30.09.2019 | Porträts und Geschichten

„Die Wissenschaft muss sich positionieren“

Unterstützung für Fridays for Future?

Bild: Andreas Fischer.

Im März 2019 demonstrierten an einem ersten globalen Protesttag der Bewegung „Fridays for Future“ allein in Deutschland 300.000 Schülerinnen und Schüler für den Klimaschutz. Aufsehen erregt die Konsequenz, mit der die jungen Leute ihre Forderungen unterstreichen. Sie bestreiken die Schule, die sie ja auf ihre berufliche und zivilgesellschaftliche Zukunft vorbereiten soll. Die Möglichkeiten, die für sie dabei entstehen sollen, stellen sie in Frage. Die Erderwärmung bedrohe diese Perspektiven und Erwartungen massiv. Die jungen Leute sind dabei sehr konsequent, schließlich kann der Schulstreik für die einzelnen Schülerinnen und Schüler durchaus unangenehme Folgen haben.


Die Streikenden argumentieren mit guten Gründen für ihr Handeln. Wissenschaftlich sehr gut belegte Kipppunkte im Klimasystem kommen immer näher. Es besteht die Gefahr einer Unumkehrbarkeit der Erderwärmung und einige Folgen sind ja bereits zu sehen. Schon 1992 hatte die Weltgemeinschaft beschlossen, dass eine nachhaltige Entwicklung dafür sorgen soll, dass künftige Generationen wenigstens die Entfaltungsmöglichkeiten haben, die heutige Generationen für sich in Anspruch nehmen. Seit dieser Zeit gibt es sogar einen Artikel 20a im Grundgesetz, der dies zum Ausdruck bringt. Die streikenden jungen Leute sehen, dass seitdem nur langsam an Veränderungen gearbeitet wird, teilweise gibt es auch erhebliche Rückschritte. Dies bedeutet besonders für die kommenden Generationen massive Gefahren und eine Einschränkung ihrer Lebensmöglichkeiten. Heutige Erwachsene vollbringen hinsichtlich des Klimawandels enorme Verdrängungsleistungen und junge Leute nehmen sie nun in die Pflicht. Sie lassen sich nicht vertrösten und fordern politisches Handeln für eine wirksame CO2-Reduktion ein.


Die Streiks und Demonstrationen der Schülerinnen und Schüler haben eine eigentlich seit langem bekannte Grundlage. In den Shell-Jugendstudien von 2002 bis 2015 ist die Sorge hinsichtlich der Umweltverschmutzungen bei 60 Prozent der jungen Menschen konstant hoch. Der Klimawandel, der in der Studie von 2010 erstmals thematisiert wurde, löst bei 55 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen Ängste aus, 76 Prozent halten ihn für ein großes oder sehr großes Problem. Viele Jugendliche, auch das ergeben die Jugendstudien, versuchen mit eigenen Verhaltensänderungen auf die Klimaproblematik zu reagieren. Eine neuere Untersuchung des Bundesumweltministeriums zeigt, dass junge Menschen zu 83 Prozent das Verbraucherverhalten als ursächlich für die Klimakrise sehen, 86 Prozent sehen aber die Handlungsmacht beim Staat. Die „Fridays for Future“-Demonstrationen haben also einen Hintergrund in den Sorgen und berechtigten Zukunftsängsten junger Menschen. Offenbar bedurfte es einer Person wie Greta Thunberg, vielleicht als eine Art Katalysator, um diese Sorgen, zusammen mit Forderungen, auf die Straße zu bringen. 


Auch Bildung und Wissenschaft sind gefordert. Es geht um Inhalte und Fragestellungen in Forschung und Lehre. Der Klimawandel ist wissenschaftlich belegt, die Folgen sind teils vorhersehbar. Wissenschaftliche Erkenntnis muss jetzt auch politische Folgen haben. Wissenschaft muss sich positionieren. In Berlin hat sich das gesamte Präsidium der Technischen Universität an einer „Fridays-for-Future“ Demonstration beteiligt. Die Humboldt Universität will auf Druck der Studierenden bis 2022 klimaneutral werden. Die Universität Kassel hat starke Traditionslinien im Umweltbereich und Ansätze nachhaltiger Hochschulpolitik, an die sie sehr gut anschließen könnte. Auch Bildung für nachhaltige Entwicklung ist mancherorts allerdings keineswegs flächendeckend präsent. Was fehlt, ist eine offensive Hochschulpolitik zu Klima- und Nachhaltigkeitsfragen. Gerade gründet sich eine Gruppe der „Scientists for Future“ an der Universität. In der Kasseler Stadtgesellschaft entwickelt sich eine breit getragene Bewegung für Emissionsreduktion und Klimaneutralität. Die Universität Kassel ist mit wissenschaftlich fundierten Argumenten also anschlussfähig und kann einen notwendigen Aufbruch nach innen und außen wirksam stützen.

 

Text: Bernd Overwien