SDGs from Below

Vollständiger Titel


SDGs von unten: Soziale Bewegungen, soziale Gerechtigkeit und Kulturen der Macht


Allgemeine Informationen


Koordinator des Projekts:
Dr. Rirhandu Mageza-Barthel (University of Kassel)


Hauptforschungspartner::
Dr. Patricia Northover (University of the West Indies)


Forschungsmitarbeiter:
Dr. Simone Claar (University of Kassel)
Dr. Frauke Banse (University of Kassel)


Schlüsselwörter:
Ziele für nachhaltige Entwicklung, soziale Bewegungen, Gerechtigkeit


Wichtigste Forschungsfragen

  • Bieten die SDGs ein Instrument für die Mobilisierung progressiver sozialer Bewegungen?
  • Inwieweit und auf welche Art und Weise vermitteln sie das Streben globaler sozialer Bewegungen, systemische Ungleichheiten im Streben nach einer gerechten Zukunft zu bekämpfen?

Abstrakt

"SDGs from Below" führt in die Frage der strategischen Zielorientierung und Politikgestaltung von unten nach oben im internationalen Kontext ein. Obwohl die 2030-SDG-Agenda weitreichende gesellschaftspolitische Ziele umreißt, werden sie oft von anderen Gerechtigkeitsforderungen sozialer Bewegungen abgekoppelt und leiden unter tiefen Spannungen mit den ökologischen Zielen, die sie angeblich fördern sollen. Wir behaupten, dass eine vergleichende, intersektionale und transnationale Linse erforderlich ist, um das stille Anderssein zu analysieren, das indirekt durch Debatten über diesen internationalen institutionellen Rahmen reproduziert wird. Wir wollen verstehen, wie globale soziale Bewegungen Nachhaltigkeitsdebatten beeinflussen und wie entstehende Gerechtigkeitsnarrative durch den SDG-Rahmen beeinflusst oder marginalisiert werden könnten.

 


Ziele

Soziale Bewegungen stehen seit langem an vorderster Front, wenn es um die Veränderung ungleicher sozialer, wirtschaftlicher und politischer Beziehungen geht. Als Kraft des Wandels bringen sie politische Konflikte und Herrschaftsverhältnisse ans Licht, die die bereits gespaltenen Gesellschaften weiter zu zerreißen drohen. Mit der Ankündigung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) als internationalem Rahmen, um die Nachhaltigkeit des Entwicklungsprojekts und eine Reihe der damit verbundenen Probleme anzugehen, wird eine neue globale Entwicklungsagenda einstudiert. Organisationen der Zivilgesellschaft beteiligen sich an der Umsetzung oder agieren in Kontexten, in denen die SDGs förmlich verabschiedet werden. Wie viele globale Rahmenwerke vor ihnen sind auch die SDGs umstritten: Einerseits werden sie als weitreichend gelobt, weil sie eine Vielzahl unterschiedlicher Ziele formulieren und als einzigartig universell gelten. Andererseits stellen ihre Unverbindlichkeit und ihre technischen Lücken eine große Herausforderung dar, wenn es darum geht, sicherzustellen, dass die darin festgelegten Ziele erreicht werden können. Letztlich sind sie zwar eine Einladung an zivilgesellschaftliche Akteure, aber in erster Linie ein staatliches Projekt, das zudem eng mit dem Privatsektor verwoben ist, um langfristig eine grüne Wirtschaft zu erreichen. Das Projekt befindet sich an der Schnittstelle aller drei Forschungscluster im GPN. Es geht um die Art und Weise, wie Entwicklungszusammenarbeit betrieben, die globale Wirtschaft hinterfragt und die Wissensproduktion problematisiert wird. Neben unseren sich überschneidenden Forschungsinteressen bringt jedes Teammitglied ein Fachgebiet mit, das einen Spezialbereich im Projekt bildet: Klassengerechtigkeit (Banse), Geschlechtergerechtigkeit (Mageza-Barthel), Rassengerechtigkeit (Northover) und sozial-ökologische Gerechtigkeit (Claar).

