WS2018/19

Seminar

Phänomenale Transparenz

Lehrender: Tom Steinert

Jean Nouvels gerade eröffneter Neubau für das Europäische Patentamt in Den Haag (2012–2018) ist ein Beispiel für die Suche nach Poesie in einer ansonsten funktionalistischen Architektur. Ebenso wie bei seinem Pariser Gebäude für die Fondation Cartier pour l’art contemporain (1991–1994) ist Glas dabei das Mittel der Wahl. An beiden Gebäuden können wir studieren, wie im Laufe des Tages wechselnde Lichtstimmungen und unterschiedliche Blickwinkel des Betrachters immer wieder eine neue Atmosphäre schaffen. Es herrscht das Wechselspiel von Reflexion und Transparenz.

Unabhängig von der realen Durchsichtigkeit führen uns die Gebäude aber auch zu etwas anderem: der phänomenalen Transparenz. Diese ›scheinbare‹ Transparenz gründet auf der Durchdringung unterschiedlicher Figuren, ohne sich dabei gegenseitig zu zerstören (vgl. György Kepes). An beiden Nouvel-Bauten wird demonstrativ eine der grundlegenden Voraussetzungen phänomenaler Transparenz inszeniert: die Parallelschichtung von Ebenen im untiefen Raum.

Die von Colin Rowe und Robert Slutzky für die Architektur definierte phänomenale Transparenz ist ein universales Mittel zur Beschreibung der zeitgenössischen ebenso wie der modernen und der historischen Architektur. Sie stellt eine Kategorie dar, welche uns ein tieferes Verständnis der Architektur erlaubt und dabei von stilistischen Zuordnungen sowie den persönlichen Vorlieben der Architekten unabhängig ist.

Im Seminar möchten wir verschiedene Aspekte und Ebenen der Transparenz gemeinsam ergründen: Wir werden die Unterscheidung zwischen realer und phänomenaler Transparenz in ihrem historischen Kontext kennenlernen. Wir werden die weitverzweigte und spannende Begriffsgeschichte der Transparenz erkunden. Und wir werden die unterschiedlichen Kategorien von Transparenz auf die architektonische Analyse beispielhafter Bauten anwenden.

Termin: zweiwöchentlich mittwochs 14.00-17.30 Uhr

Seminar

Museum/Antimuseum? Der Wandel der Bauaufgabe im 20. Jahrhundert

Lehrender: Samuel Korn

Das Museum, besonders das Kunstmuseum, erscheint zunehmend als Ort unterschiedlich ausgerichteter gesellschaftlicher, wissenschaftlicher und politischer Bestrebungen. Dem Raum wie dem Körper der Institution kommt unter dem Eindruck sozialer, ökonomischer und medialer Veränderungen gerade in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine große Aufmerksamkeit zu: Die eigentliche Aufgabe und Funktion des Museums stehen dabei immer wieder zur Disposition – unter anderem werden seine Repräsentationsstrategien und historisierende Narrative hinterfragt. Unterschiedliche Vorstellungen zur Rolle des Museums für die Gegenwart und Zukunft werden entwickelt und besonders auf die Neubauten projiziert. Im Wandel der Bauaufgabe manifestieren sich somit nicht allein architektonische Ideen. Die Gestaltung des Museums unterliegt einer Vielzahl von Fragestellungen, die mitunter als antagonistische Kräfte in Erscheinung treten. Die Frage nach der Architektur wird somit häufig als Katalysator verschiedener gesellschaftlicher Diskurse wahrgenommen, wozu die Architektur wiederum eine Haltung und Antwort finden muss.

