Die Textilfabrik Fröhlich und Wolff

 

Betriebs-Chronik der Textilfabrik Fröhlich und Wolff

 

Verfasser : Heiko Schätzlé

 

Die Chronik basiert größtenteils auf:

Mitteilungsblatt für die Stadt Hessisch Lichtenau 26.11.1999

Verein für Hessische Geschichte und Landeskunde e.V

Zweigstelle Hessisch Lichtenau „Industrialisierung in Hessisch Lichtenau“

 

Ergänzungen anhand weiterer Quellen sind im Text eingerückt.

 

 

1867 Gründung der Firma Fröhlich & Wolff in Kassel durch Salomon Fröhlich und Simon Wolff in Form einer OHG als mechanische Segeltuchweberei.

Die beiden - miteinander verschwägerten - Juden waren 1850 aus Rexingen (Baden) nach Kassel gekommen und hatten ihr Handwerk in dem Leinengeschäft von Sigmund Aschrott und die Grundlagen der aufkommenden modernen Textilfabrikation( Segeltuchweberei) erlernt.

            Die Firma war 1867 in Kassel gegründet worden; zunächst als mechanische Segeltuch-, Leinen-, Drill- und 

            Baumwollspinnerei, später kamen u.a. mit der Motorisierung und den Aufträgen fürs Militär eine

            Kabelcordzwirnerei, Reifencordweberei, Näherei, Färberei, Zelt-, Planen- und Markisenfabrikation hinzu.

            (Espelage)

  

1907 Verlegung des größten Teils der Firma nach Hessisch Lichtenau, wo in der Nähe des Güterbahnhofs billiges Bauland zur Verfügung stand und die nahegelegenen Braunkohlenzechen Glimmerode und Hirschberg genutzt werden konnten.

            Adresse : Leipziger Straße 100-103, 37235 Hessisch-Lichtenau (NINO)

 

Weitere günstige Voraussetzung für den neuen Standort: Lichtenau war bis ins 19. Jh. ein Zentrum der Leineweberei und des Leinenhandels durch die beiden Kaufhäuser Reimann und Schirmer. Zeitweise waren 17,4 % der städtischen Handwerker Leineweber, die Produktion des handgewebten Leinens betrug im 18. Jh. das 14fache gegenüber Eschwege und 1807/08 immer noch das 6fache!

            Daß man in Hessisch Lichtenau und Umgebung auf Arbeitskräfte mit textiler Tradition zurückgreifen

            konnte, dürfte kaum ein Grund für die Errichtung der Fabrik in Hessisch Lichtenau gewesen sein.

            Entscheidend war die günstige Verkehrslage und daß man geringere Löhne als in Kassel zahlen konnte. Die

            Fabrik entstand an der Leipziger Straße dicht beim oberen Bahnhof (damals Hauptbahnhof genannt) der

            Kassel-Waldkappler Eisenbahn, mit der sie durch ein Anschlußgleis verbunden wurde.“ (Heyner)

 

            Noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte fast in jedem Lichtenauer Haus ein Webstuhl

            geklappert. Die Industrialisierung hatte mit ihren mechanischen Webstühlen diesen einst für die Lichtenauer

            Bürger so wichtigen Erwerbszweig nach 1850 verdrängt. Es kann darüber spekuliert werden, ob die Firma

            Fröhlich & Wolff in Hess. Lichtenau vor allem Arbeitskräfte mit „textiler Tradition" oder Billigarbeiter in

            einer wirtschaftlich armen Gegend suchte, denen weniger Lohn zu zahlen war als in der Industriestadt

            Kassel.“ (Espelage)

 

1907 - 1912 war um die Fabrik, die 1908 ihren Betrieb eröffnet hatte, eine Riesenbaustelle - Wohnhäuser entstanden zunächst in der heutigen Richard-Wolff-Straße, weitere in der Heinrichstraße und in der Bürgermeister-Peter-Straße. In den 20er Jahren folgten noch 24 Häuser in der Fröhlich-Straße, der Leipziger Straße und in der Rexinger Straße. Zuzug von Arbeitskräften kam vor allem aus Thüringen, insgesamt zählte man 880 Personen.

 

1911 starb Kommerzienrat Salomon Fröhlich, und sein Sohn Otto Fröhlich trat in die Firma als Mitinhaber ein, der andere Inhaber war Dr. Richard Wolff, Stadtverordneter in Hessisch Lichtenau bis 1924 (er starb 1936)

 

1933 beschäftigt Fröhlich & Wolff 1.432 Personen - Lichtenau hat zur selben Zeit 2.800 Einwohner.

            Zum selben Zeitpunkt (1935) resümierten die Prüfer der Haushaltsrechnung: „Wirtschaftlich kann Hess.

            Lichtenau zum größten Teil als Industriegemeinde angesprochen werden. Neben einigen dem Baugewerbe

            angehörigen Betrieben ist als Hauptunternehmen eine Weberei hervorzuheben mit einer Belegschaft von

            1000-1200 Köpfen." (Espelage)

 

1936 starb Dr. Richard Wolff.

 

1938 Arisierung der Firma Fröhlich & Wolff: Verkauf an Frau Henschel, deren Sohn Karl Anton dann den Betrieb übernahm. Neuer Name: Textilwerke Karl Anton Henschel.

 

1948 wurde der Betrieb an die ehemaligen jüdischen Eigentümer wieder zurückgegeben - als Gegenleistung erhielt Henschel 15 % der Kaufpreissumme.

Otto Fröhlich, der 1938 sein gesamtes Vermögen verloren hatte und in die USA emigriert war, starb später in England - sein Sohn und seine drei Töchter leben in den USA.

Die Interessen von Fröhlichs Erben in der GmbH werden von Hans Fröhlich, dem Sohn von Bruno Fröhlich, vertreten.

Die Frau von Dr. Richard Wolff, geb. Lefövre, starb 1967. Erben sind ihre Tochter und Dr. Richard Borg-Wolff.

 

            „Der Einsatz von Kunststoffen erschloß weitere Märkte, so daß die Betriebe Zwirnerei und Fadenveredelung

            heute mit kontinuerlichen Wachstumsraten rechnen können, und das Unternehmen auch auf diesem Sektor

            zu einer Spitzenposition an europäischen Markt aufrücken konnte.

            Intensive Entwicklungsarbeit sichern das über Jahre hinweg gewonnene „know how". Das Artikelsortiment

            dieses Geschäftsbereiches „Technische Fäden" umfaßt heute technische Garne und Zwirne für

            Spezialschläuche, Kabelcorde für Keilriemen, Reifencorde, sowie kunststoffummantelte Zwirne für

            Siebgewebe in verschiedenen Industriezweigen.

            Die Firma Fröhlich & Wolff genießt mit dem Artikelsortiment beider Geschäftsbereiche einen

            ausgezeichneten Ruf weit über die Grenzen unseres Landes hinaus.“ (Verlagsbeilage HNA)

 

 

1989 wurde die Weberei der Firma Fröhlich & Wolff geschlossen, F + W gründete nun die Tochter F + W Verbundtechnik, in der die Firma seit 1990 mit zwei modernen Fadenpräpärationsanlagen u. a. auch optische Kabel produzierte. Der Zusammenbruch der Ostmärkte - 50 - 60 % der Produktion des Werkes ging ins Ausland, davon etwa 25 % in den Osten, traf das Lichtenauer Unternehmen schwer.

 

1992 feierte das Werk sein 125jähriges Bestehen - seine Produktpalette konnte sich sehen lassen: Zelt- und Schwerkonfektion (Haus-, Steilwand- und Wohnwagenzelte, Abdeckplanen und Großzelte), technische Corde für Fahrrad- und Autoreifen, technische Fäden (technische Garne und Schläuche, Kabelcorde für Keilriemen - die Reifencordproduktion wurde 1977 stillgelegt.

 

1993 kam es zu einer Firmenfusion mit der Mehler AG in Fulda, einem bisherigen Konkurrenten - F. + W. wurde selbständige Tochterfirma. Jetzige Firmenbezeichnung: Mehler Engirteered Products GmbH - Schwerpunkt der Produktion: Corde für Keilriemen.

                Seit 1993/1994 produzierte die Fa. Mehler auf dem Gelände ("Textile Festigkeitsträger für die Kautschuk

verarbeitende Industrie"). Heute angeblich Druckerei im Gebäude. (NINO)

 

 

 

 

 

Quellen:

 

Mitteilungsblatt für die Stadt Hessisch Lichtenau 26.11.1999

Verein für Hessische Geschichte und Landeskunde e.V

Zweigstelle Hessisch Lichtenau „Industrialisierung in Hessisch Lichtenau“

 

Georg Heyner, Hessisch Lichtenau von 1890 bis 1918 aus 700 Jahre Hessisch Lichtenau

Hrsg. Stadt Hessisch Lichtenau, 1869

Seite 130 – 133

 

Gregor Espelage, „Friedland“ bei Hessisch Lichtenau

Geschichte der Stadt Hessisch Lichtenau

Hessisch Lichtenau, 1992

Seite 18 – 20 „Die Textilfabrik Fröhlich & Wolff“

 

Heimatfest Hessisch Lichtenau vom 16.-25.August 1975

VERLAGSBEILAGE HNATradition verpflichtet: Seit 1867 Fröhlich & Wolff ein Unternehmen von weltweitem Ruf“

 

NINO Standorte

 

 


Orignaltexte aus den Quellen :

 

  1. NINO-Standorte
  2. Mitteilungsblatt für die Stadt Hessisch Lichtenau 26.11.1999
  3. Georg Heyner, Hessisch Lichtenau von 1890 bis 1918
  4. Gregor Espelage, „Friedland“ bei Hessisch Lichtenau, Geschichte der Stadt Hessisch Lichtenau (1907 – 1935)
  5. Gregor Espelage, „Friedland“ bei Hessisch Lichtenau, Geschichte der Stadt Hessisch Lichtenau (1938 – 1948)
  6. Heimatfest Hessisch Lichtenau 16.-25.August 1975
  7. HNA Lossetal-Gelstertal vom 28.07.2007

 


Quelle : NINO Standorte

 

Standort-Nummer 520

Adresse : Leipziger Straße 100-103, 37235 Hessisch-Lichtenau

 

1867 in Kassel als Verlagsunternehmen gegründet. Später eigenes Fabrikgebäude an der Wolfhager Straße (1903 Belegschaft von 500 Arbeitern). Segeltuche, farbige Baumwolltuche für Koffer und Schuhe. 1907 nach HeLi gegangen. 1990 wurde Produktion aufgegeben.

 

Seit 1993/1994 produzierte die Fa. Mehler auf dem Gelände ("Textile Festigkeitsträger für die Kautschuk verarbeitende Industrie"). Heute angeblich Druckerei im Gebäude.

 

Außenfassade ist erhalten geblieben, Technik wurde erneuert.

 

 

Quelle : Mitteilungsblatt für die Stadt Hessisch Lichtenau 26.11.1999

Verein für Hessische Geschichte und Landeskunde e.V

Zweigstelle Hessisch Lichtenau

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Industrialisierung in Hessisch Lichtenau

 

Wilhelm Rasbieler hatte zu einem weiteren stadtgeschichtlichen Gesprächsabend" eingeladen und als Thema die Firma Fröhlich und Wolff ausgewählt, mit der die Industrialisierung des Ackerbürgerstädtchens eng verbunden ist. Einige ältere Lichtenauer, die der Einladung gefolgt waren, wußten sich gut an den Betrieb zu erinnern,. in dem sie z. T. längere Zeit gearbeitet hatten.

Wilhelm Rasbieler legte zunächst die Zusammenhänge dar, in denen die Gründung des Werkes in Hessisch Lichtenau im Jahre 1907 zu sehen ist.

 

1867 Gründung der Firma Fröhlich & Wolff in Kassel durch Salomon Fröhlich und Simon Wolff in Form einer OHG als mechanische Segeltuchweberei.

Die beiden - miteinander verschwägerten - Juden waren 1850 aus Rexingen (Baden) nach Kassel gekommen und hatten ihr Handwerk in dem Leinengeschäft von Sigmund Aschrott und die Grundlagen der aufkommenden modernen Textilfabrikation( Segeltuchweberei) erlernt.

 

1907 Verlegung des größten Teils der Firma nach Hessisch Lichtenau, wo in der Nähe des Güterbahnhofs billiges Bauland zur Verfügung stand und die nahegelegenen Braunkohlenzechen Glimmerode und Hirschberg genutzt werden konnten. Weitere günstige Voraussetzung für den neuen Standort: Lichtenau war bis ins 19. Jh. 'ein Zentrum der Leineweberei und des Leinenhandels durch die beiden Kaufhäuser.Reimann und Schirmer. Zeitweise waren 17,4 % der städtischen Handwerker Leineweber, die Produktion des handgewebten Leinens betrug im 18. Jh. das 14fache gegenüber Eschwege und 1807/08 immer noch das 6fache!

