Çağan Varol

Im Jahre 2011 hat sich eine rechtsterroristische Zelle selbst enttarnt, die unter dem Namen „Nationalsozialistischer Untergrund“ von 2000 bis 2007 u.a. zehn Morde begangen hat (Quendt 2016; Förster 2014). Ein kritischer Blick auf die Auswahl der Tatorte weist darauf hin, dass eine besonders verwurzelte und als Ladenbesitzer nach außen sichtbare Gruppe und somit die ganze migrantische Community eingeschüchtert werden sollte (Gensing 2012, 8; Hielscher 2016, 192). Auch in Köln explodierten im Jahre 2001 und im Sommer 2004 Bomben in und vor migrantischen Geschäften bei der 23 Personen zum Teil schwer verletzt wurden. Karakayali und Kasparek (2013 u. 2018) deuten die Taten des NSU vor dem Hintergrund der damaligen Debatten um Migrationspolitik, zu Staatsbürgerschaft und der Kopftuchdebatte. Von offizieller Seite wird eine Mitverantwortung ausgeschlossen und auf Ermittlungsfehler und Kommunikationsschwierigkeiten innerhalb der Behörden hingewiesen, die als „Behördenversagen“ deklariert werden (Eckert 2014).

Auf der Keupstraße herrschen/herrschten institutionelle Wissensbestände und behördliche Praxen über MigrantInnen vor, die repressive Strategien legitimierten und aus einer mehrheitlich „migrantisch“ bewohnten ArbeiterInnenstraße eine Projektionsfläche für rassistische Zuschreibungen und Ängste gemacht hat. Bestärkt wurde dies nach 2004, da im offiziellen Deutungshorizont zu den NSU-Anschlägen ein rassistischer und nazistischer Hintergrund sehr lange ausgeschlossen wurde und die Suche nach den Verdächtigen, wie bei allen NSU-Morden, in „ausländischen kriminellen Milieus“ stattfand (Hielscher 2016, 188).

Meine Arbeit ist innerhalb der kritischen Migrations- und Rassismusforschung angesiedelt und soll Erkenntnisse der kritischen Stadtforschung einbinden. Durch diese Multiperspektivität erhoffe ich mir einen differenzierten Blick in die lokalen Auseinandersetzungen. Neben  Kriminalisierungsstrategien erweisen sich auch Stadtsanierungsprozesse begleitet von Gentrifizierungsprozessen, als ebenso machtvolle Instrumente, um auf der Ebene lokal-staatlichen Handelns individuelle Disziplinierungen der BewohnerInnen zu erzeugen und dabei revanchistischen Charakter annehmen können (Holm 2006, 10f., 63). Methodisch arbeite ich im Rahmen der Regimeanalyse u.a. mit ExpertInneninterviews, Beobachtungen vor Ort und einer historisch-genealogischen Untersuchung, die ich diskursanalytisch ergründen möchte.

Die räumliche Maßstabsebene dieses Forschungsvorhabens ist anlehnend an die materialistische Staatstheorie von Poulantzas (1978) der lokale Staat. Dieser lokale Staat ist wie der Nationalstaat ein soziales Verhältnis, welcher permanentem Wandel unterliegt, sich im Gefüge des Staates vollzieht, und die territorialen Grenzziehungen des Städtischen betrifft (Schipper 2013, 42). Im Rahmen dieser Arbeit geht also um das „Regieren der Stadt“ und speziell einer Straße, der ihr unterliegenden Machtpraktiken und der mit ihr durch den Diskurs verknüpften Wissensbestände. Anlehnend an Terkessidis (2004) soll insbesondere die Rolle der Institutionen des Arbeitsmarktes, der Staatsbürgerschaft und des institutionellen Komplexes zur Herstellung „kultureller Hegemonie“ in der Keupstraße untersucht werden, da im lokalen Kontext diesbezügliches Verwaltungshandeln und migrantische Handlungsmacht gut zu beobachten sind (Alexopoulou 2018).

Çağan ist Stipendiat der Rosa Luxemburg Stiftung.

cvarol@hotmail.de