09.09.2021

Nachhaltigkeit an der Universität Kassel - Ein Interview mit Georg Mösbauer

Das Institut für Hochschulentwicklung e. V. (HIS-HE) nahm die Anfang 2021 erschienene Veröffentlichung zu „Nachhaltigkeitsmanagement und Energieeffizienz im Betrieb Universität Kassel“ zum Anlass, sich nach der aktuellen Nachhaltigkeitsentwicklung der Universität bei Herrn Georg Mösbauer zu erkundigen.

Die Universität Kassel hat 2014 den ersten Nachhaltigkeitsbericht - Berichtszeitraum 2011 bis 2013 veröffentlicht; 2020 ist dieser als „Dritter Bericht zur Nachhaltigkeit in Forschung, Lehre und Betrieb - Berichtszeitraum 2017 – 2019“ erschienen. Die Hochschulen „sind daher aufgefordert, sichtbar und messbar zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen und in Erfüllung dieser Aufgabe vorbildhaft zu wirken“ formuliert Prof. Dr. Reiner Finkeldey, Präsident der Universität Kassel, im Vorwort.

Der Aufgabe folgend, hat die Universität Anfang 2021 eine 40-seitige Veröffentlichung zu „Nachhaltigkeitsmanagement und Energieeffizienz im Betrieb Universität Kassel“ herausgegeben. Hierin wird das Nachhaltigkeitsmanagement im Betrieb vorgestellt und eine Zwischenbilanz (Jahre 2016 bis 2020) gezogen und aufbauend ganz konkrete Perspektiven formuliert (2030). Die Veröffentlichung soll eine konkrete Übersicht über die laufenden Projekte zum Thema Nachhaltigkeit und Energieeffizienz im Betrieb geben und die Projekte hinsichtlich ihres Einsparpotentials in Bezug auf den Energieverbrauch, die Energiekosten und die Treibhausgasemissionen bewerten. Festgestellt werden kann, dass die Projekte, so unterschiedlich sie sind, insbesondere durch die Kombination aus baulichen, technischen und organisatorischen Maßnahmen, die jeweils ineinandergreifen, wirken.

Diese Beobachtung ist Grund genug für HIS-HE bei den Verantwortlichen und Zuständigen in der Universität nachzufragen; Georg Mösbauer ist seit 2008 in der Abteilung Bau, Technik, Liegenschaften mit der Leitung Gruppe Arbeitssicherheit und Umweltschutz betraut und so auch verantwortlich für die Koordination der Nachhaltigkeitsentwicklung im Betrieb:


HIS-HE: Wie müssen wir bei unseren Fragen zwischen den Herausforderungen nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz differenzieren?

Mösbauer: Nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz sind zwei Aspekte im Nachhaltigkeitsmanagement, die gleichermaßen berücksichtigt werden müssen, um erfolgreich zu sein. Während Klimaschutz in erster Linie auf die Reduktion von Treibhausgasemissionen abzielt, umfasst nachhaltige Entwicklung für mich mehr Aspekte und Bereiche, im Sinne einer ökologischen, sozialen und ökonomischen Dimension. Unser Nachhaltigkeitsleitbild sieht eine gleichberichtigte Entwicklung dieser drei Teilbereiche vor, wobei die ökologische Dimension zunächst den Schwerpunkt bildet. Dies trifft meiner Beobachtung nach auch auf die meisten anderen Hochschulen zu. Soziale und ökonomische Aspekte wie Gleichberechtigung, Verbesserung des  Organisationsklimas oder Barrierefreiheit werden an der Universität Kassel in Zuständigkeit der Fachabteilungen und Stabsstellen weiterentwickelt, sind aber nicht Bestandteil unserer Arbeit. Mit unserer Zwischenbilanz zu den an der Universität Kassel seit 2017 laufenden Maßnahmen konnten wir aufzeigen, dass der Erfolg eines nachhaltigen Hochschulbetriebes insbesondere in der Kombination aus baulichen, technischen und organisatorischen Maßnahmen liegt. Die baulich-technischen Maßnahmen führen in erster Linie zu weniger Energieverbrauch (Klimaschutz), die organisatorischen Maßnahmen, wie die nachhaltigkeitsbezogene Optimierung der Abfallentsorgung und Beschaffung oder auch die Berücksichtigung von Green IT, führen durch geeignete Information und Sensibilisierung der Universitätsangehörigen zu einer veränderten Bewusstseinsbildung. Dieses Zusammenwirken macht eine nachhaltige Entwicklung des Betriebes erst möglich.


HIS-HE: Was motiviert die Hochschule, im Klimaschutz aktiv zu sein und woher nehmen Sie die Energie, hier so beharrlich zu
sein?

