Die regionale Verteilung der Reichstagswahlstimmen läßt sich unschwer aus der Zusammenstellung der Stimmbezirke und ihrer Ergebnisse zu den 15 statistischen Bezirken der Stadt Kassel gewinnen. Wir beschränken uns dabei in der folgenden Tabelle auf die wichtigsten Parteien.
Tabelle 1 : auf die Parteien entfallende Stimmen für die Gesamtstadt
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Tabelle 2 : auf die Parteien entfallende Stimmen für die Stadtbezirke
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Karte 1 : Ergebnisse für die Stadtbezirke
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Wir stellen zunächst das Verhältnis der Parteistimmen zu der Gesamtzahl der gültigen Stimmen in den Vordergrund : Die stärkste Partei ist die SPD; es entfallen auf sie 32,5 % oder fast 1/3 aller abgegebenen Stimmen. Es folgt die NSDAP mit 26,0 % oder über ¼ aller Stimmen, im weiteren Abstand die KPD mit 9,2 %, die Deutsche Staatspartei mit 5,4 %, Christlich-sozialer Volksdienst mit 5,2 % und Zentrum mit 4 %. Auf die vorhandenen Splitterparteien entfallen nur 1,9 % aller abgegebenen Stimmen.
Der Stadtteil Rothenditmold erreicht den höchsten prozentualen Anteil der auf eine Partei entfallenden Stimmen. Die SPD besitzt hier 47,6 % aller gültigen Stimmen. Es folgt der Stadtteil Bettenhausen mit 46,6 %, der Wesertorbezirk mit 46,1 % aller Stimmen für die SPD. Erst an vierter Stelle erscheint die Altstadt mit 39,9 % und schließlich die Unterneustadt mit 37,3 % aller gültigen Stimmen. Das Schwergewicht der sozialdemokratischen Stimmen liegt also vor allem in den typischen Industriebezirken. Es gibt in diesen Stadtbezirken selbstverständlich eine ganze Reihe von Stimmbezirken, in denen die absolute Mehrheit sozialdemokratischer Stimmen bis zu 60 % aller gültigen Stimmen steigt. Die Sozialdemokratie ist in 8 Stadtbezirken die stärkste, in den übrigen die zweitstärkste Partei. Sie ist am schwächsten mit 14,8 % im Hohenzollernviertel.
Der höchste Anteil, den die NSDAP erreichen konnte, beträgt 34,9 % in dem Bezirk Südliche Oberstadt (Rathaus), der also mit dem eigentlichen Stadtzentrum identisch ist. Es folgt der Bezirk Neu-Wehlheiden (Stadthalle) mit 34,7 %, das Frankfurter Viertel mit 34,1 %, das Hohenzollernviertel mit 33,8 %, die nördliche Oberstadt (Bahnhof) mit 32,6 % aller Wähler. Die Nationalsozialisten besitzen in allen Stadtbezirken die größte Stimmenzahl, in denen die Sozialdemokratie nur die zweitstärkste Partei ist. Sie erreichen in den einzelnen Stimmbezirken im Höchstfall nur 41 %, also nicht die absolute Mehrheit.
Die KPD gewinnt in der Altstadt mit 24,5 % aller Stimmen den Höchstsatz ihres prozentualen Anteils an den Wählermassen. Es folgt Holländisches Tor mit 13,6 %, Unterneustadt mit 12,5 % und Wesertor mit 12,3 %. Die DNVP erreicht ihren höchsten Anteil mit 12,4 % im Bezirk Weinberg - Königstor, ebenso die DVP mit 13,1 %, die Staatspartei mit 10,9 % im Hohenzollernviertel, das Zentrum mit 7,0 % in Rothenditmold. Das Stärkeverhältnis der Wirtschaftspartei und des Christlich-sozialen Volksdienstes zu den Gesamtstimmen ist dagegen in allen Stadtbezirken fast dasselbe. Die Splitterparteien erreichen in Wilhelmshöhe mit 3,8 % aller gültigen Stimmen ihren stärksten Anteil an den Wählermassen.
