Uni Kassel

Universität Gesamthochschule Kassel

Pressemittelung 41/97
Fachgebiet Angewandte Nutztierethologie und Artgemäße Tierhaltung

Wissenschaft für Tierschutz

Witzenhausen/Kassel. Als Entwicklungsland in Sachen artgemäßer Tierhaltung bezeichnet Prof. Dr. Detlef W. Fölsch von der Universität Gesamthochschule Kassel (GhK) die Bundesrepublik. "Es fehlt an Einfallsreichtum und Umsetzungswillen bei den politisch und wirtschaftlich Handelnden und an Konsequenz seitens der Verbraucher", so der Spezialist für angewandte Nutztierethologie und artgemäße Tierhaltung, der seit drei Jahren am Standort Witzenhausen der GhK in Forschung und Lehre an der Verbesserung der Haltungsbedingungen von Nutztieren arbeitet. Fölsch, Inhaber einer Stiftungsprofessur u.a. aus Mitteln der Schweisfurth-Stiftung München in Verbindung mit der Reemtsma-Stiftung, war zuvor an der ETH Zürich tätig. "In der Schweiz lebt beispielsweise seit 1992 kein einziges Huhn mehr in Batteriehaltung", so Fölsch- ein Zustand der auch für die Bundesrepublik erreichbar sein sollte. Damit künftige Agrarwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler Kenntnisse der artgemäßen Tierhaltung und deren Umsetzung erwerben, engagiert sich der Witzenhäuser Professor intensiv in der Lehre seines Fachbereichs, etwa im Studiengang "Ökologische Landwirtschaft" und betreut zahlreiche Studienprojekte, Diplom- und Doktorarbeiten, Seminare und Kolloquien.

Gerade aus der intensiven Erfahrung forschenden Lernens in den Versuchsanlagen des Fachgebiets und der theoretischen Reflektion, auch im Kontext mit anderen Fachgebieten der agrarwissenschaftlichen Ausbildung an der GhK, entsteht für Fölsch der Nachwuchs, der in der landwirtschaftlichen Praxis und Beratung sowie in Verbänden und Politik Einsicht und Druck erzeugen und Veränderungen bewirken kann. Dabei kommen den Witzenhäuser Absolvent(inn)en die Versuchsbetriebe des Fachbereiches zugute: Auf dem Versuchsbetrieb Eichenberg-Dorf besteht ein Versuchsstall für Legehennen und Hähnen mit circa 1300 Tieren sowie für Ziegen. Im zweiten Versuchsbetrieb in Neu-Eichenberg Bahnhof befindet sich eine kleinere Hühnerhaltung mit rund 300 Tieren in Bodenhaltung mit Kleinauslauf; zudem finden sich dort Mastbullen im Tretmiststall sowie Mastschweine im Außenklimastall. Sie alle sind Forschungsgegenstand für die entscheidenden Frage: "Was ist eine artgemäße Haltung des Tieres?" Denn erst eine am Normalverhalten ausgerichtete Haltung von Nutztieren und die dazu benötigten (und zum Teil noch nicht entwickelten) Haltungssysteme sind artgemäß.

Dabei scheint allen Menschen selbstverständlich zu sein, was artgemäße Haltung ist - etwa das Huhn als exemplarisches Beispiel: Es hat ein schönes Federkleid und einen roten Kamm, es gackert fröhlich, scharrt am Boden und legt jeden Tag ein Ei. Das sei zwar nicht falsch, so Fölsch, aber es sage noch nichts darüber aus, wie ein Huhn gehalten werden sollte, damit es all diese Merkmale und Verhaltensweisen auch entwickeln kann. "Eins ist ganz sicher: nicht in Käfighaltung und Legebatterien", so Fölsch. Aggressionen untereinander, spärliches Federkleid, Kannibalismus sind bekannte Erscheinungen der Tiere, denen in Verbindung mit aus zu enger Haltung resultierenden Aggressionen stets die Schnäbel gekürzt werden, die auf Gittern hocken und kaum natürliches Licht erhalten. Galt bislang noch immer als "überzeugendes" Argument, Legebatterie-Hühner hätten weniger Erkrankungen, da sie Futter und Kot nicht am Boden vermischten, ist das für Fölsch längst durch neue Entmistungs- und Fütterungssysteme für Bodenhaltung widerlegt. Alle anderen Erscheinungen dürften nicht hingenommen werden, sondern ökologische Geflügelhaltungen mit artgemäß gehaltenen Tieren sollten an diese Stelle treten. "Allerdings sind die Kenntnisse zur Geflügelhaltung heute, nach jahrzehntelanger industrieller Geflügelhaltung, kaum noch in bäuerlicher Hand". Daher müßten die Kenntnisse heute, wissenschaftlich begründet und didaktisch gut aufgearbeitet, an den landwirtschaftlichen Nachwuchs weitergegeben werden.