(Trotz der Bemühungen von Bürgermeister Peter und des positiven Votums der Stadtverordneten regte sich aber Widerstand von seiten einiger Lehrer, die ihre Grundstücke in Gefahr sahen!)

 

1907 - 1912 war um die Fabrik, die 1908 ihren Betrieb eröffnet hatte, eine Riesenbaustelle - Wohnhäuser entstanden zunächst in der heutigen Richard-Wolff-Straße, weitere in der Heinrichstraße und in der Bürgermeister-Peter-Straße. In den 20er Jahren folgten noch 24 Häuser in der Fröhlich-Straße, der Leipziger Straße und in der Rexinger Straße. Zuzug von Arbeitskräften kam vor allem aus Thüringen, insgesamt zählte man 880 Personen.

 

1911 starb Kommerzienrat Salomon Fröhlich, und sein Sohn Otto Fröhlich trat in die Firma als Mitinhaber ein, der andere Inhaber war Dr. Richard Wolff, Stadtverordneter in Hessisch Lichtenau bis 1924 (er starb 1936)

Kalk- und Freischützbrunnen wurden in diesem Jahr zur Wasserversorgung herangezogen, da die Wassernot zu groß war.

 

1915 wurde die Losse von der Brücke an der Richard-WolffStraße von Fröhlich & Wolff eingefaßt.

 

1912 bereits eine Fabrikfeuerwehr eingerichtet. Bevor das Elektrizitätswerk Rommerode am 1. April 1913 das städtische Ortsnetz in Betrieb nahm, gab es schon einen eigenen Generator von Fröhlich & Wolff.

 

1917 feierte die Firma Fröhlich & Wolff ihr 50jähriges Bestehen, im gleichen Jahr heiratete Dr. Richard Wolff Gertrud Lefevre.

In der Weimarer Republik gab es in der Krisenzeit von 1923/ 24 Spannungen zwischen Magistrat und Fröhlich & Wolff wegen der steigenden Zahl von Arbeitslosen - der Magistrat sah den weiteren Zuzug von Ortsfremden nicht gern. Anwachsen der Kommunisten. 1930 wird ein Streik, bei dem es um 20 % Lohn bei Fröhlich & Wolff ging, beigelegt.

 

1933 beschäftigt Fröhlich & Wolff 1.432 Personen - Lichtenau hat zur selben Zeit 2.800 Einwohner.

 

1936 starb Dr. Richard Wolff.

 

1938 Arisierung der Firma Fröhlich & Wolff: Verkauf an Frau Henschel, deren Sohn Karl Anton dann den Betrieb übernahm. Neuer Name: Textilwerke Karl Anton Henschel.

 

1948 wurde der Betrieb an die ehemaligen jüdischen Eigentümer wieder zurückgegeben - als Gegenleistung erhielt Henschel 15 % der Kaufpreissumme.

Otto Fröhlich, der 1938 sein gesamtes Vermögen verloren hatte und in die USA emigriert war, starb später in England - sein Sohn und seine drei Töchter leben in den USA.

Die Interessen von Fröhlichs Erben in der GmbH werden von Hans Fröhlich, dem Sohn von Bruno Fröhlich, vertreten.

Die Frau von Dr. Richard Wolff, geb. Lefövre, starb 1967. Erben sind ihre Tochter und Dr. Richard Borg-Wolff.

 

1989 wurde die Weberei der Firma Fröhlich & Wolff geschlossen, F + W gründete nun die Tochter F + W" Verbundtechnik, in der die Firma seit 1990 mit zwei modernen Fadenpräpärationsanlagen u. a. auch optische Kabel produzierte. Der Zusammenbruch der Ostmärkte - 50 - 60 % der Produktion des Werkes ging ins Ausland, davon etwa 25 % in den Osten, traf das Lichtenauer Unternehmen schwer.

 

1992 feierte das Werk sein 125jähriges Bestehen - seine Produktpalette konnte sich sehen lassen: Zelt- und Schwerkonfektion (Haus-, Steilwand- und Wohnwagenzelte, Abdeckplanen und Großzelte), technische Corde für Fahrrad- und Autoreifen, technische Fäden (technische Garne und Schläuche, Kabelcorde für Keilriemen - die Reifencordproduktion wurde 1977 stillgelegt.

 

1993 kam es zu einer Firmenfusion mit der Mehler AG in Fulda, einem bisherigen Konkurrenten - F. + W. wurde selbständige Tochterfirma. Jetzige Firmenbezeichnung: Mehler Engirteered Products GmbH - Schwerpunkt der Produktion: Corde für Keilriemen.

 

In den Beiträgen der älteren" Lichtenauer, die selbst im Werk gearbeitet hatten, wurde deutlich, wie sie Arbeitsbedingungen und Betriebsklima erlebt hatten, vor allem unter den „veränderten" Bedingungen nach 1948 unter der neuen Leitung in der Folgezeit. Geforderte Mehrleistungen an den neuen Webstühlen führten schließlich zu Entlassungen und Kündigungen - die veränderte Marktlage (Garbenbindertücher und Pferdedecken wurden in der Landwirtschaft bald nicht mehr gebraucht, Transportbänder für die stillgelegten Zechen fielen ebenfalls weg) - Hoffnung brachte dafür die „Camping-Welle" mit dem Bedarf an Zelten, aber sie war jahreszeitlich bedingt! In der Produktion der neuen Chemiefasern spielte F + W eine bedeutsame Rolle: der erste Perlonreifen in Deutschland, Vorläufer des heutigen Nylonreifens, wurde mit Corden von der Lichtenauer Firma hergestellt.

Der Ankauf der Firma Salzmann in Kassel brachte die Firma Fröhlich & Wolff dann in die größten finanziellen Schwierigkeiten, das gesamte Betriebskapital ging verloren! Es erwies sich als schwierig, die Produktion unter diesen erschwerten Bedingungen aufrecht zu erhalten.

 

Einig waren sich alle Teilnehmer darin, daß die Firma Fröhlich & Wolff die Entwicklung der Ackerbüfgerstadt Hessisch Lichtenau entscheidend gefördert hat - der Betrieb hat nicht nur dafür gesorgt, daß viele Arbeitslose um 1900 von der „Straße" kamen, zahlreiche Wohngebäude außerhalb der Stadtmauern gebaut wurden (einschließlich der Verkehrsanschließung und der LosseVerrohrung), sondern auch dadurch, daß er auf sozialem Gebiet neue Maßstäbe setzte: Es gab nicht nur eine Weihnachtsgratifikation, sondern erstmals auch ein Betriebsfest in Kassel, bei dem die gesamte Belegschaft eingeladen war.

 

Als besonders mitfühlend galt Otto Fröhlich, der eine Firmenchef. Nicht vergessen sei, daß die Witwe des Fabrikanten Dr. Richard Wolff 1936 das ihr gehörende Gartengrundstück an der Heinrichstraße der Stadt Hessisch Lichtenau mit der Auflage schenkte, dort einen Schulneubau zu errichten. 1956 wurde dort die heutige Stadtschule eingeweiht.

 

 

 

Quelle :

Georg Heyner, Hessisch Lichtenau von 1890 bis 1918

aus

700 Jahre Hessisch Lichtenau

Hrsg. Stadt Hessisch Lichtenau, 1869

Seite 130 - 133

 

 

Die Firma Fröhlich und Wolff wurde im Jahre 1867 in Kassel gegründet von Salomon Fröhlich und Simon Wolff (beide Juden), die miteinander verschwägert waren. In der Form einer OHG war es zunächst eine mechanische Segeltuch-, Leinen-, Drill- und Baumwollspinnerei. Später kamen, vor allem durch den Aufschwung der Automobilindustrie, eine Kabelcordzwirnerei, Reifencordweberei, Näherei, Färberei, Zelt-, Planen- und Markisenfabrikation hinzu. Die Firma, die ab 1907 den größten Teil ihres Betriebes und nach dem Zweiten Weltkrieg den gesamten Betrieb und die Verwaltung nach Hessisch Lichtenau verlegte, hat heute auch in dem Geschäftsbereich „Technische Fäden" eine Spitzenposition auf dem europäischen Markt inne. Das Werk hat Weltgeltung und ist durch die Jahrzehnte hindurch der Hauptwirtschaftszweig der Stadt „zur lichten Aue" geblieben.

 

Es ist mit das Verdienst von Bürgermeister Peter, der sich stets um Industrieansiedlung bemühte, daß Salomon Fröhlich, der den führenden Anteil an der Geschäftsleitung hatte und dem im März 1911, wenige Monate vor seinem Tod, von Kaiser Wilhelm II. der Titel „Königlich Preußischer Kommerzienrat" verliehen wurde, und Simon Wolff im Jahre 1907 die neue Fabrikanlage im Osten der Stadt erbauten. Daß man in Hessisch Lichtenau und Umgebung auf Arbeitskräfte mit textiler Tradition zurückgreifen konnte, dürfte kaum ein Grund für die Errichtung der Fabrik in Hessisch Lichtenau gewesen sein. Entscheidend war die günstige Verkehrslage und daß man geringere Löhne als in Kassel zahlen konnte. Die Fabrik entstand an der Leipziger Straße dicht beim oberen Bahnhof (damals Hauptbahnhof genannt) der Kassel-Waldkappler Eisenbahn, mit der sie durch ein Anschlußgleis verbunden wurde. Begonnen wurde mit dem Bau eines Maschinenhauses, eines Kesselhauses, eines Websaals von 2000 qm Grundfläche, einer Färberei und eines Portierhauses. Da im gleichen Jahre die neue städtische Wasserleitung vom Quellgebiet bei den Hirschhagener Teichen zum neuen Hochbehälter am Berg angelegt und die beiden ersten Häuser der Lenoir'schen Waisenanstalt im Bau waren, herrschte in diesem Jahr in Lichtenau eine sehr rege Bautätigkeit.

 

Dazu heißt es in der Lokalzeitung: „Alles in allem herrscht hier gegenwärtig eine außerordentlich lebhafte Bautätigkeit, die manchem Handwerksmeister überreichliche Beschäftigung bringt. Trotz des vielen fremden Volkes, das gegenwärtig hier beschäftigt ist, ist die Ruhe, diese erste Bürgerpflicht, noch keinmal gestört worden. Der bisher so verödete, schön gelegene Felsenkeller ist zu einer italienischen Kolonie geworden. Die braunen Söhne des Südens scheinen sich dort recht wohl zu fühlen. Dem Wirt ist die Verwertung der Räumlichkeiten nach dem vollkommen verregneten Sommer nur zu gönnen. Aber auch sämtliche anderen Gasthäuser der Stadt sind voll belegt, und vielfach mußten sich die zugezogenen Maurer usw. Schlafstellen bei den Ortsbürgern ausmachen oder erhielten überhaupt kein Quartier. Das geschäftige Leben wird jedem angenehm sein, der die industrielle Entwicklung unseres Ortes mit Freuden begrüßt. Die manchem so angenehme idyllische Ruhe des Ortes ist wohl endgültig dahin.

 

Anfang 1908 wurde die neue Fabrik in Betrieb genommen, und in den folgenden Jahren wurde sie ständig vergrößert. Noch im Herbst 1908 wurde ein weiterer Doppelkessel montiert. Im folgenden Jahre baute die Firma eine elektrische Kohlenentladevorrichtung, die das Entladen der Waggons mit Kohlen beschleunigen sollte, und im Jahre 1910 wurde die Weberei auf das Doppelte vergrößert, und zwar dadurch, daß ein zweiter Websaal mit 120 Webstühlen gebaut wurde. Als die Gleisanlagen des Hauptbahnhofs wegen der Fabrikanlagen im Jahre 1912 erweitert werden mußten, wurden wieder italienische Gastarbeiter beschäftigt. Die Erweiterung der Fabrikanlage ging Jahr für Jahr weiter, sogar im Ersten Weltkrieg, als die Bautätigkeit durch Privatleute fast ganz zum Erliegen gekommen war.

