Dissertation Dr.-Ing. Hendrik Laue

Gefühlte Landschaftsarchitektur – Der Einfluß der Planung auf das thermische Empfinden in mikroklimatischen Freiraumeinheiten innerhalb städtischer Strukturen

Zusammenhänge

Im Gegensatz zu den makroskalig beeinflussten Bereichen oberhalb der Grenzbereiche wird hingegen im bodennahen Bereich die Dynamik der mikroklimatischen Prozesse zeitlich und räumlich stark variabel durch die Bodenoberfläche und anderen bodennahen Objekten, wie Gebäuden und Vegetation, bestimmt. Im Verhältnis dazu reagieren die bodennahen Schichten unmittelbar und schnell auf kleinskalige Veränderungen der Umweltstruktur und bilden einzelne Einheiten von mikroklimatischen Klimatopen. „Zwischen der Gestaltung des Lebensraumes und dem sich einstellenden Mikroklima besteht somit ein enger zeitlicher und kausaler Zusammenhang.“ (…) (Bruse, 1999). Demnach hat die Planung einen entscheidenden Einfluß auf die Lebensumstände und den Lebensraum der städtischer Nutzer und Bewohner.  Daraus ergibt sich eine klare Aufgabe und Handlungsanweisung für die Klimatologie, Meteorologie und den Planungsdisziplinen Architektur, Landschaftsarchitektur und Stadtplanung. Das wirft die Frage auf, wie kann man im Rahmen gegebener städtebaulicher Strukturen mit den eigenen erlernten Instrumenten und mit den interdisziplinären Handlungsschritten für Menschen eine optimale Behaglichkeit erhalten oder erschaffen? Üblicherweise geht dem eine analytische Betrachtungsweise mit der verbundenen Abwägung von Varianten voraus. Aufgrund der umfangreichen Wirkungszusammenhänge physikalischer Natur lassen sich aber Varianten und Alternativen nicht direkt und zeitlich unmittelbar miteinander vergleichen. Zum einen sind die Zusammenhänge zu komplex für die unmittelbare Auswertung, und zum anderen fehlen für die Planung wichtige Instrumente zum verständlichen Umgang dieses Wirkungskomplexes. Dem hinzuzufügen sind auch die verschiedenen Arbeitsweisen der Fachdisziplinen und ein damit verbundener Zielkonflikt.

Im Rahmen der Dissertation wurden die Einzelbetrachtungen der Einflußfaktoren auf die Wirkungszusammenhänge auf einen unmittelbaren Ort bezogen. Unterstützend zu diesem Handlungsschritt wurden sinngemäße Experimente, Simulationen und Untersuchungen durchgeführt.

Simulationen, Untersuchungen und praktische Experimente

Das numerische Modell ENVI-met von Bruse (1999) bot zum einen die Möglichkeit, konkrete ortsbezogene Fragestellungen zu simulieren und durch Karten und Diagramme aussagekräftig zu beantworten. Mit diesen Resultaten produzieren die 6 Programmsysteme von ENVI-met (ENVImetCedit, EnvimetEddi, envimet31_250_250, DataExtractor, CalcPET, Leonardo) für alle Fachdisziplinen kommunikative und verständliche Medien. Das Modell fasst wichtige komplexe Wirkungszusammenhänge zusammen und liefert zeitnah inhaltsreiche Ergebnisse. Simuliert wurde ein exemplarischer Stadtraum an zwei verschiedenen Orten (Kassel und Göteborg) in unterschiedlichen Varianten zur Ausrichtung und Ausgestaltung. Durch die Ergebnisse wurden planerische Handlungen auf den Nutzer bezogen deutlich sichtbar. Der Einfluß der „Strahlung“ ist bestimmend und wird so auch im mitteleuropäischen und nordeuropäischen Raum auf das gewählte kleinskalige Klimatop bewiesen.

