03.03.2022 | Porträts und Geschichten

Was der Sandraub in Westafrika anrichtet

Es ist Trockenzeit in Ghana, als die Studentin Katharina Hemmler im Januar 2020 während einer Forschungsexkursion zum ersten Mal eine „Sandmine“ nur wenige Kilometer außerhalb der Hauptstadt Accra besichtigt und durch zerstörte Landschaft läuft. „Ein unglaublich beklemmender Anblick“, berichtet sie. „An einer Stelle stand noch ein einzelner Baum, in dem die Vögel zwitscherten. Ich habe mir vorgestellt, wie grün und lebendig die Landschaft vorher gewesen sein muss. Da wird man traurig.“

Die zurückbleibende Verwüstung ist nicht nur in Ghana ein großes Problem. Auch in anderen afrikanischen Ländern, in Vietnam oder Indonesien baggern kriminelle Banden Flussbetten und ganze Landstriche aus oder pumpen Sand vom Meeresboden. Vielerorts agiert eine „Sandmafia“, die mit Bestechungsgeldern den wertvollen Rohstoff Lkw-weise an den Behörden vorbei an die Bauindustrie liefert. In Indien toben besonders gewaltreiche Konflikte um die begehrte Ressource.

Der Abbau derart großer Mengen natürlicher Sandvorkommen zerstört Lebensräume. Kurz- und mittelfristig wächst hier kaum mehr etwas. Welche genauen Auswirkungen auf Ökologie und Landwirtschaft der Raubbau in Ghana hat, wurde bisher aber noch nicht systematisch untersucht. Deshalb widmet Katharina Hemmler ihre Promotion im Fachgebiet Ökologischer Pflanzenbau und Agrarökosystemforschung in den Tropen und Subtropen (Prof. Dr. Andreas Bürkert) dem Thema. So reiste sie im März 2021 wieder nach Ghana, um systematisch Bodenproben zu entnehmen. Ihre Analysen sollen zeigen, welche Schäden die Bodenfruchtbarkeit an den betroffenen Orten sowie in direkter und entfernter Nachbarschaft durch den illegalen Sandabbau und die nachfolgende oft großflächige Erosion nimmt. Zusätzlich sprach sie während ihres sechsmonatigen Aufenthalts zusammen mit Kofi Asare von der Ghana-University of Cape Coast mit betroffenen Menschen. Asare und ein Kollege erforschen die sozialen und politischen Dimensionen des Sandraubs mit den ihn begleitenden mafiösen Strukturen.

Die Ursache für den illegalen Sandabbau in Ghana ist ein Bauboom, der zu einem sehr raschen Flächenwachstum der Hauptstadt Accra führt und beispielhaft ist für viele andere Großstädte auf dem Kontinent. 1960 lebten im Großraum Accra noch eine halbe Million Menschen, heute sind es mehr
als fünf Millionen. Um Wohnraum und Infrastruktur zu schaffen, verschlingt die Bauindustrie auch hier Rohstoffe. Der wichtigste mineralische Baustoff ist Sand. Weltweit werden im Jahr etwa 40 Milliarden Tonnen Sand verarbeitet, schätzt das Umweltprogramm der Vereinten Nationen, der allergrößte Teil davon, rund 30 Milliarden Tonnen, für die Produktion von Mörtel und Beton. „In Ghana möchte jeder in einem festen Haus wohnen. Wer in einem Haus aus Holz und Lehm wohnt, wird ausgegrenzt“, berichtet Hemmler aus ihren Gesprächen.

In der Region rund um Accra befinden sich die für die Bauindustrie benötigten Sandvorkommen im Oberboden von ein bis drei Metern Dicke. Dort wurden sie über Jahrtausende durch Erosion abgelagert. „Dieser Sand wird von kriminellen Banden einfach aus dem Boden gebaggert. Zurück bleiben riesige Löcher, die in der Regenzeit zu Tümpeln werden“, erzählt Hemmler. Genaue Zahlen über das gesamte Ausmaß gebe es noch nicht. Aus Beobachtungen von Hemmler und Asare lässt sich die Gesamtmenge von abgebautem Sand im Umkreis von Accra auf pro Jahr rund 12 Millionen Tonnen hochrechnen. Aber sowohl Behörden als auch internationale Organisationen können den legalen und illegalen Sandabbau kaum nachvollziehen. Korruption erschwert das Monitoring zusätzlich. Meist sind bewirtschaftete Flächen und Obstplantagen von Kleinbauern betroffen. „Nach dem Sandabbau ist Landwirtschaft nahezu nicht mehr möglich, und für den Verlust ihrer Lebensgrundlage erhalten die wenigsten Bauern eine Entschädigung“, so Hemmler. „Einige erzählten uns, wie sie nachts von den Sandräubern überrascht und bedroht wurden.“ Sie hätten zusehen müssen, wie am nächsten Morgen aus ihrem Acker eine tiefe Grube geworden war, berichtet Hemmler. Bulldozer schieben den Oberboden einfach zur Seite, oft wird er separat als Pflanzerde für städtische Anlagen verkauft. Den darunterliegenden Boden tragen große Baggerschaufeln ab, bis sie auf Felsbrocken stoßen.

