Wie kann nachhaltige Finanzwirtschaft überhaupt funktionieren?

Hallo, mein Name ist Christian Klein. Ich bin Professor für Sustainable Finance an der Universität Kassel, also nachhaltige Finanzwirtschaft. Nachhaltigkeit und Finanzwirtschaft: Das klingt ja wie ein Widerspruch. Wir aber sind der Meinung, das muss unbedingt zusammengedacht werden. Wie kann nachhaltige Finanzwirtschaft überhaupt funktionieren?

Ja, wir alle wollen, dass unsere Welt ein bisschen nachhaltiger wird. Wir wollen unsere Welt Enkel tauglich gestalten. Dazu brauchen wir sehr, sehr viel Geld. Wenn wir jetzt als Beispiel den Klimawandel nehmen: Den Klimawandel zu begrenzen, das zwei Grad Ziel zu erreichen, das wird sehr, sehr, sehr teuer. Und da stellt sich natürlich die Frage, wo kommt denn dieses Geld her? Eine Möglichkeit wären Steuermittel. Aber die schlechte Nachricht ist, so viel Steuern haben wir gar nicht. Wir brauchen sogenannte private Mittel. Wir müssen die Kapitalströme an den Finanzmärkten umleiten. Und das ist das, was wir uns in der Forschung angucken. Und das ist auch das, was gerade in der Politik versucht wird. Und es gibt, um die Frage zu beantworten, eigentlich zwei Möglichkeiten: Entweder wir zwingen die Menschheit dazu oder wir bitten die Menschheit doch bitte in Zukunft nur noch nachhaltige Dinge zu finanzieren.

Kommen wir zum ersten Punkt: Wie könnte man die Menschheit dazu zwingen? Naja, indem man zum Beispiel eine Liste aufstellt, wo man sagt das hier sind Aktivitäten, Wirtschaftsaktivitäten von Unternehmen, die finden wir gut, die sind nachhaltig. Die führen zum Beispiel dazu, dass der Klimawandel begrenzt wird und dann sagen wir per Regulierung: In Zukunft müssen alle Altersvorsorge-Produkte in diese Aktivitäten investieren. In Zukunft ist es verboten, dass irgendjemand in andere Sachen investiert als die Aktivitäten, die dazu beitragen, den Klimawandel zu begrenzen. Übrigens gibt es so eine Liste. Das ist die sogenannte EU-Taxonomie. Das ist eine Liste von Aktivitäten, die dazu beitragen, den Klimawandel zu begrenzen. Der zweite Ansatz: Wir bitten die Menschen, das zu machen. Wir setzen auf Freiwilligkeit. Also genau das, was zum Beispiel die Fridays for Future Bewegung tut. Das funktioniert leider nicht so gut. Das haben wir ja die letzten zehn Jahren gesehen.

Aber es gibt eine sehr, sehr interessante Geschichte, nämlich die Schnittstelle zwischen beiden, also zwischen Zwang und Freiwilligkeit. Und das funktioniert so: Wenn die Politik glaubhaft versichert, dass sie vorhat, das Pariser Klimaschutzabkommen zu erreichen, im Notfall mit Zwang, dann werden die Kapitalmärkte anfangen, darauf zu wetten. Und es bedeutet auch, dass sie dann das Geld nur noch in Unternehmen investieren, deren Geschäftsmodell auch mit dem Pariser Klimaschutzabkommen im Einklang steht. Dann passiert es mehr oder weniger von ganz alleine. Und das ist das, was ich momentan beobachte. Viele Unternehmen, viele Banken gehen davon aus, dass die Kommission es ernst meint und fangen an, ihre Investitionen danach anzupassen. Wir haben also hier gerade schon den Effekt, dass wir in eine bessere Richtung gehen, dass es wahrscheinlicher wird, dass die Menschheit das Zwei-Grad-Ziel erreicht.

In dem Format „Kassel fragt, Kassel forscht“ beantworten Wissenschaftler:innen der Universität Kassel Fragen von Kasseler Bürger:innen, die im Projekt ZUKUNFTSDIALOGE gesammelt wurden. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit von UniKasselTransfer, dem Staatstheater Kassel und den Scientists for Future Kassel wird im Rahmen des Wissenschaftsjahres 2022 - Nachgefragt! vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. In unterschiedlichen Formaten wird der Dialog zwischen Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft eröffnet, um sich gemeinsam auf die Suche nach alternativen Wegen zu einer nachhaltigeren Gesellschaft zu begeben.

Mehr Infos: www.uni-kassel.de/go/zukunftsdialoge