 

Mit Hilfe der gemeinnützigen Baugenossenschaft, an der die Firma Fröhlich und Wolff selbst beteiligt war, erbaute sie eine größere Anzahl von Arbeiterhäusern in der Nähe des Fabrikgeländes, das von den Lichtenauer Bürgern „Gelände" genannt wurde und bis heute noch so heißt. Die ersten acht Häuser mit ebensoviel Wohneinheiten entstanden 1907 und 1908 in der heutigen Richard-Wolff-Straße. In den Jahren 1910 und 1911 folgten sechs weitere mit 12 Wohneinheiten in der gleichen Straße und 1911 und 1912 sechs Häuser mit 10 Wohneinheiten am „Neuen Weg", der heutigen Heinrichstraße und sechs mit 12 Wohneinheiten in der Bürgermeister-Peter-Straße. Während des Ersten Weltkrieges wurden 3 Häuser mit 12 Wohneinheiten in der Marienstraße gebaut, in den zwanziger Jahren entstanden 24 Häuser mit 66 Wohneinheiten in der Fröhlichstraße, Leipziger Straße und Rexinger Straße. Die letzten 7 Häuser mit 36 Wohneinheiten wurden in den Jahren 1948 und 1952 in der Heinrichstraße, Fröhlichstraße und Rexinger Straße gebaut. Nach Hauseingängen bzw. Hausnummern handelt es sich insgesamt um 60 Häuser mit 156 Wohneinheiten, ansonsten sind es 34 Gebäude, meist Doppelhäuser mit unterschiedlichen Wohneinheiten.

 

Bereits im Herbst 1908 konnten die ersten 10 auswärtigen Weberfamilien die neu erbauten Arbeiterhäuser beziehen, nachdem die Männer schon zwei Monate in der Fabrik gearbeitet hatten. Da sich in Lichtenau und Umgebung anscheinend nicht genügend Arbeitskräfte fanden, wurden von der Werksleitung in den kommenden Jahren weitere auswärtige Arbeiterfamilien nach Hessisch Lichtenau geholt. Das brachte erhebliche soziale Probleme mit sich. Im Dezember 1910 beklagte sich Metropolitan Schuchardt in der Kirchenchronik, daß die Fabrik mit ihrer inzwischen auf 300 Seelen angewachsenen Arbeiterbevölkerung einen bösen Einfluß auf das Gemeindeleben ausübe.

 

„Die Leute, die zumeist aus sehr armen Verhältnissen stammen und aus aller Herren Länder zusammenströmen, sind zum großen Teil dem kirchlichen Leben ganz entfremdet und in ihrer Mehrzahl der Sozialdemokratie mit Leib und Seele verschrieben.

 

In der bürgerlichen Gesellschaft von Lichtenau war man geteilter Meinung. Der überwiegende Teil der Einwohner stand der Industrieansiedlung durchaus positiv gegenüber, aber es gab auch genügend Bürger, die sie ablehnten, weil sie in ihr eine Gefahr für die bisherige Ruhe und Ordnung sahen. Das Wort vom „Gelände", auf dem die fremde Arbeiterbevölkerung wohnte, war damals und für lange Zeit abwertend gemeint, und es hat Jahrzehnte gedauert, bis die früher nach Lichtenau gekommenen Arbeiterfamilien und ihre Nachkommen voll in die Stadtgemeinde integriert wurden.

 

Daß die Industrieansiedlung damals in Lichtenau umstritten war, verdeutlicht ein mit „Ein alter Lichtenauer Bürger" unterzeichneter Leserbrief vom 16. November 1911, der hier auszugsweise wiedergegeben wird. „Wirklich seltsam muß es jedem ehrlich und gerecht denkenden Menschen anmuten, gegenwärtig das hiesige gemeinde-politische Treiben mit anzusehen. Man ist unzufrieden damit, daß unser bisher so ruhiges Städtchen nun der Industrie erschlossen wird. Bei vielen mag die Scheu vor dem Neuen dazu beitragen, bei anderen die Furcht vor möglicher Konkurrenz, wieder bei anderen eine gute Dosis Kurzsichtigkeit. Während andere Orte sich freuen, wenn wirklich große Unternehmen sich ansiedeln, hört man hier oft die Frage: Was hat uns die neue große Fabrik denn gebracht? Aus dem Munde eines Angehörigen des Beamtenstandes wird man diese Frage nur natürlich finden - obwohl die Lebenshaltung hier wohl kaum noch mehr verteuert werden kann. Jeder Arbeiter, Handwerker, Geschäftsmann und Grundeigentümer sollte es sich aber erst einmal überlegen, ob es angebracht ist mitzuschreien, wenn ein paar Nörgler ihrem Herzen Luft machen. Schon ein Blick auf die Zigarrenfabrik zeigt, was eine gute Arbeitsgelegenheit für den Ort wert ist. Was wäre heute Lichtenau, wenn nicht schon seit mehr als zweieinhalb Jahrzehnten die Zigarrenfabrik Woche für Woche an Löhnen 1000 und mehr Mark an hiesige Einwohner auszahlte! Das hiesige Werk der Firma Fröhlich und Wolff zahlt heute schon an reinen Löhnen (also nach Abzug der Wohnungsmieten für Arbeiterwohnungen und der Kassenbeiträge) wöchentlich über 4.500 Mk. aus. Zwei Drittel dieses Betrages werden nach zuverlässiger Schätzung in Lichtenau verlebt, gewiß ein schöner Betrag, wenn man bedenkt, daß jenes Unternehmen erst in der Entwicklung begriffen ist. Während vor dem Zuzug regerer Industrie die Einwohnerzahl stagnierte, ja zeitweise nicht unerheblich zurückging, ist die Seelenzahl unter den neuen Verhältnissen in raschem Wachsen begriffen, ein Umstand, der überall einen größeren geschäftlichen Umsatz und eine erhebliche Steigerung der Grundstückswerte mit sich bringt ....Das neue Trottoir an der Leipziger Straße gefällt gewiß einem jeden, auch demjenigen, der dort nicht bisher bei nasser Witterung tagtäglich im fürchterlichen Schmutz zu waten brauchte. Geschenkt konnten wir die nützliche und wirkliche solide gebaute Anlage allerdings nicht bekommen, aber dafür wurde unter zähester Wahrung der städtischen Interessen gesorgt, daß möglichst hohe Zuschüsse von der Landesbaubehörde und der Industrie bewilligt wurden, die uns zum großen Teil bei der Anlage eines einfachen Kiestrottoirs für immer verloren gingen. So läßt sich Punkt für Punkt beleuchten, und überall wird man erkennen müssen, daß gearbeitet ist in wohlverstandenem städtischen Interesse. Die künstliche Nährung der Unzufriedenheit und Erbitterung und die schärfere Betonung des alteingesessenen Bürgertums schließt nach all dem gesunden Fortschritt aber auch eine ernste Gefahr für unser freundliches Städtchen in sich. Der großen Zahl fremder Arbeiter hat sich unter den gegebenen Umständen ein hoher Grad von Erbitterung bemächtigt, und heute darf sich wohl niemand mehr darüber täuschen, daß die Arbeiterschaft nicht etwa ihre Kampfmittel zu gebrauchen verstände. Auch der Groß-Industrie stehen noch genügend Orte zur Verfügung, wo sie in angenehmerer Weise aufgenommen wird, als es jetzt hier geschieht. Was wird, wenn z. B. Fröhlich und Wolff hier ihre Erweiterungspläne ad acta legen und einzelne Zweige ihres gegenwärtigen Betriebes wieder wegnehmen? Dann, liebe Mitbürger, greifen wir etwas tiefer in die Tasche, um nun die unter den zurückgeschraubten Verhältnissen drückenden Ausgaben selbst zu decken, denn schwerlich dürften andere industrielle Unternehmungen nach dem wenig ermunternden Schauspiel auf unserer lichten Aue eine Heimstätte suchen.")

 

Die Firma Fröhlich und Wolff bot nicht nur Fremden, sondern auch der einheimischen Bevölkerung die Möglichkeit, dauernden und lohnenden Verdienst zu erzielen, ohne, wie früher, die angestammte Heimat verlassen oder gar auswandern zu müssen. Von den Befürwortern der Industrieansiedlung wurde auch angeführt, daß der heranwachsenden Jugend die Möglichkeit gegeben worden sei, „die Weberei als Handwerk zu erlernen, ohne dafür Opfer bringen zu müssen, da sogar schon während der Lehrzeit pro Woche 4-5 Mk. vergütet werden". So kam es auch innerhalb der alteingesessenen Bürgerschaft zu einer sozialen Umschichtung. Den Handwerkern fehlten die Lehrlinge, und mancher kleine Handwerksmeister, der mit seinem Handwerk, Ackerbau und Viehzucht, nur knapp seinen Lebensunterhalt bestreiten konnte, ging lieber in die Fabrik, weil er dort mehr verdiente als in seinem Beruf. Es wäre sicher eine lohnende Arbeit, einmal zu untersuchen, wieviele Kleinbürger in der damaligen Zeit und in den späteren Jahren zu Fabrikarbeitern wurden. Dafür ist aber hier nicht der Platz.

 

Nach dem Tode von Kommerzienrat Salomon Fröhlich, der die Stadt und vor allem soziale Einrichtungen (Kleinkinderschule, Schwesternstation) immer großzügig unterstützt hatte, trat sein Sohn Otto Fröhlich im November 1911 als Mitinhaber in die Firma ein. Er besaß 50 % der Aktien unter stiller Beteiligung seines Bruders Bruno. Der andere Inhaber, ihr Vetter Dr. Richard Wolff, wurde im Jahre 1915 zum Stadtverordneten gewählt und bekleidete das Amt bis zum Jahre 1924. Er starb im Jahre 1936, zwei Jahre vor der sogenannten „Arisierung" des Betriebes. Dr. Wolff war Vizewachtmeister bei der Ersatz-Eskadron des Husaren-Regiments 14 und wurde im März 1915 zum Leutnant der Landwehr-Kavallerie 1. Aufgebots befördert .Während Otto Fröhlich beim 83. Infanterie-Regiment am Ersten Weltkrieg teilnahm, konnte Dr. Wolff den Betrieb weiter leiten, was sich für die Stadt günstig auswirkte, weil die Firma durch Rüstungsaufträge einen großen Aufschwung nahm.

 

 

 

Quelle : Gregor Espelage, „Friedland“ bei Hessisch Lichtenau

Geschichte der Stadt Hessisch Lichtenau

Hessisch Lichtenau, 1992

Seite 18 – 20

 

Die Textilfabrik Fröhlich & Wolff

 

Ein Wechsel, wirtschaftlicher Aufschwung, rege Bautätigkeit und ein Wachsen der Einwohnerzahl begann mit dem neuen Jahrtausend, als die Firma Fröhlich & Wolff 1907 einen Teil ihrer Produktion aus Kassel nach Hess. Lichtenau verlagerte. Ende 1932 verlegte Fröhlich & Wolff auch den Hauptsitz der Gesellschaft dorthin. Die Firma war 1867 in Kassel gegründet worden; zunächst als mechanische Segeltuch-, Leinen-, Drill- und Baumwollspinnerei, später kamen u.a. mit der Motorisierung und den Aufträgen fürs Militär eine Kabelcordzwirnerei, Reifencordweberei, Näherei, Färberei, Zelt-, Planen- und Markisenfabrikation hinzu.

 

Seit 1907 waren an der Leipzigerstraße - u.a. mit Hilfe italienischer Arbeiter - eine Schwerweberei und gleichzeitig Arbeiterwohnhäuser gebaut worden. Die ausländischen Arbeiter waren in der Gaststätte Felsenkeller untergebracht und damit an gleicher Stelle wie später im Ersten und Zweiten Weltkrieg französische Kriegsgefangene. Die Lokalzeitung kommentierte seinerzeit den ersten Einsatz von „Fremdarbeitern": „Trotz des vielen fremden Volkes, das gegenwärtig hier beschäftigt ist, ist die Ruhe, diese erste Bürgerpflicht, noch keinmal gestört worden. Der bisher so verödete, schön gelegene Felsenkeller ist zu einer italienischen Kolonie geworden. Die braunen Söhne des Südens scheinen sich dort recht wohl zu fühlen. Dem Wirt ist die Verwertung der Räumlichkeiten nach dem verregneten Sommer nur zu gönnen... Die manchen so angenehme idyllische Ruhe des Ortes ist wohl endgültig dahin."

 

Noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte fast in jedem Lichtenauer Haus ein Webstuhl geklappert. Die Industrialisierung hatte mit ihren mechanischen Webstühlen diesen einst für die Lichtenauer Bürger so wichtigen Erwerbszweig nach 1850 verdrängt. Es kann darüber spekuliert werden, ob die Firma Fröhlich & Wolff in Hess. Lichtenau vor allem Arbeitskräfte mit „textiler Tradition" oder Billigarbeiter in einer wirtschaftlich armen Gegend suchte, denen weniger Lohn zu zahlen war als in der Industriestadt Kassel. Von 1907 bis 1912 wuchs die Einwohnerzahl Hess. Lichtenaus infolge der Industrieansiedlung um 33%. Bereits 1912 wurde der Lichtenauer Betrieb - wiederum mit Hilfe italienischer Bauarbeiter - erweitert und im Ersten Weltkrieg (1914/1918) mit Aufträgen der kaiserlichen Armee ausgelastet.