Mösbauer: Als Universität mit einem Schwerpunkt auf Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen muss die Universität Kassel nach meinem Verständnis eine besondere Vorbildfunktion einnehmen. Gemäß unserem Leitbild trägt Sie in all ihren  Handlungsfeldern gesellschaftliche Verantwortung für eine lebenswerte Zukunft: in Lehre, Forschung, Nachwuchsförderung und Wissenstransfer, aber auch als soziale Organisation, als umweltschonender Betrieb und als Arbeitgeber. Als Ort der Lehre und Wissenschaft ist es  besonders wichtig, sich selbst schrittweise entsprechend der gesetzten Ziele zu entwickeln, um damit Vordenker und Modell für  einen gesellschaftlichen Wandel zu sein. So unterstreicht die Universität damit die ohnehin vorhandenen Kompetenzen in Forschung und Lehre, verleiht diesen Glaubwürdigkeit und präsentiert sich als zeitgemäße und verantwortungsvolle Organisation. Dies wird meiner Überzeugung nach zukünftig auch ein Kriterium im Wettbewerb um Forschende, Studierende und Beschäftigte sein. Aber auch die Energiewende und die damit einhergehenden Energiekostensteigerungen bilden die Grundlage für unser Handeln, was sich gut an der Entwicklung der Stromkosten aufzeigen lässt. Seit 2001 ist der Strombedarf um 44 % angestiegen, wobei die Stromkosten im gleichen Zeitraum von 1,3 Mio. € pro Jahr auf 4,3 Mio. € pro Jahr, also um 240 % gestiegen sind. Allein diese  Entwicklung ist Grund genug, um dem Trend steigender Verbräuche und Kosten mit gezielten Maßnahmen entgegenzuwirken. Meine Energie und Beharrlichkeit, sich für eine Nachhaltigkeitsentwicklung zu engagieren, ist in der persönlichen Überzeugung begründet, dass wir alle handeln müssen, um den Klimawandel und die Ressourcenverschwendung zu stoppen. Beim Engagement um Ressourcen, Strukturen und Mitwirkung wechseln sich Frust und Freude oftmals ab. Nach einem Rückschlag muss man sich kurz sammeln und macht dann dennoch weiter.

HIS-HE: Was sind die bisherigen zentralen Erfolge und wie definieren Sie „Wirkung“?

Mösbauer: Wir beschäftigen uns schon seit vielen Jahren mit der Nachhaltigkeitsentwicklung an der Universität Kassel, zunächst mit einer Profilbildung in Forschung und Lehre und später auch im Betrieb. Viele der kleineren Erfolge, wie die Ermittlung umweltrelevanter Grundlagendaten und Kennzahlen, anhand derer Optimierungspotentiale identifiziert werden können und die auch die Grundlage für die Nachhaltigkeitsberichtserstattung sind, können nicht direkt gemessen werden. Anders als bei den „harten“ Verbrauchs- und Emissionsdaten lassen sich die eher „weichen Faktoren“ nicht aufs Komma berechnen. Sie sind jedoch  gewissermaßen Herz und Seele, stiften Identität und sind somit essentiell, um die Menschen auf dem Weg einer nachhaltigen  Entwicklung mitzunehmen. Die Betriebsprozesse wurden und werden schrittweise hin zu mehr Nachhaltigkeit verändert. Dazu  gehören die Implementierung eines betrieblichen Nachhaltigkeitsmanagements, eine bessere Sichtbarkeit der Nachhaltigkeitsorganisation und der Ansprechpartner:innen, ein zentraler Webauftritt, mit dem die Themen Forschung, Lehre und Betrieb unter einem Dach dargestellt werden, und gezielte Aktionen, mit denen die Hochschulmitglieder für das Thema sensibilisiert werden. Mit der seit 2016 vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst (HMWK) aufgelegten Förderlinie „Energiekonzepte“ im Rahmen der Innovations- und Strukturentwicklungsförderung werden gleich mehrere betriebliche Projekte gefördert. Das hat einen positiven Schub gegeben. Dazu gehören der Aufbau des betrieblichen Nachhaltigkeitsmanagements und eine Pilotstudie zur Einführung von EMAS am Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften ebenso wie das Energie-Intracting, eine energetische Potentialanalyse des Gebäudebestands und eine Digitalisierung der Zähl- und Messinfrastruktur. Die ersten Zwischenergebnisse und eine daraus abgeleitete Prognose zeigen, dass bei einer kontinuierlichen Fortführung dieser Maßnahmen bis zum Jahr 2030 ein erhebliches Einsparpotential hinsichtlich des Energieverbrauchs (um -33% pro Jahr), der Energiekosten (um -34% pro Jahr) und des CO2-Ausstoßes (um -43% proJahr) erreicht werden kann.