Dem ergänzend folgten zwei Untersuchungen zu Oberflächeneigenschaften und seinen Auswirkungen. Materialien wurden konkret mit Ortsbezug (Kassel) hinsichtlich Wärme- und Albedoeigenschaften thermographiert und gemessen. Im Rahmen dieser Betrachtungen wurden neue Zusammensetzungen und Mixturen bezogen auf verbesserte thermische Eigenschaften im Vorfeld ausprobiert, und im unmittelbaren Umfeld des Institutes sind Flächen und Objekte vor Ort hergestellt worden. Mit den Ergebnissen der Einzelerkenntnisse ließen sich im Zusammenhang mit den ENVI-met Simulationsergebnissen Rückschlüsse auf veränderte Auswirkungen thermischer Natur in mikroklimatischen Raumeinheiten ziehen.  

Ein dritter wichtiger Baustein der eigenen praktisch- angewandten Forschung stellten verschiedene Raumobjekte zur möglichen Einflussnahme auf kleinskalige Klimatope in städtischen Räumen dar. Im Rahmen von drei Praxisprojekten in der Lehre entstanden insgesamt 6 Raumobjekte als Grundlage messbegleitender Untersuchungen.  Diese Objekte entwickeln aufgrund ihrer Beschaffenheit und Materialität eine aktive und passive Einflussnahme auf den thermischen Wirkungskomplex des Nutzers. Mit dem Wissen aus den Auswertungen zu den einzelnen Einflußfaktoren und mit den Erkenntnissen aus den Untersuchungen zu den Materialien wurden konkrete gebaute Objekte hinsichtlich ihres Einflussspektrums untersucht. Es bestätigten sich, bezogen auf den thermischen Wirkungskomplex, Vermutungen zum Potential der Veränderung von Strahlungsflüssen, Windbewegungen und Wärmeeigenschaften. Weniger deutlich waren die Ergebnisse zur potentiellen aktiven Kühlung der Einflussgröße „Lufttemperatur“. Der Einfluß des steigenden Feuchtegehaltes, und somit ein sich theoretisch veränderter latenter Energiefluss beim Nutzer, ist aufgrund der zu Untersuchungszeit herrschenden Windbewegungen nicht deutlich erkennbar.

Ergänzend zu den aufgezeigten praktischen und theoretischen Versuchen ergaben sich im Rahmen der Fragestellung auch zusätzliche eigene mehr generelle Betrachtungen zu Raumeinheiten in Städten. Anhand des Programmes „Google Earth“ bot sich die planerische Möglichkeit, städtische Verdichtungsräume hinsichtlich ihrer Ausdehnungen, Eigenschaften und Raumeinheiten zu untersuchen. Kassel und Kopenhagen aber auch ergänzend ähnliche Stadtstrukturen wurden in einer Kombination von eigener realer wie virtueller Begehung betrachtet und verbal ausgewertet. Aus dieser eher generellen Betrachtungsweise ergaben sich auch die Parameter für die ENVI.met-Simulation. Typische Eigenschaften zur Dimension und Struktur wurden exemplarisch für die Modellsimulation übernommen und festgelegt.

Die Bedeutung, der Einfluß und auch die Möglichkeiten zur Manipulation der thermischen Behaglichkeitsfelder des potentiellen Nutzungsfreiraumes im städtischen Kontext wurden im Rahmen der Arbeit zusammengestellt. Ein nachhaltiger Umgang mit mikroklimatischen Räumen in der Landschaftsarchitektur fordert weniger die Eigenschaft des Spezialisten als vielmehr der des planerischen Generalisten. Planung bedeutet Prozesse zu bestimmen und Erkenntnisse auszuwerten. Dem Landschaftsarchitekt kommt hierbei die Aufgabe zu, Ergebnisse unterschiedlicher Forschungsdisziplinen interdisziplinär zusammenzuführen. Es gilt die Entwicklung von neuen Technologien und Methoden zum Umgang mit einer sich verändernden Umwelt einen planerischen Rahmen zu geben und die Ideen und Richtungen mitzubestimmen.

Die Arbeit wurde betreut von:

Prof. Wigbert Riehl, Landschaftsarchitekt, Universität Kassel, FG Landschaftsarchitektur - Technik

Prof. Dr. Katzschner, Umweltmeteorologe, Universität Kassel, FG Umweltmeteorologie

Prof. Dr. Pauleit, Stadtökologe, Universität Kopenhagen, Centre for Forest, Landscape and Planning

 

Die Arbeit wurde am 31.07.2009 erfolgreich abgeschlossen.