Doch um zu ermitteln, was beispielsweise ein Huhn nun eigentlich möchte, werden in Witzenhausen Verhaltensbeobachtungen in unterschiedlichen Gruppen und differenzierten Haltungsbedingungen angestellt und sorgfältig die Versuchsbedingungen fixiert. Denn wie kann sonst aus den Verhaltensgrundformen Nahrungsaufnahme (Suche, Wahl, Futterpicken, Scharren, Trinken), Fortbewegungsverhalten (Gehen, Laufen, Fliegen, Flattern), dem Ruheverhalten (Stehen, Liegen, Schlafen, Dösen), dem Komfortverhalten (Putzen, Flügelausstrecken, Flügelheben, Flügelschlagen, Sand- und Sonnenbaden, Körperschütteln), den sozialen Interaktionen (Soziales Picken, ohne daß der Partner sich entfernt, Hacken, Jagen, Kämpfen, Picken, Treten, sich ducken) sowie dem Fortpflanzungsverhalten (Treiben, Walzern, Treten) und schließlich dem Nestverhalten (Nestinspektion, in der Nestmulde, Nesteln, Scharren, frontales Picken, Eiablage, Eiunterrollen, Brüten) sachgerecht auf angeborenes oder von außen beeinflußtes Verhalten geschlossen und Verhaltensstörungen erkannt werden? Zur Untersuchung dienen dabei unter anderem die Legehennen in den Witzenhäuser Versuchsanlagen; sie leben in Volierenhaltung und können sich ständig in einem überdachten Schlechtwetterauslauf aufhalten und während der Vegetationsperiode auch auf angrenzenden Weiden mit Büschen und Obstbäumen. Diese Herde ist in zwei Gruppen unterteilt, so daß entsprechende Vergleichsuntersuchungen stattfinden können. Untersuchungspunkte bisher waren die Entwicklung des Nestverhaltens, zur Futtervergeudung und Automatennutzung sowie zur Auslaufnutzung- und gestaltung. Diese Untersuchungen haben eine Optimierung der entsprechenden Haltungseinrichtungen zum Ziel.

Beispielhaft soll hier die Untersuchung zu "Aktivität und soziale Beziehungen von Hühnern in Volierenhaltung" (Fölsch et al. 1997) vorgestellt werden. Beobachtet wurde, wie Tiere den ihnen zur Verfügung stehenden Raum nutzen und ob soziale Strukturen innerhalb großer Hühnerherden in Volierensystemen bestehen. Volierenhaltungen bieten den Tieren verschiedene Nutzungszonen im Stallbereich: Auf verschiedenen Ebenen wird Futter und Wasser angeboten, es gibt erhöhte Ruhezonen, Einzel- und Familiennester mit und ohne Sichtschutz werden über die gesamte Stallänge angebracht, der Stall ist mit Tageslicht beleuchtet und ein eingestreuter Boden dient den Tieren zu Gehen, Rennen, Futterpicken und Staubbaden. Dabei wurden drei Volierenhaltungssysteme miteinander verglichen; Stall 1 war ein Volierensystem mit 985 Legehennen und rechnerischen 9,9 Tieren pro Quadratmetern Fläche; Stall II ein Volierensystem mit 1744 Legehennen und sechs Hähnen mit einem Besatz von 11,3 Tieren/qm; Stall III beherbergte 18116 Elterntiere (Hennen-Hahn-Verhältnis 10:1) bei 6,6 Tieren /qm. Dann wurde einige Tiere markiert, Stallzonen definiert und ihr Verhalten mit sieben Verhaltensmerkmalen protokolliert. Das Ergebnis in Kürze: In keinem der Haltunssysteme traten die Verhaltensstörungen Kannibalismus oder Federpicken auf; einzelne Tiere nutzten zwischen 50 und 65 Prozent des gesamten Stalls, bevorzugten jedoch einen bestimmten, kleineren Stallbereich; alle Hennen nutzten zur Eiablage Nester außerhalb der sonst bevorzugten Aufenthaltsorte; der Hahn verbringt rund die Hälfte der Zeit des Lichttages im Scharraum, während sich die Henne vor allem auf erhöhten Standorten bei den Fütterungseinrichtungen aufhielten; die Hennen befanden sich rund 90 Prozent ihrer Zeit dort, die Hähne nur 50 Prozent; dafür traf man die Hennen nur zu sieben Prozent im Scharraum an, die Hähne aber zur Hälfte des Tages: Signifikante Unterschiede zwischen Hennen und Hähnen im Bereich der Bewegung und der Futteraufnahme, die Konsequenzen auf die bisherigen nicht artgemäßen Haltungssysteme (insbesondere Käfige) haben sollten- ebenso die Untersuchungsergebnisse, die zeigen, daß Hühner gesellschaftsfähig und -willig sind: Bis auf wenige Ausnahmen trafen sich einzelne der markierten und beobachteten Tiere mindestens zweimal während des Beobachtungstages mit einem anderen markierten Tier im selben Stallbereich, manche trafen sich 10mal oder häufiger auf dem selben Stallfeld. Erstaunliches Randergebnis dabei ist, daß die braunen Hennen geselliger waren als die weißen; diese hatten deutlich weniger Sozialkontakte als ihre braunen Artgenossinnen.

