Organisationsentwicklung in der Stadt Halberstadt

  1. Projektdaten
  2. Kurze Vorstellung von Halberstadt
  3. Die Schritte auf dem "Halberstädter Weg"
  4. Veröffentlichungen

1. Projektdaten

Laufzeit: 09/1995 bis 12/1998
Auftraggeber: Stadt Halberstadt

Die Stadt Halberstadt strebte einen Verwaltungsumbau mit dem Ziel der Modernisierung der Verwaltung an. Dazu wurden ein Umbauplan fuer die Verwaltung, ein Personalförderungs- und Entwicklungskonzept und ein Führungskonzept erstellt. Dies geschah in einem partizipativen Prozeß, mit dem die Interessen und die Kompetenzen der Beschäftigten in den Umbauprozeß eingebracht wurden. Die Forschungsgruppe unterstützte dieses Vorhaben durch die Moderation der speziell eingerichteten Arbeitsgruppen und durch Vorschläge zum Verfahren der partizipativen Modernisierung. Sie leistete zusätzlich fachwissenschaftlichen Input zu Einzelthemen der Verwaltungsmodernisierung.

2. Kurze Vorstellung von Halberstadt

Halberstadt, südwestlich von Magdeburg am Ostrand des Harzes gelegen, gehört mit seinen 43.000 Einwohnern zu den wenigen ostdeutschen Kommunen mittlerer Größenordnung, die sich auf den Weg zur Modernisierung ihrer Verwaltung gemacht haben.

Halberstadt wurde im zweiten Weltkrieg in weiten Teilen zerstört, der anschließende Wiederaufbau und die Entwicklung der ehemaligen Bischofsstadt wurden zu DDR-Zeiten durch die SED nachhaltig blockiert. Halberstadt ist heute noch immer eine Stadt im Aufbau und auf der Suche nach einem eigenständigen Profil, das die Stadt neben den Harz-Touristikzentren Quedlinburg und Wernigerode bestehen und für Investoren und Touristen attraktiv werden läßt.

Wir erwarten, daß den in Halberstadt gesammelten Erfahrungen mit der Verwaltungsmodernisierung in vergleichbaren Städten besondere Aufmerksamkeit zukommen wird - dies um so mehr, da Halberstadt mitten in einer "Modernisierungsdiaspora" liegt und weit und breit - von einzelnen Ansätze in einer Nachbargemeinde abgesehen - die einzige Kommune ist, die sich dieser Thematik derart engagiert widmet.

3. Die Schritte auf dem "Halberstädter Weg"

3.1 "Reformkoalition" aus Verwaltungsspitze und Beschäftigtenvertretern
In Halberstadt erfolgte der Anstoß zur Verwaltungsmodernisierung durch eine durchsetzungsstarke "Reformkoalition" aus Verwaltungsspitze und Personalrat unter aktiver Einbeziehung von Vertretern der Gewerkschaft ÖTV.

Das von Personalrat und Verwaltungsleitung gemeinsam vertretene Bekenntnis zur Notwendigkeit der Verwaltungsmodernisierung hate dazu geführt, daß die Interessenvertreter der Arbeitnehmer zum gleichwertigen Träger des Veränderungsprozesses geworden sind. Mehr noch: Anfang des Jahres ist der bisherige Oberbürgermeister von seinem Amt zurückgetreten, um als Staatssekretär ins Wirtschaftsministerium Sachsen-Anhalts zu wechseln. Anschließend hatte die Verwaltungsmodernisierung erheblich mit der durch dieses Vakuum an der Verwaltungsspitze hervorgerufenen Verunsicherung zu kämpfen. In dieser Zeit hat sich der Personalrat als treibende Kraft bewährt und die Reformbemühungen offensiv vertreten, - sei es gegenüber den Dezernenten, in den Projektgruppen gegenüber Amtsleitern oder auf Personal- bzw. Teilbereichsversammlungen gegenüber den Beschäftigten.

3.2 Kooperationsvereinbarung zwischen Verwaltungsspitze und Gewerkschaft
Im Juni 1995 wurde eine "Kooperationsvereinbarung zum Umbau der Stadtverwaltung Halberstadt" zwischen ÖTV und Stadtverwaltung abgeschlossen. Darin war die Aufstellung eines Umbauplanes für die Stadtverwaltung festgeschrieben, der mindestens die nachfolgenden Inhalte abdecken sollte: Zusätzlich war die Aufstellung eines Personalförderungs- und -entwicklungskonzeptes sowie eines Führungskonzeptes vorgesehen.

