Entspannte Moderne
Das Forschungsprojekt ist die erste wissenschaftliche Arbeit zum westdeutschen Bungalow. Ausgangspunkt der Arbeit sind die internationalen Referenzen des westdeutschen Bungalows – begrifflich die globale Bungalowhistorie vom indischen Bungalow des 18. Jahrhunderts bis zum American Bungalow der Jahrhundertwende, und architektonisch die zeitgenössische Wohnhausmoderne, besonders die kalifornischen Case Study Houses und das Werk Richard Neutras. Zusätzlich wird einleitend die Entwicklung des Einfamilienhauses und die politische Signifikanz der Architekturmoderne in Deutschland bis 1945 sowie der historische Kontext nach 1945 beleuchtet.
Im Zentrum der Arbeit steht die Analyse von Begrifflichkeit und Architektur des westdeutschen Bungalows sowie seiner Konnotationen. So erforscht die Arbeit erstmals die von Ungleichzeitigkeiten und wiederholten Bedeutungsverschiebungen geprägte Entwicklung des Begriffs Bungalow im Deutschen: vom Fachausdruck für koloniales Bauen über einen in der Fachwelt abgelehnten Modebegriff bis zum kanonisierten Terminus der Architekturmoderne. Ebenso werden die architektonischen Charakteristika des Bautyps analysiert und kategorisiert, der durch seine Modernität innerhalb der globalen Bungalowhistorie weitgehend allein steht. Die definierende Assoziation mit der Architekturmoderne sowie mit Merkmalen wie großen Verglasungen und einem prominent abgesetzten, flachen Dach ist ein (west-)deutsches Spezifikum, das – überlagert von der Internationalität von Begriff und Referenzen – in der Binnenwahrnehmung als solches nicht ersichtlich ist.
Empirische Grundlage der Arbeit sind 64 beispielhafte Bungalowprojekte mit über 250 Gebäuden – individuell entworfene Bungalows, Fertighäuser, Bungalowgruppen und -siedlungen –, vom Quelle-Fertighaus bis zum bekanntesten westdeutschen Bungalow, Sep Rufs ‚Kanzlerbungalow’ in Bonn. Alle Projekte wurden 1952 - 1969 in der Bundesrepublik fertiggestellt und publiziert. Zu ihnen gehören Bauten international renommierter Architekten (wie Neutras Haus Rang oder Wassili Luckhardts Wohnhaus) ebenso wie Häuser unbekannter Architekten. Das Gros der Beispiele stammt von Architekten, deren Werk die westdeutsche Nachkriegsarchitektur prägte; z. B. Kurt Ackermann, Max Bächer, Kammerer und Belz, Friedrich Wilhelm Kraemer, Bernhard M. Pfau, Sep Ruf, Joachim und Margot Schürmann oder Paul Schneider-Esleben. Die Beispiele werden im Katalogteil der Arbeit, einem ‚Werkverzeichnis des westdeutschen Bungalows’, vorgestellt und klassifiziert.
Die Forschungsergebnisse zum medialen Bild des westdeutschen Bungalows, seiner Typologie des Wohnens mit der Natur, seinem Status als Objekt der Architekturmoderne und der impliziten Suggestion einer Mittelschichtsgesellschaft werden im Hauptteil anhand der Diskussion und Interpretation von zwölf Projekten expliziert. Im Gegensatz zu seiner medial konstruierten Ikonografie als moderner Pavillontypus, die auch seine architekturhistorische Rezeption dominiert, zeigt sich der westdeutsche Bungalow als komplexes Wohnhaus von entspannter Modernität, welches das kalifornische Ideal vor dem Hintergrund einer an der Mittelschicht orientierten Nachkriegsgesellschaft für die Bundesrepublik adaptiert.
Die Dissertation ist erschienen im August 2016.