Um die Wirkungen auf Umwelt und Landwirtschaft zu quantifizieren, besuchte Hemmler eine Vielzahl verwüsteter Orte und sammelte Bodenproben vom Grund der entstandenen Krater, von Äckern direkt daneben und von Standorten in einigen 100 Metern Entfernung. Die Untersuchungen sollen zeigen, welche kurz-, mittel- und langzeitigen Folgen der illegale Sandabbau für Ackerstandorte, bäuerliche Betriebe und letztlich auch für die Nahrungsmittelproduktion hat. Die erhobenen Ertragsdaten sowie die Analyse von Bodenfeuchtigkeit, Bodendichte, pH-Wert, Gehalt von Stickstoff und Kohlenstoff sowie die Konzentration von pflanzenverfügbarem Phosphor, Kalium und Natrium werden Aufschluss auf die Veränderung
der Bodenqualität geben.

Bis die Ergebnisse aber vorliegen, wird noch Zeit vergehen. Denn die junge Agrarwissenschaftlerin befindet sich in diesem Frühjahr auf einer weiteren Forschungsreise nach Mali. Auch die dortige Hauptstadt Bamako erlebt einen Bauboom. Im Flussbett des Niger, der durch die Hauptstadt fließt, gibt es geeigneten Sand als Rohmaterial, der von Hunderten von Menschen mit Eimern unter Wasser gesammelt und auf kleinen Booten ans Ufer transportiert wird. Er ist bereits gewaschen und frei von Verunreinigungen. „Hier werden zwar deutlich kleinere Mengen Sand gefördert als um Accra, aber langfristig könnte dadurch der Fluss absinken und damit wertvoller Boden von benachbarten Äckern in den Fluss gespült werden“, vermutet Hemmler. Auch hier wird sie deshalb betroffene Personen vor Ort befragen: Fischer, Arbeiter und Landwirte und Wasserproben entnehmen. Möglicherweise regenerieren sich die sandigen Sedimente des Nigers aber während der Regenzeit, denn dann werden mit dem Regen sandhaltige Sedimente aus seinem großen Einzugsgebiet in den Fluss gespült.

„Die rücksichtslose Zerstörung von Umwelt und bäuerlichen Existenzen durch das Handeln einiger Profiteure zu sehen macht mich nicht nur traurig, sondern auch wütend. Weniger auf den einzelnen Sandabbauer, sondern vielmehr auf das System von Machtausübung und Bestechung, das dahintersteckt“, berichtet Hemmler. Auch mit den Sandabbauern hat sie gesprochen und erfahren, dass der Abbau für sie und ihre Familien ein Weg aus der Armut ist. Der Sandraub werde durch eine Mischung aus bäuerlicher Hilflosigkeit, grenzenlosem Gewinnstreben einiger Investoren, mangelnder Durchsetzung existierender Gesetze und Korruption ermöglicht, schlussfolgert die junge Wissenschaftlerin. Das langfristige Gemeinwohl gehe unter.

Es scheint nur noch eine Frage der Zeit, bis der Rohstoff Sand eben nicht mehr wie „Sand am Meer“ verfügbar ist. Denn Sand gehört neben Kohle, Erdgas und Öl nicht zu den erneuerbaren Ressourcen. In dem Tempo, in dem der Mensch ihn entnimmt, kann die Erde ihn nicht auf natürlichem Weg bereitstellen.

Produktpalette Sand
Nicht nur die Bauindustrie verschlingt den begehrten Rohstoff Sand. Fast überall ist Sand versteckt: in Computern, Handys, Mikrochips, Autos und Flugzeugen, Farben, Klebstoffen bis hin zu Kosmetika oder Zahnpasta. Glas wird aus Sand hergestellt. Jeansstoffe werden mit Sandstrahlen aufgeweicht oder gebleicht. Das aus Sand gewonnene Siliziumdioxid wird auch in der Weinindustrie und in vielen weiteren Lebensmitteln verwendet.

Dieser Beitrag erschien im Universitäts-Magazin publik 2022/1. Text: Vanessa Laspe | Fotos: Katharina Hemmler / Andreas Bürkert.