Quantitative Analyse der Schwimmtechnik

Expertenworkshop 7. bis 9. September 2012 Reinhardswaldschule Fuldatal

Auf dieser Seite finden Sie ein Gemeinschaftsprojekt der Universität Kassel - Institut für Sport und Sportwissenschaft und der Universität Augsburg - Lehrstuhl für maschinelles Sehen und Multimedia. Ziel dieses Projektes ist es, empirisch abgeleitete Technikleitbilder für die Sportart Schwimmen zu entwickeln und diese für Leistungsdiagnose und -prognose zu nutzen. Eine spezielle Software zur markerlosen Erkennung der Gelenkpositionen der Schwimmer/-innen kommt hierbei zum Einsatz (Lienhart et al., 2014) und soll die aufwendige und schwierige Bewegungsanalyse im Schwimmen vereinfachen. An den Olympiastützpunkten liegt aus den erfolgreichen Jahren im deutschen Schwimmsport Videomaterial zu Leistungstests im Schwimmkanal vor, welches einen Zeitraum von mehreren Jahren umfasst. Inbegriffen sind hier erfolgreiche Bewegungstechniken, die nachweislich mit Spitzenleistungen im Schwimmen in Verbindung stehen. Es  erscheint sinnvoll, die wichtigsten gemeinsamen Bewegungsmerkmale der Spitzenschwimmer/-innen der vergangenen Zeit in Technikleitbildern zusammenzufassen, um ein verbessertes Feedback für die aktuelle Schwimmergeneration geben zu können. In dem hier durchgeführten Service-Forschungsprojekt werden die Segmentbewegungen erfolgreicher Schwimmer/-innen aus Deutschland über eine automatische Erkennung der Gelenkpunkte quantitativ nach Schwimmlagen ausgewertet. Anschließend werden die Daten über ein faktorenanalytisches Verfahren auf gemeinsame Merkmale hin analysiert. Auf Basis der aus der Faktorenanalyse gewonnenen Bewegungsmuster erfolgt die mathematisch-statistische Beschreibung eines Technikleitbildes.

 

Dieses Projekt wird gefördert durch das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp-Projekt ZMVI4-072041/18-19).

 

Übereinstimmung (quantitativ) mit dem Technikleitbild

In dieser Rubrik finden Sie nützliche Informationen zum Thema: Übereinstimmung mit dem Technikleitbild.

Sobald für alle Schwimmarten relevante Informationen vorliegen, werden die Inhalte ergänzt.

 

 

     

Technikleitbilder für beide Geschlechter

Für die Unterscheidung zwischen Männern und Frauen in der Schwimmlage Rücken kann mit einer Genauigkeit von 73,3% das Geschlecht des Schwimmer/-innen aus der ersten Komponente der PCA über die Topschwimmer/-innen abgeleitet werden. Dabei werden jeweils zwei Männer und zwei Frauen aus einer Gruppe von 15 Videos falsch klassifiziert. Dies ist insofern beachtlich, als dass in der Fachliteratur keine geschlechterdifferenzierten Technikleitbilder im Schwimmen bestehen.

Technikleitbilder in Abhängigkeit von der Schwimmstrecke

Überträgt man nun die geschaffenen technischen Möglichkeiten der linearen Diskriminanzanalyse auf eine Differenzierung in Streckenlängen (und den damit einhergehenden Schwimmgeschwindigkeiten) zwischen 100m und 200m, so kann mit einer 92,3% Wahrscheinlichkeit aus den Technikmerkmalen der Bewegung  die Streckenlänge abgeleitet werden und das geschlechterübergreifend. Somit können nun erstmals Bewegungstechniken in Abhängigkeit von Schwimmgeschwindigkeit und Geschlecht auf Basis deutscher Spitzenschwimmer/-innen bestimmt werden. Damit geht die Möglichkeit einher, streckenlängenspezifische und geschlechterspezifische Technikmerkmale für die Schwimmer/-innen sichtbar zu machen und in einem Videoformat darzustellen.

