicht. Die häufig konstatierte „Produktionslücke“ von rund 30% des ostdeutschen BIP ist gleichbedeutend mit einer dem entsprechenden negativen (regionalen) Handelsbilanz.
In der Diskussion um die wirtschaftliche Entwicklung Ostdeutschlands dominiert indessen noch immer die Perspektive des Aufholens und der Angleichung an den Westen. Eingebettet in eine institutionelle Ausrichtung und eine makroökonomische Politik, welche sich weitgehend am – teilweise vergangenen – Erfolg der westdeutschen Wirtschaft orientieren, soll die ostdeutsche Wirtschaft nicht nur ebenso erfolgreich, sondern mittelfristig zukunftsweisend werden. Makroökonomisch käme dies einer Wiederholung des westdeutschen “Wirtschaftswunders“ gleich, nun allerdings unter gänzlich verschiedenen Bedingungen.
Zum einen haben sich die internationalen politisch-ökonomischen Rahmenbedingungen (z.B. Bretton Woods, EU) erhebliche verändert, zum anderen werden gegenwärtig auch die institutionellen Formen, welche dem westdeutschen Modell und seinem Exporterfolg zugrunde lagen (u.a. „Produktivitätskoalition“, Bevorzugung der „voice“- gegenüber der „exit“-Option) von einer wachsenden Zahl von Unternehmen und durch sozialstaatliche und arbeitsmarktpolitische Reformen in Frage gestellt. Während Westdeutschland zu Zeiten des Nachkriegs-Fordismus erheblich von expandierenden Weltmärkten und einem sozio-ökonomischen „Fahrstuhleffekt“ (Ulrich Beck) profitierte, war die ostdeutsche Transformationsökonomie von Beginn an mit tendenziell stagnierenden Weltmärkten und einer übermächtigen binnenwirtschaftlichen (d.h. westdeutschen) Konkurrenz konfrontiert, welcher die ostdeutsche Nachfrage gerade recht kam und deren Exportkapazitäten, wenn nicht schon brach lagen, so doch kurzfristig ausgeweitet werden konnten. So gesehen war es weniger die Globalisierung, welche Ostdeutschland zu all dem auch noch seiner außenwirtschaftlichen Schutz- und Anpassungsmechanismen (Wechselkurs, Standards, etc.) beraubte, sondern vor allem die gewählte Form der Wiedervereinigung. Aus dieser Perspektive ist die ostdeutsche Wirtschaft auch heute noch eher ein Zielgebiet des westdeutschen Merkantilismus – wobei die Transferzahlungen von West nach Ost das logische Gegenstück zu den gleichgerichteten Güterströmen darstellen – und weit von einer gleichwertigen Exportteilhabe entfernt.
Eine erneute Aufarbeitung und Kritik der deutschen Wiedervereinigung ist jedoch nicht das Ziel der Arbeit. Vielmehr soll untersucht werden, ob die gegenwärtigen Strategien zur Entwicklung und Angleichung Ostdeutschlands insbesondere ökonomisch, aber auch politisch, erfolgversprechend sind. Im Gegensatz zum Fokus der vorherrschenden Diskussionen werden die zentralen Probleme und Fragen der Entwicklung Ostdeutschlands allerdings weniger in mikroökonomischen Bedingungen oder entsprechend ausgerichteten regionalpolitischen Initiativen gesehen. Stattdessen werden makroökonomische Fragen sowie die institutionelle und politisch-ökonomische Einbettung Ostdeutschlands in das „Modell Deutschland“ in den Mittelpunkt gerückt.
Mit diesem Perspektivwechsel soll der Blick frei gemacht werden für die Bedeutung und Konsequenzen der deutschen, das heißt auch zunehmend europäischen, makroökonomischen Ausrichtung und ebenso für die Bedeutung von Globalisierungsprozessen jenseits mikroökonomischer Modellwelten. Damit soll keineswegs die Relevanz mikroökonomischer Faktoren (z.B. Produktivitätsentwicklung, Faktorausstattung) oder regionalökonomischer Bedingungen (z.B. Agglomerationseffekte) negiert werden. Nach wie vor ist die Position Ostdeutschlands in der internationalen, v.a. aber innerdeutschen und europäischen, Arbeitsteilung vergleichsweise schwach und selbst unter wachstumsfreundlicheren makroökonomischen Bedingungen wäre nicht auszuschließen, dass in erster Linie westdeutsche Unternehmen bzw. Betriebe von den expansiven Effekten profitierten. Mikroökonomische Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit (die jedoch sehr unterschiedlich begründet sein kann) ist demnach eine notwendige Voraussetzung, allerdings, so die These, nicht hinreichend für die makroökonomische Entwicklung und Wachstum.
