02.12.2022 | Porträts und Geschichten

Welche Art der Landwirtschaft brauchen wir, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern?

Prof. Andreas Thiel beantwortet in dem Format „Kassel fragt, Kassel forscht“ eine Frage von Kasseler Bürger:innen, die im Projekt ZUKUNFTSDIALOGE gesammelt wurde.

Ich bin Andreas Thiel, Fachgebietsleiter internationaler Agrarpolitik und Umwelt Governance am Fachbereich 11 der Universität Kassel. Wir beschäftigen uns mit der Erklärung der Entstehung von Politiken bezüglich des Agrar- und Umweltsektors und bezüglich der Evaluierung dieser Regularien in Bezug auf ihre Effektivität, Nachhaltigkeit zu erreichen.

Die Frage nach der Art der Landwirtschaft, um die Herausforderungen der Zukunft besser zu meistern, ist natürlich eine sehr große Frage. Es wird noch viel Forschung notwendig sein, um diese Frage ansatzweise in Bezug auf die Richtung der Politik, die diesbezüglich eingeschlagen werden soll, zu beantworten. Sicherlich sehr wichtig wird es sein, dass wir erkennen, dass wir unsere Ernährungsgewohnheiten verändern müssen. Diesbezüglich wird sicherlich auch der Staat tätig werden müssen, in dem Sinne, dass er Anreize setzt und dass er Werthaltungen bezüglich der Wertschätzung der Tätigkeiten der Landwirtschaft und der zusätzlichen Nutzen, die sie bereitstellt, durch die Bereitstellung von Landschaftswerten durch Biodiversität, dass dies auch in Preisen sich niederschlägt und in der Honorierung der Leistungen der Landwirte. Mit einer solchen Preisgestaltung, die Landwirte besserstellt, wird es sicherlich auch einhergehen, dass die Konsumenten mehr in die Pflicht genommen werden und dass Preise für Nahrungsmittel steigen werden.

Um so etwas zu realisieren, kann es auch dazu kommen, dass größere Handelsbarrieren errichtet werden müssen, dass nicht Europa dem freien Weltmarkt ausgesetzt ist, so wie es heutzutage der Fall ist. Um so etwas zu realisieren, bedarf es natürlich auch der Berücksichtigung der Auswirkungen einer solchen Umorientierung der Landwirtschaft in Europa in Bezug auf den globalen Handel und auf den globalen Süden, dem unter Umständen Möglichkeiten zur Vermarktung ihrer Produkte wegfallen.

Letztendlich brauchen wir aber global eine wesentlich diversere Landwirtschaft. Große, aufgeräumte Flächen, die in einheitlichen Kulturen bepflanzt sind, werden uns nicht die Nachhaltigkeit bringen, die wir brauchen, sondern nur eine intensivere Abhängigkeit von intensiverer Produktion, von synthetischen Düngemitteln, von Pestiziden, um entsprechende natürliche Kreisläufe, die in solchen Systemen nicht erhalten sind, aufrechtzuerhalten. Es sollte also darum gehen, Mischbetriebe zu fördern, wo es einen klaren Flächenbezug auch bezüglich der Viehhaltung gibt, wo Ackerbau stattfindet, wo Gemüsebauern stattfindet. Und häufig lassen sich solche Betriebe eher in kleineren Einheiten sinnvoll organisieren und mitunter auch Familienbetriebe können hier einen Vorteil besitzen. So ist es zumindest traditionell und speziell auch im globalen Süden.

Also die Frage, wie wir in Zukunft Landwirtschaft gestalten müssen, um die Ernährungssysteme und die Grenzen, die uns der Ressourcenverbrauch auferlegt, diese einzuhalten, ist letztendlich eine systemische Frage, bei der wir sowohl das Konsumentenverhalten, als auch die Möglichkeiten der politischen Regulierung, als auch internationale Handelsbeziehungen mitdenken müssen und zuvorderst zu Prinzipien kommen müssen, die eine solche Transformation motivieren können. Und diesbezüglich wird auch Ernährungssouveränität ein ganz wichtiges Prinzip sein, das uns insgesamt voranbringt und mehr Diversität und Nachhaltigkeit befördern wird.

In dem Format „Kassel fragt, Kassel forscht“ beantworten Wissenschaftler:innen der Universität Kassel Fragen von Kasseler Bürger:innen, die im Projekt ZUKUNFTSDIALOGE gesammelt wurden. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit von UniKasselTransfer, dem Staatstheater Kassel und den Scientists for Future Kassel wird im Rahmen des Wissenschaftsjahres 2022 - Nachgefragt! vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. In unterschiedlichen Formaten wird der Dialog zwischen Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft eröffnet, um sich gemeinsam auf die Suche nach alternativen Wegen zu einer nachhaltigeren Gesellschaft zu begeben.
Mehr Infos: www.uni-kassel.de/go/zukunftsdialoge