Informationen zur Ableitung der Technikleitbilder

In diesem Abschnitt wird nunmehr, exemplarisch für die Schwimmlagen Schmetterling und Rücken, die Entwicklung von digitalen adaptiven Technikleitbildern aufgezeigt. Für das Schmetterlingschwimmen wurden 13 Videos von vier Männern und drei Frauen und für das Rückenschwimmen 14 Videos von vier Männern und vier Frauen herangezogen. Alle Schwimmer haben mindestens eine Teilnahme an Weltmeisterschaften im Erwachsenenbereich vorzuweisen und wurden mit ihrer damals praktizierten Wettkampfgeschwindigkeit aufgezeichnet. Aus den Einzelposen der Schwimmer, die sich zu einer zyklischen Schwimmbewegung zusammensetzen, wurden zwei Zyklen mit gleichbleibender Schwimmgeschwindigkeit selektiert. Aufgrund unterschiedlicher Erhebungszeitpunkte lagen die Videos in 25 Hz (*.avi Codec) und 29,97 Hz (*.mp4 Codec) vor, sodass für die manuell nachbereiteten Koordinatendaten zunächst eine Zeitnormalisierung durchgeführt wurde. Anschließend wurde für jeden einzelnen Schwimmer/-in eine Hauptkomponentenanalyse (Principal Component Analysis (PCA)) berechnet. Die PCA bietet die Möglichkeit, Informationen zu komprimieren und auf wesentliche Merkmale zu reduzieren. Die im folgenden beschriebene Analyse der Segmentkoordinaten einer zyklischen Schwimmbewegung orientiert sich am Vorgehen von Troje (2002) für die Ermittlung von männlichen und weiblichen Gangmustern.

Aus dem vollautomatischen Trackingverfahren des Augsburger Lehrstuhls für Multimedia und Maschinelles Sehen sowie der manuellen Nachkorrektur liegen für jeden Schwimmer/in zu jeder Pose zweier ausgewählter Zyklen Körpersegmentkoordinaten vor. Diese beinhalten die Lageinformation für 14 relevante Körpersegmentendpunkte (Knöchel, Knie, Hüfte, Handgelenk, Ellbogen, Schultern, in der Mitte des Nackens und das kraniale Ende des Kopfes). Die Lage jedes Segmentendpunktes ist für jedes Videobild durch die x- und y-Koordinate bestimmt, sodass sich jede Einzelpose als ein 28-dimensionaler Vektor darstellen lässt. Da das Schmetterlingschwimmen und das Rückenschwimmen über zwei Zyklen ca. 2 bis 3 Sekunden dauert, ergeben sich aus den Aufnahmefrequenzen der Videos 100 bis 180 Einzelbilder und somit 100 bis 180 Einzelposen für den/die jeweiligen Schwimmer/-in.

Mithilfe einer ersten PCA wurden in einem ersten Schritt für jeden Schwimmer/-in über seine/ihre Einzelposen hinweg die Schwimmbewegungen in der jeweiligen Lage auf die markantesten Bewegungsmerkmale reduziert und relevante Technik- (Haupt-)komponenten extrahiert. Dazu wurden die Eigenvektoren und Eigenwerte einer Matrix bestehend aus den Einzelposen über zwei Zyklen (M = 28 x Anzahl Einzelposen) bestimmt. Dabei zeigten sich die in Abbildung 2 für die beiden Schwimmlagen dargestellten fünf Hauptkomponenten, die aufsummiert über 98% der Gesamtvarianz der Posensequenzen aufklären.

In unserer Analyse wurden fünf Komponenten zur Bestimmung der individuellen Schwimmtechnik aufgenommen. Dabei können die von uns einbezogenen fünf Hauptkomponenten im Gruppenmittel für die Schwimmlage Schmetterling 98,93% und für die Schwimmlage Rücken 98,36% des Informationsgehaltes der individuellen Schwimmtechnik erklären. Damit kann die Schwimmtechnik geschlechterübergreifend mit einer fast 99% Wahrscheinlichkeit reproduziert werden. Der zugehörige Fehler ist kleiner als die Variation in der Schwimmtechnik, die in 100m Freistil Rennen bei Männern und Frauen vorgefunden wird (Seifert et al., 2007).