 

Die Textilfabrik und der Zuzug auswärtiger Arbeiterfamilien hatten der Stadt zunächst wirtschaftlichen Aufschwung und zugleich neue wirtschaftliche und soziale Probleme gebracht. Die Geschäfte der Stadt machten größere Umsätze, die Stadtverwaltung nahm mehr Steuern ein, gleichzeitig fehlten in zunehmendem Maße Wohnungen für die Neubürger, und den Handwerkersmeistern fehlten die Lehrlinge und Gesellen, die in die Industrie abwanderten. In vielem erscheint aus historischer Distanz die Ansiedlung der Textilfabrik als ein geschichtlicher Vorlauf der Probleme, die nach 1936 mit der Ansiedlung des Sprengstoffwerkes auf die Stadt zukommen sollten, wenngleich in gößeren Dimensionen.

 

Die Ansiedlung der Fabrik veränderte nicht nur die wirtschaftliche Struktur und das soziale Gefüge der Stadt, sondern auch das politische Klima. Bereits 1910 beklagte sich der Metropolitan Schuchardt in der Kirchenchronik: „Die Leute, die zumeist aus sehr armen Verhältnissen stammen und aus aller Herren Länder zusammenströmen, sind zum großen Teil dem kirchlichen Leben ganz entfremdet und in ihrer Mehrzahl der Sozialdemokratie mit Leib und Seele verschrieben.

 

In der wirtschaftlichen Blütezeit der Weimarer Republik fehlten den Textilwerken Arbeitskräfte, besonders gesucht waren junge Frauen für niedrigen Lohn. Weibliche Arbeitskräfte wurden in Schlesien angeworben. Dabei zeigte die Firma Interesse am Zuzug von Familien nur, wenn eine„ entsprechende Anzahl junger Mädchen unter 20 Jahren" dabei sei. Die Firma behandelte ihre Arbeiterinnen und Arbeiter als Manövriermasse. Angeworbene Familien wurden bald wieder entlassen, firmeneigene Wohnungen gekündigt. Als sich die Stadt beschwerte, daß auf diese Weise zuviele Obdachlose der Stadt „zur Last" fielen, rechtfertigte sich die Firmenleitung in einem vertraulichen Schreiben: man habe die Absicht, „Familien wieder in ihre Heimat abzuschieben.. [um] ..anständige Familien mit gutem Arbeitsmaterial gegen minderwertige einzutauschen." Die Angeworbenen wurden als „recht arbeitsscheue Elemente" bezeichnet, man wolle „die Gemeinde von diesen Elementen befreien." Vorausgegangen waren Entlassungen u.a. wegen „Verweigerung der Überarbeit".

 

Als dann infolge der Weltwirtschaftskrise 1929 die Arbeit knapp wurde und es auch bei Fröhlich & Wolff zu „umfangreichen Entlassungen" kam, nutzte die Firma die Notlage und stellte einen Teil der Arbeiter/innen für den halben Stundenlohn in der Anlernwerkstatt wieder ein.  Lohnpolitik und Einstellungspraxis der Firma führten zu Arbeitskämpfen. Im Oktober 1930 rief der „rote Betriebsrat" - so Polizeihauptwachtmeister Thöne in seinen Berichten - zu einem 6tägigen „wilden Streik" auf der Linie der kommunistischen „Revolutionären Gewerkschaftsopposition". Das besondere Augenmerk des Polizeibeamten galt dem Betriebsratsvorsitzenden Georg Klebe aus Fürstenhagen und dem KPD-Ortsgruppenführer Georg jung aus Hess. Lichtenau. Der Streik konnte gebrochen werden, und die Firma überwies 150,- RM „absprachegemäß an die in Frage kommenden Beamten für die gehabte Mühewaltung"

 

In der Krise setzte die Firma diese Politik fort, nur daß jetzt noch mehr Einwohner der Stadt direkt davon betroffen waren. So wurden im August 1930 acht Familien wegen Mietrückstand aus den Wohnungen der firmeneigenen „Hessisch Lichtenauer Gemeinnützigen Baugesellschaft" gewiesen. Die Stadt mietete daraufhin in der Leipziger Straße ein Doppelhaus zur Unterbringung obdachloser Familien. Bisweilen argumentierte die Firmenleitung unverblümt mit politischer Mißliebigkeit und 'Sippenhaft'. Einer Frau wurde die Unterkunft in einer Werkswohnung verweigert, „weil der Ehemann ein Bruder des bekannten Kommunistenführers und des früher bei uns beschäftigt gewesenen gleich zu bewertenden Webers M. ist".

 

Wiederholte Bitten der Stadt, ehemalige Arbeiter/ innen zur Entlastung der städtischen Wohlfahrtspflege wieder einzustellen, lehnte die Firma 1932 nicht allein mit Hinweis auf die Auftragslage ab. Selbst bei Bedarf sprächen „politische Gründe", „arbeitsscheu" und „schlechte Arbeit" gegen eine Einstellung. Deutlicher noch wurde die Sprache nach der nationalsozialistischen Machtübernahme. Eine erneute Bitte der Stadt für 26 Arbeitslose wurde im August 1933 negativ beschieden. Die Betreffenden seien „teils wegen gefährlicher kommunistischer Umtriebe, teils wegen absoluter Minderleistungsfähigkeit vor längerer Zeit entlassen" worden. Gleichzeitig wurde betont, man habe „5 ältere SA-Leute übernommen ohne jegliche betriebliche Notwendigkeit".` Die Einstellung der SA-Leute sollte verstanden werden als Zeichen der Anpassung an die veränderten Machtverhältnisse.

 

Im Juni 1933 besichtigte Gauleiter Weinrich die Fabrik und berichtete: „Zwar hatte ich die überwiegende Beschäftigung von weiblichen Angestellten zu beanstanden, das wurde aber damit begründet, daß viele Arbeiten in der Textilindustrie von Männern nicht gemacht werden können. Im Interesse der 7-800 dort beschäftigten Arbeiter und Angestellten sowie des verhältnismäßig hohen Wohlfahrtsetats der Stadt Hess. Lichtenau halte ich es für angebracht, die Firma Fröhlich & Wolff im Rahmen des freien Wettbewerbs bei Vergebung von Staatsaufträgen zu berücksichtigen."

 

Zwar stand der hohe Anteil der Arbeiterinnen und weiblichen Angestellten im Widerspruch zum nationalsozialistischen Frauenbild und zum Versuch, durch propagierte Gebärpflicht und Anbindung der Frauen an Heim und Küche die Arbeitslosigkeit zu verstecken, aber dieser Widerspruch blieb in Hessisch Lichtenau ohne praktische Konsequenzen. Gefährlich wurde der Firma der nationalsozialistische Rassismus, der sich gegen die „nicht-arischen" Firmeneigner richtete. Zunächst wurde die Verfolgung vorübergehend ausgesetzt, dann aber 1938 mit der sogenannten „Arisierung" abgeschlossen.

 

Die Staatsaufträge kamen, auch wenn in Einzelfällen z.B. die Reichszeugmeisterei der NSDAP und das Reichsbahn-Zentralamt aus rassistischen Gründen eine Auftragserteilung verweigerten.` Häufig stellte die Firma 1934 bei der Stadt Anträge auf Sonntagsarbeit, um die hohe Auftragslage erfüllen zu können Seit Ende 1933 wurden auch jahrelang arbeitslose Arbeiter wieder eingestellt, deren Beschäftigung die Firma noch im August 1933 unter Hinweis auf ihre „kommunistische" Einstellung abgelehnt hatte. Nach zwei Jahren hatte sich die Belegschaft des Werkes „infolge bedeutender Staatsaufträge" verdoppelt. Damit lag in Hess. Lichtenau das größte Unternehmen des Landkreises Witzenhausen. Das Arbeitslosenproblem der Stadt, deren Einwohner „zur Hälfte allein im Dienst der Firma" tätig waren, war gelöst, bevor mit der Ansiedlung der Sprengstoffabrik begonnen wurde. Den neuerlichen Aufschwung hatten vor allem die Aufträge im Rahmen der Aufrüstung und Kriegsvorbereitung gebracht. Im September 1935 berichtete die Firmenleitung dem Finanzamt Kassel: „Die Firma stellt in der Hauptsache Spezialitäten her, die nur von ganz wenigen Firmen in Deutschland erzeugt werden und überwiegend der Motorisierung Deutschlands und der Versorgung von Heer, Marine, Reichsbahn pp. dienen."

 

Zum selben Zeitpunkt (1935) resümierten die Prüfer der Haushaltsrechnung: „Wirtschaftlich kann Hess. Lichtenau zum größten Teil als Industriegemeinde angesprochen werden. Neben einigen dem Baugewerbe angehörigen Betrieben ist als Hauptunternehmen eine Weberei hervorzuheben mit einer Belegschaft von 1000-1200 Köpfen."

 

 

Quelle : Gregor Espelage, „Friedland“ bei Hessisch Lichtenau

Geschichte der Stadt Hessisch Lichtenau

Hessisch Lichtenau, 1992

Seite 142 – 152

 

Die Lichtenauer Textilwerke 1938 - 1948

 

Die „Arisierung" der Firma Fröhlich & Wolff

 

Vorgeschichte

 

Bereits Ende März/Anfang April 1933 war es im ganzen Deutschen Reich zu Boykottaufrufen und Zerstörungen jüdischer Geschäfte gekommen, die zunächst wieder gestoppt wurden. Gegenüber „nicht-arischen Firmen" verordnete das Reichswirtschaftsministerium im September 1933 Zurückhaltung, die Firmen sollten nicht boykottiert werden, um den „Wiederaufbau" nicht zu stören, aber bereits im folgenden Jahr verweigerte die Reichszeugmeisterei der NSDAP den Lichtenauer Textilwerken Fröhlich & Wolff die Herstellung von Tornistern und Zeltbahnen, weil „eine Genehmigung nur den reichsdeutschen, arischen Firmen erteilt werden` kann. 500 von mittlerweile 900 Beschäftigten drohte die Entlassung, weil die Partei ihre Aufträge entziehen wollte und das Werk in der Rohstoffzuteilung benachteiligt wurde.

 

Als in einem anderen Fall das Reichsbahn-Zentralamt die Firma zu den Ausschreibungen zur Herstellung von Leinöl-, Standöl- und Firnisdachdecken nicht zulassen wollte wegen der Beschäftigung von „7 Nichtariern", sah sich Julius Goebel „als Kreisleiter und Bürgermeister" zum Einspruch genötigt, da „durch diese Maßnahme ein namenloses Elend über den ländlichen Kreis und über die Stadt Hess. Lichtenau gebracht ..[und].. die Einschränkung oder Stillegung größerer Betriebsteile zu schweren sozialen Erschütterungen führen würde.` Zwar argumentierte Goebel auch mit der „rein arischen Betriebsführung", dennoch widersetzte er sich mit diesem Schreiben dem „reinen Rassismus" des Nationalsozialismus, zumindest stufte er die Interessen der Stadt höher ein. Zu den großen Massenentlassungen kam es nicht, aber fehlende Rohstofflieferungen führten in einigen Betriebsteilen zeitweise zu Kurzarbeit.

 

Mit der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung ging die „Schonfrist" für jüdische Unternehmer zu Ende. Schon bevor Göring in einer Ministerratsbesprechung vom 28. April 1938 die „endgültige Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben" gefordert hatte und zwei Tage zuvor mit der Anmeldepflicht für alle jüdischen Vermögenswerte erste Voraussetzungen für die nach der sogenannten „Reichskristallnacht" im November 1938 staatlich verordnete „Zwangsarisierung" allen „jüdischen Besitzes" eingeleitet worden waren,' hatten Parteistellen, Wirtschaftsverbände und die Industrie- und Handelskammer auf alle jüdischen Geschäftsleute Druck ausgeübt, ihre Unternehmertätigkeit aufzugeben und ihr Vermögen meist erheblich unter Wert zu veräußern.

 

Außerdem nahm der Staat mit Hilfe der „Reichsfluchtsteuer" und der „Sühneleistung" den auswanderungswilligen Juden einen erheblichen Teil der Verkaufserlöse wieder ab. So vernetzte sich der Rassismus mit der ökonomischen Hoffnung, die forcierte Aufrüstung finanzieren zu können. Den größten Gewinn aus den „Arisierungen" hatten neben der Staatskasse die NSDAP, einige Teile des Mittelstandes und viele kapitalkräftige Großunterneh

men.