Die Herstellung wettbewerbsfähiger Bedingungen war eines der vorrangigen Ziele des ostdeutschen Transformationsprozesses. Mittlerweile sind solche Bedingungen vielfach gegeben (z.B. Lohnstückkosten, Kapitalstock) und dennoch wird der wirtschaftliche Abstand zwischen West- und Ostdeutschland nicht geringer sondern ist zuletzt sogar wieder angewachsen. Entsprechend ratlos wirken auch die gängigen Einschätzungen der ostdeutschen Entwicklung, in denen immer wieder die enormen Fortschritte und teilweise, im Vergleich zu Westdeutschland, modernere und wettbewerbsfähigere Betriebe hervorgehoben werden, die aber bei der Erklärung der makroökonomischen Schwäche zumeist nur auf vermeintliche Anpassungsdefizite, dysfunktionale Hinterlassenschaften und die Fehlallokation von Ressourcen hinweisen. Der mikroökonomischen Logik folgend werden in der öffentlichen Diskussion schließlich individuelle Dispositionen, falsche Erwartungen und die Wirkungslosigkeit oder gar Verschwendung von Födermitteln und Transfers zur Ursache der wirtschaftlichen Schwäche erhoben – kurzum: der Osten sei noch nicht im (kapitalistischen) Westen angekommen (vgl. Der Spiegel 39/2004).
Derart generalisierende Begründungen können aber weder den Unterschied zwischen der „Wüste“ und den existierenden „Kathedralen“ darin – und v.a. die Existenz letzterer – erklären, noch bemühen sie sich um die Veränderungen, denen auch der Westen oder das deutsche Modell unterlag bzw. unterliegt, und schließlich werden jegliche systemischen Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen West- und Ostdeutschland jenseits des eindimensionalen Transfermittelflusses ignoriert. Sind die anhaltenden Transferzahlungen tatsächlich nur ein Zeichen westdeutschen ‚Gönnertums‘ und dort als volkswirtschaftlicher Verlust zu verbuchen? Hängt lediglich der Osten am ‚Tropf‘ dieser Transfers und muß davon wieder entwöhnt werden, oder hängt auch die westdeutsche Wirtschaft am Tropf der durch (quasi)staatliche Umverteilung induzierten ostdeutschen Nachfrage? Und ist es tatsächlich das Interesse westdeutscher Unternehmen, auf diese Nachfrage zu verzichten (weniger Transfers) oder entsprechende Marktanteile an eine wachsende ostdeutsche Wirtschaft zu verlieren? Stellt schließlich der Versuch einer radikalen Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit (z.B. „Sonderwirtschaftszone“) eine erfolgversprechende Wachstumsstrategie dar, oder lediglich eine wenig aussichtsreiche Verdrängungsstrategie, die vor allem die Rechtfertigung für entsprechende Restrukturierungen im Westen liefert?
Aus dem Blickwinkel der innerdeutschen Konkurrenz und der wirtschaftlichen „Koexistenz“ scheint es einen naheliegenden Königsweg aus diesem Dilemma zu geben: Exporte! Schließlich ist Westdeutschland mit Exporten ‚groß‘ geworden und Ostdeutschland hat mit dem Beitritt das erwiesenermaßen hochgradig exporttaugliche deutsche Modell ‚frei Haus‘ erhalten. Was fehlt, ist also nicht das Instrumentarium, sondern lediglich die Fähigkeit oder das Erfahrungswissen, dieses richtig einzusetzen und die Bereitschaft zu notwendigen Anpassungen („Modernisierung“) aufgrund von Globalisierungsprozessen und der EU-Osterweiterung. Genau diese Überlegung scheint den vorherrschenden Diagnosen und Strategien zugrunde zu liegen, und in dieser Logik erscheint es auch plausibel, die Verantwortung (Lern- und Anpassungsbereitschaft, mikroökonomische Entwicklung) in erster Linie im Osten zu suchen.
