Post-Development in Practice
Wichtigste Forschungsfragen
- Was kann in den Kontexten Indien, Iran, Südafrika und Deutschland als "Alternative zur Entwicklung" betrachtet werden?
- Wie sehen alternative Konzepte und Praktiken aus, führen sie zu nachhaltigen Lebensgrundlagen, und (wie) laufen sie Gefahr, von Eliten als Ideologie instrumentalisiert zu werden?
- Was lässt sich aus einer vergleichenden Betrachtung lernen?
Abstrakt
Die Theorie und Praxis der "Entwicklung" bleibt einer engen modernistischen Vorstellung davon verhaftet, wie eine "gute" Gesellschaft aussehen sollte (Ziai 2016). Im Gegenzug bekräftigt das vorgeschlagene Projekt die Notwendigkeit eines "Entwicklungs"-Pluralismus (Nederveen Pieterse 2010) und die dringende Notwendigkeit, nicht-westliche, nicht-hegemoniale Alternativen zur Strukturierung von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft zu berücksichtigen und aufzuwerten: Post-Development-Alternativen. Das GPN-Projekt dient der Vorbereitung einer größeren Studie über nicht-westliche Alternativen zur "Entwicklung", ausgehend von Santos' Behauptung, dass "die Unermesslichkeit der Alternativen des Lebens, der Geselligkeit und der Interaktion mit der Welt weitgehend verschwendet wird, weil die im Globalen Norden entwickelten Theorien und Konzepte [...] sie nicht als gültige Beiträge zum Aufbau einer besseren Gesellschaft aufwerten" (Santos 2014:20). Der Kern des Projekts ist eine nähere und vergleichende Betrachtung nicht-westlicher Konzepte und Wissensbestände sowie nicht-westlicher wirtschaftlicher, sozialer und politischer Praktiken in Indien, Iran und Südafrika. Angesichts der Ambitionen der Agenda 2030, den Norden einzubeziehen und über den "kolonialen Blick" (Bendix 2017) hinauszugehen, wird das Projekt auch versuchen, nicht-hegemoniale Praktiken in Deutschland aufzudecken.
Ziele
Ziel des Projekts ist die Vorbereitung eines größeren Antrags, der im Januar 2022 bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingereicht werden soll. Das geplante DFG-geförderte Projekt wird die in den nächsten Monaten gemeinsam erarbeitete Agenda mit Hilfe von empirischen Komponenten in vier Ländern verfolgen. Die Forschungsergebnisse zu nicht-westlichen/nicht-hegemonialen Konzepten und Praktiken werden in das GPN-Netzwerk eingespeist und tragen so zum Aufbau nachhaltiger Forschungsbeziehungen zwischen den Mitarbeitern bei und liefern substanzielle Forschungserkenntnisse zur Partnerschaft in der Wissensproduktion und zu alternativem, d.h. nicht-hegemonialem, Wissen.
Umfang
Das geplante DFG-Projekt wird Ubuntu, Gharbzadegi, Eco-Swaraj und Degrowth als Beispiele für Alternativen zur "Entwicklung" untersuchen. Es wird diese als eine Reihe von Theorien, Strategien und Visionen identifizieren und analysieren, die alle von einer ähnlichen Kritik an "Entwicklung" als imperialem und hegemonialem Konstrukt ausgehen, das auf einer festen Logik der Kolonialität basiert, aber unterschiedliche Formen annehmen und in verschiedenen staatlichen und gesellschaftlichen Arenen entsprechend verschiedener epistemologischer und ontologischer Grundlagen praktiziert werden. Das Projekt soll den Stand der "Entwicklungstheorie" in zweierlei Hinsicht voranbringen: 1) Es bezieht empirische Beobachtungen aus bisher vernachlässigten geografischen Gebieten wie Südafrika und dem Iran ein. 2) Im Einklang mit der Agenda 2030 verschiebt es den Fokus auf "Entwicklung", um den Globalen Norden einzubeziehen, sowohl im Hinblick auf koloniale Hinterlassenschaften und die Ursachen von Ungleichheit und Armut als auch im Hinblick auf den deutschen/europäischen sozialen und politischen Aktivismus. Die aus dieser Forschung gewonnenen Erkenntnisse werden die vergleichende Theoriebildung unterstützen und eine Grundlage für die weitere Theoretisierung von Übergangsdiskursen und -praktiken im Allgemeinen bilden, wie sie von Kothari et al. (2019) angestrebt wird.
