Timo Baldewein

Raum und politische Fragmentierung.
Zum Einfluss von Kontext- und Netzwerkeffekten auf politische Entscheidungen

Während der letzten Jahre kam es zu einem rasanten Aufstieg des Rechtspopulismus in Europa. Dabei zeigen sich deutliche räumliche Unterschiede im Zuspruch für rechtspopulistische Parteien. Während sie in den ökonomischen Zentren eher unbeliebt sind, zeigt sich in einigen ländlichen Peripherien ein starker Zuspruch. Dies ist allerdings nicht verallgemeinerbar auf alle ländlichen Regionen. Insofern untersucht diese Dissertation mögliche Ursachen dieser Beobachtung in Deutschland, um den Aufstieg des Rechtspopulismus besser verstehen zu können.

Der Blick der Arbeit liegt darauf zu untersuchen, ob Rechtspopulismus begünstigende Faktoren nicht nur individuelle Eigenschaften von Personen sind, sondern auch über das Individuum hinausgehen. Das kann mittels Kontexteffekten untersucht werden, die Auswirkungen der sozialen und räumlichen Umgebung der Menschen auf ihr Verhalten anzeigen. Sie sind unabhängig von den individuellen Eigenschaften der Menschen, bzw. stehen mit diesen in Wechselwirkung. In der Dissertation wird analysiert, inwiefern solche Kontexteffekte regionale historische, ökonomische und kulturelle Begebenheiten die Rechtspopulismusaffinität der dort lebenden Menschen beeinflussen. Denn vorhergehende Forschung zeigte, dass Menschen in Regionen mit schlechter wirtschaftlicher Entwicklung und langer rechter Tradition eher zur Wahl rechtspopulistischer Parteien neigen.

Im nächsten Schritt wird betrachtet, wie Meinungen in und Zusammensetzung von personenzentrierten Netzwerken die politischen Meinungen und Einstellungen der Menschen beeinflusst. Es stellt sich die Frage, ob der Aufstieg des Rechtspopulismus durch die Entstehung einer neuen gesamtgesellschaftlichen Konfliktlinie (Kosmopolitismus vs Nationalismus), bzw. um das Wiederaufbrechen einer alten zwischen den politischen Interessen des Zentrums (idR. der Hauptstadt) und regionalen Partikularinteressen begründet ist, oder ob es sich hier vielmehr um eine Reaktion auf die soziale Situation in kleineren Ingroups (zum Beispiel Familien oder Freundesnetzwerken) handelt. Daher soll untersucht werden, wie stark das (Wahl)Verhalten durch makrosoziologische Entwicklungen oder durch mikrosoziologischen Zusammenhänge beeinflusst wird.

Diese Frage ist aktuell, weil sich die Modernisierungsverliererhypothese, die einen Zusammenhang zwischen ökonomischer Deprivation im Neoliberalismus und Zuwendung zum Rechtspopulismus beschreibt, auf Individualebene empirisch vielfach nicht bestätigen lässt. Vielmehr scheinen es diffuse kulturelle und regionale Faktoren zu sein, die die Menschen zum Rechtspopulismus treiben. Die Dissertation untersucht also die Effekte von Deprivation und kultureller Orientierung auf Individualebene, in Netzwerken, sowie auf höheren räumlichen Ebenen, um die räumlichen Unterschiede des Rechtspopulismus begründen zu können.