Nur, ist dieser vermeintliche Königsweg tatsächlich ein solcher, oder möglicherweise doch eher eine Sackgasse? Zweifellos sollte eine Verbesserung der (regionalen) Handelsbilanz bzw. deren Ausgleich das Ziel sein. Fraglich ist jedoch, ob eine merkantilistische Strategie wie sie in (West-) Deutschland verfolgt wird – d.h. die prioritäre Verfolgung von Exportüberschüssen und die Unterordnung binnenwirtschaftlicher oder sozio-ökonomischer Ziele unter das Ziel internationaler Wettbewerbsfähigkeit – zu dauerhaft höherem Wachstum führt. Trotz der hohen Wettbewerbsfähigkeit und wiederholter Rekord-Exportüberschüsse hat auch Westdeutschland in den letzten Jahren nur noch bescheidene Wachstumsraten erzielt und die Arbeitslosigkeit ist nicht zurückgegangen. Wenn diese Strategie überhaupt Erfolg versprechen soll, so müssten die deutschen – d.h. die ost- und die westdeutschen – Exporte bzw. Exportüberschüsse nochmals erheblich anwachsen. Die dauerhafte Realisierung noch größerer Überschüsse dürfte allerdings nicht nur außenwirtschaftlich problematisch sein, sondern würde auch eine Fortsetzung oder gar Verschärfung der binnenwirtschaftlich restriktiven wirtschaftspolitischen Strategie erfordern. Einiges spricht jedoch dafür, dass diese restriktiven Effekte schon heute die durch den Export induzierten Wachstumsbeiträge (über)kompensieren, und die langfristigen institutionellen und sozio-ökonomischen Konsequenzen dieser Strategie sind kaum abzuschätzen.
Diesen Fragen soll in der Arbeit in drei Richtungen nachgegangen werden:
- Wie können sich ostdeutsche Betriebe (besser) in der internationalen Arbeitsteilung positionieren und in transnationale Wertschöpfungsketten ‚eintakten‘? Welche Aussichten und Spielräume lassen sich bezüglich verschiedener Wettbewerbsdimensionen und –strategien (z.B. Upgrading, Ressourcen, Kosten) ausmachen?
- Welche Konsequenzen haben die gegenwärtigen makroökonomischen Rahmenbedingungen für Ostdeutschland und dessen wirtschaftliche Entwicklung? Wie ist Ostdeutschland in die merkantilistische Strategie Deutschlands integriert und welche Wachstums- und Beschäftigungsperspektiven bietet die Fortsetzung oder gar Verschärfung dieser Strategie?
- Wie lassen sich die relative Unterentwicklung bzw. wirtschaftliche Schwäche und die Abhängigkeit Ostdeutschlands von Transferzahlungen systemisch einschätzen? Gibt es auch (westdeutsche) Interessen an einem Erhalt dieser Abhängigkeit und des Status Quo?
Empirisch und v.a. hinsichtlich des ersten Komplexes stützt sich die Arbeit auf Untersuchungen und Ergebnisse im Rahmen des von der Hans-Böckler- und der Otto-Brenner-Stiftung geförderten und in Kooperation mit dem SOFI (Göttingen) durchgeführten Forschungsprojektes „Die ostdeutsche Metallverarbeitende Industrie in der Globalisierung“ (siehe: Forschung). Theoretisch ist die Arbeit angeleitet zum einen durch Untersuchungen zu internationalen Wertschöpfungsketten, regulationstheoretische Arbeiten und in makroökonomischer Hinsicht bzw. zu Fragen des deutschen Merkantilismus insbesondere durch postkeynesianische Überlegungen (vgl. Beck, 2005).
Eigene Vorarbeiten:
Beck, S. (2005): After the Miracle: The Exhaustion of the German Model?, in: Beck, S./Klobes, F./Scherrer, C. (Eds.): Surviving Globalization? Perspectives for the German Economic Model, Springer (erscheint Januar 2005)
Beck, S./Scherrer, C. (2003): Globalisierung ohne Kapital: Ostdeutsche Betriebe vor der Finanzierungskrise?; in: WSI-Mitteilungen 12/2003, 740-746.
Beck, S. (2002a). Wachstumsperspektiven der deutschen Wirtschaft, in: Beck, S./Caglar, G./Scherrer, C. u.a.: Nach der New Economy. Perspektiven der deutschen Wirtschaft, Münster: Westfälisches Dampfboot, S. 33-55.
Beck, S. (2002b). Schlechte Aussichten für den Standort Deutschland?, in: Beck, S./Caglar, G./Scherrer, C. u.a.: Nach der New Economy. Perspektiven der deutschen Wirtschaft, Münster: Westfälisches Dampfboot, S. 56-74.
Beck, S./Greven, T. (2001): From Transformation to Globalization: The Case of Eastern Germany. Parts I-III. Retrieved March 5, 2004