Die Bedeutung von Diversität und Inklusion für nachhaltige Unternehmen und Lieferketten

Die Organisation von Arbeit zum Wohle von Beschäftigten, gesellschaftlichen Stakeholdern und der natürlichen Umwelt ist von zentraler Bedeutung auf dem Weg zu einer nachhaltigen Wirtschafts- und Lebensweise. Eine wichtige Voraussetzung ist eine gute Betriebskultur, welche die Fähigkeit der Beschäftigten im Umgang mit Diversität und unterschiedlichen Zielparametern einer Organisation kennzeichnet.

Ein solches Diversity Management in Unternehmen setzt Vielfalt von Arbeitnehmer:innen zur besseren Erreichung wichtiger Unternehmensziele wie Resilienz, Betriebsklima und Wertschöpfung für Kund:innen und weitere Stakeholder ein. Eine Belegschaft, die hinsichtlich Alter, Geschlecht, Behinderung, ethnischer und sozialer Herkunft, Religion oder sexueller Orientierung heterogen ist, trägt nicht nur über das Prinzip der Inklusion zu sozialer Nachhaltigkeit bei. Sie wirkt auch über geeignete Managementansätze u. a. bei Rekrutierung, Teamzusammensetzung und Entlohnung positiv auf inner- und überbetriebliche Gerechtigkeit sowie Änderungsprozesse hin zu ökologischer Nachhaltigkeit.

Diversity Management

Arbeits- und organisationspsychologisch gesehen ist Diversity Management ein Ansatz, unterschiedliche Vorstellungswelten von Personen im Rahmen einer Umgangskultur effektiv zu nutzen, um psychologisch negative Rückkopplungen aufgrund von unterschiedlichen Denkweisen zu vermeiden. Im Rahmen des Graduiertenkollegs ist Diversity Management deshalb nicht allein hinsichtlich der bereits genannten Faktoren zu sehen, sondern wirkt auch innerbetrieblich oder zwischenbetrieblich auf Denkweisen oder Qualifikationen ein. Solche potentiellen Unstimmigkeiten und Reibungsverluste können zu hohen psychischen Belastungen und Unzufriedenheit in Belegschaften führen oder zu Problemen bei Gerechtigkeit oder Verteilung innerhalb von Unternehmen und entlang von Lieferketten. Der Ansatz ist hier, durch die Etablierung einer entsprechenden Umgangskultur ein konstruktives Miteinander zu generieren und damit Unternehmen und ihr Zusammenspiel resilienter und nachhaltiger zu machen. Gerade hinsichtlich des Zusammenspiels eines Unternehmens mit Lieferketten ist eine solche Umgangskultur für langfristige gerechte, ökologisch sensible und produktive Kooperation erforderlich.

Prozesse, Policies und Betriebskultur

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) soll Diskriminierung von Arbeitnehmer:innen verhindern, weshalb aktives Diversity Management aus betrieblicher Perspektive auch Schadensersatzrisiken minimiert. Die Integration einer diversen Belegschaft in betriebliche Managementsysteme muss sowohl auf Ebene der Prozesse und Policies als auch der Betriebskultur erfolgen. Die konkrete Umsetzung wird dabei oft durch Spannungen, Paradoxien und Inkonsistenzen zwischen diesen beiden Ebenen und der makroinstitutionellen Ebene (z. B. Gesetzgebung) erschwert. Eine aus systemischer Sicht anzustrebende Dissemination von inklusions-, gerechtigkeits-, und diversitätsfördernden Ansätzen entlang der Wertschöpfungskette über Praktiken des nachhaltigen Beschaffungs- und Lieferkettenmanagements stellt die Umsetzung vor weitere tiefgreifende Herausforderungen (Gold und Schleper, 2017).

