Das Projekt Professionalisierung durch Vernetzung (PRONET) zielt auf noch mehr Qualität in der Lehrerbildung an der Uni Kassel

INTERVIEW Marieke Schmidt

FOTOS Paavo Blåfield, Marieke Schmidt

Die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern an der Uni Kassel ist schon jetzt sehr gut, aber sie soll noch besser werden. Die Uni erhält dafür 5,6 Millionen Euro aus der bundesweiten „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ für das Projekt PRONET. Aber was bedeutet das konkret für die Studierenden? Darüber sprach die publik mit Prof. Dr. Dorit Bosse und Prof. Dr. Frank Lipowsky, die das Projekt gemeinsam leiten.

Worum geht es im Projekt PRONET? Bosse: Wir möchten unsere Lehrerbildung weiter fortentwickeln – angesichts der Anforderungen, die Schule heute an Lehrerinnen und Lehrer stellt. Durch die Mittel aus der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ von Bund und Ländern haben wir dafür jetzt ganz andere Möglich keiten, Lehrangebote an verschiedenen Stellen noch systematischer weiterzuentwickeln. Hierzu gehört zum Beispiel das große Thema Inklusion, aber auch Diagnostik. Jetzt erhalten unsere Studierenden zum Beispiel Angebote für sprachsensiblen Fachunterricht oder Mehrsprachigkeit.

Lipowsky: Ein großes Thema bei PRONET ist die Vernetzung. Darunter fallen zum Beispiel die Vernetzung von Fachwissenschaften, Fachdidaktiken und Bildungswissenschaften in der Lehre und Kooperationen, die das Referendariat und die Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften betreffen. 

Weshalb halten Sie diese Vernetzungen für wichtig? Bosse: Wenn eine Lehrkraft mit einer Schülergruppe zusammenarbeitet, ist sie gefordert, alles miteinander zu verbinden, was sie an der Universität oder in der letzten Lehrerfortbildung gelernt hat. Es geht im Unterricht nicht nur um eine fachlich korrekte Darstellung und Erarbeitung von Inhalten, sondern auch um eine konstruktive Unterstützung

und Aktivierung der Lernenden. Es wird also unmittel bar deutlich, dass die Lehrkraft stets unterschiedliche Kompetenzen aus den Bereichen Bildungswissenschaften, Fachdidaktik und Fachwissenschaften integrieren muss. Im Rahmen von PRONET fangen viele Dozentinnen und Dozenten jetzt an, ihre Veranstaltungskonzepte gemeinsam zu entwickeln. Das ist beileibe keine Selbstverständlichkeit und erfordert Koordination und thematische Abstimmung. 

Haben Sie Rückmeldungen darüber, ob die Studierenden diesen Unterschied bemerken?

Lipowsky: Wir können hier auf Daten aus unserem letzten

Lehramtssurvey zurückgreifen. Das Fach Physik pflegt diese

Vernetzung zwischen Fachwissenschaft und Fachdidaktik schon seit längerem. In der Lehramtsbefragung war dann deutlich zu erkennen, dass die Physik studierenden die Vernetzung von Fachwissenschaft und Fachdidaktik deutlicher wahrnahmen und positiver bewerteten als Studierende anderer Fächer.

Könnten Sie ein PRONET-Projekt aus Ihrer eigenen Praxis kurz vorstellen?

Bosse: Bei PRONET laufen aktuell 44 Teilprojekte. Es gibt zum Beispiel im Rahmen der „Reflexiven Praxisstudien“ ein Teilprojekt, in dem wir für Lehramtsstudierende mit dem ePortfolio eine digitale Lernumgebung entwickeln, die einen reflexiv ausgerichteten Aufbau von Kompetenzen bis ins Referendariat ermöglicht. Dazu arbeiten wir mit typischen Unterrichtsszenen, entweder in Form von Unterrichtsmitschnitten aus unserem Videoportal „Unterricht unter der Lupe“ oder mit textbasierten

Fallvignetten aus dem „Online Fallarchiv“.  Wir schauen uns zum Beispiel die ersten Minuten einer Unterrichtsstunde an und erarbeiten dann gemeinsam Kriterien für einen guten Unterrichtseinstieg. Eigene Erfahrungen mit Unterricht als Schüler oder als Praktikant fließen ebenso mit ein wie Forschungsergebnisse zu effektivem Unterricht. Hieran erkennt man drei Dinge: Wir regen unsere Studierenden verstärkt zur Reflexion und Selbstreflexion an, wir holen die Praxis medial vermittelt an die Uni und wir schaffen durch das Arbeiten mit Medien wie dem ePortfolio eine nachhaltige Infrastruktur, die zu Diskussion und Austausch einlädt. Dabei helfen uns die PRONET-Mittel.

Können die Studierenden aus dem Lehrveranstaltungsverzeichnis gezielt PRONET-Projekte auswählen?

Lipowsky: Wir kennzeichnen die Lehrveranstaltungen und Lernumgebungen, die Teil von PRONET sind, nicht explizit. Dass sich die Studierenden in einer PRONET-Veranstaltung befinden, bemerken sie aber vielleicht daran, dass sie im Rahmen der Veranstaltung befragt werden oder dass die Dozenten darauf verweisen. Die Befragungsdaten benötigen wir für die Meta-Evaluation von PRONET. Wir untersuchen unter anderem die Entwicklung der Studierenden über das ganze Studium und prüfen, ob sich der Besuch von PRONET-Veranstaltungen in besonderer Weise auf die Entwicklung von Kompetenzen auswirkt. Dabei versuchen wir, den Befragungsaufwand für die Studierenden und die Lehrenden in Grenzen zu halten.

Binden Sie die Studierenden auch aktiv in die Evaluation ein? Bosse: Wir haben die Möglichkeit, Studierende in den verschiedenen Teilprojekten in Forschungsvorhaben miteinzubeziehen. Mit Blick darauf, dass die Studierenden später als Lehrkräfte immer auch interne oder externe Evaluationen an ihren Schulen durchführen müssen, ist das wichtig.

Welche Herausforderungen sehen Sie für die nächsten Projektphasen?


Lipowsky: Es ist ein ambitioniertes Vorhaben, das wir verfolgen und das vor uns liegt. Was Abstimmung, Vernetzung und Kohärenz betrifft, bemerken wir bereits, dass vieles in Bewegung ist und dass Lehrende neue Kooperationen eingehen, was ganz im Sinne unseres Mottos ist. Die drei Treffen, die wir bislang durchgeführt haben und an denen jeweils ca. 70 PRONET-Mitarbeitende teilgenommen haben, sind ein sichtbares Zeichen für diese verstärkte Kooperation und Kommunikation im Bereich der Lehrerbildung. Aber wir haben das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Die Kasseler Lehrerbildung ist schon sehr gut – aber da, wo es möglich ist, möchten wir uns noch weiter entwickeln und verbessern.