Vier von zehn Mitarbeitenden in Krankenhaussozialdiensten in Deutschland sind erschöpft

Höhere Belastungswerte als im Branchendurchschnitt
Im Vergleich zu anderen Berufsgruppen berichten Sozialarbeitende im Krankenhaussozialdienst von deutlich stärkeren emotionalen Anforderungen. Auf einer Skala von 0 bis 100 lag der durchschnittliche Belastungswert bei 82 Punkten – rund 40 Punkte über dem Mittelwert anderer Berufe in Deutschland. Auch im Vergleich zur allgemeinen Sozialen Arbeit fällt dieser Wert signifikant höher aus. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Burnout-Symptomatik: Hier erreichen Krankenhaussozialdienste einen Mittelwert von 54 Punkten, gegenüber 51 Punkten in der allgemeinen Sozialarbeit und 49 im bundesweiten Berufsdurchschnitt.
Die im November 2023 durchgeführte Befragung von allen Sozialdiensten an 2.503 Krankenhausstandorten in Deutschland verdeutlicht den Handlungsbedarf: Über 42,6 Prozent der befragten Krankenhaussozialdienste fühlen sich häufig oder immer emotional erschöpft, 33,9 Prozent berichten regelmäßig über körperliche Erschöpfung. Besonders alarmierend: 70,1 Prozent der Teilnehmenden gaben an, in den vergangenen zwölf Monaten krank zur Arbeit gegangen zu sein. „Diese Berufsgruppe steht tagtäglich an der Schnittstelle zwischen medizinischer Akutversorgung, existenziellen Sorgen der Patientinnen und Patienten und organisatorischem Druck, insbesondere beim Entlassmanagement. Das hinterlässt Spuren“, ordnet Hollederer ein. „Auffällig sind die von den Krankenhaussozialdiensten berichteten überdurchschnittlich hohen quantitativen Anforderungen, die auf Gründe im ‚System Krankenhaus‘ und bei den Personalressourcen hinweisen.“
Prävention erreicht die Beschäftigten oft nicht
Trotz der hohen Belastung nehmen viele Sozialarbeitende betriebliche Gesundheitsangebote nicht wahr. Zwar berichten 73,0 Prozent, dass in ihrer Einrichtung Maßnahmen zur Gesundheitsförderung angeboten werden, doch nur 39,4 Prozent haben tatsächlich daran teilgenommen. Gleichzeitig zeigten 55,5 Prozent Interesse an einem Kurs zur Stressbewältigung.
„Die Diskrepanz zwischen Angebot und Inanspruchnahme von Gesundheitsmaßnahmen muss gezielt adressiert werden“, erklärt Hollederer. „Es reicht nicht, Maßnahmen nur anzubieten – sie müssen auch passgenau, niedrigschwellig und verlässlich verankert sein und es muss die Zeit dafür zur Verfügung stehen.“ Die Studie liefere deshalb auch eine evidenzbasierte Grundlage für gesundheitsförderliche Interventionen und politische Maßnahmen, so der Gesundheitswissenschaftler weiter.
Dabei bestätigen die Ergebnisse zudem zentrale arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse: Die Kombination aus hohen emotionalen Anforderungen und begrenzten strukturellen Ressourcen begünstige die Entwicklung von Burnout-Symptomen. Als Fazit betont der Forscher die Notwendigkeit, sowohl präventive Angebote als auch strukturelle Verbesserungen umzusetzen. „Die Sicherung der psychischen Gesundheit dieser Fachkräfte ist kein Randthema – sie ist Voraussetzung für eine gute Versorgung im Krankenhausalltag“, so Hollederer. Die Studie zeige demnach einen Bedarf für die flächendeckende Umsetzung der vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilungen psychischer Belastung auf.
Hintergrund zur Studie
Die Studie wurde im Rahmen des Projekts „Gesunde Sozialdienste“ unter finanzieller Förderung der Berufsgenossenschaft für Gesundheits- und Wohlfahrtspflege (BGW) durchgeführt und im Fachjournal Soziale Passagen – Zeitschrift für Empirie und Theorie Sozialer Arbeit veröffentlicht.
Grundlage war eine freiwillige Online-Befragung von allen Sozialdiensten an 2.503 Krankenhausstandorten im November 2023 in Deutschland. Es antworteten 619 Krankenhaussozialdienste (Rücklaufquote: 24,7 Prozent). Zum Einsatz kam ein teilstandardisierter Fragebogen auf Basis des etablierten COPSOQ III (Copenhagen Psychosocial Questionnaire), einem international anerkannten Messinstrument zur Erfassung psychischer Belastungen und Beanspruchungsfolgen am Arbeitsplatz.
Link zur Studie: https://link.springer.com/article/10.1007/s12592-025-00527-w
Kontakt:
Prof. Dr. Alfons Hollederer
Universität Kassel
Fachbereich 01 Humanwissenschaften
Institut für Sozialwesen
Professur Theorie und Empirie des Gesundheitswesens
Telefon: 0561 8042974
alfons.hollederer@uni-kassel.de
www.uni-kassel.de/go/gesundheit
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