Ausgehend von Perspektiven der Kunst, Wissenschaft und Architektur wird sich das Seminar zunächst mit einer Reihe exemplarischer Verschiebungen und für diese paradigmatisch erscheinende Museumsbauten auseinandersetzen. Aufbauend auf der gemeinsamen Diskussion von Texten zum Museum werden wir anhand von kuratorischer und künstlerischer Produktionsformen die Kritik am Museum als Institution reflektieren, um so die baulichen Artefakte, die im Zentrum des Seminars stehen, über ihre technischen Mittel und formale Verfasstheit hinaus durchdringen zu können. Abschließend sollen anhand von realisierten Museumsbauten verschiedene architektonische Versuche nachvollzogen werden, die Herausforderungen an die bauliche Fassung von Museumsexponaten ‚richtig’ zu beantworten.

Termin: zweiwöchentlich mittwochs 14.00-17.30 Uhr

Seminar

Figuren des Fragmentarischen

Lehrende: Adria Daraban

„Im Ausdruckslosen erscheint die erhabene Gewalt des Wahren, wie es nach Gesetzen der moralischen Welt die Sprache der wirklichen bestimmt. Dieses nämlich zerschlägt was in allem schönen Schein als die Erbschaft des Chaos noch überdauert: die falsche, irrende Totalität – die absolute. Dieses erst vollendet das Werk, welches es zum Stückwerk zerschlägt, zum Fragmente der wahren Welt, zum Torso eines Symbols“

Walter Benjamin, Goethes Wahlverwandtschaften

Zerfall des Weltbildes, Zerfall des Selbstbildes – die Erfahrung der Vereinzelung bildet eine der wichtigsten Grunderfahrungen der Moderne. „Das Ganze ist das Unwahre.“ Adornos Urteil in den Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben reflektiert gegen Ende des zweiten Weltkriegs eine gesellschaftliche Grunddisposition, die als ästhetische Erscheinung in die Kunstproduktion schon länger Einzug erfahren hat – die Ästhetik des Bruchs und des Fragments. Als der letzte noch gültige, adäquate Ausdruck eines von Normen-, System- und Ideologieverfall geprägten gesellschaftlichen Bewusstseins steht das Fragment für die Aufhebung der traditionellen Vorstellung des Werkbegriffs als vollendete Ganzheit.

Unter der Prämisse, dass die Wahrnehmung des Brüchigen als zeitgeistiges Phänomen zu veränderten Formerwartungen in der Kunst und darüber hinaus geführt hat, gilt es nach Manifestationen dieser Veränderung im architektonischen Diskurs zu suchen. Die Begriffe „Fragment“ und „Ganzes“ sind korrelativ und die Frage nach ihrer Relation ist eine grundsätzliche Frage der Ästhetik. Ziel dieses Seminars ist es, die verschiedenen Ausprägungen dieses komplexen Verhältnisses näher zu reflektieren. Somit untersucht das Seminar den Resonanzraum des Fragmentbegriffs in der Architekturproduktion. So gefragt: Kann Architektur eine Ausdrucksform der modernen condition fragmentaire sein? Findet der Fragmentbegriff in der Architektur, analog zur Kunst, eine vergleichbare Entfaltung? Gibt es Momente des intermedialen Transfers?

TeilnehmerInnen setzen sich in Referaten mit einer Reihe von historischen und zeitgenössischen Beispielen auseinander und gehen der Frage nach der Relation zwischen Fragment und Ganzem auf dem Grund.

Termin: zweiwöchentlich montags 12.00-17.30 Uhr

Seminar

Die Avantgarde auf dem Holzweg - Wohnen im Flachbau

Lehrender: Prof. Philipp Oswalt

Glas, Stahl, Beton – weiße Kuben, flache Dächer, große Glasflächen. Das ist das vorherrschende Bild von der klassisch modernen Architektur, und auch Kern der Ideologie ihrer bekanntesten Exponenten wie Walter Gropius, Le Corbusier und Siegfried Giedeon. Doch abseits dessen gab es eine Reihe von Architekten, die mit anderen Ideen experimentierten, die zwar nicht dem Formenkanon des „Internationale Style“ entsprachen, aber gerade deswegen modern, funktional und preiswert sein konnten.

