Lehre
Wohnkulturen - Wohnen mit Kindern
Der Arbeitstitel ‚Wohnen mit Kindern‘ bezieht sich auf das gleichnamige Projekt von Ottokar Uhl (Jeneweingasse, Wien, 1981), das als Beispiel für Partizipation in der Planung und Mitbestimmung im Wohnungsbau bekannt geworden ist. Im Gegensatz zu diesem gemeinschaftlichen Projekt ist im Kontext des geförderten Wohnungsbaus, der auf vermeintlich egalitären, verallgemeinernden und zuweisenden Standards basiert, das Wohnen mit Kindern bis heute eigentlich nur im Kreis der Kernfamilie vorgesehen. Andere Formen des Zusammenlebens, diverse Gemeinschaften, komplexere Familien, differenzierte Wohnweisen werden hier selten antizipiert und unterstützt.
Wir nehmen die Thematik zum Ausgangspunkt, die Dispositionen des geförderten Wohnungsbaus zu hinterfragen und entlang vielfältiger Bedarfe zu interpretieren. Wie können im Rahmen von bestehenden Regeln, Vorgaben und Richtlinien Wohnbauten entwickelt werden, die gegenwärtigen Lebensmodellen entsprechen, die Selbstbestimmung und Mitgestaltung ermöglichen?
Konkret geht es um die Integration verschiedener Wohnformen, in die demnächst von einer Wohnungsbaugesellschaft zu errichtenden Wohnhäuser entlang der Franz-Künstler-Straße in Berlin Kreuzberg. Es soll insbesondere untersucht werden, ob komplementär zu dem grundlegend angebotenen Wohnungsmix Wohnraum für generationsübergreifende Wohngemeinschaften geschaffen werden kann. Weiterhin sind Wohneinheiten für Geflüchtete geplant, zudem auf der Erdgeschossebene kleine Gewerbeeinheiten, Ateliers und Werkstätten. All diese Formate weichen von den üblichen Standards ab. In Reflektion dieser Problematik sollen Wohnarchitekturen entwickelt werden, die ein alternatives Wohnen und Arbeiten ermöglichen.
Die Projekte entstehen in Kooperation mit dem Team von Lokalbau, das seitens des Bezirks Berlin Kreuzberg an der gemeinwohlorientierten Quartiersentwicklung arbeitet, die Projektarbeit wird begleitet von der Wohnungsbaugesellschaft Gewobag sowie dem Stadtplanungsamt des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg.
Wohnkulturen, Vertical Studio, Dienstags 14-18h, ASL 3108
Wohnlabor - Soziales Wohnen
Als Wortpaar ist Soziales Wohnen (engl.: social housing) fast schon ein Pleonasmus. Was am Wohnen ist denn nicht sozial? Hier zeigt sich ein Dilemma: Als sozialer Wohnungsbau werden Wohnprojekte bezeichnet, die subventioniert sind um leistbares Wohnen für Menschen zu ermöglichen, die sich sonst aufgrund ihrer Einkünfte keinen Zugang zu Wohnraum verschaffen können. Diese Form des Wohnungsbaus wird also als sozial bezeichnet, weil sie ‚hilft‘ und nicht unbedingt, weil sie unser Zusammenleben besonders gut organisiert und gestaltet. Dabei ist eins der grundlegenden Prinzipien die Planung der Wohnungen für Unbekannte. Das System basiert auf Zuweisungen, Regeln und Normen die für alle gelten sollen – Individualisierung, gemeinschaftliche Teilhabe, Mitbestimmung, spezifische Aushandlungen, das Recht sich das eigene Wohnumfeld anzueignen und es zu transformieren wird zugunsten einer objektivierten Gleichbehandlung zurückgestellt. Der kleinste gemeinsame Nenner ist allerdings oft ein Kompromiss der zum Mittelmaß neigt.
Der soziale Wohnungsbau hat dennoch sehr differenzierte Architekturen hervorgebracht – überhaupt eigentlich einen großen Teil dessen was wir heute unter Wohnungsbau verstehen. Immer wieder zeigt sich dabei, dass Standard und Mitbestimmung kein Widerspruch sein müssen, dass Aneignung durchaus, oder vielleicht gerade, in generischen Wohnbebauungen ermöglicht ist. Vielleicht weil ein großer Teil der Wohnbedarfe, -praktiken und -vorstellungen der Bewohnenden doch recht ähnlich sind - es also einen großen gemeinsamen Nenner gibt?
Sozialer Wohnungsbau wird in unterschiedlichen zeitlichen und örtlichen Kontexten, aus differenzierten Motiven heraus realisiert. Am Anfang sind es Stiftungen für Arme oder Alleinstehende, später Wohnungen für Arbeiter*innen bis dann der Wohlfahrtsstaat die Wohnraumproduktion reguliert. Die in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts einsetzende Deregulierung verschiebt wiederum die Prämissen und Bedingungen des Wohnungsbaus. Im Wohnlabor untersuchen wir beispielhafte Projekte des geförderten, leistbaren Wohnungsbaus aus verschiedenen Epochen der europäischen Stadtentwicklung. Von der Fuggerei in Augsburg über die Anfänge des modernen Wohnungsbaus während der Industrialisierung in England und Frankreich und die Projekte des Massenwohnungsbaus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Niederlanden und Skandinavien, bis hin zu zeitgenössischen Beispielen wie den Projekten zur Erweiterung der Cité Manifeste in Mulhouse.
