Der nachfolgende Auszug aus meinem einleitenden Statement zur Disputation im Juli 1998 an der Universität Gesamthochschule Kassel gibt einen kurzen Überblick über die wesentlichen Inhalte und Aussagen meiner Dissertation.
Einleitung
Bevor ich einen Überblick über den Inhalt und die Ergebnisse meiner Arbeit gebe und Stellung zu den Anmerkungen der Gutachter beziehe [hier nicht dokumentiert], möchte ich einleitend einen kurzen Blick zurück werfen: Vor etwas über einem Jahr, im Juni 1997, sorgten Wirtschaftsinformatiker der Uni Würzburg mit der Meldung für Furore, daß im kommenden Jahrzehnt statt des erwarteten Zuwachses an Arbeitsplätzen im Dienstleistungssektor eben dort mit dem Wegfall von 6,7 Millionen Stellen zu rechnen sei. Die Ursache für diese düstere Prognose sahen sie im fortschreitenden Computereinsatz, allein in der öffentlichen Verwaltung könnten durch Automation 46% der Stellen, das heißt 2,6 Mio. Arbeitsplätze, eingespart werden.
Bei genauerem Hinsehen entpuppt die von den Wirtschaftsinformatikern vorgetragene Argumentation eine höchst konventionelle Strickart. Die Verfasser gehen davon aus, daß sich auch im kommenden Jahrzehnt der Computer kontinuierlich neue Anwendungsfelder in Fabriken, Büros und Haushalten erschließen wird. Dies klingt plausibel und ist es vermutlich auch. Wesentlich problematischer ist die darauf aufbauende Annahme, daß der Comutereinsatz quasi naturwüchsig vor allem auf die Substitution menschlicher Arbeit gerichtet ist. Solche deterministischen Auffassungen sind insbesondere deswegen ärgerlich, weil sie den Blick auf Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten verbauen.
Ich erwähne diese Prognose aus Würzburg hier, weil an ihrem Beispiel ein Problem ganz grundsätzlicher Art deutlich wird: Gerade Sozialwissenschaftler müssen sich nämlich fragen lassen, ob und auf welche Weise zuverlässige Aussagen über die Konsequenzen der anhaltenden Durchdringung unseres Lebens mit vernetzten Systemen der Informations- und Kommunikationstechnik (IuK-Technik) überhaupt noch möglich sind.
Inhalt und Ergebnisse der Arbeit
Damit komme ich zu den Inhalten und Ergebnissen meiner Dissertation, die eines der vielen Einsatzfelder der IuK-Technik, nämlich die öffentliche Verwaltung, näher beleuchtet. Dabei verfolge ich eine doppelte Fragestellung: Zum einen interessieren mich selbstverständlich die aktuellen Entwicklungstendenzen beim behördlichen Technikeinsatz, zum anderen frage ich danach, wie sich die sozialwissenschaftlich ausgerichtete Verwaltungsforschung diesem Thema im Zeitalter der Computernetze zukünftig stellen kann.
Das empirische Fundament liefern vier Fallstudien, die sich mit den netztechnischen Infrastrukturen der Bundesländer, dem Technikeinsatz bei der Bundesanstalt für Arbeit und den Landesumweltverwaltungen sowie dem Strategischen Informationssystem der Stadt Köln auseinandersetzen. In meiner Arbeit bezeichne ich diese Fallstudien auch als "short stories", um zu verdeutlichen, daß es sich um einen bewußt selektiven Ausschnitt aus dem weiten Feld der Verwaltungsinformatisierung handelt.
