06.04.2020

„Wir wissen eigentlich nicht, was auf uns zukommt“

@Corona-Virus

Warum die Biochemikerin Dr. Daniela Bertinetti nicht wie viele andere im Homeoffice ist, sondern weiter ins Labor der Uni geht, und welche Herausforderungen im Labor zu Zeiten der Coronakrise zu meistern sind, erzählt sie im Interview.

Bild: Jonathan Pirnay.
Dr. Daniela Bertinetti.

Frau Dr. Bertinetti, die meisten Mitarbeiter der Uni arbeiten mittlerweile im Homeoffice. Sie sind weiterhin im Labor?

Genau, ich habe in unserer Abteilung eher eine koordinierende und unterstützende Funktion, das ist die eine Sache. Der zweite Grund ist, dass man im Labor niemals allein arbeiten darf. Wenn jemandem was passiert, muss das irgendwer mitkriegen und helfen können. Wir haben das so eingerichtet, dass wir mit zwei Leuten zur Kernarbeitszeit im Labor sind.

Wie arbeiten Sie denn sonst im Labor?

Normalerweise sind wir so 20 Leute, die im Labor rumwuseln. Um die Kontaktzeiten so gering wie möglich zu halten, werden Vorbereitungen, Nachbereitungen und Dokumentationen jetzt zu Hause gemacht. Die Wissenschaftler kommen nur für ihr Experiment ins Labor.

Ist das der Hauptgrund Ihrer Arbeit: dass Sie da sein müssen, damit die Doktoranden und Kollegen mit ihrer Forschung im Labor weitermachen können?

Ja, das ist der Hauptgrund. Ein weiterer ist, dass bei uns beispielsweise Kühlpakete in Empfang genommen und korrekt gelagert werden müssen, bei minus 80, minus 20, oder vier Grad. Sonst geht da sehr viel Geld flöten. Wir haben auch Maschinen, nach denen wir schauen oder wo wir zum Beispiel regelmäßig Flüssigkeiten nachfüllen müssen, damit sie nicht kaputt gehen. Auch unsere Zellkulturen müssen gepflegt werden, sonst sterben sie. Deshalb bin ich nicht im Homeoffice, sondern an der Uni.

Wie hat sich aufgrund der aktuellen Situation Ihr Forschungsalltag verändert?

Es beginnt bei einfachen Sachen: Die Mensa hat zu. Das Mittagessen plane und bereite ich jetzt abends vor. Bis hin zu praktischen Sachen: Im Labor gibt es Situationen, da tanzen wir umeinander rum. Manchmal müssen plötzlich drei Leute genau jetzt in ein bestimmtes Labor, das natürlich viel zu klein ist, um die zwei Meter Abstand zu halten. Dann wird abgesprochen, wer wo hinmuss. Zwei gehen dann in den Flur und warten, bis das Labor wieder frei ist. Auch muss man sich die Situation immer wieder bewusst machen: Mal eben etwas rüberreichen oder mit dem anderen ein Experiment anschauen geht so einfach nicht mehr.

Wir machen uns auch viel mehr Gedanken um die Desinfektion. Eigentlich ist es Alltag, bestimmte Geräte und Flächen zu desinfizieren, um unsere Proben zu schützen. Doch jetzt muss ich mir auch Gedanken machen, welche Knöpfe ich an dem Gerät angefasst habe. Diese muss ich nach Benutzung mit Desinfektionsmittel abwischen, bevor die nächste Person daran arbeitet.

Worauf müssen Sie denn als Wissenschaftlerin zurzeit verzichten?

All die kurzen Kommunikations- und Dienstwege fallen weg. Alles dauert viel länger. Meetings laufen telefonisch oder per Videokonferenz ab. Man muss dann sein Ergebnis zur Anschauung in die Kamera halten oder den Bildschirm teilen. Bei Chats mit 20 Leuten kann man nicht immer eindeutig zuordnen, wer da gerade spricht oder mehrere sprechen auf einmal durcheinander. Lieferengpässe sind auch ein Problem. Wir hatten riesiges Glück, dass wir Anfang Januar spezielles Desinfektionsmittel für unsere Zellen gekauft haben, damit kommen wir noch so 3 bis 4 Monate hin.