Wohnlabor, Seminar, Mittwochs 10-13h, R. 0401, A-B 2
Wohnkulturen - Apollo Kreuzlingen
Das Apollo in Kreuzlingen ist ein altes Kino. Noch in den 30er Jahren erhält es einen ersten Anbau, für die Betreiber, die nun auch dort wohnen. 1976 schließt das Kino, 2021 kauft eine Stifterin das denkmalgeschützte Gebäude. Im Garten steht ein Mammutbaum und es ist noch ein wenig Platz.
Das Apollo ist heute ein Kulturhaus, dass bereits vielfältige Formate ermöglicht. Hier werden Filme gezeigt, Essen und Feste veranstaltet, es gibt Ausstellungen und Workshops, im Garten wird gepflanzt. Das Apollo ist ein grenz- und generationenübergreifendes Projekt und versteht sich als Ort der Vernetzung in der Stadtgesellschaft. In den nächsten Jahren soll das denkmalgeschützte Gebäude in Teilschritten saniert und ausgebaut werden. Ein Wohnprojekt wird den bestehenden Gebäudekomplex erweitern. Das Kulturhaus ist dann auch ein Wohnhaus für eine Wohngemeinschaft und Künstler*innen die dort temporär arbeiten. Das Kino wird zur Villa …
Hier verbinden sich unterschiedlichste Praktiken und Formen des Bewohnens und es stellen sich viele Fragen, die ganz grundlegend für die Entwicklung von Wohnprojekten relevant sind. Es geht um vielfältige Formen des Zusammenlebens, um die Verhandlung und die Schnittstellen zwischen öffentlichen und privaten Raumprogrammen, es geht um gemeinschaftliche und private Raumbedarfe, um soziale Erschließungssysteme, alte und neue Konstruktionen, um schöne, suffiziente und nachhaltige Gestaltungen. Gemeinsam mit den zukünftigen Bewohner*innen und weiteren im Haus agierenden Gruppen, entwickeln wir Konzepte für die Erweiterung, Nutzung und Aneignung des Gebäudeensembles. Dazu arbeiten wir vor Ort, verschaffen uns Einblick in bestehende Praktiken und diskutieren neue Bedarfe. Darauf aufbauend entwickeln wir konkrete architektonische Vorschläge für innovative kollektive Wohnformen.
Wohnkulturen, Vertical Studio, Donnerstags 14-18h, AStA Lernfläche
Wohnlabor - Kollektive Wohnformen
Im Wohnlabor untersuchen wir beispielhafte, realisierte oder konzipierte, Architekturen des kollektiven Wohnens mit einem Fokus auf Projekte, die Kulturarbeit mit gemeinschaftlichem Zusammenleben verbinden. Die Villa Medici, das Bellevue di Monaco, das Zentrum für Kunst und Urbanistik, das Phalanstère, die Kommune von Oneida, das Narkofim, die Sargfabrik. Es geht dabei immer um ganz wesentliche Fragen des Wohnens - um Mischung, Dichte, Gemeinschaft, Öffentlichkeit, Privatheit, Emanzipation. Verschiedene Gewohnheiten und Praktiken werden verknüpft, Wohnkonzepte alternativ zur Kernfamilie entwickelt, Abhängigkeiten beseitigt, von der Hausarbeit, der Kinderbetreuung, geschlechtsspezifischen und sozialen Zuweisungen.
Kollektive Wohnformen sind Laboratorien des Wohnungsbaus. Im Gegensatz zu normierten Wohnprojekten, die oft rein funktional geordnet sind und es den Bewohner*innen lediglich erlauben, die ihnen zugewiesenen Räume zu möblieren, entwickeln sich aus der Selbstermächtigung experimenteller, gemeinschaftlicher Wohnprojekte spezifische architektonische Qualitäten - Elemente und Räume, die die soziale Verfasstheit und Ambition dieser Projekte spiegeln und ein besonderes soziales Zusammenleben verwirklichen. Der Laubengang und der Wintergarten, der Zeltraum und der Spiegelsaal, die Terrasse mit Ausblick in den Garten.
Die methodische Analyse der Referenzprojekte fokussiert darauf, deren wesentliche und spezifische architektonische Qualitäten heraus zu arbeiten, um diese dann in einem weiteren Schritt darzustellen, als Surrogate zu abstrahieren und zu transponieren. Es geht darum, konkrete architektonische Dispositionen und Konstruktionen zu erkennen und diese dann in Zeichnungen, Modellen und weiteren Formaten freizustellen und weiter zu entwickeln. Dabei kann es sich um Raummodelle, Prototypen oder Details handeln – die Formate entwickeln sich in der gemeinsamen Laborarbeit.
Wohnlabor, Seminar, Freitags 10-13h, AStA Lernfläche