 

Versuche der Anpassung

 

Die Textilwerke Fröhlich & Wolff gehörten zu den Werken, die „arisiert" wurden, noch bevor der Staat sich offiziell einschaltete. Nach Aussagen zweier Betriebsdirektoren der Firma hatte Dr. Wolff zunächst mit „Anpassungsstrategien"' den Betrieb vor dem Zugriff der Nationalsozialisten zu retten versucht. Karl E. gab nach Kriegsende im„ Entnazifizierungsverfahren" an, auf Wunsch des Besitzers Dr. Wolff Mitglied der SA und der NSDAP geworden zu sein, um so die Beziehungen der Firma zur Partei zu verbessern.' Auch Betriebsdirektor Willy F. bis 1938 im Betrieb und nach dem Krieg zum Treuhänder bestellt, gab an, 1937 Parteimitglied geworden zu sein, weil Dr. Wolff der Meinung gewesen sei, daß sein Betrieb von der NSDAP „glimpflicher" behandelt werden würde, wenn er, Wolff, sich aus der Geschäftsführung zurückzöge und sein Betriebsdirektor Mitglied dieser Partei würde.

 

Am 6. Mai 1936 starb Dr. Richard Wolff. Die Anteilseigner Fröhlich waren an einem schnellen Verkauf interessiert, die Witwe Wolff aber wollte die Firma eher so lange wie möglich halten. Der Kasseler Gauwirtschaftsberater und Handelskammerpräsident Dr. Braun drängte zum Verkauf und untersagte die beabsichtigte Umwandlung der Offenen Handelsgesellschaft in eine einfache Kommanditgesellschaft mit einem „arischen", persönlich haftenden Gesellschafter und zwei jüdischen Kommanditisten. 

 

Der Gauwirtschaftsberater drängte nach rückblickender Darstellung (1946) Karl Anton Henschels die Kasseler Familie Henschel, die Firma zu übernehmen: „Im Jahre 1937 forderte mich der damalige Präsident der Industrie- und Handelskammer und Gauwirtschaftsberater, Dr. Braun, auf, im Zuge der Arisierung die Textilfirma Fröhlich & Wolff in Kassel zu übernehmen. Meine Ablehnung aus grundsätzlichen Erwägungen wurde abgewiesen mit der Begründung, dass die Firma Henschel ihr Geld in Kassel verdient hat und damit verpflichtet sei, ihre flüssigen Mittel in Kassel anzulegen."

 

Das 1810 gegründete Unternehmen der Maschinenindustrie war mit der Produktion von Lokomotiven, Lastkraftwagen und Panzern einer der wichtigsten Rüstungslieferanten. 1924 war der Geheimrat Carl Henschel gestorben, die Führung der Firma übernahm sein Sohn aus erster Ehe, Oscar R. Henschel. Die Kinder aus einer zweiter Ehe, darunter Karl Anton Henschel, wurden wie ihre Mutter Hildegard Henschel zu einem großen Teil oder gänzlich abgefunden und gründeten zur Verwaltung dieses Vermögens 1937 die Henschelsche Familienverwaltung. Diese Verwaltungsgesellschaft berichtete 1947 rückblickend: „Im Zuge der Abfindung waren diese Familien-Mitglieder gehalten, sich für die freiwerdenden Mittel anderweitige Anlagen suchen; so

wurden Grundbesitz, Aktienwerte und dgl. erworben. Die Erwerbungen erfolgten durchweg nur im Sinne einer soliden Anlage."

 

Hildegard und Karl Anton wurden u.a. in Hess. Lichtenau fündig, versprach doch die oben dargestellte Geschäftsentwicklung der Firma Fröhlich & Wolff, eine „solide Anlage" zu sein.

 

Mit Kaufvertrag vom 2.3.1938 wollten eine Baumwollspinnerei und Zwirnerei aus Rheydt (Rheinland) und Frau Hildegard Henschel mit 51 % als Kommanditistin die Firma übernehmen. Die Zeitgenossen konnten in der „Kurhessischen Landeszeitung" lesen, die am 9.2.1938 noch allgemein im Propagandajargon mit der Metapher naturgesetzlicher Notwendigkeit schrieb: „Es rauscht bei uns jetzt auch im jüdischen Aktienwald. Aktienblatt um Aktienblatt fällt in die Hände arischer Neubesitzer. Der Jude beginnt einzusehen, daß er sich nicht halten kann und fängt an, das Feld zu räumen" Die Kasseler Post wurde am 19.3.1938 konkreter und nannte Namen: „Die bekannten Besitzwechsel-Verhandlungen bei den drei Großunternehmen der Kasseler Schwergewebeindustrie, Baumann u. Lederer AG., Gottschalk & Co. AG. und Fröhlich & Wolff sind nunmehr abgeschlossen. Bei den drei Unternehmen haben jetzt Mitglieder der Familie Henschel maßgeblichen Anteil."

 

Der Gauwirtschaftsberater verweigerte die notwendige Zustimmung zum Kaufvertrag und zwang die auswärtige Firma, aus dem Vertrag wieder auszusteigen, damit Frau Hildegard Henschel den Betrieb allein übernähme. Am 12.4.1938 wurde ein neuer Vertrag aufgesetzt, und Frau Henschel kaufte zu dem von Dr. Braun festgesetzten Preis plus einer „Arisierungsabgabe" in Höhe von 300.000,- RM, abgeführt als Parteispende an die NSDAP. Frau Geheimrat Henschel zeigte sich auch in der Folgezeit der Partei erkenntlich, der sie schließlich 1940 beitrat. Im Zeugnis, das ihr der zuständige Blockleiter 1942 ausstellte, heißt es: „Sie lebt in ausgesprochen guten wirtschaftlichen Verhältnissen, so daß eine reiche Spendentätigkeit ihr nicht schwerfällt."

 

Im Oktober 1938 trat ihr Sohn Karl Anton rückwirkend in den Kaufvertrag ein und fungierte fortan als alleiniger Inhaber." Gegen Jahresende notierte der Wehrwirtschaftsbericht: „Im Kasseler Bezirk ist die Arisierung im vollen Gange. Besonders erwähnenswerte Vorgänge: Bankgeschäft S.J. Werthauer jun. Nachf. in Kassel ist in den Besitz der Kommanditgesellschaft von Wangenheim & Co. übergegangen. Zu deren Kommanditisten gehört außer einem Berliner Bankinstitut die Henschel-Familienverwaltung G.m.b.H., die auch die bekanntesten jüdischen Betriebe der Kasseler Schwergewebeindustrie, wie Baumann u. Lederer A.G., Gottschalk & Co. A.G. und Fröhlich & Wolff, übernommen hat. ... Die Fa. Fröhlich & Wolff, Kassel (Wehrwirtschaftsbetrieb Wehrmacht, V A: Segeltuche, Zeltplanen, Stabszelte u.ä.) ist in den Besitz des Herrn Karl Anton Henschel übergegangen. Sie firmiert: Textilwerke Karl Anton Henschel, Kassel."

 

Mit der Textilfirma übernahm Karl Anton Henschel auch die 1909 von Fröhlich & Wolff gegründete Gemeinnützige Baugesellschaft mbH. Hess. Lichtenau mit 60.000 RM Gesellschaftskapital.

 

Der Preis

 

Abgesehen davon, daß die „Arisierung" der Firma Fröhlich & Wolff schon deshalb unter Zwang erfolgte, weil den Eigentümern überhaupt keine andere Wahl als der Verkauf gelassen wurde, belegt auch der Kaufpreis die Erpressung und Ausplünderung der jüdischen Eigentümer.

 

„Arisierung" der Firma Fröhlich & Wolff

Wertfestsetzung für das Jahr 1938

Wirtschaftsprüfer B./Firma Reydt Anfang 1938:      3.709.268,30 RM

Verkaufspreis/ Gauwirtschaftsberater

April 1938:   "                                                             3.352.081,00 RM

Dipl. Volkswirt D./Witwe Wolff

Januar 1946                                                              11.055.656,36 RM

Amt für Vermögenskontrolle,

Kassel Juli 1946:                                                       7.500.000,00 RM

 

Im Vergleich der Zahlen ergibt sich, daß der Gauwirtschaftsberater Dr. Braun den Verkaufpreis um 357.187,- RM niedriger ansetzte, als die Wertberechnungen des Wirtschaftsprüfers B. ergeben hatten. Diese Differenz steht in auffälliger Nähe zur „Parteispende" der Frau Henschel in Höhe von 300.000,RM. Die Wertfestsetzung des Amtes für Vermögenskontrolle wählte in etwa die Mitte zwischen dem Verkaufspreis und den Berechnungen der Wolffschen Interessenvertretung. Geht man von der Taxierung des Amtes für Vermögenskontrolle aus, so war 1938 für die Firma Fröhlich & Wolff weniger als die Hälfte (44,6%) des tatsächlichen Wertes gezahlt worden.

 

Die Textilwerke K.A. Henschel

 

Produktion und Beschäftigte

 

Auf eine detaillierte Darstellung der Produktionsentwicklung während des Krieges muß hier verzichtet werden. Für die gute Auftragslage in diesem „heereswichtigen Betrieb"  sprechen allein schon die zahlreichen Anträge auf Sonntagsarbeit der Textilwerke. Dabei war wenige Monate nach Kriegsbeginn vorübergehend befürchtet worden, daß „das Werk ganz verloren" sei

 

Am 1.12.1939 hatte es in den mit Rohgarnen vollgefüllten Kellerräumlichkeiten des Betriebes gebrannt, das Warenlager war fast völlig vernichtet worden, die Decke war eingestürzt und ein Sachschaden in Höhe mehrerer Millionen Reichsmark entstanden. Die anfänglichen Befürchtungen bei Fabrikleitung und Heeresdienststellen bestätigten sich nicht. Schon im Januar 1940 sollte eine Teilproduktion wiederaufgenommen werden .

 

Die zerstörte Halle wurde abgerissen  und im Juli 1941 der Grundstein zum Wiederaufbau gelegt, nunmehr mit Sprinkleranlage .

 

1940 waren etwa 1100-1200 Arbeiter und Arbeiterinnen in der Textilfabrik beschäftigt. Bei Kriegsende waren es 1300. Gearbeitet wurde rund um die Uhr in zwei Schichten: von 6 bis 18 und von 18 bis 6 Uhr mit insgesamt einer Stunde Pause. Hatte die Firma nicht gerade Sonntagsarbeit beantragt, was häufig vorkam, ruhte die Arbeit von Sonnabend um 20 Uhr bis Montag früh um 6.

 

Die ortsansässigen Textilarbeiterinnen, die zur Sprengstoffabrik verpflichtet wurden, blieben lieber in der Textilfabrik und empfanden die 'Verpflichtung ins Gift' als eine Art „Strafversetzung". Auch der ehemalige italienische Kriegsgefangene Domenico C. berichtete 1988, seinerzeit als Textilarbeiter bei Henschel „Glück" gehabt zu haben, weil er nicht wie einige Landsleute, die ständig gelb gewesen seien, zum Sprengstoff kommandiert worden sei .

 

Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in den Textilwerken

 

Der Anteil ausländischer Arbeiter und Arbeiterinnen war bis Kriegsende auf schätzungsweise knapp die Hälfte der Belegschaft gestiegen. In ihrem Antrag an die amerikanische Militärregierung vom 30. 4. 1945 auf Wiederzulassung bezifferte die Firmenleitung die „Kriegsbelegschaft" auf rund 1150 Personen und die zur Zeit „vorhandene deutsche Gefolgschaft" auf 400 bis 500 Personen.

 

294 Männer und Frauen - etwa 10 % - der in der Ausländerkartei der Stadt Hess. Lichtenau registrierten Arbeiter und Arbeiterinnen waren bei den Textilwerken K. A. Henschel beschäftigt.

 

 

97 der 110 belgischen Arbeitskräfte kamen im Januar und Mai 1941, das belgische Innenministerium schickte die Reisepässe nach. An der Leipziger Straße ließ die Firma eine „Wohnbaracke mit NebenBaracken" aufstellen, laut Bauanzeige vom März 1941 zur „Unterbringung von 95 belgischen Arbeitern/Flamen". Wenige Monate später war das sogenannte „Flamenlager" mit 130 Personen bereits katastrophal überbelegt .

 

Im Februar 1941 stellte die Firma einen Genehmigungsantrag auf Sonntagsarbeit. Jugendarbeit mußte gesondert beantragt werden. Im Unterschied zu allen anderen Arbeitskräften wurde bei den fünf Polinnen keine Altersangabe gemacht.37 Die Hälfte der in der Ausländerkartei registrierten 68 polnischen Arbeitskräfte kam im September 1942.

 

63 der 76 französischen Arbeiter und Arbeiterinnen kamen im März 1943. Seit Juli 1944 wurden keine Neuzugänge für die Textilwerke mehr registriert. Im August 1944 waren die italienischen Kriegsgefangenen zu Zivilarbeitern deklariert worden. Am 28. 8.1944 wurden 52 ehemalige italienische Kriegsgefangene, die in den Textilwerken beschäftigt waren, aus dem Kriegsgefangenenlager Steinbach in das Lager Süd umquartiert .

