30.04.2020

„Forschung findet nicht nur im Labor, sondern auch am Schreibtisch statt“

@Corona-Virus

Prof. Dr.-Ing. Thomas Niendorf, Leiter des Fachgebiets Metallische Werkstoffe, spricht über Home Office und die digitale Lehre in den Materialwissenschaften.

Bild: privat.
Prof. Dr.-Ing. Thomas Niendorf.

Herr Niendorf, an den deutschen Hochschulen ist nun das digitale Sommersemester gestartet. Viele nutzen seit einigen Wochen vermehrt Maildienste und teilweise zum ersten Mal Streaming- oder Chatprogramme.

Ja, das Deutsche Forschungsnetz zum Beispiel wird zurzeit stark genutzt und die Frage ist, ob es im Semester nicht überlastet sein wird. Mein persönlicher Favorit ist Zoom. Vor etwa 4 Wochen hat die Deutsche Gesellschaft für Materialkunde eine Konferenz über Zoom veranstaltet und das hat gut funktioniert, die Verbindung war absolut stabil. Das hat mich überzeugt, Zoom für meine Lehrveranstaltungen im Sommersemester zu nutzen.

 

Wie bereiten Sie denn Ihre Lehre in diesem Sommersemester vor?

Veranstaltungen mit etwa 30 bis 50 Personen möchte ich ausschließlich als Webinar anbieten. Ich werde die Inhalte online besprechen und sie auf den zuvor hochgeladenen Folien entwickeln. Das heißt, die Studierenden müssen sehen, hören, und zusätzlich auch die Möglichkeit haben können, sich zu melden – das geht bei Zoom über das virtuelle Handheben: das Mikro wird von mir freigeschaltet und der Teilnehmer kann eine Frage stellen oder beantworten.

Werkstofftechnik I – eine Veranstaltung mit deutlich über 200 Hörern – wird als Video-Vorlesung laufen. Gerade die grundlegenden Inhalte der Werkstofftechnik müssen unabhängig von Netzkapazitäten zur Verfügung stehen, daher wird sie in asynchroner Lehre laufen. Mein Vorgänger, Professor Scholtes, hat die Vorlesung bereits im Gesamten aufgezeichnet und ich darf die Videos nutzen. Zusätzlich werde ich Übungen und Fragestunden für kleinere Gruppen über Zoom anbieten.

Etwas heikler ist es im Fall von Praktika: die Arbeit an Maschinen erfordert Präsenz. Traditionell laufen sie am Ende des Semesters als Block ab. Wir hoffen noch, dass am Ende dieses Sommersemesters Präsenzlehre möglich sein wird und die Praktika also nahezu wie gewohnt durchgeführt werden können. Das bleibt aber noch abzuwarten.

Was auch ohne Präsenz gut funktioniert ist die Einführung in die Projektarbeit: normalerweise ist diese gekoppelt mit einem Wettbewerb zwischen Teams aus vier Studierenden. Sie sollen jeweils ein Flugzeug aus Stahl entwerfen und realisieren, das am Ende auch fliegen kann. Angesichts der Corona-Lage planen wir eine neue Aufgabe: den 3D-Druck für einen Beitrag gegen das Virus zu nutzen. Die Studierenden sollen recherchieren, was es bereits gibt und was möglich ist, eigene Ideen entwickeln – beispielsweise für Infektionsschutzteile – und Konzepte und Zeichnungen erarbeiten. Diese können im Anschluss an Mitarbeiter des Instituts gesendet werden, die wiederum die Projekte praktisch umsetzen, das heißt die entworfenen Teile drucken. Hier sieht man sehr gut, wie reale Bauteile das Ergebnis eines ausschließlich digitalen Prozesses sein können.

 

Also ein Semester voller neuer Projekte! Halten Sie auch zu den Studierenden Kontakt, die gerade ihre Abschlussarbeit schreiben?

Das machen die Betreuer der jeweiligen Studierenden, das heißt die wissenschaftlichen Mitarbeiter. Im Moment besprechen wir noch, wie Prüfungen und Kolloquien abgelegt und abgenommen werden können, ob Videokonferenzen möglich wären und wie man in Härtefällen verfahren soll. Bislang sind das aber alles Einzelfallentscheidungen.

 

Und können Sie Ihre Forschung während Corona fortführen? Gehen Sie noch in die Labore?

Ich selbst arbeite fast ausschließlich im Home Office. Die Labore und Werkstätten befinden sich im Basisbetrieb, das bedeutet, bestimmte Mitarbeiter haben Sondergenehmigungen erhalten, um an sehr dringenden Experimenten zu arbeiten. Dabei sind sie möglichst allein in einem Raum, nur in seltenen Fällen zu zweit und dann mit Abstand zueinander. Beim 3D-Druck zum Beispiel ist die Arbeit zu zweit kein Problem, die Mitarbeiter müssen aufgrund der feinen Pulver, die dort verwendet werden, sowieso Schutzmasken tragen. Außerdem haben wir am Institut online einen Kalender angelegt und halten fest, wer wann in welchem Gebäude und Raum ist, sodass wir im Ernstfall die Infektionsketten nachverfolgen können.

Ansonsten arbeiten die meisten von zu Hause aus und bringen nun in wenigen Wochen gefühlt so viel zu Papier wie sonst in einem Jahr. Wir haben bereits zahlreiche wissenschaftliche Artikel und Forschungs-Anträge gemeinsam fertiggestellt – das ist großartig! Forschung findet eben nicht nur in der Werkstatt oder im Labor statt, sondern auch am Schreibtisch. Die Erkenntnisse müssen nach dem Experiment ja immer verschriftlicht werden, damit sie weltweit auch wirklich sichtbar werden.

 

Würden Sie sagen, dass Sie auch etwas Lehrreiches aus der Isolationszeit mitnehmen?

Wir haben vorher oftmals diskutiert, ob Home Office nun gut ist oder nicht. Und die Erkenntnis ist: es kann sehr produktiv sein! Meine Post-Doktoranden haben so viel geschafft wie sonst in mehreren Monaten, weil sie beispielsweise zu Hause mehr Ruhe haben und mehr von ihrer Zeit selbst einteilen können. Außerdem sehen wir jetzt, dass Video-Tools besser als erwartet funktionieren und das innerhalb kürzester Zeit. In Zukunft brauchen kurze Fragen vielleicht nicht unbedingt eine Geschäftsreise, sondern können schnell und leicht über Videochat geklärt werden. Das spart Zeit und Ressourcen. Und Webinare sind nicht an einen Standort gebunden, das heißt Seminarprojekte mit Studierenden aus unterschiedlichen Orten wären machbar. Daran arbeiten wir gerade im Kreis des Nachwuchsausschusses der Deutschen Gesellschaft für Materialkunde. Eines steht fest: Manchmal wäre ein normales Gespräch natürlich schön, aber in dieser ungewöhnlichen Zeit habe ich zum Thema Videokonferenz und Home-Office festgestellt: es funktioniert!

 

 

Interview: Kristina Weissbecker.