Da Schwimmen eine zyklische Bewegungsfertigkeit darstellt, kann das zeitliche Verhalten der fünf Komponenten mittels einfacher Sinusfunktionen modelliert werden (Troje, 2002). Jede Sinusfunktion ist durch ihre Frequenz oder Periode (b), ihre Amplitude (a) und ihre Phase (c) charakterisiert. Auf dieser Basis können für alle fünf Hauptkomponenten Funktionswerte abgeleitet werden, die das zeitliche Verhalten der mittleren Schwimmbewegung mit einer hohen Übereinstimmung (97,4%) anzeigen. Für unsere Analyse wurde eine zweifache Sinusfunktion mit sechs Parametern zugrunde gelegt:

a1*(sin(b1*x+c1)+a2*(sin(b2*x+c2)

Die Erhebung dieser Funktionswerte stellt einen weiteren Schritt der Datenreduktion dar, da so die Eigenwerte der Hauptkomponenten durch nur sechs Parameter pro Hauptkomponente bei der Berücksichtigung der vorangegangenen Funktion ersetzt werden können.

In einem zweiten Schritt wird eine Matrixstruktur/ Tabelle gebildet, in der die Ladungskoeffizienten und die Funktionswerte (die die Hauptkomponenten mit Hilfe der aufgeführten Funktion approximieren können) für jeden Schwimmer/-in abgelegt werden. Aufgrund dieser Matrix wird ein Vektor zu kreiert, der Informationen 1.) zur Lage/ Position des Schwimmers/-in, 2.) zur individuellen Bewegungstechnik und 3.) zu den dazugehörigen zeitlichen Mustern beinhaltet. Das Besondere dieser Darstellung ist, dass sie verwandelbar ist. So lässt sich eine „mittlere Schwimmtechnik“ ableiten, welche auf den individuellen Bewegungsmustern basiert und die größtmögliche Gemeinsamkeit zwischen Topschwimmer/-innen charakterisiert.

Im dritten Schritt der Technikanalyse soll die Matrixstruktur dafür genutzt werden, weitere Informationen aus den Bewegungstechniken zu identifizieren. Hierzu wird eine weitere Hauptkomponentenanalyse angewendet. Dabei gehen ausschließlich die normalisierten Werten aus der vorangegangenen Matrixstruktur/ Tabelle der Schwimmer/-innen in eine weitere Faktorenanalyse ein. Nun können auf Basis der mittleren Bewegungstechnik die wichtigsten Kriterien für Unterschiede in der Bewegungstechnik identifiziert werden.

Insgesamt können durch die eben beschriebenen Verfahren sowie der damit zusammenhängenden Ableitung von Technikmerkmalen klassenübergreifende Unterschiede zwischen verschiedenen Merkmalsausprägungen in der Schwimmtechnik identifiziert werden. Mittels einer anschließenden linearen Diskriminanzanalyse sind Unterschiedsprüfungen der oben abgeleiteten Technikmerkmale (Tab. 2) möglich, wobei relevante und unrelevante Merkmale herausgestellt werden können. Die Diskriminanzanalyse wird dabei als ein multivariates Verfahren eingesetzt, welches sich hervorragend zur Klassifizierung eignet. Dabei müssen zur Unterscheidung in Gruppen, weitere Informationen (z.B. Aufzeichnungsjahr des Videos, Geschlecht, Schwimmgeschwindigkeit, Körpergröße, Körpergewicht) der Matrixstruktur hinzugefügt werden. Über jede dieser eingehenden Variablen kann im Anschluss mittels der linearen Diskriminanzanalyse Untergruppen klassifiziert werden, wobei die Technikmerkmale für diese Untergruppen in Form von Parametern ausgegeben werden.

Quicklinks

Häufige Fragen zu Technikleitbildern

FAQ:

     

    Armin Kibele
    akibele(at)uni-kassel.de

    Universität Kassel
    Institut für Sport und Sportwissenschaft
    Damaschkestr. 25
    34121 Kassel

    Tel.: +49(0)561-804-5397

     

    Matthias Weigelt
    matthias.weigelt(at)uni-paderborn.de

    Universität Paderborn
    Fakultät für Naturwissenschaften
    Warburger Str. 100
    33098 Paderborn

    Tel.: +49(0)5251-60-3200