09.02.2023 | Porträts und Geschichten

Alarmanlage für Verschwörungstheorien

Verschwörungstheoretische Texte zeigen oft bestimmte sprachliche Muster – manchmal lohnt es sich schon, Wörter zu zählen

Die Zwillingstürme des World Trade Centers in New York wurden 2001 von der US-Regierung gesprengt. Ebenfalls völlig klar: Die Bilder von der ersten Mondlandung entstanden im Studio und, natürlich, durch die Kondensstreifen von Flugzeugen werden Gifte versprüht, um unsere Gedanken zu kontrollieren. Verschwörungsmythen wie diese hat es immer gegeben; mit dem Dauerfeuer der sozialen Medien und mit digitalen Echokammern jedoch entstehen und verbreiten sich entsprechende Erzählungen leicht wie nie. Nicht immer sind sie so einfach zu durchschauen wie die „Chemtrails“-Behauptung. Was tun? Der Kasseler Germanist Prof. Dr. David Römer geht einen originellen Weg. Mit linguistischen Mitteln gibt er der Gesellschaft eine Methode an die Hand, Sprach- und Argumentationsmuster in verschwörungstheoretischen Texten zu erkennen.

Denn manche Verschwörungsmythen lassen sich belächeln – andere besser nicht. Ende des vergangenen Jahres warfen die „Reichsbürger“-Razzien ein grelles Licht auf ein Milieu, das die Vorstellung kultiviert, die Bundesrepublik sei kein legitimer Staat, die Verfassung des Kaiserreiches sei noch in Kraft. „Die Verbreitung von Verschwörungstheorien geht häufig mit einer Radikalisierung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen einher“, stellt Römer fest; das mache sie zu einem destabilisierenden Faktor für die Gesellschaft. Vor drei Jahren stellte die Friedrich-Ebert-Stiftung in einer Studie fest, dass etwa ein Drittel von 1900 befragten Personen der Meinung ist, Politikerinnen und Politiker seien Marionetten anderer Mächte. „Das ist nur ein Grund, weshalb wir ernst nehmen müssen, dass Menschen an Verschwörungstheorien glauben, und weshalb wir uns mit dem Wissen über vermeintliche Verschwörungen beschäftigen sollten, und zwar unabhängig von der Frage nach seiner Geltung“, so Römer weiter. „Einen Zugang zu diesem Wissen bekommen wir über die Sprache.“

Römer wertet in einem von der DFG geförderten Projekt Texte u.a. maschinell aus: Parteiprogramme, Postings in Sozialen Medien, Kommentare unter Youtube-Videos. Themen dabei sind etwa Verschwörungstheorien um den menschengemachten Klimawandel, den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz oder Migration. Auf mehreren Ebenen registrierte er in Texten, die allgemeine Überzeugungen – Römer spricht von „orthodoxem Wissen“ – in Frage stellen, bestimmte sprachliche Muster. Im Wortschatz: „Es gibt ein Vokabular, das in verschwörungstheoretischen Zusammenhängen spezifisch ist“, sagt Römer. In der Forschung nennt man es „Entlarvungsvokabular“, weil es vom Sprecher oder von der Autorin eines Textes verwendet wird, um anerkanntes Wissen als „falsch“ zu deklarieren. Dazu zählen Häufungen von Negationswörtern wie „nicht“ und „kein“ und relativierende Begriff e wie „angeblich“, „vermeintlich“, „komisch“. Es lasse sich rein quantitativ feststellen, dass solche Wörter in den einschlägigen Texten bis zu zehnmal häufiger vorkommen als im allgemeinen Wortschatz. Auf metaphorischer Ebene: Häufig werden Begriffe aus einem Bereich auf einen anderen übertragen, um ihn neu zu deuten. Römer spricht von „konzeptuellen Metaphern“ und nennt die Diskussion um den menschengemachen Klimawandel als Beispiel. Menschen, die diesen in Frage stellten, verwendeten „Begriffe aus dem religiösen Bereich, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu diskreditieren. Die Rede ist dann von Klima-Jüngern, Klima-Dogmen oder Glaubensdoktrinen, wo es eigentlich um den Bereich des Wissens geht.“

In Argumentationsmustern: Herrschendes Wissen wird durch eine kleinteilige Beweisführung auf (vorgeblich) naturwissenschaftlicher Ebene diskreditiert. So kursieren Thesen, das Stahlgerüst des World Trade Centers hätte den Trümmerschäden und Bränden standhalten müssen, weshalb nur eine gezielte Sprengung zum Einsturz geführt haben könne. Römer: „Insbesondere pseudonaturwissenschaftliche Argumentationen sind für Laien kaum zu überprüfen.“ Das Projekt „Sprache in Verschwörungstheorien“ wird von der DFG gefördert. Seine Methode liefere Anhaltspunkte, betont Römer; eine inhaltliche Auseinandersetzung ersetze sie nicht. Auch ist ihm wichtig zu betonen, dass Dissens und Widerspruch zu herrschendem Wissen nicht per se abzulehnen sind – letztlich lebe auch die Wissenschaft davon. Mit demokratiegefährdenden Positionen aber müsse man sich beschäftigen.

 

Dieser Beitrag erschien im Universitäts-Magazin publik 2023/1. Text: Sebastian Mense