 


Umfang

In ihrer derzeitigen Form wurden die SDGs weder von unten verfasst, noch verändern sie die Diskurse oder die Politik im globalen Süden ausreichend. Wir argumentieren, dass die SDG-Agenda von den Prioritäten sozialer Bewegungen angeführt werden muss, um ihr transformatives Potenzial zu verwirklichen. Im Rahmen des Projekts soll untersucht werden, inwieweit die SDGs genutzt werden, um die Forderungen der sozialen Bewegungen in ihren lokalen und transnationalen Kämpfen zu formulieren. Es wird einen Vergleich verschiedener Kämpfe für soziale Gerechtigkeit, ihren Bezug zu den SDGs und ihren Beitrag zu deren Aneignung vornehmen. Die Hauptbereiche betreffen Geschlechtergerechtigkeit, Rassen- und Gleichstellungsgerechtigkeit, sozioökonomische Gerechtigkeit und ökologische Gerechtigkeit.

Das Projekt bezieht sich nicht auf einzelne SDG-Ziele und ihre Indikatoren, sondern betrachtet die SDGs als eine Reihe von Werten und Grundsätzen oder als einen Rahmen, der die globale Gleichheit und Gerechtigkeit fördern soll. Wir interessieren uns für transnationale Netzwerke und Allianzen, die eine bestimmte Agenda für soziale Gerechtigkeit verfolgen und sich entweder an dem SDG-Projekt auf globaler und/oder regionaler Ebene beteiligen oder es sich zu eigen machen. In diesen Netzwerken finden wir auch Mitgliedsorganisationen, die auf Länderebene aktiv sind, wo sie sich für diese spezifischen Ziele als Teil ihrer breiteren Kämpfe einsetzen.

 


Literaturübersicht

Die SDGs sind Gegenstand von Debatten in der Entwicklungsforschung und der internationalen Politik, im Finanzwesen und in sozialen Bewegungen, wo die verschiedenen Bereiche der 2030-Agenda kritisch diskutiert werden (siehe Debiel 2018). Das Spannungsverhältnis zwischen dem Potenzial der SDGs und ihrer möglichen Umsetzung prägt die Diskussion ebenso wie ihre Fallstricke und ihre Unfähigkeit, die globalen Beziehungen zu verändern (Brisset 2017; siehe auch Banse forthcoming). Als Werte und Prinzipien drücken sie einen Anspruch aus, der kaum erfüllt werden kann, aber eine wichtige Rolle bei der politischen Mobilisierung spielt (Finnemore und Jurkovich 2020). Internationale Rahmenwerke wie die SDGs werden salient, wenn sie auf nationaler Ebene angeeignet und in Diskurse sozialer Bewegungen übersetzt werden. Wenn soziale Bewegungen mit Anfechtungen konfrontiert sind, stoßen sie die Grenzen der akzeptierten Gerechtigkeitsdoktrinen weiter auf und fechten internationale Präzedenzfälle von unten nach oben an (Mageza-Barthel 2016). Gegenwärtig können wir eine wachsende Debatte über die Dimensionen der "Gerechtigkeit" beobachten, einschließlich der Frage nach den verschiedenen Formen der Gerechtigkeit und der Beziehungen, die im Rahmen von Verteilungs-, Anerkennungs-, Verfahrens- und "Fluchtgerechtigkeits"-Ansprüchen möglich sind (z. B. Davis et al. 2019; Moore und Patel 2018; Jenkins et al. 2016; Best und Hartman 2005).

