IuK-technische Netze in interorganisatorischer Perspektive

Werner Killian, Martin Wind

Vortrag auf dem Symposium "20 Jahre Forschungsgruppe Verwaltungsautomation" am 27.10.1995 in Kassel.
ursprünglich dokumentiert in: Klaus Grimmer u.a. (Hg.): Verwaltung - Technik - Wissenschaft. 20 Jahre Forschungsgruppe Verwaltungsautomation. Kassel, S. 51-62. (Arbeitspapiere der FG Verwaltungsautomation; Bd. 60)

Gliederung:

  1. Einleitung
  2. Überprüfung von Arbeitsabläufen und Kommunikationswegen
  3. Vernetzte IuK-Technik als Gegenstand interorganisatorischer Beziehungen
  4. Verwaltungen als "Wegbereiter" der "Datenautobahn"
  5. Ausblick: Wer profitiert von der "Informationsgesellschaft"?
  6. Anmerkungen und Literatur


1. Einleitung

Wer derzeit von infomations- und kommunikationstechnischen Netzen redet, der darf zum Thema "Datenautobahn" nicht schweigen - und weil dies so ist, beginnt auch unsere kursorisch angelegte Betrachtung zu einem unzweifelhaft zukunftsträchtigen Forschunsgebiet (1) mit dem Hinweis auf die vielzitierte "Informationsgesellschaft". Zu diesem Thema heißt es in der Einleitung eines aktuellen Beitrags aus der Zeitschrift der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD): "Die Experten sind sich einig: sie kommt bestimmt; einen griffigen Namen hat sie schon: 'Datenautobahn'. Nur was sie ist, wie sie aussehen wird, und vor allen Dingen: welche Ziele damit erreicht werden sollen, darüber gehen die Meinungen auseinander." (Birkenbihl 1995, 10) (2)

Was sich zunächst so anhört wie die Einleitung zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem vielbeschworenen "Information-Superhighway", entpuppt sich beim Weiterlesen leider als ein weiterer technikeuphorisch geratener Zukunftsentwurf. Einmal mehr wird dort das Bild einer Welt bemüht, die in Folge eines schnellen und ungehinderten Informationsaustausches zu einem Dorf zusammenschrumpfe, in dem die Datenautobahn dann den (virtuellen) Marktplatz bilde. Dazu passend fordert der Autor "Freie Fahrt für freie Daten" und treibt die beliebte Autobahn-Metapher damit auf die Spitze.

Wie auch immer der oder die einzelne zum Thema "Datenautobahn" stehen mag: Bei der Beschäftigung mit den Möglichkeiten und Auswirkungen der Informations und Kommunikationstechnik (IuK-Technik) geht es längst nicht mehr um eine Betrachtung isolierter Systeme in einzelnen Organisationen, sondern um deren Vernetzung und um die Abwicklung von Transaktionen zwischen Unternehmen, Verwaltungen und privaten Haushalten.

Parallel zur technischen Entwicklung sind interorganisatorische Beziehungen in letzter Zeit stärker in den Fokus der sozialwissenschaftlichen Forschung geraten. So haben z.B. die BWL und die Industriesoziologie auf das Phänomen der Globalisierung von Marktprozessen bei gleichzeitiger Dezentralisierung von Verantwortlichkeiten und Entscheidungsbefugnissen aufmerksam gemacht. (3) Derartige Anforderungen ziehen offensichtlich neuartige Formen zwischenbetrieblicher Allianzen nach sich, bei deren Analyse auch - aber nicht unbedingt vorrangig - die Nutzung moderner Informations und Kommunikationstechnik zu berücksichtigen ist.

Politik und Verwaltungswissenschaft haben sich ebenfalls verstärkt dem interorganisatorischen Geschehen zugewandt. Aktuelle Beispiele stellen Analysen zu "Politiknetzwerken oder Arbeiten zum kooperativen Verwaltungshandeln in der Beziehung zu Bürgern und Unternehmen (4) oder zur Zusammenarbeit zwischen öffentlichem und dritten Sektor (5) dar. Die IuK-Technik spielt dabei - in den Untersuchungen, aber wohl auch in der Realität - keine Rolle.