Ferner wurden in der Vereinbarung die Möglichkeiten zu beschäftigungssichernden Vereinbarungen sowie die Zusammensetzung des Steuerungsgremiums, hier "Lenkungsbeirat" genannt, festgeschrieben. Unter der Leitung des stellvertretenden Vorsitzenden des Stadtrates wirkten hier mit:

Von 1995 bis 1998 waren Mitglieder der Forschungsgruppe Verwaltungsautomation an der Universität Gesamthochschule Kassel als Moderatoren und Berater am Prozeß beteiligt.
3.3 Gründung von Projektgruppen
Dem laufenden Prozeß war eine fast einjährige Orientierungsphase in Sachen "Verwaltungsmodernisierung" unter Beteiligung von Vertretern der Ratsfraktionen vorgeschaltet. Der erste Arbeitsschritt des aus diesem Prozeß hervorgegangenen und im Kooperationsvertrag festgeschriebenen Lenkungsgremiums bestand dann in einer ausführlichen Problemsammlung und Zieldefinition. In dieser Phase kam ein breites Spektrum von Veränderungswünschen zum Vorschein, das sich von Organisationsveränderungen über Verbesserungen in Motivation und Mitarbeiterführung, der Forderung nach mehr Wirtschaftlichkeit und Bürgernähe bis hin zur räumlichen und technischen Ausstattung der Arbeitsplätze erstreckt.

Der zweite Schritt bestand darauf aufbauend in der Gründung von Projektgruppen zu den Arbeitsfeldern

Mit der Gründung der Projektgruppen wurden zum einen die Inhalte des Kooperationsvertrages konkretisiert, zum anderen wurden Maßnahmen vereinbart, die über die in der Vereinbarung genannten Bereiche hinausgehen (Eigenbetrieb, IuK, Leitbild).

Anfang 1997 konnten die Projektgruppen zum Leitbild und zur Gründung des Eigenbetriebes ihre Arbeit beenden, nachdem beide Ziele realisiert worden waren. Zum Leitbild ist allerdings anzumerken, daß dessen Inhalte längst noch nicht in den Köpfen präsent sind und sich die vom Prozeß der Leitbild-Entwicklung erwartete Aufbruchstimmung nicht in der erhofften Form eingestellt hat.

Die übrigen Projektgruppen haben ihre Arbeit fortgesetzt. Im Mittelpunkt des Reformprozesses stehen die Gruppen zur PE (Mitarbeitergespräch, Arbeitszeitmodelle, Weiterbildung usw.), zur Wirtschaftlichen Haushaltsführung (Produktentwicklung und -beschreibung usw.) sowie zur Einrichtung des Bürgerbüros, die sich wegen der Neubebauung der Halberstädter Innenstadt leider verzögert hat.

3.4 Partizipativ orientiertes Vorgehen
Mit der Gründung von Projektgruppen und der Möglichkeit, unterhalb dieser Gremien zusätzliche Arbeitsgruppen zur Abarbeitung von Einzelaufgaben einzurichten, ist der Grundstein für die Einbeziehung und aktive Beteiligung der Beschäftigten gelegt worden. Es besteht im Lenkungsgremium Konsens, daß die Modernisierung nur mit breiter Einbindung aller Beschäftigten vollzogen werden kann.

Inzwischen ist es gelungen, über die wesentlichen Inhalte und Anliegen der Verwaltungsmodernisierung zu informieren, auch die Mobilisierung der Beschäftigten ist in Ansätzen erfolgt. Wir haben unter anderem auf zwei Beschäftigtenversammlungen und zahlreichen Teilbereichsversammlungen referiert, regelmäßig erscheint ein Informationsblatt und zur informellen Diskussion laden wir alle 4 bis 6 Wochen zu einem "Modernisierungsstammtisch" ein.

Einen Einstieg in Diskussionen und Gespräche bot vor allem die von uns durchgeführte Beschäftigtenbefragung. Dadurch sind nahezu alle Beschäftigten mindestens einmal mit der Modernisierung in Berührung gekommen. Die Befragungsergebnisse haben wir in Form einer umfangreichen Dokumentation allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zugänglich gemacht. Zusätzlich zu Informationen und Diskussionen haben inzwischen auch erste Workshops zur Produktentwicklung und zu Führungsfragen mit den Beschäftigten stattgefunden, die zum Teil als Vorbereitung für ein aktives Mitwirken in Arbeitsgruppen konzipiert worden sind.

Die eigens für das Modernisierungsvorhaben aufgebaute Modernisierungsinfrastruktur umfaßt damit den Lenkungsbeirat, Projektgruppen, den Koordinator, Schulungen und Workshops sowie ein vielschichtiges "Informationswesen".

