02.06.2020 | Campus-Meldung

Zur Neuerfindung der Entwicklungstheorie

Am Fachgebiet Entwicklungspolitik und Postkoloniale Studien der Universität Kassel ist im Frühjahr 2020 unter der Leitung von Prof. Dr. Aram Ziai das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Forschungsprojekt „Zur Neuerfindung der Entwicklungstheorie gestartet: Post-Development Theoretisieren“. Das Projekt will einen grundlegenden Beitrag zur entwicklungstheoretischen Debatte leisten, die, trotz einiger kritischer Ansätze der vergangenen Jahrzehnte, in engen eurozentristischen Rahmensetzungen verhaftet bleibt.

Bild: Eddo; Luan, Lizenz: CC BY-SA 3.0
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Post-Development formuliert fundamentale Kritik: Entwicklung sei - als Praxis, politisches Projekt, aber auch als Vision – grundlegend gescheitert. Post-Development Vertreter*innen kritisieren, dass „Entwicklung“ zwangsläufig mit Abhängigkeiten, Ausbeutung und Ungleichheit einhergehe. Diese Verhältnisse würden durch Fortschritts- und Wachstumsversprechen, die westliche Lebens- und Wirtschaftsmodelle als universellen Maßstab proklamieren, in Theorie und Praxis immer wieder reproduziert.

„Durch die Kritik an Eurozentrismus, Machtverhältnissen und ganz konkret durch ihren Fokus auf nichtwestliche Modelle der Politik, des Wirtschaftens und Zusammenlebens können Post-development Ansätze einen grundlegenden Beitrag zur Dekolonisierung der Entwicklungstheorie leisten. Diese geht größtenteils weiterhin von einer normativ positiven Konnotation von „Entwicklung“ aus und setzt eine „gute Gesellschaft“ mit der „westlichen“ gleich“, sagt Prof Aram Ziai. „Allerdings ist bisherige Forschung zu Post-Development fast ausschließlich empirisch.“ Im Rahmen des Projektes will er durch eine systematische theoretische Formulierung der Post-Development Ansätze zu einer Neuerfindung der Entwicklungstheorie beitragen. 

Globale Krisen machen es zunehmend unübersehbar, dass das westliche Entwicklungsversprechen nicht für alle, sondern nur für einen kleinen Teil der Weltbevölkerung gilt. Mit „westlich“ ist hier vor allem die industrialisierte, moderne, kapitalistische Massenkonsumgesellschaft gemeint, deren imperiale Lebensweise, basierend auf Ausbeutung und Aneignung von Rohstoffen und Arbeitskraft, langfristig für niemanden mehr nachhaltig sein kann.

„Alternativen zur Entwicklung müssen nicht neu erdacht werden“, sagt Julia Schöneberg, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt. „Es gibt zahlreiche praktizierte nicht-westliche Konzepte eines „guten Lebens.“  Davon ausgehend erforscht das Projekt systematisch ein Pluriversum an Alternativen - Lebensweisen und Weltsichten, die sich aus dem bekannten universalistischen Muster des „Weiterentwickelt-Werdens“ loslösen - und untersucht wie macht- und wachstumskritische „Alternativen zur Entwicklung“, die sich auf eine solidarische Lebensweise und Gemeinwohl fokussieren, theoretisiert werden können, ohne legitime Forderungen nach mehr materieller Gerechtigkeit aus dem Blick zu verlieren.

Rückfragen zum Projekt:

Dr. Julia Schöneberg, julia.schoeneberg[at]uni-kassel[dot]de

Prof. Dr. Aram Ziai, ziai@uni-kassel.de