Die Beziehungen innerhalb des öffentlichen Sektors, also zwischen einzelnen Verwaltungseinheiten, sind demgegenüber zwar auf die Nutzung der IuK-Technik hin untersucht worden, dabei wurde aber nur selten der Bezug zu explizit interorganisatorischen Fragestellungen bzw. zu den Arbeiten benachbarter Disziplinen hergestellt. Dieser Mangel beruht auf Gegenseitigkeit: Während auf der einen Seite verwaltungswissenschaftliche Studien kaum Eingang in die aktuellen Debatten um interorganisatorische Beziehungen finden, treffen umgekehrt die von anderen Disziplinen ausgehenden theoretischen und empirischen Impulse nur auf verhaltenes Interesse unter Verwaltungswissenschaftlern.

Zurück zur Ausgangsfrage: Im Zusammenhang mit unserem Forschungsgegenstand, der öffentlichen Verwaltung, beinhaltet die Thematik "IuK-Technik in interorganisatorischer Perspektive" mindestens drei Aspekte, mit denen entsprechende Forschungsarbeiten betrieben werden können:

  1. Staatliche und kommunale Behörden sind im Zuge der rasanten technischen Entwicklung und des Zusammenwachsens vormals getrennter Technologielinien dauerhaft dazu aufgerufen, Arbeitsabläufe und Kommunikationswege zu optimieren, wobei sowohl interne Beziehungen als auch die Verbindungen zu externe Stellen oder Personen auf den Prüfstand kommen.
  2. IuK-Technik ist nicht nur ein Instrument zur Gestaltung, sondern zugleich ein Gegenstand oder Gestaltungsobjekt interorganisatorischer Beziehungen. Mit anderen Worten: Wie ein behördenübergreifend angelegtes System schließlich in die Realität umgesetzt und im Alltag genutzt wird, ist das Ergebnis von Abstimmungs und Aushandlungsprozeduren der beteiligten Behörden bzw. ihrer Vertreter.
  3. Der öffentliche Sektor ist bei alldem nicht nur Anwender einer Technik, die es ermöglichen soll, Organisationsgrenzen überwindbar zu machen, er wird in gewissem Umfang auch als "Schrittmacher" staatlicher Industrie- und Technologiepolitik fungieren.

Auf diese drei Gesichtspunkte werden wir im folgenden näher eingehen.

2. Überprüfung von Arbeitsabläufen und Kommunikationswegen

Die Anforderung, Arbeitsabläufe und Kommunikationswege auf der Grundlage der verfügbaren Technik zu überprüfen bzw. neu zu gestalten, berührt in grundlegender Weise die Beziehungen zwischen Behörden und ihrer Umwelt. Im Gefolge von "Datenautobahn" und "Rechnervernetzung" stehen eingespielte Formen der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Behörden ebenso zur Disposition wie die Kommunikation der Verwaltungsorganisationen mit Bürgern, Wirtschaftsunternehmen, Organisationen des "Dritten Sektors", Interessengruppen und Politik.

An dieser Stelle beschränken wir uns auf die zwischenbehördlichen Beziehungen. Dabei ist allerdings zunächst einmal zu klären, welche Anwendungen eigentlich konkret gemeint sind, wenn über die Möglichkeiten vernetzter Computersysteme gesprochen wird. In Anlehnung an ähnliche Kategorisierungen aus der Literatur (6) differenzieren wir zwischen vier Verbundvarianten, in denen sich unterschiedliche Ziele der iuk-technischen Vernetzung widerspiegeln:

Diese Einteilung ist lediglich als idealtypische Abgrenzung zu verstehen; die in der Praxis anzutreffenden Netze beschränken sich selten auf eine der genannten Zielkategorien. Dies wird deutlich, wenn einige der geläufigsten Nutzungsformen iuk-technischer Vernetzung betrachtet werden (vgl. Tab. 1): Während Datenfernübertragung bzw. electronic data interchange - also der Austausch strukturierter, nach vereinbarten Regeln formatierter Daten - vordringlich die Zielkategorie des Verarbeitungsverbundes widerspiegeln, berührt die Erledigung kooperativer Aufgaben über das Netz (Stichwort: Groupware) sowohl die Kommunikations als auch die Informationsfunktion. Die Kategorie des Informationsverbundes ist mit der Einrichtung von Datenbanken angesprochen, auf die ein von räumlichen, zeitlichen und personellen Restriktionen unabhängiger Zugriff ermöglicht werden soll. Die dort befindlichen Daten können dabei wiederum aus der netzbasierten Abwicklung bestimmter Verwaltungsverfahren generiert worden sein.

Nutzungsformen Ressourcenf. Verarb.fkt. Komm.funktion Inform.funkt.
Druckernetz X - - -
Datenfernverarb. X O - -
DFÜ & EDI - X - -
Workflow - X O -
Groupware - - X X
electronic mail - - X -
BK-Systeme - O X O
Informationssys. - - - X

X: starker Zusammenhang; o: möglicher Zusammenhang; -: kein Zusammenhang

Tab. 1: Verbundvarianten und Nutzungsformen iuk-technischer Vernetzung

An dieser Stelle ist allerdings darauf hinzuweisen, daß die vielfach beschriebene allseitige Verfügbarkeit und unbegrenzte Verknüpfbarkeit von Daten (7) längst noch nicht in die Realität umgesetzt worden ist. Wie etwa die anläßlich der Münchener Computermesse "Systems '95" geäußerten Klagen mancher Experten über den (aus ihrer Sicht natürlich zu geringen) Verbreitungsgrad von Anwendungen des automatisierten elektronischen Datenaustausches (EDI) in der Bundesrepublik zeigen (8), besitzt diese Feststellung nicht nur für den Bereich der öffentlichen Verwaltung ihre Gültigkeit.

Schon der kurze Blick auf denkbare Anwendungs und Nutzungsformen zeigt die Vielfalt dessen, was mit dem Schlagwort "Vernetzung" gemeint sein könnte. Gleichzeitig wird deutlich, daß nicht alle Varianten der Netznutzung im gleichen Maße für eine Betrachtung interorganisatorischer Aspekte der Techniknutzung in Frage kommen. Von höchster Relevanz sind unserer Meinung nach Systeme, die neuartige Zugriffsmöglichkeiten auf Datenbestände erschließen, also Formen des Informationsverbundes. (9)

Dieses Thema läßt sich breit diskutieren, an dieser Stelle möchten wir einen Aspekt besonders hervorheben: In unserem Untersuchungsfeld, den Umweltverwaltungen, wird mit komplexen Umweltinformationssystemen versucht, neue Zugriffsmöglichkeiten auf landes bzw. ressortweit gesammelte Daten mit Umweltbezug einzurichten. (10) Dabei steht vielfach das Ziel einer verbesserten Entscheidungsvorbereitung und unterstützung durch Führungsinformationen im Vordergrund. Wir sind eher skeptisch, ob es tatsächlich sinnvoll ist, für den Entwurf komplexer Informationssysteme den unspezifischen Informationsbedarf der Führung als Ausgangspunkt zu wählen, um dann sozusagen "von oben nach unten" zu planen. Priorität sollte vielmehr der Unterstützung unmittelbarer Vollzugs und Überwachungstätigkeiten eingeräumt werden.

