Cluster B: Rurbane Lebensbedingungen und deren sozial-ökologische Auswirkungen
B01 - RurbanSpace: Die gesellschaftliche Produktion rurbaner Räume in Bengaluru
Das Projekt B01 beschäftigt sich mit der Frage, wie der rurbane Raum in der südindischen Megastadt Bengaluru, Indien, unter den Bedingungen eines globalen Urbanismus (Lancione und McFarlane, 2021) gesellschaftlich produziert wird. Unsere Forschung baut auf dem Erbe der indischen Kolonialstadt und ihrer räumlichen Gestalt auf und vertritt die These, dass das spezifische Zusammenspiel zwischen dem Städtischen und dem Ländlichen komplexe und regionalspezifische Gefüge (Assemblagen) von Rurbanität hervorbringt. Wir konzentrieren unsere Forschungen auf die spezifische Kombination kollektiver und individueller Formen des Place-making (Ort-machen), die auf dem Zugang zu materiellen Ressourcen, Informationen, Wissen sowie formellen und informellen Regelungen resultieren. Wir unterscheiden zwischen Planung als formellem Prozess und den eher informellen Prozessen des Place-making, die es Individuen und Gemeinschaften ermöglichen, ihr Lebensumfeld nachhaltiger zu gestalten. Das Projekt konzentriert sich auf vier Forschungsfragen: (1) Welche Merkmale weist der physische rurbane Raum unter den Bedingungen der globalisierten Rurbanisierung auf, (2) welche Bedingungen, Faktoren, Akteure und Mechanismen bestimmen die Produktion des rurbanen sozialen Raums, (3) wie wird der rurbane Raum verhandelt, und 4) welche Bedingungen ermöglichen es Individuen, Gemeinschaften und Planungsinstitutionen, das rurbane Lebensumfeld nachhaltiger zu gestalten? Empirisch arbeitet das Projekt in zwei Kleinstädten am Stadtrand von Bengaluru, die jeweils durch eine große Dynamik der Neukonfiguration gekennzeichnet sind. Wir konzentrieren uns auf drei konfliktbehaftete Felder der Rurbanisierung: Wohngebiete (formelle Wohnformen versus informelle Wohnformen), der öffentliche Raum (Top-Down-Planung versus kollektive Aktivitäten) und Räume der Arbeit und Reproduktion (lokale versus nicht-lokale Formen der Produktion und Reproduktion). Aufbauend auf Ansätzen des Social Place-making sowie Assemblage- und praxistheoretischen Konzepten verwendet das Projekt einen gemischten Methodenzugang aus Dokumenten- und Satellitenbildanalyse, einer quantitativen Haushaltsbefragung, qualitativen Interviews, Kartierung und partizipativen Methoden, um das Verständnis dafür zu fördern, wie sich Rurbanität räumlich konstituiert. Die Rohdaten und Transkripte werden mit Hilfe von Datenbankanalysen, Inhaltsanalysen und Kartierungstechniken ausgewertet.
Projektleitung:
Christoph Dittrich, Humangeographie, Universität Göttingen;
Uwe Altrock, Stadterneuerung und Planungstheorie, Universität Kassel
Internationale Partner:
Seema Purushothaman, APU, Bengaluru, Indien
B02 - RurbanFoodWaste: Erfassung des Nachhaltigkeitspotenzials von Lebensmittelabfällen als Viehfutter in rurbanen Kontexten in Indien
Durch Kombination der Perspektiven der Wirtschaftsgeographie und der Tierhaltung in den Tropen und Subtropen zielt Projekt B02 darauf ab, ein vertieftes Verständnis für die räumlichen, zeitlichen, quantitativen und qualitativen Dimensionen und Dynamiken der Ströme von Lebensmittelabfällen und -verlusten (Food Waste and Food Loss - FWFL) in den rurbanen Ernährungssystemen von Bengaluru, Indien, zu gewinnen. Basierend auf den Erkenntnissen der DFG-geförderten Forschungsgruppe FOR2432 argumentieren wir, dass rurbane Räume in Indien die räumliche Nähe unterschiedlichster Akteure des Ernährungssystems fördern und damit ein hohes Potenzial für die Aufwertung von Lebensmittelabfällen als Futtermittel bieten, das von Milch erzeugenden kleinbäuerlichen Betrieben aktiv und flexibel als Tierfutter verwendet wird. Ausgehend von den Orten des Auftretens und der Umwandlung von FWFL, wie etwa Müllhalden und Großmärkte, identifizieren wir die vielfältigen und miteinander vernetzten Akteure des Lebensmittelsystems, darunter Produzenten und Verarbeiter, den Einzelhandel, Verbraucher und Regulierungsinstitutionen. Dies dient der qualitativen und quantitativen Charakterisierung der Quellen und Ursachen von FWFL, sowie der Erfassung der räumlichen und formellen oder informellen Organisation und Koordination der Aufwertung von FWFL innerhalb des rurbanen Milchsektors. Darüber hinaus werden die Möglichkeiten und Grenzen der Fütterung von Kühen mit FWFL erfasst und deren ernährungsphysiologischer und wirtschaftlicher Wert für rurbane Milchviehbetriebe untersucht. Methodisch beinhaltet dies die systematische Erhebung verschiedener quantitativer und qualitativer Daten mittels eines die Stadt überlagernden Rasters durch Beobachtung und Kartierung, Interviews mit Milchviehbetrieben, Unternehmen und anderen Akteuren des Lebensmittelsektors, sowie die chemische Analyse von FWFL-Futterproben. Die zu erwartenden Ergebnisse werden uns kritische Einblicke in die soziale, ökologische und wirtschaftliche Nachhaltigkeit rurbaner Ansätze zur Verwertung von FWFL in zirkulären Futter- und Nahrungsmittelsystemen liefern.
