WS2019/20

Seminar

Rechte Räume

Lehrender: Prof. Philipp Oswalt

Mit einer Legitimationskrise von Globalisierung und Wirtschaftsliberalismus haben sich in den letzten Jahren in vielen Ländern zunehmend nationalistische, oft rechtspopulistische und zuweilen autoritär-antidemokratisch ausgerichtete Tendenzen in Politik und Gesellschaften etabliert – ob in Russland oder USA, Ungarn, Italien oder Österreich, Türkei, Brasilien oder ehemaligen Sowjetrepubliken. Diese gehen nicht selten einher mit der Verwendung repräsentativer Architekturformen und -sprachen, welche Ideen von Macht und Gesellschaft artikulieren sollen. Auch die Mitte unsere Gesellschaft reagiert auf diese Rechtstendenz mit der Gründung von Heimatministerien.
In dem Seminar soll diese jüngeren Entwicklungen, die sich weitestgehend außerhalb des üblichen Architekturdiskurses vollziehen, in Bildern, Bauten und Texten recherchiert, analysiert und kritisch diskutiert werden. Das Seminar greift damit die von Arch+ initiierte Debatte zu Rechten Räumen auf, nimmt aber eine andere Perspektive auf dieses Thema. Es nimmt konkrete architektonische Praktiken zum Ausgangspunkt, in deren Formensprache sich die entsprechenden Ideologien niederschlagen. Der globale Vergleich offenbart, dass sehr verschiedene –etwa klassizistische, modernistische, organizistische - Architekturstile von autoritären und rechtspopulistischen Machtgruppierungen genutzt werden. Angedacht sind folgende Beispiele, welche von den Kursteilnehmern durch andere ergänzt oder ersetzt werden können:
Italien: Mausoleum (Bildhauer Pietro Cascella) und Villa Certoso von Berlusconi, Museum im Casa del Fascio von Terragni, Projekt der Lega Nord / USA: Appartment Donald Trump (Design Angelo Donghia) / Großbritannien: Roger Scruton (Philosoph, Autor von The Aesthetics of Architecture (1979), The Classical Vernacular: Architectural Principles in an Age of Nihilism(1995)), Vorsitzender der britischen Kommission „Building Better, Building Beautiful“ 2018/19 / Belgien: Leon Krier / Niederlande: Thierry Baudet, Historiker/ Politiker Forum für Demokratie / Deutschland: Rechte Siedler, Herrenhäuser und Burgen / Ungarn: Architekt Imre Makowecz / Türkei: Neuer Präsidentenpalast und andere smybolbauten der Ära Erdogan / Russland: Putmis Architekt Lanfranco Cirillo / Kazakhstan: Hauptstadt Astana / Turkmenistan: Hauptstadt Ashkhabad / China: Ministerpräsidents Xi Jinping Rede von 2014 und ihre Folgen / Deutschland: Heimatministerien im Bund, in Bayern und NRW

Termin: Mittwochs 12:00 – 15:30 bzw. 12:00 -13:30 (siehe Terminplan)

Seminar

Garnisonkirche Potsdam - Ein rechter Identifikationsort?