 

Jüdinnen für Henschel

 

Frau B., deren Mann im September 1943 „infolge einer Aktion gegen Juden bzw. Mischehen im Gau Köln-Aachen, von der Geheimen Staatspolizei Köln ins Konzentrationslager Auschwitz verschleppt" worden war, schreibt im Dezember 1945: „Im Verlaufe oben erwähnter Aktion wurde auch meine Tochter K., weil Halbjüdin, von der Gestapo Köln zusammen mit noch vielen anderen Leidensgenossinnen zwangsverschickt und kam zum Arbeiten nach hier in ein Lager, (Textil-Henschel-Werke, Lager Süd). Ich selbst wurde aus Köln ausgewiesen und verzog deshalb ebenfalls nach hier."

 

In den Spruchkammerakten fanden sich weitere Hinweise auf einen Arbeitseinsatz deutscher Frauen, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft verfolgt und zur Arbeit in der Textilfabrik verschleppt wurden. Durchgängig finden sich solche Hinweise in positiven Leumundszeugnissen für ehemalige Mitarbeiter und Vorgesetzte. So heißt es im Spruchkammerurteil gegen den Betriebsobmann der DAF Karl B.: „insbesondere auch die jüdischen Frauen seiner Abteilung hat er gut behandelt, wie die Aussage der Frau G., des Lagerführers E. und schließlich des französischen Zwangsverschleppten Z. ergeben."

 

Josef F., Mitglied der NSDAP seit 1933, wurde im Spruchkammerverfahren zugutegehalten, daß er „als Obermeister bei den Henschelwerken korrekt und anständig gewesen sei, insbesondere auch gegenüber den ausländischen Arbeitskräften und Frauen, die ihm unterstellt waren." Ebenso wurde Werkmeister Walter F. entlastet, da er „Ausländer gespeist" und „Juden verborgen" habe.

 

Eine der ehemaligen jüdischen Zwangsarbeiterinnen, die Anfang der 60er Jahre einen Antrag auf Entschädigung stellten, war Sibylle K., Jahrgang 1904 und wohnhaft im Raum Köln. Sie war nach eigenen Worten „von Oktober 1944 bis April 1945 im'Lager Süd"' und mußte „als Zwangsarbeiterin bei Karl Anton Henschel Hessisch Lichtenau arbeiten.

 

Unterbringung

 

Nicht anders als die Sprengstoffabrik und die auswärtigen Baufirmen hatten die Textilwerke massive Schwierigkeiten bei der Unterbringung der auswärtigen und ausländischen Arbeitskräfte. Neben die Raumnot traten Versorgungsschwierigkeiten für die notwendigsten Artikel. So hatte beispielsweise im März/April 1941 die Firma kein Seifenpulver für Bettwäsche zugeteilt bekommen und protestierte: „Wir machen nochmal darauf aufmerksam, daß wir unter diesen Umständen nicht in der Lage sind, die Lagerunterkünfte der Polen und Flamen sauber zu halten. Wir lehnen deshalb die Verantwortung bei eventuell auftretenden Seuchen ab."

 

Einen Teil ihrer Arbeitskräfte brachten die Textilwerke zumindest 1940/41 in Räume der Zigarrenfabrik unter, die von der Stadt Hess. Lichtenau angemietet wurden.  Ein anderer Teil war zeitweilig in dem besonders katastrophalen Arbeiterlager Esche der Sprengstoffabrik untergebracht. Ein eigenes Ausländerlager ließ die Firma im Frühjahr 1941 errichten. Genaue Belegschaftszahlen dieser Unterkünfte, die in den Quellen als Lager Süd, Flamenlager oder Lager an der Heinrichstraße genannt werden, ließen sich nicht ermitteln. Auch anhand der Wassergeldkarten der Stadtverwaltung für das Lager Süd, die von April 1941 bis März 1944 einen extrem schwankenden Wasserverbrauch in Rechnung stellten, läßt sich die Entwicklung der Belegschaftszahlen nicht nachzeichnen. Der Wasserverbrauch hing eben nicht nur von der Größe der Lagerbelegschaft.. ab, er unterlag jahreszeitlichen Schwankungen. berdies wurde das knappe Wasser zeitweilig rationiert, oder es gab - wenn die Leitungen mal wieder eingefroren waren - überhaupt kein Wasser. Häufig schätzte die Stadtverwaltung den Verbrauch, denn immer wieder fiel die Uhr aus.

 

Am 20. 4. 1941 war das Lager erstmals mit 55 Mann belegt worden, im Juni waren es bereits 129." Als Lagerführer wurde ein Arbeiter der Textilwerke eingesetzt. Im nachträglichen Antrag auf Ausnahmebewilligung vom Neubauverbot heißt es unter dem Datum des 19. Juni 1941: „Die Firma bekam vor einigen Monaten etwa 130 flämische Arbeiter, die sofort untergebracht werden mußten. Hierzu wurde die Baracke beschafft und aufgestellt. Die Bauarbeiten sind beendet."

 

Nachdem 1942 der Kindergarten in der Retteröder Gastwirtschaft Aschenbrenner geschlossen worden war, wurden seit 1943 hier und in der Gastwirtschaft Möller jeweils 40 polnische Arbeitskräfte der Textilwerke untergebracht.

 

Die Unterbringung ausländischer Arbeitskräfte in privaten Wohnungen war nach einer Polizeiverordnung vom März 1943 nur in Ausnahmefällen und auf Antrag gestattet. Ausnahmen wurden - nach einer Liste vom Juni 1944 - in Hess. Lichtenau gemacht für eine polnische und eine russische Frau, beschäftigt als Hausgehilfinnen des Fabrikdirektors und des Werkberufsschulleiters, für einen polnischen Dolmetscher und dessen Ehefrau, sowie für

zwei slowakische Arbeiterinnen, sämtlich beschäftigt bei den Textilwerken.

 

Alltag, Kontrolle und Strafe

 

Wie bei den landwirtschaftlichen Arbeitskräften können auch die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Textilarbeiterinnen und Arbeiter nur in einigen Spuren angedeutet werden, die die Akten der Polizeibehörden erkennen lassen. Daneben sollen die Erinnerungen des ehemaligen italienischen Kriegsgefangenen und Henschel-Arbeiters Domenico C. wiedergegeben werden.

 

Auch in den Textilwerken wurde die Haft im Arbeitserziehungslager als Straf-, Droh- und Abschreckungsmittel eingesetzt. Doch scheint dieses Mittel im Vergleich zur Sprengstoffabrik seltener benutzt worden zu sein.

 

Antrag auf „zwangsweise Rückführung"

 

Im Dezember 1941 meldete die Firmenleitung ein „unberechtigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz" von 17 Personen der Nebenstelle Hess. Lichtenau des Arbeitsamtes, das wiederum beim Bürgermeister als Ortspolizei „im Wege der Amtshilfe die zwangsweise Rückführung an den Arbeitsplatz" beantragte?'

 

Hauptwachtmeister Rudolph forschte nach. Mit Ausnahme von zwei Frauen, die die Arbeit bereits wieder aufgenommen hatten, waren sämtliche „fehlenden" Personen schwanger oder Mütter kleiner Kinder, deren Männer zur Wehrmacht eingezogen oder in der Sprengstoffabrik beschäftigt waren, einige waren krank, einige hatten schulpflichtige Kinder zu versorgen. Alle aber hatten dem Arbeitsamt und der Fabrik entsprechende Bescheinigungen vorgelegt. Der Hauptwachtmeister verzichtete auf eine „zwangsweise Rückführung" und resümierte: „Bei sämtlichen Personen ist nicht mehr damit zu rechnen, daß sie die Arbeit wieder aufnehmen kön

nen. "

 

Ein Briefwechsel

 

Ende 1940 verweigerte die Firma einem ihrer polnischen Arbeiter, der Vater geworden war, den Heimaturlaub." Urlaub konnte auch gewährt werden, wie der folgende Briefwechsel zeigt, aber einen Anspruch hatte der Arbeiter nicht, er blieb rechtlos und auf Fürsprache angewiesen.

 

Eine Anmerkung

 

Wie alle anderen Schreibweisen des Briefwechsels wurde auch das schriftliche 'Stottern' des Hauptwachtmeisters im Wort „Zivilgefangefangene" quellengetreu wiedergegeben.

 

Ausgerissen

 

Der belgische Färberei-Arbeiter P., seit Januar 1941 bei den Textilwerken Henschel in Hess.Lichtenau, verließ die Stadt im Mai 1942. Die Meldebehörde vermerkte „unbekannt verzogen"." Zehn Tage später kehrte er zurück und wurde verhaftet. Die Gestapo verordnete eine zweimonatige Haft in Breitenau „wegen grober Störung des Arbeitsfriedens und eigenmächtigen Verlassens des Arbeitsplatzes". Der Abgangsvermerk in der Ausländerkartei der Stadtverwaltung wurde mit „ausgerissen" überschrieben, die Gefangenschaft in Breitenau nicht notiert.

 

Vielleicht hatte P. sich einen zehntägigen Urlaub genommen. Geflohene Arbeiter, die gefangen wurden, kamen sogleich in Gestapo-Gefängnisse oder nach Breitenau. P. war aber zunächst in das „Lager Süd" der Textilwerke Henschel zurückgekehrt,` er hatte - so der Vorwurf - „eigenmächtig" gehandelt, ihn erwartete die Tortur des Arbeitserziehungslagers.

 

Kritik

 

Anfang Oktober 1940 wurde die 35jährige Alexandria H., gebürtige Polin aus Krakau und Arbeiterin bei den Textilwerken Henschel in Hess. Lichtenau, in das Polizeigefängnis Kassel gebracht. Die Gestapo schrieb nach Breitenau: „Die Obengenannte wird mit dem nächsten Sammeltransport der dortigen Anstalt zugeführt werden. Sie ist Schutzhaftgefangene und kann nicht wie dort einsitzende Arbeitsscheue behandelt werden. Sie hat an der Verpflegung unberechtigte Kritik geübt und das Essen der Köchin vor die Füße geworfen. Ich ersuche deshalb, diese Polin auf halbe Kost zu setzen." Frau H. hatte gezeigt, was jeder sehen und schmecken konnte. Sie hatte sich aktiv und öffentlich widersetzt. Das verlangte in den Augen der Verfolger nach einer besonders langen und verschärften Strafe, die wie im'alten deutschen Recht' das Vergehen spiegelt und die in ihrer Wirkung den seit dem 18. Jahrhundert überwundenen 'verstümmelnden Leibstrafen' nahekommt. Was ist die Hälfte von einer Kost, die kaum ein Überleben sicherte? Frau H. blieb zweieinhalb Monate in Breitenau und wurde einen Tag früher als vorgesehen entlassen auf Ersuchen der Textilwerke Henschel, „da unser Lieferwagen an diesem Tag ohnehin in Breitenau zu tun hat".

 

Ein Jahr später ist Frau H. wieder in Breitenau, diesmal für fünf Monate. Die Akten geben keine weitere Auskunft als den Deckelvermerk: „am 16.3. 42 nach Ravensbrück (Konz-Lgr)". Das letzte Zeichen ist die Unterschrift der Gefangenen, mit der sie bestätigt, ihre mitgebrachte Habe zurückerhalten zu haben: „ein brauner Mantel, ein braunes Kleid, ein karierter Schal, eine braune Strickjacke, ein blauen Schlüpfer, ein weißes Hemd, ein Paar Strümpfe, ein Paar Holzschuhe alt."

 

Domenico C.

 

Einer der italienischen Kriegsgefangenen, die bei den Textilwerken Henschel arbeiten mußten, war der Arbeiter Domenico C. aus Turin, der als Soldat der mit Deutschland verbündeten italienischen Armee zunächst in Frankreich, dann in der Sowjetunion gekämpft hatte und im Sommer 1943 nach Italien zurückgekehrt war. Nach dem Wechsel der politischen Verhältnisse in Italien wurde er von der Wehrmacht am 12-9. 1943 gefangengenommen.

 

Nach Aufenthalt im Kriegsgefangenenlager Ziegenhain kam Domenico C. im Oktober 1943 ins Lager Steinbach nach Eschenstruth, im August 1944 ins Lager Süd der Textilwerke Henschel nach Hess. Lichtenau. Sein ausführlicher Bericht (1988) in italienischer Sprache auf Fragen des Historikers Bruno Mantelli soll im folgenden beispielhaft wiedergegeben werden in der Hoffnung, daß auch in der doppelten Verkürzung der indirekten Rede und der aus größeren Zusammenhängen individueller Biographie und politischer Entwicklung isolierten Erlebnisse in Hess. Lichtenau etwas spürbar wird von den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Gefangenen und ihrem Schicksal auf der untersten Stufe einer vom angemaßten Herrenbewußtsein diktierten sozialen Hierarchie. Die Nacherzählung beginnt in der Kaserne in Monza bei Mailand.