Die Ausrichtung auf einen vermeintlichen technischen Unterstützungsbedarf der Verwaltungsführung ist bekanntlich für viele Fehlentwicklungen und Mißerfolge beim Einsatz von IuK-Technik im öffentlichen Sektor verantwortlich gemacht worden. Daß diese Orientierung trotz der Pleiten mit Planungs oder Management-Informationssystemen bis in die 90er Jahre hinein überlebt hat, kann eigentlich nur mit Hoffnungen auf die Leistungsfähigkeit jeweils nachfolgender Technikgenerationen erklärt werden. Die Konzepte selbst sind kaum hinterfragt worden, denn die bei der Umsetzung in den Verwaltungsalltag aufgetretenen Probleme wurden vor allem der mangelnden Leistungsfähigkeit der verfügbaren Technik zugeschrieben. In dieser Logik war ein grundsätzliches Umdenken nicht erforderlich, denn schon versprach die nächste, leistungsfähigere und vor allem bedienerfreundlichere Technikgeneration einen Ausweg zu eröffnen. (11)

Wenn wir uns nicht täuschen, hat in jüngster Zeit eine vorsichtige Abkehr von diesem Glauben eingesetzt. Mit Führungsinformationssystemen verbindet sich nicht mehr die Vorstellung, daß ein solches System durch die obere Führungsebene genutzt wird. Vielmehr sollen mit seiner Hilfe Informationen für die Führungskräfte erarbeitet werden. Es hat also ein Abschied stattgefunden von der technokratischen Vision, Informationen zur Entscheidungsunterstützung auf Knopfdruck bereitstellen zu können. Entscheidend waren dafür zweierlei Ursachen: Erstens ist es nach wie vor zu aufwendig und zu kostspielig, die zur Befriedigung des unspezifischen Informationsbedarfs erforderlichen Daten dauerhaft auf Abruf verfügbar zu halten. Zweitens weigert sich ein erheblicher Teil der anvisierten Nutzergruppe bis heute, mit einem solchen System zu arbeiten. Statt "Knopfdruck-Mentalität" ist folglich ein technisch-organisatorisches System gefragt, das den jeweils spezifisch auftretenden Bedarf nach Informationen zu erfüllen versucht und dabei verstärkt auf persönliche Betreuung und Beratung durch entsprechende Serviceeinheiten setzt. Diese Stellen sind dann auch in der Lage, die technischen Unterstützungsmöglichkeiten umfassend auszuschöpfen.

Damit zeigt sich einmal mehr, daß nicht die Technik an sich, sondern die "organisatorische Verfügbarmachung" technischer Unterstützungsmöglichkeiten der Schlüsselfaktor zur Problemlösung oder minderung ist. (12)

3. Vernetzte IuK-Technik als Gegenstand interorganisatorischer Beziehungen

Obwohl von Wissenschaftlern der verschiedensten Disziplinen die beim Einsatz der IuK-Technik in Privatwirtschaft und Verwaltung auftretenden Konflikte und Probleme wiederholt aufgezeigt worden sind, werden technische Möglichkeiten vielfach noch immer umstandslos mit ihrer praktischen Realisierung gleichgesetzt. Auf diese Weise gerät aus dem Blick, was gegenwärtig im Kontext sozialwissenschaftlich inspirierter Technikforschung eine zentrale Rolle spielen sollte, nämlich die Abstimmungs und Aushandlungsprozeduren zwischen den Organisationen, die da technisch vernetzt werden sollen.

Generell gilt, daß organisationsübergreifende Gestaltungsprozesse im Vergleich mit dem organisationsinternen Geschehen mit einer ungleich höheren Komplexität verbunden sind. (13) Die Analyse der hier ablaufenden Prozeduren ist erforderlich, um die Widrigkeiten technischer Innovationen ausreichend würdigen zu können. Außerdem bietet sich an dieser Stelle die seltene Gelegenheit, den Brückenschlag zur Arbeit benachbarter Disziplinen zu schlagen: Mit der Gegenüberstellung von technischen Vernetzungsprojekten in Privatwirtschaft und öffentlicher Verwaltung könnten z.B. Gemeinsamkeiten oder Unterschiede bei der Steuerung derartiger Innovationen herausgearbeitet werden. Zu fragen wäre etwa, ob Einführung und Einsatz vernetzter Systeme mit hierarchischer Steuerung, mit den Mechanismen des Marktes oder mit einer dritten Form der Koordination, die sowohl Elemente der Hierarchie als auch des Marktes enthält (z.B. "Unternehmens " oder "Politiknetzwerke"), angemessen gemanagt werden können.