Bleiben wir zunächst bei der Frage nach den Perspektiven für jenen (kleinen) Teil der Verwaltungsforschung, der sich mit der behördlichen Computernutzung beschäftigt. Hier befürworte ich eine Perspektive, die disziplinäre Grenzen zwischen Verwaltungsforschung und sozialwissenschaftlicher Technikforschung überschreitet. Den Ausgangspunkt meiner Betrachtung bildet daher die zurückliegende Auseinandersetzung mit Technik und Technisierungsprozessen in der sozialwissenschaftlichen Technikforschung - hier repräsentiert durch die Disziplinen Industriesoziologie, Politische Techniksteuerung und Technikfolgenabschätzung und Techniksoziologie, ergänzt um einen Ausschnitt aus der Organisationsforschung, für die Technik als Umweltbestandteil von Organisationen zunehmende Bedeutung besitzt.
Als Zwischenergebnis wurden zwei Konsenslinien im sozialwissenschaftlichen Technikverständnis herausgearbeitet, wobei im weiteren deren Relevanz innerhalb der Verwaltungsforschung überprüft wurde.
Die erste Konsenslinie lautet: Es gibt weder eine Eigengesetzlichkeit des technischen Fortschritts, noch determinieren technische Artefakte die Arbeitsweisen oder Strukturen in den Anwenderorganisationen. Für die Verwaltungsforschung ist dazu festzuhalten, daß technikdeterministischen Sichtweisen hier bereits eine Absage erteilt wurde, als diese vor allem in der Industriesoziologie noch in voller Blüte standen. Dies hat aber nichts daran geändert, daß Entwicklungs- und Implementationsprozesse technischer Systeme und damit zugleich die soziale Dimension des Technikeinsatzes, wie sie seit einiger Zeit insbesondere unter dem Stichwort "Mikropolitik" diskutiert werden, bis heute nur wenig Beachtung gefunden haben.
Die zweite Konsenslinie stellt fest: Technik sorgt als Bestandteil der Organisationsumwelt für anhaltenden Veränderungsdruck und unterliegt zugleich der Einflußnahme relevanter korporativer Akteure. Der abermalige Vergleich mit der Verwaltungsforschung zeigt, daß hier bislang die Beschäftigung mit beobachtbaren oder als wünschenswert empfundenen Veränderungen innerhalb des Verwaltungssystems im Vordergrund stand. Weniger Beachtung fand die Frage danach, wie sich mit der Verfügbarkeit von Computern und netztechnischen Infrastrukturen die gesellschaftlichen Anforderungen an Verwaltungsarbeit verändern. Diffus blieb auch die Beziehung zwischen behördlichem Technikeinsatz und der technischen Entwicklung auf gesellschaftlicher Ebene.
Ein weiteres Ergebnis der Auseinandersetzung mit der sozialwissenschaftlichen Technikforschung besteht im Vorschlag, den Doppelcharakter von "Organisation", womit ja immer der Prozeß des Organisierens und dessen Resultate gemeint sind, als analytischen Rahmen für die Auseinandersetzung mit der behördlichen Techniknutzung heranzuziehen. Demnach müssen sowohl die Optionen der IuK-Technik für die Organisation der öffentlichen Verwaltung als auch die öffentlichen Verwaltungen als Organisationen analysiert werden, um zu aussagekräftigen Ergebnissen zu gelangen. Die Betrachtung von öffentlichen Verwaltungen als Organisationen sieht Behörden dabei als Orte mikropolitischen Geschehens, als soziale Gebilde, die Einflüssen aus ihrer Umwelt unterliegen und als korporative Akteure, die auf ihre Umwelt Einfluß nehmen.
An diesem Rahmen orientiert sich auch die Darstellung meiner Ergebnisse, von denen ich hier nur einige ausgewählte Punkte benennen möchte: Nach wie vor mangelt es in der öffentlichen Verwaltung an einer systematischen Verbindung zwischen Organisationsgestaltung und Technikeinsatz. Generell steht zudem noch immer der Nachweis aus, daß die IuK-Technik der ihr zugeschriebenen Rolle als Katalysator für Verwaltungsreformen tatsächlich gerecht werden kann. Stärkere Beachtung verdient im übrigen der Umstand, daß manche Formen der Techniknutzung selbst äußerst voraussetzungsvoll sind. Maßnahmen der Verwaltungsreform sind dann nicht Resultat, sondern Voraussetzung innovativer Formen des Technikeinsatzes. Verwaltungen sind der technischen Entwicklung nicht passiv ausgeliefert, sondern nehmen selbst auf diese Einfluß.