 

Am 8. September 1943 hätten die Offiziere die Kaserne verlassen unter dem Vorwand, einen Befehl zu holen. Zurückgekommen sei aber nur deutsche Wehrmacht und habe die Soldaten gefangengenommen. Im Kriegsgefangenenlager Ziegenhain habe es eine Woche wenig zu essen gegeben, dann seien Militärwerber gekommen, die mehr Essen versprochen hätten. Er habe abgelehnt, einige Jüngere hätten unterschrieben, mit der Wehrmacht zu kämpfen. Die jüngeren seien schwächer gewesen als die Älteren, die Rußland hinter sich gehabt hätten und den Hunger schon 'gewohnt' gewesen seien. Dann sei ein Mann von Henschel ins Lager gekommen, um Arbeiter zu holen. Von Eschenstruth hätten sie täglich zur Arbeit nach Hess. Lichtenau gemußt, einige auch zu Bauarbeiten nach Kassel. Als Arbeiter bei den Textilmaschinen hätten sie Glück gehabt, den anderen im Sprengstoff sei es viel schlechter gegangen, die seien stets gelb gewesen. Im Lager Süd sei die Baracke - ausgestattet mit Betten in zwei Etagen - anfangs nachts abgeschlossen worden, so daß keiner auf die Toilette konnte. Neben den 50 Italienern seien auch Franzosen, Belgier und Holländer im Lager gewesen. In einer Halle mit vier Textilmaschinen, wo auch er gearbeitet habe, habe jeweils ein Meister ein bis zwei italienische Hilfsarbeiter gehabt. Die zehnstündige Frühschicht habe von 5 bis 15 Uhr und die neunstündige Spätschicht von 15 bis 24 Uhr gedauert. Sie selbst seien über die Änderung ihres Status am 8. 8. 1944 vom Kriegsgefangenen zum Zivilarbeiter, wie er in seiner Bescheinigung vom Roten Kreuz in Arolsen vermerkt sei, nicht informiert worden.

 

Die Einheimischen seien erst sehr unfreundlich gewesen; später weniger. Die Gefangenen hätten Rüben gesucht, sie seien bespuckt und mit den Worten „weg Badoglios" vertrieben worden. Er habe keine Kontakte zu Deutschen gehabt, nur zu Landsleuten und französischen und belgischen Arbeitern. Miteinander habe man viel gehandelt; Tabak gegen Brot, das in den zugebundenen Hosen versteckt gewesen sei. Sein Meister, der viel Brot gehabt, aber nichts abgegeben habe, sei ihm sehr unsympathisch gewesen. Erst gegen Kriegsende habe er - vielleicht aus Taktik - etwas verteilt.

 

In Hess. Lichtenau hätten sie - anders als in Ziegenhain - Glück gehabt, daß die Fabrik eine Mensa gehabt hätte. Zu essen hätte es einen Teller Suppe aus Kartoffeln und Rübenblättern und zwei Stücke Brot gegeben; später ein großes Stück Schwarzbrot für die ganze Woche. Am Sonntag seien Bauern aus der Umgebung zur Lagerverwaltung gekommen, um Hilfskräfte zu holen. Dies sei für die Gefangenen gut gewesen, weil sie dann mehr zu essen gehabt hätten. Von den vielen Paketen seiner Mutter sei nur eines in Hess. Lichtenau angekommen.

 

Als die Russen näherkamen, habe der deutsche Arbeitskontrolleur gesagt, wir, aber auch ihr Kriegsgefangenen kommt nach Sibirien. Die Italiener hätten geantwortet: wir nicht.

 

Kurz vor der Befreiung hätten zwei Italiener eine Karre mit Zucker gefunden. Er habe Angst gehabt, die Deutschen würden alle Kriegsgefangenen töten wollen. Die meisten Deutschen seien bereits auf der Flucht gewesen, eine Gruppe Italiener habe Essen aus dem Magazin holen wollen und versucht, die Tür aufzubrechen. Ein SS-Mann habe zwei oder dreimal geschossen und einen Kollegen schwer verletzt, der dann mit dem Krankenwagen nach Fulda ins Krankenhaus gebracht worden sei. Am 2. April 1945 seien sie von amerikanischen Soldaten befreit worden. Er sei im Juni 1945 über Rotenburg nach Italien zurückgekehrt.

 

Als nach 45 Jahren Domenico C. seine Erlebnisse als Soldat in Rußland und Kriegsgefangener in Hess. Lichtenau berichtet, ist er ohne Ruhe und voll Selbstvorwürfe, am 8. September 1943-vor der Gefangennahme durch deutsche Soldaten - nicht geflohen zu sein; nach Kriegsende habe er fast nie über die Gefangenschaft geredet.

 

Italienische Forscher sehen bei ehemaligen Kriegsgefangenen traumatische Nachwirkungen weit verbreitet; ausgelöst durch die Rigidität der Deutschen bei und nach der Gefangennahme, durch Exzesse gegenüber denen, die Widerstand geleistet hatten, und durch die Transporte in überfüllten Viehwaggons mit ungewissem Ziel. Der Hunger ist das dominierende Moment in allen Erinnerungen der Deportierten, die nach ihrer Befreiung bis 1977 um die staatliche Anerkennung und Gleichstellung mit den italienischen Partisanen kämpfen mußten.

 

Die Textilwerke in der ersten Nachkriegszeit

 

Stillegung und Wiederaufnahme

 

Nach dem Einmarsch der Amerikaner in Hess. Lichtenau am 2. April 1945 waren die Textilwerke Henschel als Rüstungsbetrieb zunächst stillgelegt worden. Am 30. April 1945 stellte die Werksleitung bei der Militärregierung einen Antrag auf Wiederzulassung, da das Werk nach eigener Einschätzung „Kein Rüstungsbetrieb" gewesen sei. Gleichzeitig hieß es im Antrag, daß das Werk „höchstwahrscheinlich für Lieferung an die amerikanische Wehrmacht" infrage komme. Drei Tage später, am 2.5.1945, wurde der Antrag genehmigt.

 

Der Betrieb, die Herstellung von Geweben für Planen und Autoreifen, sollte mit etwa 300 Personen wiederaufgenommen werden.` Ende April befanden sich noch 400-500 deutsche Belegschaftsmitglieder in der Stadt. Nach Wiederaufnahme der Produktion verdoppelte sich die Belegschaft innerhalb eines halben Jahres.

 

„Entnazifizierung"

 

Bei den Textilwerken wurden nach Kriegsende von 38 Personen in „führender Stellung" 22 Personen aufgrund Gesetz Nr. 8 zur „Durchkämmung der Wirtschaft" „vorsorglich gekündigt", u. a. dem technischen Direktor, mehreren Abteilungsleitern und Werkmeistern. „Behalten" wurden nur die, die nicht in der NSDAP gewesen waren. Die Entlassenen legten Berufung ein.

 

Unter den Entlassenen war Erwin Meyer, der technische Direktor der Textilwerke, der andererseits Mitglied wurde im Lichtenauer Beratungsausschuß, einem Gremium örtlicher Persönlichkeiten, das in der ersten Nachkriegszeit dem neuen Amtsbezirks

bürgermeister beistehen sollte und mit dem der Aufbau eines neuen politischen Lebens gestartet werden sollte.

 

Die 1944 ins Konzentationslager verschleppten Kommunisten und Sozialdemokraten der Stadt bescheinigten nach dem Krieg, daß sich der Direktor der Textilwerke für ihre Freilassung „mit allen Kräften" eingesetzt habe und „ausländische und deutsch-jüdische Arbeiter seines Werkes von ihm gut behandelt" worden seien. Direktor Meyer war zugleich stellvertretender Kreis-Propagandaleiter gewesen." Der Beratungsausschuß der Stadt Hess. Lichtenau attestierte, er habe „ein ihm kommissarisch aufgezwungenes Amt" nie ausgeübt, und urteilte abschließend: „Die antifaschistische Gesinnung von Herrn Meyer steht für uns fest.“

 

Auch andere örtliche Persönlichkeiten verwendeten sich für den Direktor. Anfang Oktober 1945 wurde die wöchentliche Meldepflicht auf der Polizeiwache aufgehoben.` Kurz darauf wurde der Direktor dennoch am 13.10. 45 auf Anweisung der Militärregierung verhaftet, zunächst ins Stadtgefängnis und am selben Tag von der Stadtpolizei nach Witzenhausen gebracht. Am 23.8. 1946 wurde er von der Spruchkammer Witzenhausen weitgehend entlastet, in die Gruppe der Mitläufer eingereiht und zu 2000,RM Sühne verurteilt.

 

Die Rückgabe der Textilwerke

 

Am 20.12.1945 wurden die Textilwerke K.A. Henschel gemäß Gesetz 52, Art. 1, Abs.2, nach dem ehemals jüdischer Besitz rückgeführt werden sollte, unter Vermögenskontrolle gestellt. Den geschäftsführenden Direktor Salzmann ernannte die Militärregierung in Kassel zum Treuhänder. Sowohl Salzmann als auch K. A. Henschel versuchten, vor der Rückführung noch soviel wie möglich aus der Firma herauszuholen.

 

Frau Gertrud Wolff schrieb am 14.1.1946 dem Amt für Vermögenskontrolle in Kassel: „Nach dem Bekanntwerden des Gesetzes 52 sind an dem Vermögen der jetzigen Firma Karl Anton Henschel durch Neugründung zweier Firmen, eine durch den jetzigen Inhaber Karl Anton Henschel und eine durch den jetzigen Treuhänder Direktor Salzmann, Vermögensveränderungen vorgenommen worden, die einen Verstoß gegen dieses Gesetz darstellen."

 

Die eine der beiden Neugründungen war die „Platan GmbH", gegründet am 29.8.1945 mit Sitz auf Schloß Höhnscheid im Kreis Wolfhagen. Das Gesellschafterkapital in Höhe von 20 000 RM, gehörte zu 95 % Helga Henschel, der Ehefrau Karl Anton Henschels, die zugleich einziger Geschäftführer (95 %) war. Zweck des Unternehmens war offiziell die Reparatur von landwirtschaftlichen Maschinen, Geräten und Kraftfahrzeugen in einer Werkstatt auf dem Betriebsgeände der Textilwerke Henschel in Hess. Lichtenau. Bis zum 26.4. 46 aber wurde die Platan vor allem im Textil-Großhandel aktiv. Vom Landrat hatte die Platan sich eine Genehmigung für den Textilhandel geholt, wohl wissend, daß diese Genehmigung rechtsunwirksam war. Gleichzeitige und wiederholte Anträge bei der Industrie und Handelskammer waren regelmäßig abgelehnt worden .71 Der Textilverkauf erfolgte ausschließlich aus Hess. Lichtenau bis zum Verbot des Kasseler Regierungspräsidenten und eines Verfahrens wegen Preisverstößen.

 

Der Leiter des Amtes für Vermögenskontrolle im Regierungsbezirk Kassel zur Gründung der Platan: „Ich sehe die Dinge so, dass durch die Gründung einer zweiten Firma die Textilwerke Karl Anton Henschel, die ja unter Kontrolle stand und die als arisiertes Unternehmen möglicherweise an den Vorbesitzer zurückgegeben werden mußte, wirtschaftlich ausgehöhlt werden sollte, denn sonst wäre es z. B. nicht zu erklären, dass auch Großaufträge, wie z.B.

die der Firma Krupp, ebenfalls über die Platan laufen sollten."

 

Die Ware wurde von den Textilwerken K.A. Henschel direkt an die Kunden geliefert, aber Gewinne, die die Firma Henschel selbst aus dem Textilhandel hätte machen können, flossen der Platan zu und blieben damit in der Familie. Frau Helga Henschel war sozusagen die „Strohfrau" für den Ehemann und - nach Gutachten des Wirtschaftsprüfers S. - für eine „planmäßige Verschiebung des Gewinnes auf die Platan GmbH." sowie „Verschiebung latenter Vermögenswerte aus dem Komplex der Textilwerke. " Nach Anordnung der Preisüberwachungsbehörde mußte die Platan Mehrerlöse von 161.000 RM an die Preisbehörde abführen, die Fabrik K.A. Henschel 50.000 RM Ordnungstrafe zahlen, und K.A.Henschel erhielt neben einer Ordnungsstrafe über 5000 RM Beschäftigungsverbot auf dem Textilsektor für 5 Jahre.