Ist die Bürokratie wenigstens weniger geworden?

Nein. Man muss noch viel mehr darauf achten, dass alle Leute auf dem Stand der Dinge sind und an keinem was vorbeigeht. Auch Rechnungen müssen wir weiterhin im Original an die Verwaltung schicken. Das System lässt leider noch nicht zu, alles online zu erledigen. Hier wird sich in Zukunft bestimmt sehr viel verändern, weil erst jetzt auffällt, wo es hakt.

Mal zu einer etwas anderen Frage: Welche Verschwörungstheorie kommt Ihnen bei der Coronakrise aus Ihrem Wissenschaftsbereich in den Sinn?

Um Gottes Willen, keine Verschwörungstheorien! Ich schaue mit Entsetzen auf sämtliche Äußerungen, mit denen angepriesen wird, dass es Medikamente gegen Corona gibt, dass das Auslegen von Zwiebeln hilft oder das bestimmte Globuli wirken. Es macht mir Angst, wie schnell die Kriminalität Wege gefunden hat, die Angst der Bevölkerung auszunutzen.

Können Sie uns zum Abschluss einen kleinen Ausblick geben? Sowohl Positives wie auch Negatives?

Fangen wir mit dem Positiven an: Ich finde es wahnsinnig spannend, wie sich das gesamte Denken zur Kommunikation verändert: Was muss tatsächlich in einem persönlichen Gespräch geklärt werden und was geht auch auf anderem Weg? Wir machen uns Gedanken darüber, wie wir die Lehre im Sommersemester gestalten können und mit geplanten Präsenzlehrveranstaltungen umgehen. E-Learning und Videokonferenzen wurden lange belächelt, haben sicher auch ihre Limitationen. Aber sie können dazu führen, dass Personen, die es aufgrund von Betreuung oder einer Erkrankung nicht in den Hörsaal schaffen, an der Veranstaltung teilnehmen können. Das ist auch eine Gelegenheit, die wir jetzt nutzen können.

Was nehmen Sie aus der Krise für Ihre wissenschaftliche Arbeit mit?

Ich habe jedes Jahr diesen bösen Stapel, den abzuarbeiten ich mir vor Weihnachten vornehme. Aber der bleibt irgendwie immer liegen. Jetzt habe ich Zeit, mich mit diesen Sachen zu beschäftigen und „klar Schiff“ zu machen. Das ist wie mit der Steuererklärung: Man schiebt sie auf und ist dann richtig froh, wenn man sie erledigt hat. Einige meiner Kollegen schreiben nun eifrig an ihren Publikationen, was sonst auch gerne liegen bleibt. Der Herz-und-Blut-Laborchemiker geht eben lieber ins Labor. Ich erwarte aber, dass wir in nächster Zeit einen riesigen Anstieg an Publikationen haben werden. Auch in der Kommunikation mit internationalen Kollegen ändert sich etwas.

Inwiefern?

Wir arbeiten viel in internationalen Konsortien und haben regelmäßig Kontakt zu Wissenschaftlern, die in den derzeitigen Krisengebieten sind. Da denkt man schon mal daran, zu fragen, wie es ihnen geht oder wie deren Alltag jetzt aussieht. Vorher war beruflich und privat ganz klar getrennt.

Und das Negative?

Die Auswirkungen werden in den verschiedensten Farben gemalt, aber wir wissen eigentlich nicht, was auf uns zukommt. Das finde ich sehr beängstigend. Was ist morgen? Was nächste Woche? Was nächsten Monat? Wie wir mit dieser Krise umgehen, wird in die Geschichte eingehen. Das ist die erste Pandemie, die so klar für jeden öffentlich zu verfolgen ist. Ob irgendwelche Maßnahmen gegriffen haben, sehen wir erst zehn bis vierzehn Tage später. Ich bin mir sicher, wir können aus dieser Krise sehr viel lernen, auch wenn es gerade eher ein „learning-by-doing“ ist. Es ist aber auch eine Chance, dass wir in vielen Bereichen umdenken und innovative Lösungen einen Weg in unseren zukünftigen Alltag finden.

Dr. Daniela Bertinetti ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Biochemie.

 

Interview: Christine Graß