Wir sehen im "Schnittstellen-Management" zwischen den an einem Technikprojekt beteiligten Organisationseinheiten einen zentralen Erfolgsfaktor bei der Entwicklung und Einführung interorganisatorisch angelegter Systeme. Dabei sollte unserer Meinung nach Abschied genommen werden von der Vorstellung einer allmächtigen Hierarchie, wo sozusagen "unten" durchgeführt wird, was "oben" - in unserem Fall also von einem Ministerium - vorgegeben wird. Die Chancen für eine auf Dauer erfolgreiche Einführung eines behördenübergreifend angelegten Informationssystems steigen in dem Maße, in dem

Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen:

Im Zusammenhang mit dem erforderlichen "Schnittstellen-Management" erscheint uns das Handeln der dort tätigen Akteure von besonderem Interesse. Während sich die Aufgaben der Akteure aus den federführenden Technikstellen (z.B. in einem Ministerium oder Landesamt) noch relativ eindeutig darstellen, müssen die als Stellvertreter der beteiligten Fachbehörden entsandten Personen vielfältigen Anforderungen und Gesichtspunkten entsprechen, die sich in einem mehrstufigen Prozeß herausbilden und durchaus mit Widersprüchen verbunden sein können:

Um zu einem angemessenen Verständnis technisch-organisatorischer Innovationen zu gelangen, ist es unserer Ansicht nach unumgänglich, sowohl die Bedeutung struktureller Faktoren als auch das persönliche Handeln der Akteure zu analysieren. Mit dieser Herangehensweise sind zudem abermals Brückenschläge zwischen Verwaltungsforschung und anderen Disziplinen sozialwissenschaftlicher Technikforschung möglich.

4. Verwaltungen als "Wegbereiter" der "Datenautobahn"

Das in den 80er Jahren entwickelte und seitdem fortgeschriebene Landessystemkonzept Baden-Württembergs, das den Rahmen für den Einsatz der IuK-Technik in der dortigen Landesverwaltung bildet, ist das wohl prominenteste Beispiel dafür, daß Verwaltungen eine aktive Rolle im Rahmen staatlicher Technologiepolitik zugewiesen wird. Ähnliches zeichnet sich in Bayern ab, wo derzeit im Rahmen des Projektes "Bayern Online" ein eigenständiges Behördennetz als Teil des sogenannten Bayernnetzes (BayNet) eingerichtet wird.

BayNet soll den "Einstieg in den Zukunftsmarkt moderner Kommunikationstechnologien durch anwendungsorientierte Pilotprojekte" im Freistaat Bayern darstellen. Insgesamt belaufen sich die Kosten für die Pilotphase auf über 300 Mio. DM, wobei Sondermittel aus Privatisierungserlösen Bayerns in Höhe von ca. 100 Mio. eingebracht werden. Neben dem Behördennetz wird im Rahmen von BayNet an einer leistungsfähigen Verbindung der bayerischen Hochschulen gearbeitet, außerdem gibt es eine Reihe weiterer Teilprojekte, die über den staatlichen Bereich hinaus Wirtschaft und Privathaushalte ansprechen sollen (auf dem Programm stehen Verkehrsmanagement, Telearbeit, Multimedia usw.). (15) Das Bayernnetz ist damit ein Beispiel für staatliche Infrastrukturmaßnahmen, bei denen die eigene Verwaltung nicht nur als potentieller Nutzer, sondern als Schrittmacher der Entwicklung fungieren soll.