Lehrender: Prof. Philipp Oswalt

Seit 2017 wird der Turm der Garnisonkirche in Potsdam mit maßgeblicher Unterstützung der Politik sowie der evangelischen Kirche als nationales Projekt wieder aufgebaut. Der Bundespräsident hat die Schirmherrschaft übernommen und der Bund finanziert das Projekt mit € 12 Mio., und bald wohl mit € 18. Mio..
Aber das Projekt ist aufgrund seiner rechten Geschichte ein Tabubruch. Es zieht sich hier eine Linie vom preußischen Militärwesen über den Rechtsradikalismus in der Weimarer Republik, den Nationalsozialismus bis hin zum neuen Rechtsradikalismus. Auch das heutige Wiederaufbauprojekt hat seinen Ursprung in rechtsradikalen Kreisen. Die evangelische Kirche hat das Projekt zwar im Jahr 2005 übernommen und die Nutzungskonzeption verändert, doch bleibt die bisherige Abgrenzung nach rechts unzureichend und das vermittelte Geschichtsbild ausgesprochen problematisch. Allen Ankündigungen zum Trotz hat die Stiftung Garnisonskirche als Bauherr in ihrem über zehn jährigen Bestehen keinen Lernort geschaffen, der ungeschönt auch die kritischen Seiten des Ortes hinreichend beleuchtet, sondern hat die Kirchengeschichte nostalgisch-beschönigend dargestellt, die Kirche zum Opfer der Zeitläufte stilisiert und mit dieser Mythenbildung in problematischer Weise einen Identifikationsort propagiert.
Um dem entgegenzutreten, hat das Fachgebiet Architekturtheorie und Entwerfen der Universität Kassel, die Martin-Niemöller-Stiftung und die Kunsthochschule Berlin Weißensee – Visuelle Kommunikation mit Unterstützung des Kunst- und Kreativhaus Rechenzentrum Potsdam verabredet, einen unabhängigen Lernort zu schaffen – als Informationsportal im Internet wie auch physisch vor Ort im ehemaligen Rechenzentrum. Das interdisziplinäre Seminar, zu dem Studierende verschiedener Studiengänge eingeladen sind, bereitet diesen Lernort mit seinen Recherchen vor, die sich mit der Geschichte des Bauwerks vom 18. Jh bis zur heutigen Rekonstruktion befasst. Von einem einzigen Bauwerk ausgehend, wird ein komplexe und vieldimensionale Geschichte erfahrbar und wird der unterschiedliche Umgang mit dem Gebäude im Verlauf der Geschichte sichtbar. Abschließend wollen wir dieses Rekonstruktionsprojekt und Optionen für veränderte Konzeptionen diskutieren. Neben einigen Terminen Dienstags abends ist hierzu vor allem ein Vorwortworkshop am Fr. 6./ Sa. 7. 12 im Rechenzentrum Potsdam vorgesehen. Interessenten steht eine Option auf weiter Vertiefung (6 Credits) offen, da das Fachgebiet u.a. mit der Durchführung eines Symposions im Frühjahr das Thema weiter führen wird.

Termin: Dienstags 18:00 – 19:30

Seminar

OMU: Eine Rationalisierung des Bestands

Lehrender: Dipl. Des. Samuel Korn

„Am 18. August des Jahres 1787 schrieb Goethe aus Italien an Knebel: ‚Nachdem, was ich bei Neapel, in Sizilien von Pflanzen und Fischen gesehen habe, würde ich, wenn ich zehn Jahre jünger wäre, sehr verrückt sein, eine Reise nach Indien zu machen, nicht um Neues zu entdecken, sondern um das Entdeckte nach meiner Art anzusehen.‘” Dieses Brieffragment Goethes, das Oswald Mathias Ungers (1926-2007) seiner Publikation Morphologie. City Metaphors 1982 als Motto voransetzte, erscheint in der retrospektiven Betrachtung von Ungers architektonischen Werk als Beschreibung seiner eigenen Haltung sowie als Aufruf Systematik und Subjektivität im architektonischen Werk zu vereinen und so in einer transformatorisch wirkenden Rationalisierung des Bestands produktiv werden zu lassen.
Ungers Auseinandersetzung mit der Vorstellung eines Wesens der Dinge sowie der Architektur ‚an sich‘ zeigt sich in seiner Suche nach beständigen Ordnungen und Formen. Dass sich dies in seinen Praktiken als Entwerfer, Lehrer und Autor so sichtbar demonstriert, macht deutlich, dass die Auseinandersetzung mit den Bedingungen gleichsam darauf abzielten im Mikrokosmos des einzelnen Projekts jederzeit den Makrokosmos der Disziplin aufzuzeigen.
Unter den Vorzeichen dieser analytischen, aber zugleich transformatorischen Praxis untersucht das Seminar Ungers Entwurfs-, Lehr- und Publikationstätigkeit als gleichwertige architekturtheoretische Praktiken, welche die zeitgenössischen und historischen Bedingungen von Architektur und Stadt sowie darüber hinaus die Möglichkeiten des architektonischen Wissens betrachten und die darüber hinaus als Vehikel zur Positionierung des Architekten als Autorensubjekt dienen. Fokus unserer Auseinandersetzung mit dem ‚architektonischem Werk‘ ist dabei Ungers Erarbeiten systematischer Zugänge im Entwurf, in der Lehre und der Publikationstätigkeit, die den architektonischen Bestand – im Sinne eines konkreten und fragmentarischen Ist-Zustand wie auch als umfassendes wie konstruiertes historisches Narrativ – rationalisieren und wiederum in neue Fallbeispiele überführen.