Die Beobachtungen zeigen, daß Untergruppen in großen Hühnerherden existieren; die bevorzugten Aufenthaltsbereiche Einzelner sind zugleich "Lieblingsort" der Untergruppe. Dieser Ort wird gern zur Eiablage und zur Futteraufnahme verlassen. Für Fölsch ein Beleg, daß Volierensysteme, in denen Bereiche für die unterschiedlichen Lebensfunktionen angeboten werden, den individuellen Bedürfnissen der Tiere entgegenkommen. Die Befriedigung ihrer individuellen Bedürfnisse ist zugleich Voraussetzung für die Bildung einer stabilen Sozialstruktur; so können die Tiere Nähe und Distanz zu anderen Artgenossen selbst bestimmen - ein wichtiger Faktor zur Verhinderung von Streß und daraus resultierenden Verhaltensstörungen wie Kannibalismus, so der GhK-Wissenschaftler.

Zieht man noch einige der zahlreichen Untersuchungen von Fölsch und Mitarbeiter/-innen heran (kann auf Anfrage von der GhK-Pressestelle zugeschickt werden), so zeigt sich, wie wichtig die Untersuchungen zur artgemäßen Tierhaltung sind, sollen Tiere wirklich von Schmerzen und unnötigen Leiden in der Nutztierhaltung befreit werden. Dazu noch einmal das Beispiel Huhn: Unter den Beobachtungsbedingungen in Witzenhausen stellte Fölsch fest, daß Hennen zwischen einem und 1,5 Kilometer Strecke täglich hinter sich legen - laufend, flügelschlagend, fliegend, bei der freien Wahl ihres Aufenthaltsortes (Fölsch et. al. in: Ökologische Flügelhaltung, 1995). Wie quälend da eine Haltung ohne Bewegungsspielraum im Batteriesystem ist, liegt auf der Hand. Verkümmerungen zeigen diese Tiere auch in den gängigen Intensivhaltungssystemen mit Kunstlicht: Die Kämme, soziales Ausdrucksmittel und mit wichtigen physiologischen Eigenschaften ausgestattet (Wärmeregulierung und Lichtaufnahme zur Blutbildung im Körper) sind ein Indikator für artgemäße, tiergerechte Haltung; nur bei ausreichend Tageslicht, nicht zu engem Tierbesatz und angemessenen Stalltemperaturen entwickeln sich die Kämme angemessen (Fölsch et al.: Einfluß der Haltung auf Kammgröße und Kammfarbe bei Hühnern, Tierärztl. Praxis 1994). Bei lichtarmer, enger und überheizter Tierhaltung hypertrophieren die Kämme und werden blass und schlapp. Fölsch: "Wir haben als Tierhalter und als Konsumenten, aber als Menschen überhaupt eine ethische Verantwortung gegenüber den Tieren, die wir als Nutz- und Haustiere halten. Ihren Bedürfnissen so weitgehend entgegenzukommen wie möglich halte ich für unsere Pflicht". Daß dies kein romantischer Appell ist, sondern die Machbarkeit von artgemäßer Tierhaltung auch unter ökonomischen Gesichtspunkt möglich ist, ist Forschungsinteresse von Prof. Fölsch und anderen. Zurück zum Huhn heißt das: .."Neben Wissenschaftlern berichten auch Praktiker ihre Erfahrung. Die Berichte zeigen, daß eine Geflügelhaltung im ökologischen Landbau machbar ist und ein interessantes Einkommen liefern kann", so das Vorwort zum Tagungsbericht "Ökologische Geflügelhaltung" (Witzenhausen 1995).

Annette Ulbricht-Hopf/p

Kontakt und weitere Information:

Prof.Dr. Detlef W. Fölsch
Universität Gesamthochschule Kassel
FG Nutztierhaltung und artgemäße Tierhaltung
Nordbahnhofstr. 1a
37213 Witzenhausen

Tel. 05542/ 98-1641
Fax 05542/ 98-1588

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letzte Änderung: 21. Mai 1997