Anerkennungskultur

Um diese Spannungen, Paradoxien und Inkonsistenzen aufzulösen, bedarf es einer, unterschiedliche Standpunkte motivierend aufnehmenden Umgangskultur, auch organisationsübergreifend in Lieferkettensystemen. Bekannt sind solche Umgangskulturen aus Organisationen, die mit hohem Risikopotential umzugehen haben und auf eine offene und flexible Kooperation der Belegschaft angewiesen sind (Sträter 2019). Eine Anerkennungskultur schafft die Voraussetzungen, nachhaltig agieren zu können, denn sie baut Voreinstellungen (Biases) ab und motiviert trotz Spannungen, Paradoxien und Inkonsistenzen. Durch Zusammenwirken von Diversity Management und Anerkennungskultur entsteht also überhaupt erst die Möglichkeit, eine Organisation in Richtung Nachhaltigkeit zu entwickeln und dabei Stoßkraft für die Transformierung der Wertschöpfungskette vom Rohmaterialproduzenten bis zum finalen Kunden hin zu Gerechtigkeit, Inklusion und Nachhaltigkeit zu entwickeln.

Mitbestimmung als Katalysator

Gerade die bereits institutionalisierte Beteiligung der Belegschaft im Rahmen der Mitbestimmung unter gewerkschaftlicher Begleitung über Transformationsräte, oder bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung, kann als Anker, Katalysator und gestaltende Kraft bei dieser Nachhaltigkeitstransformation fungieren. Die Etablierung einer diversen Belegschaft trägt direkt zum Nachhaltigkeitsziel 8 der Vereinten Nationen („Dauerhaftes, breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern“) sowie Nachhaltigkeitsziel 10 („Ungleichheit in und zwischen Ländern verringern“) bei. Im Sinne der Komplementarität aller SDGs kann Diversität, Gerechtigkeit und Inklusion zur Umsetzung weiterer Nachhaltigkeitsziele wie z.B. Verringerung des Ressourcenverbrauchs oder Verringerung der CO2 Emissionen (z.B. Nachhaltigkeitsziele 12 und 13) in Unternehmen und entlang von Lieferketten beitragen. Während diese Fragestellung in empirischer Forschung bisher kaum Beachtung gefunden hat, gibt es theoretische Ansätze, die beispielsweise „Anerkennung“ (Honneth 1992) der verschiedenen an der Wertschöpfung beteiligten bzw. betroffenen Gruppen als Weg für Unternehmen postulieren, sich im wahren Sinn für Menschen, Arbeitende sowie Umwelt zu engagieren (Gold/Schleper 2017). Für eine Transformation ganzer Sektoren hin zu mehr Nachhaltigkeit ist es zudem wichtig, dass unter Einbeziehung verschiedener Stakeholder Institutionen (Gesetze, Normen etc.) geschaffen werden, die eine Diffusion und Implementierung von Diversitätsmanagement und Achtsamkeitskultur in Betrieben überregional und entlang Lieferketten und Unternehmensclustern ermöglicht. Dies bezieht sich auf Nachhaltigkeitsziel 16, also die Schaffung von Frieden, Gerechtigkeit und starken Institutionen.

Nachhaltigkeitspraktiken innerhalb von Unternehmen und entlang der Lieferketten

Diese Zielsetzung bedarf eines interdisziplinären Ansatzes. Arbeitswissenschaftliche, psychologische und transdisziplinäre Methoden und Herangehensweisen helfen, die Gelingensbedingungen und Hürden der Etablierung von Diversität, Gerechtigkeit und Inklusion in Betrieben zu verstehen und die Wirksamkeit von organisatorischen Gestaltungen im Hinblick auf Nachhaltigkeitsziele nachzuweisen. Ansätze der nachhaltigkeitsorientierten Management- und Lieferkettenforschung tragen auf komplementäre Weise zur Untersuchung der Mechanismen der Diffusion und Integration von Nachhaltigkeitspraktiken in organisationale und lieferkettenübergreifende Managementstrukturen und -systeme unter Berücksichtigung von mikro- und makroinstitutionellen Bedingungen bei.