Das Ergebnis ist wie folgt:
Tabelle 3 : die Nichtwähler nach Geschlecht, Beruf
Tabelle und Diagramm (Extra-Fenster)
Tabelle 4 : die Nichtwähler nach Geschlecht, Beruf und Altersstufen
Tabelle und Diagramm (Extra-Fenster)
Die restlose Auswertung des Tabellenmaterials steht vor ungewöhnlichen Schwierigkeiten. Es kommt darauf an, die nach Geschlecht, Alter und Beruf gegliederten Nichtwählergruppen in zahlenmäßige Beziehung zu setzen zu den analogen Gruppen der Wahlberechtigten überhaupt. Das ist hinsichtlich des Geschlechts geschehen. Die Aufgliederung nach Beruf und Alter wurde dagegen durch die umfangreiche Zählarbeit ausgeschlossen, die zwangsläufig damit verknüpft worden wäre. Es muß also sowohl hierauf wie auf eine andere Möglichkeit verzichtet werden, die entsprechenden Beziehungszahlen aus dem Material der Volks- und Berufszählung von 1925 zu gewinnen. Es lassen sich hierdurch - vor allem hinsichtlich der Altergliederung - wohl gewisse Anhaltspunkte gewinnen. Das hierbei angewandte Verfahren liegt aber bereits außerhalb des Rahmens wissenschaftlicher Statistik als exakte Tatsachenforschung.
Wir beschränken uns daher auf die aus der Tabelle unmittelbar hervorgehenden Tatsachen. Gegenüber der bereits festgestellten Gesamtwahlbeteiligung von 82.7 % ergeben sich in den einzelnen Stimmbezirken erhebliche Unterschiede. Die stärkste Wahlbeteiligung mit fast 90 % erreicht der Stimmbezirk 40 (Blücherstraße, Körnerstraße). An zweiter Stelle steht dagegen der Bezirk 53a (Fasanenhof) mit einer Wahlbeteiligung von 88 %. Dagegen liegt der Bezirk mit der schlechtesten Wahlbeteiligung in Wilhelmshöhe : im Bezirk 107 beträgt die Wahlbeteiligung 68 % und die Nichtwählerziffer von 32 %, also fast 1/3 der Wahlberechtigten wählen in diesem Bezirk nicht. Die folgenden Bezirke mit negativer Wahlbeteiligung liegen sonderbarerweise im Zentrum der Stadt (Bez. 10 und 13 Königsstraße - Bahnhofsstraße).
In den Stimmlisten waren 56413 Männer und 70596 Frauen eingetragen. Es übten davon 8124 Männer und 13790 Frauen ihr Wahlrecht nicht aus. Die relative Wahlbeteiligung beträgt also bei den Männern 86 %, bei den Frauen nur 80 %. Es findet sich nur ein Stimmbezirk, in dem die Wahlbeteiligung der Frauen mit 81 % besser ist also die der Männer mit 80 % (Bez. 80 Schillerstraße). Damit ist die - latent längst erkannte - Tatsache des geringeren politischen Interesses der Frau zahlenmäßig umrissen. Es wird noch zun zeigen sein, welche Berufs- und Altersschichten vor allem hierfür verantwortlich sind.
Aus den bereits bezeichneten Gründen ist uns zwar die exakte Feststellung nicht möglich, wieviel Nichtwähler einer bestimmten Berufs- und Altersgruppe im Verhältnis zu den Wahlberechtigten dieser Gruppe sind. Es geht aus der Tabelle dennoch mit aller Deutlichkeit die katastrophale Wahlbeteiligung der jüngeren Altersgruppen hervor. Die 6493 Nichtwähler der Jahrgänge 1905 .. 1910 sind auf 1/3 der stimmberechtigten Bevölkerung dieser Altersstufe überhaupt zu schätzen. Selbst bei den Jahrgängen von 1900 .. 1904 ist mit einer Quote der Nichtwähler von fast ¼ der Stimmberechtigten zu rechnen. Der Höhepunkt der positiven Wahlbeteiligung liegt naturgemäß auf den mittleren Altersgruppen. Die Nichtwählerziffer steigt natürlich wieder mit zunehmendem Alter.
Wie bereits betont, kann der Einfluß der sozialen Stellung auf die Wahlbeteiligung nur geschätzt werden. Bei den Männern werden sich angesichts der starken Wahlbeteiligung kaum wesentliche Verschiedenheiten in dem Verhältnis der einzelnen Nichtwählergruppen zu den entsprechenden Berufsgruppen der Wahlberechtigten überhaupt, abgesehen von der Gruppe der Berufslosen, ergeben. Sie treten dagegen mit voller Deutlichkeit bei den Frauen hervor. Es fällt die außergewöhnlich schlechte Wahlbeteiligung der Hausangestellten - besonders in den jüngeren Altersstufen - ins Auge. Die Wahlbeteiligung beträgt hier schätzungsweise nur 50 %. Dazu treten die erheblichen Nichtwählerziffern der berufslosen Frauen und Witwen besonders in den höheren Altersstufen. Beide Kategorien sind für die geringere Wahlbeteiligung der Frauen verantwortlich. Die Wahlbeteiligung der berufstätigten Frauen und auch der Ehefrauen steht dagegen in keinem Gegensatz zu dem Wahlinteresse der berufstätigen Männer.