Das Seminar widmet sich anhand der Frage nach preiswertem Wohnen den Idee des Flachbaus (treppenlos, eingeschossig) in Holzbauweise, mit Schwerpunkt auf die Zeit der Weimarer Republik, aber mit Blick in die Gegenwart – von Digitalisierung bis Selbstbau.

Das Seminar steht im Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt unseres Fachgebietes zu den Laubenganghäusern des Bauhauses in Dessau. Als unrealisierter Baustein des von Hannes Meyer und Ludwig Hilberseimer konzipierten Gesamtprojektes waren über 300 Flachbauten in Holzbauweise vorgesehen. Für das Projekt ist eine Exkursion zum Bauhaus Dessau geplant, der sich Seminarteilnehmer anschließen können.

Die Teilnahme an dem Seminar ist verplichtend für die Teilnehmer des Projektes „Das Wachsende Haus – eine experimentelle Rekonstruktion als Design/ Build-Projekt“, steht aber auch anderen Studierenden offen soweit die Kapazität reicht

Termine: 24.10., 31.10, 21.11., 5.12., 19.12., 16.1., 30.1.

Exkursion (optional) Dessau 5. – 10.11.2018

Projekt/Vertical Studio

Das wachsende Haus - eine experimentelle Rekonstruktion als Design/Build-Projekt

Lehrende: Prof. Philipp Oswalt / Andreas Buss / Osama Salti

Als das Bauhaus unter Leitung von Hannes Meyer 1930 die Laubenganghäuser in Dessau Törten realisierte, welche 2017 zum Weltkulturerbe wurden, sollten im Rahmen der von Ludwig Hilberseimer erdachten Mischbebauung auch über 300 Wohnungen in Flachbauweise errichtet werden. Durch die Entlassung Meyers und die Folgen der Weltwirtschaftskrise wurde dieser Projektteil nicht mehr umgesetzt. Erst 30 Jahre später konnte Hilberseimer gemeinsam mit Mies van der Rohe das Gesamtkonzept einer Mischbebauung in dem legendären Projekt Lafayette Park Detroit umsetzen. Auf der Ausstellung „Das wachsende Haus“ 1932 in Berlin konnte Hilberseimer bereits sein Hauskonzept für den Flachbau modellhaft präsentieren. Verknüpft mit dieser vergessenen Geschichte der klassischen Moderne sind auch Mies van der Rohes Hofhäuser und Wohnhausprojekte der frühen 1930er Jahre wie auch die Wohnzelle Berlin-Friedrichshain des Kollektivs um Stadtbaurat Hans Scharoun Ende der 1940er Jahre.

Anlässlich des 100-jährigen Bauhausjubiläums soll nun in Dessau auf einem städtischen Grundstück als Teil des Ensembles des Weltkulturerbes zwei Prototypen des „Wachsenden Hauses“ dauerhaft im Maßstab 1:1 rekonstruiert werden, geplant und erbaut als Design/ Build Projekt von Studierenden der Universität Kassel, mit Unterstützung lokaler Akteure. Im Wintersemester 2018/2019 erfolgt neben einer konzeptuellen Auseinandersetzung die Planung für Bauantrag und Ausschreibung. Im Sommersemester ist dann die Umsetzung vor Ort vorgesehen, mit Teilleistungen in Selbstbau in der Exkursionswoche bzw. nach Ende der Vorlesungszeit.

Der Besuch des begleitenden Seminars „Die Avantgarde auf dem Holzweg“ (Mittwochs ab 12.00) und der Exkursion nach Dessau ist obligatorisch, das Studio offen für Bachelorstudierende mit Büroerfahrung (nach dem BPS) wie Masterstudierende. Der Großteil der Arbeit im Studio erfolgt arbeitsteilig in Kleingruppen zu einzelnen Teilbereichen der Bauaufgabe, mit Untersuchung von konzeptuellen Varianten (Vorfertigung versus Selbstbau usw.)

Erstes Projekttreffen: Donnerstag, 18.10., 14:00, Raum 2110 (K10)