Für die Verwaltungsforschung bedeutet dies, daß die Beschäftigung mit behördenübergreifenden Formen iuk-technischer Vernetzung untrennbar verbunden ist mit der gesellschaftspolitischen Dimension moderner Technologien. Wenn die Vernetzung der Verwaltungen dazu beitragen soll, die Errichtung der "Datenautobahn" voranzutreiben, dann werden die damit befaßten Wissenschaftszweige nicht umhin kommen, Stellung zu beziehen zu erwünschten oder unerwünschten Folgen und Begleiterscheinungen der prognostizierten Informationsgesellschaft. Dies gilt um so mehr, wenn bei bestimmten Nutzungsformen, etwa der Teleheimarbeit, Verwaltungen als Ort für Pilotprojekte ausgewiesen werden.

Eine solche Auseinandersetzung müßte allerdings über die in Verwaltungspraxis und forschung derzeit dominante Binnenorientierung deutlich hinausgehen. So stehen in Deutschland z.B. die Diskussionen über verbesserte Zugänge der Bürgerinnen und Bürger zu Informationen der Behörden, über neuartige Wege der Beteiligung an kommunalpolitischen Entscheidungen und auch über die Definition und Absicherung einer informationellen Grundversorgung noch am Anfang. (16)

Mit dieser Bemerkung kehren wir zum Ausgangspunkt des Vortrags zurück: dem "Information Superhighway".

5. Ausblick: Wer profitiert von der "Informationsgesellschaft"?

Spätestens mit dem Einzug der PCs in die Privathaushalte ist die Computertechnik zu einem Stück Normalität geworden, Vokabeln wie "Rechner " oder "Computernetz" haben viel von ihrem früheren Schrecken verloren. Dennoch: Angesichts der Reichweite der prognostizierten Veränderungen auf dem Weg in die "Informationsgesellschaft" ist es erstaunlich, daß eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Thematik nur äußerst zögerlich in Gang kommt.

Fraglich sind die Ursachen für diese Zurückhaltung:

Um nicht mißverstanden zu werden: Auf die Neuauflage gewaltiger Schreckensszenarien können wir alle gut verzichten. Verzichtbar sind aber ebenso technische Machbarkeitsvorstellungen, die sich letztlich von der Goldgräber-Stimmung mancher Technikanbieter mitreißen lassen und durch die rosarote Brille in "Computernetzen" den universellen Problemlöser schlechthin erblicken. Neue Medien und Technikeinsatz sind gestaltbar bzw. bedürfen der aktiven Gestaltung. Das Aussehen der vielbeschworenen "Informationsgesellschaft" wird folglich davon abhängen, wer die entscheidenden Weichen stellen wird.

Die Politik jedenfalls, so hat der Bremer Informatiker Haefner vor kurzem zutreffend festgestellt, hat sich der tiefgreifenden Herausforderung bislang nicht gestellt. (18) Es gibt derzeit keine eigenständige Telekommunikations und Medienpolitik, vielmehr geht diese nahezu vollständig in der Wirtschaftspolitik auf. Mit anderen Worten: Beim derzeitigen Stand der Dinge bleibt die Gestaltung unserer zukünftigen Gesellschaft den Marktmechanismen, der Industrie und ihrer Lobby überlassen. Der als CDU-Mitglied antikapitalistischen Umtrieben unverdächtige Haefner hat die "Informationsgesellschaft" kürzlich als "soziotechnisches System" definiert, "in der jedes Bit kommerzialisiert und an jedem Byte Gewinne gemacht werden sollen". Die "Informationsgesellschaft" ist somit nicht gleichbedeutend mit einer informierten Gesellschaft - eher im Gegenteil.

Es können auch andere Wege eingeschlagen werden, wie das gern bemühte Vorbild der USA zeigt: Dort ist es entsprechenden Berichten zufolge zumindest ansatzweise gelungen, die Lizenzerteilung für lukrative Unterhaltungsdienste an die Leistung von Beiträgen im öffentlichen Interesse zu tauschen ("New Deal"). (19) Es gehört nicht viel Phantasie dazu, daß derartige Ansätze in Deutschland oder in anderen europäischen Ländern schnell mit dem Hinweis auf den zu sichernden Wirtschaftsstandort vom Tisch gefegt würden.

