StadtWende

StadtWende – Stadterneuerung am Wendepunkt. Die Bedeutung der Bürgerinitiativen gegen den Altstadtverfall für die Wende in der DDR

Auch zum 30. Jahrestag der friedlichen Revolution von 1989 scheint die Frage, was genau zum Zusammenbruch der DDR und zur „Wende“ führte, nicht erschöpfend beantwortet.

Ein sichtbares Zeichen für den Verfall des ‚sozialistischen‘ Staats war spätestens seit den 1980er Jahren der Zustand der Städte, insbesondere der Innenstädte mit Altbaubestand. Die marode Bausubstanz, zunehmende Leerstände und großflächige Abrisse von historischer Bebauung zugunsten einer zentralistisch gesteuerten Neubebauung mit uniformen Plattenbauten wurde in den betroffenen Städten teilweise sehr kontrovers diskutiert. Es regte sich Widerstand gegen diese Art brachialer Stadtzerstörung. War dies ein auslösendes Moment der Wende?

Für das Verbundprojekt »StadtWende – Stadterneuerung am Wendepunkt. Die Bedeutung der Bürgerinitiativen gegen den Altstadtverfall für die Wende in der DDR«, das zum 01. Januar 2019 für eine Laufzeit von zunächst vier Jahren startete, ist die These zentral, dass die ‚Wende‘ ihren Ausgangspunkt auch in der selbstbestimmten Einmischung mündiger BürgerInnen in Angelegenheiten der Stadterneuerung hatte.

Gefördert vom Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) mit dem Ziel der Stärkung der DDR-Forschung und im Verbund mit zwei universitären Partnern (Prof. Dr. Holger Schmidt, TU Kaiserslautern, Projektleitung, und Prof. Dr. Max Welch Guerra, Bauhaus-Universität Weimar) sowie dem Leibniz-Institut für raumbezogene Sozialforschung (IRS) in Erkner (Prof. Dr. Christoph Bernhard, Historische Abteilung), hat das Projekt zum Ziel, die Bedeutung des Altstadtverfalls in der DDR zu erfassen, speziell mit Blick auf die Entstehung und Entfaltung von Bürgerbewegungen, die in den 1980er Jahren zu Triebkräften des gesellschaftlichen Wandels wurden. Darüber hinaus soll die Stadtentwicklungspolitik nach der deutschen Einheit im Sinne jener Erfahrungen neu eingeordnet und bewertet werden.

An der Universität Kassel werden in diesem Rahmen zwei Teilprojekte durch Prof. Dr. Harald Kegler (Leitung) und Dr. des. Wiebke Reinert sowie Dipl.-Geo. Sven Kröber bearbeitet.

Ziel des 1. Teilprojekts ist es, die Wirkung unterschiedlicher Formen bürgerschaftlicher Aktivitäten zum Erhalt und zur Erneuerung von Altstädten in Modellorten der DDR zu untersuchen. Die Untersuchung umfasst mindestens 10 Modellorte, die im besonderen Fokus der fachlichen Diskussion standen und in denen eine Stadterneuerung stattgefunden hat. Welche Gestaltungsmacht hatten Akteure auf kommunaler Ebene, wie wirkten sich sozialistische Stadtplanung, Abriss, Protest und schließlich die ab 1989 initiierten Stadterneuerungsprogramme
konkret vor Ort aus?

Darüber hinaus soll im 2. Teilprojekt das Verhalten und die (Un-)Wirksamkeit der Verantwortlichen von offiziellen Kultur-Institutionender DDR (Denkmalpflege, Kulturbund u.a.) untersucht werden. Dieseverhielten sich oft widersprüchlich in ihrer Rolle und Funktion. Welche Rolle spielten sie genau bei der Förderung (oder Verhinderung) von Initiativen zur Stadterneuerung?

Aus beiden Forschungssträngen sollen Schlussfolgerungen für die Bedeutung herausgehobener Orte und Kultur-Institutionen für die Transformation der Altstädte in der DDR mit Blick auf die Wende und Nachwende abgeleitet werden.

Eine Website, die über das Projekt hinaus bestehen bleiben wird, soll auf einer multimedial und interaktiv gestalteten Karte der DDR alle Städte mit Bürgerinitiativen und Widerstandspotenzial verzeichnen. Informationen, Interviews, Fotomaterial und Filme zu den Aktivitäten der Bürgerinitiativen sollen so auf einen Blick zugänglich gemacht werden. Abschließend wird eine große Wanderausstellung die Ergebnisse an ein breites Publikum vermitteln und zugleich zur Implementierung der Resultate in den kommunalen Alltag beitragen.

Ein zentrales Anliegen des Projektverbunds ist es, der Opposition insgesamt, vor allem aber den oppositionellen Akteuren in der städtischen Bürgergesellschaft, den städtischen Bauverwaltungen und Fachleuten in der Forschung, die (häufig gemeinsam) im Kampf gegen den Altstadtverfall aktiv waren, ein Gesicht zu geben. Sie werden als wichtige Akteure der Auseinandersetzung um die Erneuerung der Städte in der Geschichte der Vor- und Nachwende charakterisiert und sollen im kulturellen Gedächtnis der Städte und letztlich der Gesellschaft platziert werden. Aus diesem Grund werden in großem Umfang Zeitzeugeninterviews durchgeführt werden, mit denen die individuellen Beweggründe und die häufig wichtigen informellen Vorgehensweisen bei oppositionellen Handlungen differenzierter analysiert werden können. Das Projekt soll gleichzeitig dezidiert einen Beitrag zur Gesellschaftsgeschichte der DDR liefern; Proteste und Initiativen gegen den Verfall der Altstädte entwickelten sich originär aus der Gesellschaft Ostdeutschlands heraus. Die genaue Erforschung ihrer Bedeutung für die Entwicklungen, die letztlich zum Zusammenbruch der DDR führten, verspricht weiterführende Erkenntnisse zum Zusammenhang von Stadtentwicklung, gesellschaftlichem Engagement und Transformationsprozessen, die zugleich als Teil der deutschen und europäischen Geschichte zu betrachten sind.

Projektlaufzeit: Januar 2019 bis Dezember 2022
Förderung: BMBF
Bearbeiter/innen: apl. Prof. Dr. habil. Harald Kegler, Dr. des. Wiebke Reinert, Dipl.-Geo. Sven Köber

Kooperationspartner

Prof. Dr. Holger Schmidt, TU Kaiserslautern, Projektleitung

Prof. Dr. Max Welch Guerra, Bauhaus-Universität Weimar

Prof. Dr. Christoph Bernhard, Historische Abteilung am Leibniz-Institut für raumbezogene Sozialforschung (IRS) in Erkner

Kontakt


apl. Prof. Dr.-Ing. Harald Kegler

+49 178 5421812
harald.kegler[at]uni-kassel[dot]de


Dr. des. Wiebke Reinert

wiebke.reinert[at]uni-kassel[dot]de

 

Dipl.-Geo. Sven Kröber
sven.kroeber[at]hausspes-merkmal[dot]de