Termin: mittwochs 12:00–14:00

Seminar

This is not Architecture: Die Medien der Architektur

Lehrende: Dr. Sarah Borree

Unsere Auseinandersetzung mit Architektur findet zu einem Großteil durch Fotos, Texte und Zeichnungen statt, die sich uns zumeist in Zeitschriften, Büchern oder auch dem Internet präsentieren. Obwohl wir essentiell auf diese Medien angewiesen sind um unsere Kenntnis über Gebäude, Epochen oder Stile zu erweitern, diese zu untersuchen oder kritisch zu hinterfragen, nehmen wir sie in unserem alltäglichen Handeln und Arbeiten nur selten wahr. Dieses habituelle Übersehen ist dahingehend problematisch, als es sich bei den diversen Medien der Architektur mitnichten um lediglich reproduktive und damit passive Werkzeuge handelt. Indem ihre spezifischen Qualitäten elementar bestimmen, wie Architektur gedacht, entworfen und rezipiert wird, nehmen sie vielmehr eine aktive und produktive Rolle ein. Moderne Architektur, betonen Architekturtheoretiker*innen wie Beatriz Colomina in Hinblick auf die zentrale Relevanz moderner Massenmedien, sei elementar durch, mit und in diesen entstanden.
Anknüpfend an Methoden und Konzepte aus der Kulturwissenschaft untersuchen wir im Seminar die Entwicklung, Rolle und Bedeutung einiger dieser Medien – Sprache, Fotografie, Publikationen und Ausstellungen. Der Fokus auf Medien als Produzenten architektonischen Wissens konfrontiert uns dabei auch mit der übergeordneten Frage, wie und durch wen Architektur eigentlich generiert und somit definiert wird.
Das Seminar zielt somit darauf ab, den Blick der Teilnehmer*innen auf die diversen Produktionsprozesse innerhalb der Architektur als Disziplin, wie auch ihren eigenen Umgang mit den Medien der Architektur zu schärfen. Dafür werden wir zum einen ausgewählte Positionen aus der aktuellen Forschung zusammen mit theoretischen Konzepten zur Wissensproduktion diskutieren und zum anderen mediale und architektonische Fallstudien kritisch be- und hinterfragen.