    Menschen über einen Tisch gebeugt.Bild: Sonja Rode_Lichtfang_ZLB_2022, cc

    Die Diffusion von sozialen wie ökologischen Nachhaltigkeitspraktiken innerhalb von Unternehmen (Gutierrez-Huerter O et al. 2020) und entlang von Lieferketten (Gold et al. 2020) ist gerade vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie, zunehmender Prekarisierung von Arbeit und globaler politischer Konflikte von herausragender praktischer Relevanz und ein Forschungsgebiet steigender Attraktivität (z.B. Trautrims et al. 2020). Gerade Managementpraktiken, die auf Diversität, Gerechtigkeit und Inklusion in Unternehmen und Lieferketten abzielen sind schwierig umzusetzen, da die Mitarbeiter:innen gleichermaßen Objekte und Akteure dieses Prozesses sind und Lieferkettenakteure oftmals mit paradoxen institutionellen Anforderungen konfrontiert sind. Auch ist bisher kaum erforscht, unter welchen Bedingungen diverse, gerechte und inklusive Wertschöpfung eine positive Kraft für andere Nachhaltigkeitsziele entwickelt, wie insbesondere mit Blick auf Ressourcenschonung, Klimaschutzes und dem Erhalt der Biodiversität untersucht werden könnte. Hier kann insbesondere auch die bestehende institutionelle Infrastruktur der Demokratisierung und Mitbestimmung der Belegschaft sowie des Tarifsystems und der gewerkschaftlichen Begleitung als Ausgangspunkt und Treiber für die Gestaltung der Nachhaltigkeitstransformation zentrale Beachtung finden. Gleiches gilt für Arbeitswissenschaft und Arbeits- und Organisationspsychologie. Es zeigt sich im Änderungsmanagement von Unternehmen immer wieder, dass wichtige Entwicklungsziele aufgrund innerbetrieblicher Reibungspunkte oder auch Inkonsistenzen im Zusammenspiel von unterschiedlichen Unternehmen zwar erkannt, aber nicht umgesetzt werden können (Sträter 2020). Ein auf Diversität und Anerkennungskultur basierender Ansatz wird deshalb derzeit für viele Fragestellungen der Arbeitsforschung thematisiert, sei es für Digitalisierung, Elektromobilität etc. (Sträter und Bengler 2019).

    Transdisziplinarität

    Ein wichtiger Faktor, der dort herausgestellt wurde, ist, dass für die Transformation eines Unternehmens zum Ort nachhaltiger Produktivität und sozialer Teilhabe innerbetriebliche Beteiligungsformate essenziell sind. Der zu entwickelnde transdisziplinäre methodische Ansatz baut deshalb auf einer konsequenten Beteiligung von betrieblichen, insbesondere gewerkschaftlichen Akteur:innen und Vertretungen oder Beauftragten auf und berücksichtigt zentral die Genderperspektive. Entwickelt wird dieser transdisziplinäre Ansatz durch wissenschaftlichen Transfer der Grundsätze des Diversität-Managements und Kombination dieser Grundsätze mit psychologischen Aspekten der Umgangskultur. Die Wirksamkeit dieser Kombination für eine gerechtere und reibungslosere Transformation von Unternehmen und Lieferketten wird im Graduiertenkolleg wissenschaftlich untersucht. Aufbauend auf den Ergebnissen werden Beteiligungsformate mit guter Umgangskultur innerhalb von Unternehmen und über Unternehmen hinweg entwickelt. Die Ergebnisse können in wichtigen Aspekten gewerkschaftlicher Arbeit wie der Mitbestimmung, Tarifpolitik, Gerechtigkeit genutzt werden, um Unternehmen und Lieferketten nachhaltiger zu gestalten.

    Promovierende des Graduiertenkollegs können Forschungsfragen im umrissenen Themenfeld wählen. Dabei können sie beispielsweise die institutionellen Spannungen zwischen betrieblichen, überbetrieblichen und makroinstitutionellen Ebenen untersuchen:

    • Trade-offs und Paradoxien zwischen der betrieblichen Prozess- und Kulturebene sowie zur Ebene der makroinstitutionellen Normsetzung (z.B. Gewerkschaften, Verbände, Gesetzgebung) bei der Umsetzung von Diversität, Gerechtigkeit und Inklusion in Unternehmen und Lieferketten Rolle von „Übersetzern“ (z. B. Betriebsräten), die den institutionellen Aushandlungsprozess anführen, für den Transfer von Praktiken des Diversity Management oder transdisziplinären Ansätzen
    • Ansätze zur Integration und Konsolidierung institutioneller Spannungen zu einem effektiven Transformationsprozess