HIS-HE: Was sind wesentliche Aspekte der internen Organisation?

Mösbauer: Nachhaltigkeitsentwicklung muss strukturell in der Organisation verankert werden und braucht zentrale Koordinationsstrukturen, mit denen alle Hochschulgruppen zentrale Ansprechpartner erhalten. Ein solch implementiertes Nachhaltigkeitsbüro kann informieren, verbinden und die Hochschulangehörigen dabei unterstützen, an Nachhaltigkeit zu arbeiten. In meinem Bemühen geeignete Strukturen aufzubauen, erlebe ich, dass oft die Sorge geäußert wird, dass damit eine Parallelstruktur oder eine zusätzliche Instanz geschaffen würde. Es geht jedoch darum, die Bereiche Forschung, Lehre und Betrieb gleichermaßen auf diesem Weg mitzunehmen und vor allem tatkräftig zu unterstützen. Dafür braucht es eine gemeinsame Servicestelle, die koordiniert, den Überblick über Aktivitäten und Projekte behält und die erzielten Erfolge nach innen und außen gut darstellt. Eine eindeutige Struktur, Verankerung und Legitimation der Akteure im Nachhaltigkeitsprozess sind meines Erachtens grundlegende Voraussetzung für die Akzeptanz und Arbeitsfähigkeit. Die Universitätsleitung muss die Beteiligten dabei unterstützen und mit dem Nachhaltigkeitsleitbild die umweltbezogenen Leitlinien, Handlungsgrundsätze sowie Gesamtziele festlegen. In einer großen und in weiten Teilen dezentral organisierten Einrichtung wie einer Universität ist grade dieses Bekenntnis der Leitungsebene eine wichtige Grundlage, um auch die Entscheidungsträger in den Fachbereichen, Einrichtungen und Abteilungen zur Mitarbeit zu bewegen. Sonst bleibt es ein Kampf gegen Windmühlen und verschleißt auch intrinsisch motivierte Menschen.

HIS-HE: Was sind weitere Ziele?

Mösbauer: Um die Eingangsfrage zu nachhaltiger Entwicklung und Klimaschutz aufzugreifen, wir wollen beides. Mit baulichen und technischen Maßnahmen will die Universität ein zielgerichtetes Energiemanagement aufbauen und Maßnahmen zur CO2-Reduzierung im Gebäudebetrieb ergreifen. Mit dem Nachhaltigkeitsmanagement insgesamt soll eine Verknüpfung der betrieblichen Abläufe mit den verschiedenen Akteuren und Interessengruppen aus Forschung, Lehre und studentischen Initiativen ermöglicht, wichtige strukturelle Entwicklungen angestoßen und die Nachhaltigkeitsstrategie der Hochschule möglichst transparent in alle Abläufe und Handlungsfelder integriert werden. Mit dem aktuellen Nachhaltigkeitsbericht haben wir uns bis Ende 2022 erneut konkrete Ziele gesetzt, die wir natürlich auch erreichen wollen. Aber es soll auch das sehr anspruchsvolle langfristige Gesamtziel des Nachhaltigkeitsleitbildes weiterverfolgt werden, wonach wir eine tragfähige und gleichberechtigte Entwicklung in ökologischer, wirtschaftlicher und sozialer Dimension anstreben.

HIS-HE: Wo liegen die zentralen Konfliktpotentiale?

Mösbauer: Wie bereits vorab verdeutlicht, liegt im Klimaschutz durchaus ein großes energetisches und auch finanzielles Energieeinsparpotential. Das lässt sich gut berechnen und damit auch gut argumentieren. Für die nachhaltige Entwicklung sonstiger Bereiche wie z. B. sozialer Aspekte ist eine solche Kosten-Nutzen-Rechnung nicht möglich. Das gibt es allerdings nicht zum Nulltarif, es bedarf finanzieller und personeller Ressourcen. Das Nachhaltigkeitsmanagement konkurriert somit mit allen anderen ebenfalls berechtigten Ansprüchen, Plänen und Ideen aus den unterschiedlichsten Bereichen einer kreativen und innovativen Institution, wie einer Universität. Zudem bedarf es Veränderungsprozessen zu gewohnten (Betriebs-) Abläufen, was zunächst mit zusätzlichem Aufwand verbunden ist. Es bleibt damit eine dauerhafte Aufgabe für nachhaltige Entwicklung zu werben, die verschiedenen Akteure zu überzeugen und auf diesem Weg mitzunehmen. (jm)

Das Interview kann auch im Mitteilungsblatt der HIS-HE März/2021 eingesehen werden. Sowie hier die Veröffentlichung zu „Nachhaltigkeitsmanagement und Energieeffizienz im Betrieb Universität Kassel“.