Große Hindernisse für die Verwirklichung des transformativen Potenzials der SDGs liegen in ihren kolonialen Kontinuitäten (Ziai 2016) und dem Widerstand gegen etablierte Menschenrechtsnormen wie Rassen- und Geschlechtergleichheit, Menschen-, Indigenen- und Arbeitsrechte, die seit langem den Kern der Mobilisierung sozialer Bewegungen bilden (Beckles 2019; Shepherd und Reid 2019; Peet und Watts 2004; Sen 2019; Banse 2016). Für soziale Bewegungen, die versuchen, die SDG-Agenda von unten anzugehen, ist die undurchlässige Natur internationaler Organisationen und politischer Entscheidungsträger von Bedeutung, die auf globaler Ebene unveränderliche Machtasymmetrien reproduzieren. Sind die SDGs alte Ziele in einer neuen hegemonialen Hülle, die eine "Kolonialität der Macht" (Quijano 2000) oder sogar eine Politik der "elenden Schwärze" im Streben nach Entwicklung reproduzieren (Northover 2012)? Transnationale Klassen sind die Hauptverantwortlichen für diese Entwicklung im grünen Finanzwesen (Claar 2020). In langjährigen Bewegungen wie der Rassen-, der Arbeiter- oder der Frauenbewegung, in denen große Erfolge im Streben nach sozialer Gerechtigkeit durch politische Kämpfe erzielt wurden und die wichtige konzeptionelle Fortschritte hervorgebracht haben, könnten diese Standpunkte in der heutigen Zeit ausgehöhlt werden (siehe Cornwall und Rivas 2015; Mageza-Barthel 2019). Letztlich führt dies zu einer Unterordnung und Marginalisierung von Akteuren, Stimmen und Erfahrungen, was jede globale Agenda unvollständig und äußerst problematisch macht.

Banse, Frauke (forthcoming): "Private Sector Promotion for Development? An Analysis of German and European Development Policies in Africa". Berlin: Brot für die Welt.

Banse, Frauke (2016): "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing? Gewerkschaften in Ghana und Benin und die Förderung der Friedrich-Ebert-Stiftung". Kassel: Kassel University Press.

Beckles Hilary (2013): Britain’s Black Debt. Kingston: UWI Press.

Beckles, Hilary (2019): “The Reparations Movement: Greatest Political Tide of the 21st Century.” Social and Economic Studies, 68 (3&4):11-30.

Best, Stephen and Saidiya Hartman (2005): “Fugitive Justice.” Representations, 92 (1): 1-15.

Brisset, Nigel, (2017): “Sustainable Development Goals (SDG’s) and the Caribbean: Unrealizable Promises.” Progress in Development Studies 18(1): 18-35.

Claar, Simone (2020): “Green Finance and Transnational Capitalist Classes - Tracing Vested Capital Interests in Renewable Energy Investment in South Africa”. In: Journal für Entwicklungspolitik, The Global Political Economy of Green Finance and Socio-Ecological Transformation 37 (4-2020), 110-128.

Cornwall, Andrea, and Althea-Maria Rivas (2015): From ‘gender equality and ‘women’s empowerment’ to global justice. Reclaiming a transformative agenda for gender and development. In: Third World Quarterly 36 (2): 396–415.

Davis, Janae, Alex Moulton, Lei Van Snat and Brian Wiliama (2019): “Anthropocene, Capitalocene, … Plantationocene: A Manifesto for Ecological Justice in an Age of Global Crises.” Geography Compass: 1-15.

Debiel, Thomas (2018) (ed.): Entwicklungspolitik in Zeiten der SDGs Essays zum 80. Geburtstag von Franz Nuscheler. Institut für Entwicklung und Frieden. Duisburg/Bonn. Online: https://www.die-gdi.de/uploads/media/Entwicklungspolitik_in_Zeiten_der_SDGs_Web.pdf

Finnemore, Martha, and Michelle Jurkovich (2020): The Politics of Aspiration. In: International Studies Quarterly, 1–11. https://doi.org/10.1093/isq/sqaa052.