    Eine andere beispielhafte Ausrichtung fokussiert die Diffusion von Prinzipien von Diversität, Gerechtigkeit und Inklusion entlang von Lieferketten:

    • Macht-theoretische sowie institutionentheoretische Analyse der Diffusion von Prinzipien von Diversität, Gerechtigkeit und Inklusion entlang von Lieferketten unter besonderer Berücksichtigung von ökologischer Nachhaltigkeit als zusätzlicher Zieldimension
    • Rolle von Artefakten (Plakate, Maschinen, Narrative) als sinngebende Elemente im Diffusionsprozess

    Schließlich kann zum Beispiel auch die Verschränkung sozialer und ökologischer Nachhaltigkeitsziele näher untersucht werden:

    • Analyse, inwieweit Diversität in der Belegschaft für die Erreichung anderer Nachhaltigkeitsziele (wie Senkung des Ressourcenverbrauchs) förderlich oder vielleicht hinderlich ist
    • Potential gelebter Anerkennungskultur zur Beschleunigung der zeitlichen Entwicklungen in Richtung Nachhaltigkeit vor dem Hintergrund der starken Dringlichkeit des Nachhaltigkeitstransformationsprozesses
    • Methoden zur Entwicklung von Anerkennungskultur und/oder zur Überprüfung des Reifegrades von Anerkennungskultur

    Literatur

    Gold, S., Chesney, T., Gruchmann, T., Trautrims, A. (2020) Diffusion of labor standards through supplier–subcontractor networks: An agent-based model. Journal of Industrial Ecology, 24 (6), 1274-1286.

    Gold, S., Schleper, M.C. (2017) A pathway towards true sustainability: A recognition foundation of sustainable supply chain management. European Management Journal, 35 (4), 425-429.

    Gutierrez-Huerter O, G., Moon, J., Gold, S., Chapple, W. (2020) Micro-processes of translation in the transfer of practices from MNE headquarters to foreign subsidiaries: The role of subsidiary translators. Journal of International Business Studies, 51 (3), 389-413.

    Honneth, A. (2010) Kampf um Anerkennung: Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte. Suhrkamp (6. Auflage).

    Straeter, O. (2019) Hrsg. Risikofaktor Mensch? - Zuverlässiges Handeln gestalten. Beuth Verlag.

    Sträter, O. (2020) Achtsamkeit und Fehlerkultur als notwendige Sicherheitsleistung, Die Bedeutung der Entwicklung einer Hochzuverlässigkeitsgemeinschaft für den sicheren Betrieb eines Endlagers. In: Brohmann, B., Brunnengräber, A. & Hocke-Bergler, P. & Losada, A. M. I. (Hrsg.) Robuste Langzeit-Governance bei der Endlagersuche, Soziotechnische Herausforderungen im Umgang mit hochradioaktiven Abfällen. Transcript, Bielefeld. (ISBN 978-3-8376-5668-8)

    Sträter, O., Bengler, K. (2019) Positionspapier Digitalisierung der Arbeitswelt. Zeitschrift für Arbeitswissenschaft, 73, 252–260. Springer.

    Sträter, O. (2022). Rechtzeitige arbeitswissenschaftliche Planung zur Vermeidung psychischer Belastung. ASU - Zeitschrift für medizinische Prävention, https://doi.org/10.17147/asu-1-161076

    Trautrims, A., Schleper, M.C., Cakir, M.S., Gold, S. (2020) Survival at the expense of the weakest? Managing modern slavery risks in supply chains during COVID-19. Journal of Risk Research, 23 (7-8), 1067-1072.

    Wannags, L.L., Gold, S. (2022) The Quest for Low-Carbon Mobility: Sustainability Tensions and Responses When Retail Translates a Manufacturer’s Decarbonization Strategy. Organization and Environment, 35 (2), 202-232.