"Verwaltungsforschung zwischen Automation und Innovation" - unter diesem Titel stehen die drei kurzen Vorträge am Nachmittag des Symposiums zum zwanzigjährigen Bestehen der FG Verwaltungsautomation. Damit verbindet sich - zumindest bei uns - die Vorstellung einer Entwicklung, von den Anfängen der DV mit der Automation strukturierter Tätigkeiten hin zum Einsatz flexibel gestaltbarer Techniksysteme. Wenn wir nun mit dem Innovationsbegriff auch gesellschaftspolitische Zielkategorien verbinden, dann können diese u.E. nur lauten: mehr Transparenz und mehr Kommunikation (statt einem bloßen "Konsumismus"). Für die Verwaltungsforschung bzw. wissenschaft wiederum bedeutet dies, daß die Diskussion über Ziele und Wege zukünftiger, technikbasierter Verwaltungsinnovationen intensiviert werden muß: Wie wird die Verwaltung sich zukünftig dem Bürger gegenüber präsentieren? Welche neuen Zugangswege wird sie eröffnen, welche alten demgegenüber schließen? Welcher Beitrag ist zur informationellen Grundversorgung erforderlich, wie ist dieser aufzubringen? Dies sind nur einige der Fragen, die sich in der Zeit am Übergang zur "Informationsgesellschaft" stellen und von deren Beantwortung wesentlich mehr abhängt als "nur" die Gestaltung und Organisation des öffentlichen Sektors.

Die Verwaltungsforschung wird bei der Auseinandersetzung mit Chancen und Risiken der IuK-Technik stärker als zuvor die Zusammenarbeit mit benachbarten Disziplinen sozialwissenschaftlich inspirierter Technikforschung suchen müssen. Nur so kann sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten einen Beitrag dazu leisten - und damit strapazieren wir die Metapher ein letztes Mal -, daß aus der Datenautobahn keine Rennstrecke wird, auf der ohne Sinn und Verstand, ohne Grenzen und Regeln und unter stillschweigender Hinnahme erheblicher Verluste gerast werden kann.

6. Anmerkungen und Literatur

Fußnoten

(1) Der vorliegende Beitrag steht im Zusammenhang mit dem von der Volkswagen-Stiftung finanzierten Projekt "Informatisierte Verflechtungen - informations- und kommunikationstechnische Netze in interorganisatorischen Geflechten". Wir werden im weiteren auf einige Ergebnisse dieses Forschungsprojektes Bezug nehmen, in dem behördenübergreifende Informationssysteme in Agrar- und Umweltverwaltungen einzelner Bundesländer untersucht wurden.

(2) Überschrieben war dieser Text mit "Fragen auf und zu der Datenautobahn" - und damit ist immerhin das Eingeständnis verbunden, daß sich mit dem Komplex "Vernetzung" noch immer mehr Fragen als Antworten verbinden. Wenn wir also den Titel dieses Vortrags - "IuK-technische Netze in interorganisatorischer Perspektive" - auch als Programm für zukünftige Forschungsaktivitäten verstehen, dann verbindet sich damit die Gewißheit, daß viele unserer Fragen auch von anderen Wissenschaftsdisziplinen (noch) nicht beantwortet worden sind.

(3) Dieser Zusammenhang wird z.B. im Antrag auf Einrichtung eines Schwerpunktprogramms zum Thema "Regulierung und Restrukturierung der Arbeit in den Spanungsfeldern von Globalisierung und Dezentralisierung" an die Deutsche Forschungsgemeinschaft beschrieben. Ausgehend von der Beobachtung neuartiger Formen der Organisation von Arbeit, "... die immer weniger von deren traditionellen Gravitationszentren - Betrieb, Branche, Nationalstaat - und immer mehr von neuen Bezugspunkten der Globalisierung, Regionalisierung und zwischenbetrieblichen Vernetzung beherrscht sein wird", fordern die Verfasser eine Sozialwissenschaft, "... die nicht mehr am Einzelbetrieb, sondern an institutionellen Arrangements und intermediären Strukturen ansetzt." (Antrag an die DFG... 1994, 2) Einen ersten Einblick in interorganisatorisch angelegte Forschungsarbeiten vermitteln die Beiträge in Sydow/Windeler 1994.