Besondere Beachtung verdient gegenwärtig der selbstreferentielle Ansatz der politischen Techniksteuerung, womit die Erprobung neuer Formen des Technikeinsatzes innerhalb des öffentlichen Sektors gemeint ist. Auch in den an Vorschriften und Normen so reichen öffentlichen Verwaltungen ist die Nutzung der IuK-Technik stets Produkt menschlichen Handelns und wirkt auf dieses zurück. Genau diese Interdependenz macht Technikprojekte zu einer "mikropolitischen" Angelegenheit. Meine Fallstudien liefern eine Vielzahl von Belegen für den Einfluß individueller Akteure, ihrer Interessen und Strategien. Diese sind für die Forschung insbesondere dann bedeutsam, wenn der Verlauf eines spezifischen Technikprojektes nachgezeichnet und erklärt werden soll.
Was nun die aktuellen Entwicklungstendenzen beim behördlichen Technikeinsatz angeht, so ergeben die vielfältigen Einzelaspekte aus den Fallstudien das Bild einer Zeit beginnender Virtualität. Charakteristisch für die gegenwärtige Phase der Behördeninformatisierung ist die Öffnung der Behördennetze in Richtung Umwelt, wie sie durch das Internet ermöglicht und forciert wird. Gleichzeitig verleihen Intranet-Lösungen vielerorts den technischen Integrationsversuchen eine neue Qualität.
Bei all dem besteht aber noch erheblicher Entwicklungsbedarf: In der Regel sind Behörden für Externe noch immer nicht über E-Mail erreichbar, von multimedialen Angeboten, mit denen sich die Bürger lästige Verwaltungsgänge sparen könnten, ganz zu schweigen. Ein weiteres Merkmal der aktuellen Informatisierungsphase besteht in der Renaissance der IuK-Technik als Rationalisierungsinstrument. Dies drückt sich u.a. darin aus, daß Technikinvestitionen wieder vermehrt durch Einsparungen an anderer Stelle gegengerechnet und legitimiert werden müssen.
Bleibt zum Schluß die Frage nach den Schlußfolgerungen für zukünftige sozial- und verwaltungswissenschaftliche Analysen zum Einsatz vernetzter Computersysteme. Hier gelange ich zu dem Schluß, daß angesichts der Vielzahl von Einflußfaktoren eindeutige Ursache-Wirkungs-Beziehungen kaum noch aufgestellt oder vertreten werden können. Dies gilt für gesellschaftliche Entwicklungen im Zusammenhang mit der Ausbreitung von Computernetzen ebenso wie für den Technikeinsatz in Betrieben oder Verwaltungen. Die Konsequenz sollte aus meiner Sicht darin bestehen, daß nicht die Suche nach kausalen Erklärungsmustern, sondern die zeitliche Dimension des Geschehens und damit die Spezifika der jeweiligen Situation in den Mittelpunkt sozialwissenschaftlicher Analysen rücken müssen. Die Verwaltungsforschung hätte also nach nach den zu einem bestimmten Zeitpunkt wirksamen Einflüssen auf die öffentliche Verwaltung und den innerbehördlichen Konstellationen von Akteuren, Leitbildern, Problemen usw. zu fragen.
Nun mag es insbesondere für Außenstehende unbefriedigend sein, auf vermeintlich einfache Fragen ("Wie verändern Computernetze die Verwaltung?") komplizierte Antworten ("Es kommt darauf an, ob...") zu erhalten, alles andere aber wäre unseriös.
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erstellt am: 17.12.98 von Martin Wind