Hintergrund

HINTERGRUND UND ZIEL

Im Jahr 2018 verunglückten ca. 29.000 Kinder im Straßenverkehr in Deutschland (Statistisches Bundesamt 2019). Die Jahrgänge mit den meisten Unfallopfern waren dabei die 11- bis 14-Jährigen, von denen wiederum etwa die Hälfte mit dem Fahrrad verunglückte (ca. 6.200 Kinder).

Die Zahl der verunglückten Radfahrenden steigt nach dem Wechsel von der Grundschule auf die weiterführende Schule stark an. Dies ist auf ein geändertes Mobilitätsverhalten nach dem Schulwechsel im Vergleich zur Grundschulzeit zurückzuführen. Viele Schülerinnen und Schüler beginnen nach dem Wechsel auf die weiterführende Schule, mit dem Rad zur Schule zu fahren. Obwohl mit Beginn der Pubertät umfangreiche Verhaltensänderungen eintreten und z. B. die Risikobereitschaft im Straßenverkehr zunimmt, gibt es insgesamt an weiterführenden Schulen kaum Verkehrserziehungs- und Mobilitätsbildungsmaßnahmen.   

Abbildung 1: Verunglückte Kinder 2018 nach Altersjahren, Geschlecht und Art der Verkehrsbeteiligung (Destatis 2019)

Das Ziel des Projektes war die Erhöhung der Verkehrssicherheit für Radfahrende in der besonders auffälligen Zielgruppe der 11- bis 14-Jährigen. Um dies zu erreichen, wurde ein zielgruppenspezifisches Verkehrssicherheitsprogramm entwickelt, das auf Beobachtung, Selbstreflexion und Eigenverantwortung basiert. Das Programm sollte insbesondere das Bewusstsein der Schülerinnen und Schüler für Gefahrenwahrnehmung beim Radfahren schärfen, zu einem höheren Sicherheitsempfinden führen und letztendlich Fahrfehler und Verkehrskonflikte reduzieren.

METHODISCHES VORGEHEN

Als erster Projektbaustein wurde im Rahmen des Vorhabens das Fahrverhalten der Zielgruppe mit Hilfe von Videobeobachtungen erhoben, um gefährliche Situationen und die Gefahrenwahrnehmung der jugendlichen Radfahrenden zu ermitteln. Diese Daten waren eine wesentliche Grundlage für das im zweiten Projektbaustein entwickelte Verkehrssicherheitsprogramm.

Der zweite Projektbaustein war die Entwicklung eines Verkehrssicherheitsprogramms für Radfahrende zwischen 11 und 14 Jahren. Das Verkehrssicherheitsprogramm arbeitet mit Beobachtung, Selbstreflexion und Eigenverantwortung bei der Zielgruppe. Es nutzt dabei verschiedene Lehrtechniken, wie Mirroring Method (Koivista & Mikkonen 1997) sowie Coaching Technique (Edwards 2011) und bespricht verschiedene Verkehrssituationen, wie sie den Schülerinnen und Schülern täglich begegnen. Das Programm wurde so gestaltet, dass es an allen Schulen in Deutschland eingesetzt und innerhalb einer Doppelstunde von einer Lehrkraft selbstständig durchgeführt werden kann.

Der dritte Projektbaustein war die Erprobung des Verkehrssicherheitsprogramms in einem Modellversuch an zwei Schulen, mit dem anschließend die kurzfristigen Verhaltensänderungen (durch eine erneute Erhebung) bestimmt wurden.

Abbildung 2: Ablauf der Erhebungen und des Verkehrssicherheitsprogramms

ERGEBNIS

In den Vorhererhebungen wurden insgesamt 3.096 Radfahrende in 17 verschiedenen Verkehrssituationen beobachtet (52% männlich, 48% weiblich). Dabei wurden im Schnitt 0,06 Verkehrskonflikte und 1,3 Fahrfehler pro Person und Situation begangen. Häufigste Fehlerquellen waren fehlendes Handzeichen, nicht ausreichendes Umschauen beim Abbiegen, Benutzung des Gehwegs auf der falschen Seite, Nebeneinander fahren mit Gespräch und das Nicht-Absteigen am Fußgängerüberweg. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern waren gering. Jungen gaben seltener Handzeichen als Mädchen und fuhren öfter mit unangepasster Geschwindigkeit oder zu geringem Sicherheitsabstand. Mädchen fuhren deutlich häufiger als Jungen nebeneinander und waren durch Gespräche abgelenkt.

Insgesamt nahmen 496 Personen (die Hälfte der Zielgruppe aus den beiden ausgewählten Schulen) am Modellversuch teil. In den Nachher-Erhebungen, bei denen 4.182 Radfahrende beobachtet wurden, begingen die am Programm teilnehmenden Personen nur noch halb so viele Konflikte (0,015) und Fahrfehler (0,64) pro Person und Situation wie die Personen der Kontrollgruppe (0,03 bzw. 1,29). Diese Ergebnisse zeigen, dass das entwickelte Verkehrssicherheitsprogramm einige Wochen nach der Programmdurchführung eine hohe Wirksamkeit hat.

Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur im Rahmen des Nationalen Radverkehrsplans (NRVP) 2020 gefördert. Das FG Verkehrsplanung und Verkehrssysteme der Universität Kassel war für die Projektbearbeitung verantwortlich und wurde von der Polizei Nordhessen, der Elisabeth-Selbert-Schule Zierenberg und dem Wilhelmsgymnasium Kassel unterstützt.

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