Projektleitung:
Amelie Bernzen, Economic Geography, University of Vechta
Eva Schlecht, Animal Husbandry in the Tropics and Subtropics, University of Kassel and University of Göttingen
Internationale Partner:
P.K. Malik and Anjumoni Mech, NIANP, Bengaluru, India
Sheetal Patil and Soubadra Devy, ATREE, Bengaluru, Indien
B03 - RurbanLivestockSystems: Tierhaltung als Grundlage rurbaner Existenzen
Die Haltung von Wiederkäuern, insbesondere von Rindern, Schafen und Ziegen, ist ein wesentlicher Bestandteil rurbaner Räume und Gesellschaften im Globalen Süden, insbesondere in Westafrika. Durch enge Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen der Tierhaltung in den Tropen und Subtropen und der Sozial- und Kulturanthropologie zielt Projekt B03 darauf ab, die Prozesse zu identifizieren und zu analysieren, durch die Viehhaltung zur Entstehung, Unterstützung und Nachhaltigkeit von rurbanen Lebensgrundlagen und Lebensstilen in Accra, Ghana, beiträgt. Ausgehend von den vier analytischen Perspektiven der FOR5903 – Ausstattung & Verortung, Institutionen & Praktiken, Ströme & Konnektivität sowie Lebensgrundlagen & Lebensstile – analysiert das Projekt, durch welche komplementären Prozesse eine heterogene und fragmentierte Rurbanität in Westafrika neue Formen der Konnektivität ermöglicht und wie diese für die Entwicklung von Unternehmen im Viehhaltungssektor genutzt werden. Dabei interessiert insbesondere, wie neue natürliche Ressourcen, soziale Netzwerke, Arbeitskraft (und Kenntnisse) sowie Kapital eine Verhandlungsarena für die Neugestaltung des westafrikanischen Viehsektors eröffnen, in der ständige Kreativität und Anpassung sowie Re- und Selbstorganisation erforderlich sind. Wir werden untersuchen, wie die Tierhaltung als sozial-ökologisches System einen räumlichen und sozialen Zugang zu Rurbanität ermöglicht und wie nachhaltig sie ist.
Projektleitung:
Nikolaus Schareika, Ethnologie, Universität Göttingen
Eva Schlecht, Tierhaltung in den Tropen und Subtropen, Universität Kassel und Universität Göttingen
Kaderi N. Bukari, Development Studies, University of Cape Coast, Ghana, und DITSL, Witzenhausen
International Partners:
Sabina Appiah-Boateng, Development Studies, University of Cape Coast, Ghana
B04 - RurbanConnections: Zwischen Heimatstadt und transnationalen Verbindungen: Die Kleinstadt Larteh in Ghana
Projekt B04 betrachtet Kleinstädte im globalen Süden als Teil von Stadt-Umland-Gefügen, welche durch die gleichzeitige Anwesenheit städtischer und ländlicher Elemente gekennzeichnet sind. Kleinstädte haben administrative und wirtschaftliche Funktionen als rurbane Knotenpunkte in regionalen Netzwerken. Sie weise städtische Lebensstile in Gebieten auf, die ansonsten durch landwirtschaftliche Nutzung gekennzeichnet sind. Sie sind bedeutende Orte für die Reproduktion soziokultureller Identitäten im Kontext ethnischer und religiöser Heterogenität, räumlicher und sozialer Verflechtungen und lokal verwurzelter politischer Institutionen im Kontext postkolonialer Nationalstaaten. Das Projekt nutzt die Kleinstadt Larteh in der Eastern Region Ghanas als Fallstudie, um den Wandel der Lebensgrundlagen seit den 1960er Jahren, Lebensstile, Institutionen der lokalen Verwaltung, Formen der Selbstorganisation und Verbindungen auf verschiedenen Ebenen zu untersuchen. Die Stadt ist Teil einer rurbanen assemblage, die das zusammenhängende urbanisierte Gebiet von der Stadt Accra bis zu den Grenzen der Greater Accra Region und andere Kleinstädte in den Akwapim-Hügeln umfasst. Das Projekt geht der Frage nach, ob es in Larteh spezifisch rurbane Ergebnisse ortsspezifischer Ausstattungen gibt und ob wir typisch rurbane Lebensgrundlagen, Lebensstile, Institutionen und Vernetzungen identifizieren können. Wir stellen die Hypothese auf, dass die Fähigkeit von Larteh, die ökologischen und sozialen Bedingungen seiner rurbanen Existenz zu reproduzieren, auf der Aufrechterhaltung der Beziehungen zwischen den Einheimischen und den Weggezogenen sowie auf der Schaffung von Verbindungen mit Ausländern beruht, die ein Interesse an den Ressourcen in Larteh haben. Wir analysieren, wie diese Verbindungen entstanden sind, wie sie zu Ideen und Praktiken der Rurbanität beitragen, und welche Potenziale für Nachhaltigkeit sich feststellen lassen.
Projektleitung:
Katja Werthmann, Afrikastudien, Universität Leipzig
Internationale Partner:
Steve Tonah, University of Ghana, Accra, Ghana