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15.09.2021 | Institut für Physik | Licht-Materie-Wechselwirkung

Neu­es Ex­pe­ri­ment zur Er­for­schung chi­ra­ler Mo­le­kü­le

Forschende der Universitäten Kassel, Duisburg-Essen und Marburg haben ein neues Experiment vorgeschlagen, das neuartige Untersuchungen mit chiralen Molekülen möglich machen wird. Die Ergebnisse wurden nun im Journal Physical Review X veröffentlicht.

Ein chirales Molekül kann zwischen seinen zwei gespiegelten Formen tunneln. Die Forschende machen sich diese Eigenschaft zunutze, um einen Strahl von Molekülen in Quantensuperpositonszuständen herzustellen.

Ähnlich, wie die menschlichen Hände, können die meisten komplexen Moleküle in zwei Versionen existieren: links- und rechtshändig. Die zwei Spiegelbilder, sogenannte Enantiomere, sind aber nicht identisch, da sie sich nicht durch Rotation oder Translation überlagern lassen. Dieser Unterschied kann erhebliche Veränderungen in der chemischen Reaktivität und biologischen Funktion der Moleküle bewirken.

In ihrer aktuellen Studie zeigen die Forschenden der Universitäten Kassel, Duisburg-Essen und Marburg, wie chirale Moleküle mit Hilfe von Materiewelleninterferenz in eine Quantensuposition von links- und rechtshändigen Enantiomeren gebracht werden können. Dies ermöglich neuartige Table-Top-Experimente zur Frage, wie sich das Verhalten der links- und rechtshändigen Moleküle auf der Quantenebene unterscheidet.

Superposition und Quantentunneln

„Eine faszinierende Eigenschaft chiraler Moleküle ist, dass sie sich durch einen als ‚Quantentunneln‘ bezeichneten Prozess von ihrer links- in ihre rechtshändige Form umwandeln können“, sagt Dr. Daqing Wang, Experimentalphysiker der Universität Kassel.

„Diese Umwandlung kann man sich vorstellen wie das Überqueren eines hohen Berges – es benötigt viel Energie um den Gipfel zu erreichen. Aber die Quantenphysik erlaubt es stattdessen direkt durch den Berg durchzutunneln.“, erklärt Dr. Benjamin Stickler, Quantenphysiker der Universität Duisburg-Essen. Während des Tunnelns befindet sich das Molekül in einer Quantensuperposition zwischen den beiden Formen. „Es ist wie bei dem Gedankenexperiment zu Schrödingers Katze: Eine Katze befindet sich in einer verschlossenen Box. Von außen weiß man nicht, ob die Katze lebt oder tot ist. Das ist der Zustand der Superposition“, beschreibt Wang.

In ihrer Studie zeigen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine neuartige Methode auf, um diesen Quantenzustand gezielt herzustellen. Das ist eine Herausforderung, denn die Zeitdauer des Tunnelns variiert je nach Molekül deutlich und reicht von länger als dem Alter des Universums bis zu weniger als einer Millionstel Sekunde. Zwei Voraussetzungen sind somit erforderlich, um das Quantentunneln im Labor zu untersuchen: Erstens muss eine Gruppe von Molekülen identifiziert werden, die auf einer zugänglichen Zeitskala tunnelt, und zweitens müssen die Moleküle zunächst in einer Form mit einer bestimmten Händigkeit vorbereitet werden.

Das vorgeschlagene Experiment

Die Eigenschaften des Helizen (helixförmiges Molekül) erwiesen sich als geeignet. In der neuesten Studie zeigen die Forscher, dass Varianten des Helizen-Moleküls Tunnelzeiten in einem für Table-Top-Experimente geeigneten Bereich liefern. Man kann die Moleküle in genau definierten Quantensuperpositionen ihrer links- und rechtshändigen Form durch Doppelspaltinterferenz von einem Lasergitter und räumliche Filterung vorbereiten. Wichtig ist, dass diese Superpositionen mit modernster Technologie vorbereitet werden können. Dies ermöglicht Quantenexperimente, in denen die Wechselwirkung chiraler Moleküle mit Atomen, anderen Molekülen und Oberflächen mit bisher unerreichter Präzision untersucht werden kann.

Das Projekt entstand unter der Federführung von Dr. Daqing Wang (Universität Kassel) und Dr. Benjamin Stickler (Universität Duisburg-Essen). Die Arbeit wurde durch den Sonderforschungsbereich SFB 1319 ELCH gefördert.

 

Mehr Informationen:

Der Artikel Enantiomer superpositions from matter-wave interference of chiral molecules wurde hier veröffentlicht: https://journals.aps.org/prx/abstract/10.1103/PhysRevX.11.031056

 

Kontakt:

Dr. Daqing Wang
Experimentalphysik I
Universität Kassel
E-Mail: daqing.wang[at]uni-kassel[dot]de
Tel.: 0561 804-4338