Termin: montags 10:00 - 13.15

Seminar

Neue Utopien: Mikro/Lokal und Makro/Global

Lehrende: Sandra Meireis

Seit einigen Jahren zeigt sich eine Rückkehr des Utopischen in den kulturellen Diskursen — nachdem die Utopie mit dem Eintritt in die „Postmoderne” (nach 1968) in Verruf geriet. Der Tief- und Wendepunkt dieser Entwicklung wird vom Zusammenbruch der kommunistischen Regime 1989/91 markiert. Gegenwärtig wird der Ruf nach neuen politischen Ideen wieder lauter, weltweit, auch auf den Straßen: Sozial und ökologisch motivierte Bewegungen formieren sich, z. B. Occupy (2011) oder Fridays for Future (2019). Die spätmoderne Rede von der „politischen Alternativlosigkeit” scheint der Vergangenheit anzugehören.
In der Geschichte der Utopie nehmen Architektur und Städtebau einen zentralen Stellenwert ein. Seit Anbeginn der Sesshaftwerdung des Menschen wird im Nachdenken über Gesellschaft die politische mit der räumlichen
Ordnung verknüpft — so auch im Politisch-spekulativen. Utopie ist ohne Architektur nicht denkbar. Demnach müsste die Wiederkehr der Utopie auch in der gegenwärtigen Architektur- und Stadtentwicklung zu beobachten sein. Und wenn ja, wie zeigt sie sich dort? Der Bund Deutscher Architekten (BDA) veröffentlichte erst kürzlich das Diskussionspapier „Das Haus der Erde”; darin werden „Positionen für eine klimagerechte Architektur in Stadt und Land” dargelegt. Daraus geht hervor, dass technische Lösungen, z. B. Smart City nicht ausreichend dazu beitragen können, die rasante gesellschaftliche Wandlung mitzugestalten. Wesentliche Fragestellungen betreffen insbesondere ökologische, sozialpolitische und nicht zuletzt ästhetische Aspekte.
Das Seminar ist strukturiert als Einführung und Vertiefung des Utopiebegriffs in Architektur und Philosophie.

Termin: freitags 12:00 - 16:00

Projekt

Die Zwischenstadt urbanisieren

Lehrende: Prof. Philipp Oswalt, M.Sc. Marie Jacobsen

Mit der zunehmenden Wohnungsnot in den Wachstumsräumen intensiviert sich die Debatte über mögliche Nachverdichtung von (Innen)städten. Im Fokus stehen dabei die Aufstockung von Gründerzeitbebauungen und die Nachverdichtung von Nachkriegssiedlungen. Doch die städtebaulich problematischsten Gebiete, die großen Einfamilienhausareale, sind bislang außen vor geblieben. Sie scheinen im Gegensatz zu anderen Arealen der Großstadt einen Milieuschutz zu haben, der sie vor jeder Änderung bewahrt. Aber warum?
Ausgehend von Ludwig Hilberseimer Konzept einer Mischbebauung, mit dem wir uns schon in den letzten zwei Semestern befasst haben, wollen wir in dem Projekt die Möglichkeit der urbanisierende Verdichtung von größeren Einfamilienhausgebieten anhand Berliner Beispiele erforschen: Wie kann der Teppich der Einfamilienhausgebieten mit Hochbauten, gar Hochhäusern ergänzt werden, um räumlich spannungsvolle und artikulierte Bereiche zu schaffen, die sozial und funktional gemischt sind. Welche Funktionen sollen diese neuen Stadtbausteine aufnehmen und ermöglichen? Nach der Formulierung stadträumlicher Konzepte gilt es, einen der hierbei konzipierten neuen Hochbauten architektonisch zu konkretisieren.
Teil des Projektes ist eine Exkursion nach Rotterdam, Amsterdam und Berlin, um diverse konzeptuelle Vorbilder wie auch die geplanten Bauplätze zu besichtigen. Die Projektergebnisse sollen dann im Februar 2020 in dem von uns im letzten Semester erbauten wachsenden Haus von Hilberseimer in Dessau – selbst Teil des Prototyps der Mischbebauung - ausgestellt werden.

Exkursion

Exkursion nach Rotterdam, Amsterdam, Berlin

Lehrende: Prof. Philipp Oswalt, M.Sc. Marie Jacobsen

Begleitend und unterstützend zum Projekt findet die Exkursion statt, bei der realisierte Mischbebauungen (Durchmischung von Hoch- und Flachbau) in Rotterdam, Amsterdam und Berlin u.a. von West 8, NL-Architekten, MVRDV, Lotte Stam-Beese, und anderen besucht und analysiert werden.

Termin: Kompaktwoche 04.-08.11.2019