(4) vgl. Benz 1994 und den Sammelband von Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann 1990

(5) vgl. Ronge 1988, Schuppert 1995, Seibel 1992

(6) vgl. Hansen 1992, Picot/Reichwald 1991, Spaniol 1992

(7) in bezug auf die öffentliche Verwaltung vgl. Reinermann 1995

(8) Süddeutsche Zeitung v. 19.10.95, S. 27. Als derzeitiger Vorreiter beim elektronischen Datenaustausch wird die Automobilindustrie gehandelt. Die hier entwickelten Logistikkonzepte (Stichwort: "Just-in-time") bauen elementar auf der iuk-technischen Vernetzung zwischen Zulieferern und Automobilunternehmen auf (vgl. Sauer 1992).

(9) Kubicek (1992, 994f.) kommt auf der Grundlage seiner Systematisierung von Formen des "überbetrieblichen Informationsverbundes" zu einer ganz ähnlichen Bewertung.

(10) Zum Überblick vgl. die Beiträge in Page/Hilty 1994 und Engel 1994

(11) Kuhlmann (1986, 239f.) hat diesen Glauben an die Leistungsfähigkeit kommender Technikgenerationen als "Zukunftsargument" bezeichnet, mit dem sich die Planer über aktuelle Rückschläge und Irritationen hinwegzutrösten versuchen.

(12) Ein Aspekt der Führungsorientierung darf allerdings nicht vergessen werden: Die Versprechungen, mit Technik die Führungsarbeit zu unterstützen, kann einen wesentlichen Beitrag leisten, sich bei Technikprojekten die Unterstützung der Verwaltungsspitze zu sichern. Aus dieser Sicht heraus ist es äußerst rational, weiterhin das hohe Lied der Führungsinformationssysteme zu singen, auch wenn die Technikplaner selbst längst den Glauben daran aufgegeben haben, was sie natürlich nur hinter vorgehaltener Hand preisgeben.

(13) vgl. Sydow u.a. 1995, 33ff.

(14) vgl. Grunow/Hegner 1977, 66ff.

(15) vgl. Bayerische Staatsregierung 1995, 6ff.

(16) Ob und in welchem Maße es überhaupt zu einer abgesicherten informationellen Grundversorgung in Europa kommen wird, bleibt abzuwarten. Auf EU-Ebene existieren bislang lediglich einige allgemeingehaltene Prinzipien; Aussagen darüber, was die Grundversorgung beinhalten muß, wie sie flächendeckend gewährleistet und finanziert werden kann, stehen noch aus (vgl. Dräger 1995, 41f.).

(17) Frankfurter Rundschau v. 17.10.95, S. 13

(18) Haefner (1995) antwortet damit auf die Zukunftsvisionen des amtierenden Wissenschaftsministers Rüttgers (1995), beide Sichtweise sind von der Frankfurter Rundschau dokumentiert worden.

(19) vgl. Kubicek/Schmid/Wagner 1995. Zum "New Deal" ein aktueller Hinweis: Der US-Konzern AT&T hat Anfang November 1995 angekündigt, bis zum Jahr 2000 insgesamt 150 Millionen US-Dollar bereitzustellen, um amerikanische Schulen an den von der Clinton-Administration protegierten "information superhighway" anzubinden. In einer Stellungnahme des Vizepräsidenten, Al Gore, nachzulesen im World Wide Web-Service des Weißen Hauses (http://library.whitehouse.gov), heißt es: "President Clinton and I will continue to work in partnership with citizens, businesses, and state and local governments to ensure that we reach our national goal of technological literacy for all of our children. Nothing less than their success -- and our nation's -- is at stake."

Literatur

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Forschungsgruppe Verwaltungsautomation, Universität Gesamthochschule Kassel
Letzte Modifikation : August 96 Martin Wind