3.5 Umbauplan und Strukturveränderungen
Nach Problemsammlung und Gründung der Projektgruppen wurde auf einer Sitzung des Lenkungsbeirates Ende Juni 1996 mit der Erarbeitung eines langfristigen Umbauplanes begonnen und damit der dritte Schritt der Reform eingeleitet. Dabei wurden die Ergebnisse der Projektgruppen der ersten Monate diskutiert, weitere denkbare Maßnahmen gesammelt und gemeinsam mit den bereits bearbeiteten Themen in einen Zusammenhang gebracht. Bei thematischer Nähe wurden neue Elemente den bestehenden Projektgruppen zugeordnet, an zuständige Verwaltungsstellen delegiert (z.B. Erarbeitung eines Energiesparkonzeptes) oder auch erst einmal zurückgestellt. Die Gründung neuer Projektgruppen war nicht erforderlich.

Im Zuge der Bearbeitung des Kataloges neu aufgenommener Reformthemen haben seit Frühjahr 1997 Überlegungen zur Einrichtung eines Zentralen Steuerungsbereiches und zu Veränderungen im Verwaltungsaufbau an Bedeutung gewonnen. Die Sammlung und Diskussion zu neuen Strukturmodellen für die Halberstädter Verwaltung zog bis zur nachfolgenden Sommerpause aber keine nennenswerten Schritte zur Reorganisation nach sich.

Darüber hinaus wurde beraten, in welcher Form die Modernisierung durch eine Organisationsinfrastruktur gestützt werden kann, um den Prozeß langfristig abzusichern.

3.6 Kleine Chronik des weiteren Geschehens
Für das Jahr 1998 ist das Arbeitsprogramm der externen Beratung - wie von Anfang an vorgesehen - nochmals reduziert worden. Nur durch den schrittweisen, planmäßigen Rückzug der Externen kann sichergestellt werden, daß eine Reform zur Sache der Verwaltung selbst wird und die zukünftig erforderlichen Veränderungen aus eigener Kraft bewältigt werden können. Um dies sicherzustellen, ist Anfang 1998 eine Koordinierungsstelle für den weiteren Reformprozeß eingerichtet worden, in der eine ehemalige Mitarbeiterin des Haupt- und Personalamtes sowie die ehemalige Vorsitzende des Personalrates tätig sind. Zu den Aufgaben dieser Stelle zählen unter anderem die Dokumentation des Verwaltungsumbaus, die Fertigstellung des Produktkataloges und dessen Verbindung mit dem städtischen Haushaltsplan, die Verankerung der Personalentwicklung innerhalb der Verwaltung sowie die Aktivitäten Halberstadts im Netzwerk "Kommunen der Zukunft" (Träger: Bertelsmann Stiftung, Kommunale Gemeinschaftsstelle und Hans-Böckler-Stiftung).

Nach längeren Vorarbeiten und Diskussionen sind im September 1998 die Kompetenzen zur Verwaltung der städtischen Gebäude in Form eines neuen Amtes für das Gebäudemanagement gebündelt worden.

Am 3. Oktober 1998 wurde das neue Rathaus inmitten des neuen Stadtzentrums eingeweiht. Dort hat unter anderem auch das Bürgerbüro seinen Platz, in dem die Halberstädter nun diverse Verwaltungsangelegenheiten an einer einzigen, zentralen Stelle erledigen können.

Seit Ende 1998 liegt ein vorläufiges Produktbuch vor, so daß im Zuge der Haushaltsaufstellung für das Jahr 2000 mit der produktorientierten Budgetierung begonnen werden kann.

3.7 Auszeichnung als "Pfiffigste Gemeinde"

Im März 1999 wurde die Stad Halberstadt vom Mitteldeutschen Rundfunk und von der Bertelsmann Stiftung als "Pffifigste Gemeinde" in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen ausgezeichnet. Neben der Bürgerbeteiligung bei zahlreichen Fragen der Stadtenwicklung wurde in der Begründung auch das Engagement bei der Verwaltungsmodernisierung hervorgehoben.

Dazu ein Bericht der Mitteldeutschen Zeitung (64 KB)

4. Veröffentlichungen

Martin Wind: Erst die Wende, dann die Reform. Zwischenbilanz aus einem verwaltungswissenschaftlichen Beratungsprojekt. In: Grunow, Dieter/Wollmann, Hellmut (Hg.): Lokale Verwaltungsreform in Aktion: Fortschritte und Fallstricke. Basel u.a.: Birkhäuser 1998, S. 306-321.

Peter Kuschel [Haupt- und Personalamtsleiter der Stadt Halberstadt]: Die Mitarbeiterbefragung als Managementinstrument. Problemsammlung und Zieldefinitionen für den Halberstädter Reformprozeß. In: VOP 4/98, S. 31-33.

Anne Höhmann und Martin Wind: Der Halberstädter Weg zur Modernisierung. In: VOP 6-7/97, S. 17-20.

Anne Höhmann und Martin Wind: Moderne Zeiten. In: Die Mitbestimmung 5/97, S. 56-58.


Letzte Änderung: 11. Juli 2000