Uni Kassel

Universität Gesamthochschule Kassel

Pressemitteilung 68/97
15. Juli 1997
dX-Begleitprogramm der GhK:

Kuh, den Stall verlassend: Nutztier und Kunst

Kassel. Der Bauer arbeitet im Spanungsfeld zwischen Leben und Tod, als Tierhalter ist er Hebamme und Schlachter in einer Person. Obwohl Mensch und Tier eine lange gemeinsame Geschichte verbindet, nutzt Homo sapiens seine Mitgeschöpfe unter oft unerträglichen Bedingungen. Landwirtschafts-Studenten der Universität Gesamthochschule Kassel (GhK) sehen in diesen Widersprüchen ein elementares Thema künstlerischer Auseinandersetzung. Vom 19. bis zum 27. Juli findet im westlich von Kassel gelegenen Altenhasungen das Projekt "Kunst und das Nutztier in der Landwirtschaft" statt, das zum documenta-Begleitprogramm der Hochschule gehört. "Teilnehmer" des Workshops sind neben Studierenden, Künstlern und Bauern auch die Milchkühe und Mastschweine vom ökologisch bewirtschafteten Eschenhof.

"Ursprünglich war die Landwirtschaft ebenso wie die Religion nicht von der Kunst getrennt, es gab keine Begrifflichkeit zu ihrer Unterscheidung", so Patrick Meyer-Glitza und Andreas Weidringer vom Witzenhäuser Projektbüro Landwirtschaft und Kunst. In der zeitgenössischen Kunst werde der Bereich der Landwirtschaft aber kaum bearbeitet. 1995 hatten die beiden Studenten vom GhK-Fachbereich Landwirtschaft, Internationale Agrarentwicklung und Ökologische Umweltsicherung ihr erstes Agri-Kultur-Projekt organisiert. Im thüringischen Eichsfeld stand damals die Kulturlandschaft im Mittelpunkt. Nun wollen sie mit unterschiedlichen künstlerischen Techniken der Beziehung Mensch-Tier nachspüren. Sieben Künstlerinnen und Künstler aus Deutschland und Frankreich werden den Workshop leiten. Ihre Anregungen sollen Zugänge zu den "Grundthemen" Geburt, Leben und Tod öffnen. "Andererseits kann Kunst auf dem Bauernhof die Voraussetzungen für einen bewußteren Umgang mit Nutztieren schaffen", hoffen die Veranstalter.

Helena Rytkönen aus Kassel wird von den Begriffen "Tierarbeit" und "Tieropfer" ausgehen und sie mit Bildern, Masken, Installationen und Performances zu interpretieren versuchen. Sie fragt nach dem Wesen des Tieres: "heiligt" der Arbeitsprozeß das Nutztier oder verliert es sein "Eigenes", wenn der Mensch es dem wirtschaftlichen Kalkül unterwirft? "Die Kuh, das Schwein, das Huhn - ist das schon alles?" haben Bettina Ulrich-Gerber (Aichtal) und Manuela Preissler (Hechingen) ihre künstlerische "Spurensuche" genannt. Sie wollen sich den als ökonomisch nicht "nützlich" eingestuften Tieren wie Würmern, Käfern oder Schmetterlingen widmen und planen "morphologische" Studien, "Eingrabungen" und Installationen. Radovan Kraguly aus Paris wird eine Tanz-Performance und die Installation "Flag & Smoke" inszenieren. Die Arbeitsgruppe "Malerei" leitet der Düsseldorfer Norbert Tadeusz, und Ulrike Zilly (Langheim) verfolgt gemeinsam mit Robert Hartmann die "Kuh, den Stall verlassend".

Organisator Patrick Meyer-Glitza sieht in dem für jedermann offenen Projekt die Chance, angesichts einer hochspezialisierten Landwirtschaft und Tierproduktion den eigenen Horizont zu erweitern - beispielsweise den bäuerlichen Hof als "Organismus" zu begreifen. "Zurück zur Kultur in der Agrikultur", hieß ein Vortrag im Rahmen der GhK-Ringvorlesung "Landwirtschaft und Kunst", mit der das auch kunstwissenschaftlich betreute Projekt vorbereitet wurde. Die Teilnehmer werden in Altenhasungen in Zelt oder Hütte eine Woche gemeinsam leben und sich auch in einem Schwitzhäuschen entspannen. (Kosten: 250 Mark, 100 Mark für die Mahlzeiten). Es sind Gesprächsrunden mit Künstlern und Bauern geplant; an zwei Tagen wird es öffentliche Führungen geben, bei denen die Ergebnisse der gemeinsamen Arbeit gezeigt werden sollen.