Jenkins, K. D. McCauley, R. Heffron, H. Stephan, R. Rehner (2016): Energy justice: a conceptual review, Energy Res. Soc. Sci. 11, 174–182.

Mageza-Barthel, Rirhandu (2016): Geschlechtergerechtigkeit unter postkolonialen und post-konflikt Bedingungen? In: Aram Ziai (ed.) Postkoloniale Politikwissenschaft: Theoretische und empirische Zugänge. Bielefeld: transcript Verlag, 131-149.

Mageza-Barthel, Rirhandu (2019): ‘Of Expectations and Surprises in South African-Chinese Gender Politics’, in International Feminist Journal of Politics, 21 (1), 144-150.

Müller, Franziska/ Claar, Simone (forthcoming): “Auctioning a ‘Just Energy Transition’? South Africa’s Renewable Energy Procurement Programme and its Implications for Transition Strategies.” In: Review of African Political Economy.

Northover, Patricia (2012). “Abject Blackness, Hauntologies of Development and the Demand for Authenticity – A Critique of Sen’s Development as Freedom”, Global South, 2012, 6 (1): 66-86.

Moore Jason and Raj Patel (2018): “Unearthing the Capitalocene: Towards a Reparations Ecology.” Accessed from: www.resilience.org/stories/2018-01-04/unearthing-the-capitalocene-towards-a-reparations-ecology/

Sen, Gita (2019): “Gender Equality and Women's Empowerment: Feminist Mobilization for the SDGs.” Global Policy 10 (S1): 28–38. https://doi.org/10.1111/1758-5899.12593.

Shepherd, Verene and Ahmed Reid (2019): “Women, Slavery and the Reparations Movement in the Caribbean.” Social and Economic Studies, 68 (3&4): 31-59.

Ziai, Aram (2016): Development Discourse and Global History: From Colonialism to the Sustainable Development Goals. Abingdon/New York: Routledge.


Methodik

Um zu analysieren, wie soziale Bewegungen sich um die SDGs herum mobilisieren oder sich von ihnen distanzieren, führen wir einen Forschungsprozess durch, der verschiedene Schritte/Methoden umfasst. Zu unseren methodologischen Überlegungen gehört die ethische Verpflichtung, die einschlägigen Vorschriften unserer Universitäten einzuhalten. Die empirische Forschung wird hauptsächlich durch qualitative Forschungsmethoden und mit digitalen Mitteln durchgeführt.

Das Forschungsprojekt beginnt mit einer Literaturrecherche, und wir werden ein Konzeptpapier verfassen, in dem die verschiedenen Gerechtigkeitsperspektiven und die Art und Weise, wie verschiedene soziale Bewegungen die Ziele der SDGs aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten, erörtert werden. Dies wird die Grundlage für einen Aufruf zur Einreichung von Beiträgen für eine Sonderausgabe bilden und einen Rahmen für die zwei geplanten Gruppendiskussionen im GPN-Netzwerk bieten, das eine einzigartige Ressource in Bezug auf die SDGs darstellt. Dazu gehören deren Agenda-Setting und Umsetzung, Gerechtigkeitsansprüche und Gleichheitsdimensionen sowie Finanzierungsmechanismen und materielle Auswirkungen. Ergänzt werden diese Gruppendiskussionen durch die Analyse von Dokumenten aus thematischen Überprüfungen der Agenda für nachhaltige Entwicklung. Wenn möglich, werden Reisen unternommen, um empirische Daten zu sammeln, sofern diese nicht digitalisiert sind, oder um Experten zum Thema zu befragen.


Erfolgskriterien

Auf der Grundlage des Konzeptpapiers soll das Projekt mit einer wissenschaftlichen Veröffentlichung, d.h. einer Sonderausgabe in einer international verbreiteten Zeitschrift, abgeschlossen werden. Ein mögliches weiteres Ergebnis wäre ein Finanzierungsvorschlag zur Ausweitung der Studie.