Literaturübersicht
Ausgehend vom Korpus der kritischen Entwicklungstheorie, der Post-Development- und der dekolonialen Literatur (Sachs 1992, Escobar 1995, 2020; Rahnema 1997, Gudynas 2018; Quijano 2017; Santos 2014; Ziai 2004, 2018, u.v.a.) leistet das Projekt einen Beitrag zur Diskussion, die zuletzt durch zwei Sammelbände geprägt wurde: "Pluriverse: A Post-Development Dictionary" (Kothari et al 2019) und "Postdevelopment in Practice" (Klein und Morreo 2018). "Pluriverse" bietet eine Fülle von Konzepten, Kosmovisionen und Praktiken, die die Utopie einer "Welt, in die viele Welten passen" im Gegensatz zum westlich geprägten Universalismus aufzeigen. Die Herausgeber unterscheiden zwischen "reformistischen Lösungen", die lediglich auf universelle Modelle und Konzepte abzielen, und dem, was sie als "transformative Initiativen" bezeichnen, die versuchen, ein Pluriversum von Alternativen zu entfalten. Obwohl die beschriebenen Alternativen aus allen Teilen der Welt stammen, haben sie grundlegende Gemeinsamkeiten in Bezug auf die Frage, was ein gutes Leben und Wohlergehen bedeutet: Einheit von Mensch und Nicht-Mensch, Gemeinschaft und Interdependenz, Souveränität und Selbstverwaltung. Sie alle kritisieren die Logik und die Auswirkungen des Anthropozäns, den (Neo)-Extraktivismus und den unkritischen Glauben an die euro-modernen Ideologien von Fortschritt und Wachstum. Der andere Band, "Postdevelopment in Practice", zielt darauf ab, sich kritisch mit den gegenwärtigen Postdevelopment-Aktivitäten auseinanderzusetzen und einen Überblick darüber zu geben. Die Herausgeber behaupten, dass Postdevelopment in der Praxis "mit dem Beharren darauf beginnt, dass eine anhaltende Vielfalt von Sozialitäten, eine Vielzahl von südlichen Kenntnissen und Natur/Kultur-Assemblagen und postkoloniale politische Ökonomien bereits existierende Alternativen aufzeigen" (Klein Morreo 2018: 8). Die vorbereitende Studie und die sich anschließenden größeren DFG-Projekte bauen auf diesen Versuchen auf und tragen empirische Belege dafür bei, inwieweit alternative Praktiken zu realisierbaren nachhaltigen Lebensgrundlagen geführt haben und/oder dies weiterhin tun. Beide Bände weisen darauf hin, dass es jenseits der klassischen Fälle Lateinamerikas (Buen Vivir, Zapatisten, afrokolumbianische Gemeinschaften) transformative Initiativen zu erforschen gibt - was das Projekt zu tun beabsichtigt.
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Methodik
Jede empirische Fallstudie wird von einem lokalen Forscher durchgeführt. Die vorbereitende Studie dient dazu, weitere relevante Akteure/Aktivisten/Bewegungen zu identifizieren, die in die weitere Forschung einbezogen werden sollen. Grundlegender Ausgangspunkt sowohl der vorbereitenden Studie als auch des anschließenden DFG-Projekts ist die Gewährleistung und Einübung einer dekolonialen, kollaborativen und horizontalen Forschungsethik, die nicht-extraktiv ist und nicht-akademische MitarbeiterInnen einbezieht. Die wichtigsten Methoden sind die Analyse von Dokumenten (zu Strategien und Programmen staatlicher und nichtstaatlicher Akteure), qualitative Interviews mit Vertretern dieser Akteure und teilnehmende Beobachtungen, um zu bewerten, ob die alternativen Praktiken zu nachhaltigen Lebensgrundlagen führen.
Erfolgskriterien
Einreichung eines DFG-Antrags für ein Forschungsprojekt "Towards a reinvention of development theory: comparing Post-Development concepts and practices" im Januar 2022.