 

K. A. Henschel schied aus der Firma aus, blieb aber bis zur Rückführung im juristischen Sinne Eigentümer der Textilwerke. Als er Anfang 1948 wieder in der Firma tätig werden wollte, protestierten die Frauen Lili Fröhlich und Getrud Wolff dagegen, ihn „und sei es auch nur in untergeordneter Stellung" hier wieder zu beschäftigen. Frau Fröhlich erschien es „moralisch ungerechtfertigt, daß Herr K. A. Henschel sich in dieser Weise ein Einkommen sichert, während zu gleicher Zeit meine Schwester als Mitbesitzerin der Firma trotz ihres hohen Alters von 60 Jahren ihr Brot als Fabrikarbeiterin mit Mühe und Not verdienen muß."

 

Die zweite Nachkriegsgründung, mit der die Textilwerke ausgeplündert werden sollten, war die „Hessia GmbH", die Herr Salzmann im August 1945 in Eschwege gegründet hatte. Von den 150.000,- RM Stammkapital der Gesellschaft hielt Salzmann zunächst 33 % dann 66 %. Zweck des Unternehmens war der Textilgroßhandel. Seit Dezember 1945 war - wie erwähnt - Salzmann Treuhänder der Textilwerke.

 

Nach einer Betriebsprüfung wurden schwere Vorwürfe erhoben, es habe „der geschäftsführende Direktor Salzmann mit dem Privatmann Salzmann zu Lasten von Textilwerke Henschel" Tauschgeschäfte getätigt, z. B. wenig Garn einer schlechteren Sorte von der Hessia gegen viel Garn einer besseren Sorte aus den Textilwerken Henschel. Die Vorwürfe und Verdachtsmomente betrafen „Unterschlagung" reichseigener Ware und „Kassenplünderung" in Hess. Lichtenau, Verstöße gegen die Preisstoppverordnung und Mißbrauch seiner Position, die er dazu benutzt habe, „die von ihm treuhänderisch verwalteten Textilwerke K. A. Henschel so auszuplündern". Der Wirtschaftsprüfer S. kam zu dem Ergebnis, „daß es ihm sichtlich darum gegangen ist, einerseits die reichseigene Ware möglichst schnell umzusetzen und andererseits Geschäftsbeziehungen anzubahnen, die für die Gründung eines Unternehmens, wie Hessia GmbH in einer Zeit ausserordentlichen Warenmangels grundlegende Voraussetzung sein mußten." Salzmann bekam eine Ordnungstrafe und hatte die erzielten Überpreise abzuführen; zusammen: 1.320.000,- RM.

 

Ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren gegen Salzmann wurde eingeleitet und 1948 eingestellt, weil die einzelnen Vorwürfe „als nicht strafrechtliche Tatbestände zu würdigen waren, wenn auch die Handlungen des Herrn Salzmann gelegentlich an einen strafrechtlichen Tatbestand gegrenzt haben." Eine Inventurdifferenz hatte sich inzwischen aufgeklärt, außerdem fühlte sich die Firma „nicht geschädigt."

 

Nach den Betriebsprüfungen war Salzmann am 12.4.46 als Treuhänder abberufen und verhaftet worden. Auf Vorschlag Frau Wolffs wurde der frühere Betriebsdirektor (bis 1938) Willy Fricke neuer Treuhänder, obschon er vielfach durch Aussagen K. A. Henschels; ehemaliger Mitarbeiter und des Betriebsrates ob seiner treibenden Rolle bei der „Arisierung" 1938 schwer belastet war. Trotz Rückendeckung durch Frau Wolff wurde Fricke im April 1947 durch den Treuhänder Tecklenburg ersetzt, der die Geschäfte bis zur Rückgabe führte. Nach Artikel 58 des Befreiungsgesetzes vom 5.3.46 durften ehemalige NSDAP-Mitglieder wie Herr Fricke ohne Ausnahmegenehmigung als Treuhänder nicht mehr tätig sein.

 

Mit Vertrag vom 22. Oktober 1948 wurde die Firma den früheren Besitzern, den Erben Fröhlich und Wolff zurückgegeben. Karl Anton Henschel erhielt nach dem Währungsschnitt 15 % der Kaufsumme in DM, also 502.812 DM .Zu diesem Zeitpunkt stand der Wiederaufbau des Kasseler Werkes kurz vor einem vorläufigen Abschluß, in Hess. Lichtenau wurde eine neue Kesselanlage in Betrieb genommen, die Beschäftigungslage war gut, die Umsätze stiegen, der Auftragsbestand reichte für drei bis vier Monate.` Am 15.11.1948 wurden die wieder als Fröhlich & Wolff firmierenden Werke aus der Vermögenskontrolle entlassen

 

 

Quelle:

Heimatfest Hessisch Lichtenau vm 16.-25.August 1975

VERLAGSBEILAGE HNA

 

Tradition verpflichtet: Seit 1867

Fröhlich & Wolff

ein Unternehmen von weltweitem Ruf

 

Fröhlich & Wolff wurde im Jahre 1867 gegründet. Der Firmensitz befand sich zunächst in Kassel, jedoch wurden in den Folgejahren nach und nach Produktion und Verwaltung nach Hess. Lichtenau verlagert. Hier steht dem Unternehmen ein großflächiges Areal zur Verfügung. Die Inhaber haben von Anbeginn eine großzügige und weitsichtige Konzeption realisiert, die auch nach den heutigen Gesichtspunkten eine rationelle und expansive Fertigung ermöglicht. Die Unternehmensgruppe wird mit Hilfe einer firmeneigenen elektronischen Datenverarbeitungsanlage zentral verwaltet.

 

Die ursprüngliche Weberei zur Herstellung von Bastfasergeweben für Planen und Schiffstuchen entwickelte sich durch eine starke Ausweitung des Artikelsortiments sowie durch ständige Investitionen und Rationalisierungsmaßnahmen zu einem bedeutenden und modernen Betrieb der Schwergewebebranche. So produzieren z. Z, in dem vollklimatisierten, großen Websaal unter der Aufsicht von qualifizierten Facharbeitern ca. 300 Webautomaten und modernste schüttenlose Webmaschinen in Mehrschichtbetrieb nach neuzeitlichen betriebswirtschaftlichen Fertigungsmethoden. Aufbauend auf 100jährige Erfahrung werden heute in der Hauptsache Markisen-, sowie Zelt- und Planstoffe aus Baumwolle und synthetischen Garnen hergestellt, so daß F & W zu den bedeutendsten Produzenten von Markisenstoffen zählt. Ferner erhält das Produktionsprogramm die Artikelgruppen Technische Gewebe für Naß- und Trockenfiltration und sonstige diverse Gewebe für die Kautschuk-Industrie, Einlagestoffe, Mitläufergewebe, Schutzbekleidungsstoffe und Beschichtungsgrundgewebe.

 

Die der Weberei angegliederte Ausrüstung ist in der Lage, mit ihren modernen Kontinue-Anlagen den größten Teil des produzierten Gewebes selbst zu färben und auszurüsten. Langjährige Erfahrung und ständige Entwicklungsarbeit erhalten die Spitzenposition auf dem Gebiet der hydrophoben und antibakteriziden, sowie flammfesten Ausrüstung.

 

Zu dem Geschäftsbereich Gewebe gehört außerdem eine seit zwei Jahren in Hess. Lichtenau in großzügigen, hellen Räumen neu eingerichtete Näherei mit allen erforderlichen Spezialmaschinen einer modernen Zelt- und Schwerkonfektion. Hier werden neben Haus- und Steilwandzelten neuzeitliche Wohnwagenvorzelte unter dem Markenzeichen „FROWOLF" in steigendem Umfang produziert. Auch die NähereiAbteilungen Schwerkonfektion, wo vor allem Großzelte und Abdeckplanen hergestellt werden, und die Filtertuchnäherei zeigen eine ständig ansteigende Umsatzentwicklung. Die Näherei verarbeitet ausschließlich Stoffe aus der eigenen Webereiproduktion.

 

Mit der Entwicklung der Zweirad- und Automobilindustrie wurde der Firma Fröhlich& Wolff der Aufbau eines neuen Produktionszweiges ermöglicht. Während sich diese Fertigung zunächst auf die Herstellung von techn. Corden als Festigkeitsträger für Fahrrad- und Autoreifen aus nativen Fasern (Baumwolle) beschränkte, gelang es, im Zuge der Entwicklung der Chemiefasern mit Typen aus regenerierter Zellulose (Reyon) und in weiterer Folge auch Fasern auf synthetischer Basis  wurde der Grundstein für den neuen Geschäftsbereich Technische Fäden" gelegt. Der Einsatz von Kunststoffen erschloß weitere Märkte, so daß die Betriebe Zwirnerei und Fadenveredelung heute mit kontinuierlichen Zuwachsraten rechnen können, und das Unternehmen auch auf diesem Sektor zu einer Spitzenposition. So leistete Fröhlich & Wolff z. B. Pionierarbeit in der Herstellung synthetischer Reifencorde aus Polyamiden. Hierbei sei auf den ersten Perlonreifen von Deutschland als Vorläufer des heutigen Nylonreifen verwiesen.

 

Fröhlich & Wolff investierte laufend, um die aus dieser Entwicklung gewonnenen Erfahrungen auch auf andere Einsatzgebiete in der Kautschukindustrie auszudehnen. Mit dem Durchbruch zur Hochveredlung von synthetischen Fadengebilden wurde der Grundstein für den neuen Geschäftsbereich „Technische Fäden“ gelegt.

 

Der Einsatz von Kunststoffen erschloß weitere Märkte, so daß die Betriebe Zwirnerei und fadenveredelung heute mit kontinuerlichen Wachstumsraten rechnen können, und das Unternehmen auch auf diesem Sektor zu einer Spitzenposition an europäischen Markt aufrücken konnte.

 

Intensive Entwicklungsarbeit sichern das über Jahre hinweg gewonnene „know how". Das Artikelsortiment dieses Geschäftsbereiches „TechnischeFäden" umfaßt heute technische Garne und Zwirne für Spezialschläuche, Kabelcorde für Keilriemen, Reifencorde, sowie kunststoffummantelte Zwirne für Siebgewebe in verschiedenen Industriezweigen.

 

Die Firma Fröhlich & Wolff genießt mit dem Artikelsortiment beider Geschäftsbereiche einen ausgezeichneten Ruf weit über die Grenzen unseres Landes hinaus.

 

 

Quelle :

HNA Lossetal-Gelstertal vom 28.07.2007

Hans H. Gold

 

Weber brauchten Wasser

 

Vor 100 Jahren wurden die ersten Gebäude der Firma Fröhlich und Wolff errichtet

 

HESSISCH LICHTENAU.

Die ersten Gebäude der Firma Fröhlich und Wolff wurden vor 100 Jahren an der Leipziger Straße errichtet. Zunächst waren es ein Kesselhaus, ein Maschinenhaus, ein. Websaal mit einer Grundfläche von 2000 Quadratmeter, eine Färberei und ein Portierhaus.

 

Später kam noch ein zweiter großer Bauabschnitt. Am 25. Juni 1908 feierte man das Richtfest für die geplante Schwerweberei (unter anderem Segeltuch- und Leinenspinnerei).

 

Die Ansiedlung der Firm Fröhlich und Wolff löste ein Bauboom in Hessisch Lichtenau aus. Neben den Fabrikgebäuden entstanden ab den Jahr 1907 die ersten Wohnhäuser in unmittelbarer Nähe der Fabrik, die ebenfalls dis Firma Fröhlich und Wolff mit der eigens gegründeten gemeinnützigen Baugenossenschaft erstellte. Im Herbst 1908 zogen die ersten zehn auswärtigen Weberfamilien in die neuen Häuser ein.

 

Noch heute bestimmen die Fabrikgebäude und die nahegelegenen Wohnhäuser den östlichen Teil der Stadt Hessisch Lichtenau. Weitere Wohnhäuser errichteten Lichtenauer Bürger ab dem Jahr 1907 in der Biegen- und Friedenstraße. Mit der Ansiedlung der Firma Fröhlich und Wolff fanden viele Menschen aus Hessisch Lichtenau und aus den umliegenden Dörfern einen Arbeitsplatz.

 

Nach dem Aus der Firma F & W haben sich zwischenzeitlich neue Firmen in den ehemaligen Produktionsgebäuden niedergelassen, unter andren eine Druckerei mit Tochterunternehmen. In die übrigen Gebäude haben Dienstleistungsfirmen und Werksvertretungen ihren Sitz verlegt. Die wachsende Einwohnerzahl machte es auch erforderlich, dass die Wasserversorgung für das Stadtgebiet ausgebaut werden musste. Eine Wasserleitung wurde von dem Quellgebiet bei den Hirschhagener Teichen zum neuen Wasserwerk am Berg (unterhalb der Freiherr-vom Stein-Schule) verlegt. Am Eingangsportal des Wasserwerkes (Hochbehälter) ist noch heute die Jahreszahl 1907 sichtbar.