Die Hellenisierung des frühen Christentums und ihre Folgen für die europäische Identität

Projektverantwortlicher: Paul-Gerhard Klumbies


Im religiös gesättigten Mittelmeerraum breitet sich in rasantem Tempo im 1. und 2. Jahrhundert das Christentum als eine neue Religion aus. Die neue Religion implantiert ihre Glaubensüberzeugungen in die unterschiedlichen Regionalreligionen und –kulturen des römischen Reichs. Ihren Ausgangspunkt nimmt sie im Kernland Israels und fasst von dort aus in ganz Palästina und Syrien Fuß. Sie greift auf Zypern und Kleinasien über, nimmt ihren Weg über Makedonien und Griechenland nach Westen und ist bereits in den vierziger Jahren des ersten Jahrhunderts in Rom etabliert. In südlicher Richtung greift sie in kürzester Zeit nach Ägypten über. In einer Wechselbeziehung aus Inkulturation und Akkulturation entwickelt sich eine Vielzahl unterschiedlich geprägter lokaler Christentümer. Auf dem Boden der alttestamentlich-jüdischen Religion entsteht im Zuge eines Verschmelzungsprozesses eine auf den Juden Jesus aus dem galiläischen Nazareth ausgerichtete, hellenistisch geprägte und in ihren Schriftzeugnissen in griechischer Sprache dokumentierte neue Religion. Auf dem Gebiet der Religion wiederholt sich die Geburt Europas aus dem Orient.
Insbesondere auf dem Weg über das wirkungsgeschichtlich einflussreiche Lukasevangelium und die Apostelgeschichte findet eine breite Rezeption hellenistisch-römischer Denktraditionen statt, die auf diese Weise Eingang in das Jesusbild und die christliche Religion gefunden haben. Bis in die Gegenwart hinein sind die vom christlichen Glauben geprägten Gesellschaften Europas in ihrer Anthropologie und Ethik, ihrer Rationalität und ihrem Zeitverständnis von dieser Synthese geprägt.
Daraus ergibt sich zum einen die Frage, inwieweit in der Gegenwart eine Anknüpfung an geistige Traditionen der hellenistisch-römischen Ära, also ein Rekurs über die Epoche des Christentums hinaus erfolgt. Zum anderen zu fragen, welche Folgen das im Zuge fortschreitender Säkularisierung und schwindender Prägekraft des christlichen Glaubens festzustellende Zerbrechen der lukanischen Synthese von Hellenismus und Christentum für die künftige Gesellschaftsgestaltung in Europa nach sich zieht.

Stand: 24. August 2008