26.04.2021 | Porträts und Geschichten

Trug man das damals so?

Die Kleidung der Frauen in Ägypten – Zwischen Tunika, Toga und Socken in Sandalen

Nach ihrem täglichen Bad in frischer Milch erhebt sich die Schönheit Kleopatra. Sofort eilen Dienerscharen heran, um sie in strahlend weiße Gewänder, verziert mit Goldornamenten, zu hüllen. Währenddessen arbeiten draußen ihre Sklaven und tragen dabei triste, graue, halbzerrissene Lumpen an ihren Körpern. So stellen sich viele das alte Ägypten vor.Jedoch hat diese Darstellung wenig mit dem Alltag der Menschen jener Zeit zu tun, weiß die Kasseler Althistorikerin PD Dr. Kerstin Droß-Krüpe. „Zum einen handelte es sich bei Kleopatra um die Spitze der Pyramide. Das tägliche Leben der Bevölkerung spiegelt sie also nicht wider. Zum anderen ist unsere Vorstellung jener Zeit geprägt von Darstellungen à la Hollywood.“Im Gegensatz zu Kleopatra hatte die durchschnittliche Frau jener Zeit einen deutlich begrenzteren Kleiderschrank. Zum Standard gehörte die Tunika, die meist bis zu den Knien oder den Knöcheln reichte, sowie der Mantel. Beides gab es – je nach Geldbeutel – in unter-schiedlichen Qualitäten und Materialien. Beispielsweise aus Wolle, Leinen oder hochwertiger Seide. Auch im damaligen Ägypten galt der Ausspruch „Kleider machen Leute“. So war die Toga Männern vorbehalten, die das römische Bürgerrecht hatten und war damit ein sichtbares Kennzeichen von politischen Privilegien. Sie wurde über der Tunika getragen, war oval- förmig und bestand aus rund neun Quadratmetern Stoff.

Anders als heute war damals jedes Kleidungsstück eine Maßanfertigung, die vom Kunden in Auftrag gegeben wurde. Das Produkt wurde meist in einem Stück am Webstuhl gefertigt – Zuschnitte waren eher selten. Eine weitere Besonderheit war, dass das benötigte Material vom Kunden selbst besorgt werden musste. Die beliebtesten Farben waren Rot- und Gelbtöne, wobei es eine weite Farbpalette gab. Gewonnen wurden sie aus pflanzlichen und tierischen Rohstoffen. Purpur beispielsweise wurde aus der Hirnanhangdrüse einer Meeresschnecke gewonnen und war sehr wertvoll. Safran ergab gelb, Walnussschalen braun und Kermes-Läuse rot. Häufig war die Kleidung jedoch schlicht weiß. Dies könnte daran gelegen haben, dass gerade Leinen schwierig zu färben ist. Da die Herstellung einer Tunika im Schnitt zwischen 18 und 20 Tage dauerte, war sie dementsprechend wertvoll. Eine Tunika konnte 160 Drachmen wert sein. Genug Geld, um eine sechsköpfige Familie zwei Monate lang zu versorgen. Aus diesem Grund ließen sich Frauen ihre Mitgift, die fast immer Kleidung umfasste, schriftlich bestätigen. Im Falle der Scheidung, die nicht selten war, bestand so die Möglichkeit, den eigenen Besitz wiederzubekommen.

Ebenfalls von großem Wert sind diese Dokumente heute für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Droß-Krüpe sagt, dass u.a. Mitgift-Vereinbarungen aus der Zeit, als Ägypten eine Provinz des Römischen Reiches war (30 v.Chr. – 642 n.Chr.) zur Erforschung der Kleidung jener Zeit eine wichtige Quelle sind. Wird doch die Garderobe der Frau detailliert beschrieben. „Die Texte aus Ägypten ermöglichen faszinierende Einblicke in die Alltagswelt der Menschen. Auf Papyrus haben sich tausende Briefe, Quittungen, Eingaben und Verträge erhalten – Dokumente aus ganz unterschiedlichen Bevölkerungsschichten,“ bestätigt Droß-Krüpe. Trotz der enormen Quellenlage stoßen Historiker aber auch hier auf Herausforderungen. „Gelegentlich werden Kleidungstücke benannt, die uns heute unbekannt sind und deren Erscheinungsbild auch nicht näher beschrieben werden“, so Droß-Krüpe. „Manchmal kann man vorsichtige Rückschlüsse aus dem Wort selbst ziehen – meistens tappt man aber im Dunkeln. Letztendlich ist es oft ein Abwägen von Plausibilitäten. Welche Bedeutung hat der Wortstamm, in welchem Kontext kommt er vor, sind Rückschlüsse auf Details aus den Kontexten möglich und gibt es bildliche Darstellungen, mit denen sich das in Übereinstimmung bringen lässt.“ Ein Beispiel ist das Wort „episkarsia“, das u. a. in einem Mitgiftvertrag erwähnt wird. Übersetzungsvorschläge gibt es viele, sodass unklar ist, was das sein soll. Werden andere Quellen betrachtet, in denen der Begriff ebenfalls vorkommt, sind Kleidung, Bettzeug oder andere Gewänder episkarsioi. Es hat also etwas mit der Beschaffenheit eines Kleidungsstückes zu tun. In anderen Quellen, die nichts mit Kleidung zu tun haben, beschreibt der Begriff rechtwinklige Dinge. Unter anderem ein Straßensystem oder das Anbringen von Schiffsplanken. Hieraus könnte man schließen, dass es sich auch bei den Textilien um etwas Rechtwinkliges handelt – möglicherweise um ein Karomuster. Naheliegend erscheint es, einfach Bilder zu betrachten, um Form und Farbe der Alltagskleidung zu bestimmen. Eine Möglichkeit hierfür wären Mumienportraits. Dabei handelte es sich um das Abbild eines Toten, welches an seiner Mumie angebracht wurde. Hier gibt es jedoch zwei Probleme: Zum einen wurden diese Bilder eher für die Eliten angefertigt. Zum anderen tragen die Verstorbenen immer festliche Kleidung. Gezeigt werden also Idealbilder, welche nicht dem Alltag entsprochen haben. Manchmal zeigen diese Abbildungen jedoch, dass modische Trends immer wiederkehren. Auf einem Leichentuch ist das Abbild einer Frau mittleren Alterszu sehen. Sie trägt eine gelbliche Tunika, an deren Halsschlitz eine weiße Einfassung mit roten Zackenmuster sichtbar wird“, beschreibt Droß-Krüpe. „Dazu trägt die Dame rote Socken und Sandalen. Wenn Sie sich je gefragt haben, wer mit dieser Kombination begonnen hat – jetzt kennen Sie die Antwort.“

Text Dennis Müller