Vignetten
Sejdi und der Beginn des Stücks
von Julia Brennecke
Der Zuschauerraum verdunkelt sich, der Vorhang geht hoch und das Stück beginnt. Im Lichtfokus am Bühnenrand ein Tänzer, gehüllt in einen transparenten Maleranzug mit einer imkerartigen Maske. Schon vor Beginn des Stücks hat er sich dort vorm Vorhang in Zeitlupe bewegt. Sejdi und Vivien, die nebeneinandersitzen, tauschen noch ein paar Worte aus und schauen dann nach vorne auf die Bühne. Stille liegt über dem Saal. Nur das Atmen und die Bewegungen des Tänzers sind zu hören – keine Musik. Er führt mit seinen abstandhaltenden Händen den Bauch im Rhythmus zweier Herzschläge nach hinten, krümmt seinen Rücken und geht im gleichen Rhythmus wieder zurück in die Ausgangshaltung. Während er dies wiederholt, ziehen sich Sejdis Mundwinkel weit nach hinten, seine Lippen öffnen sich und ein lautloses Lachen erschüttert leicht seinen Oberkörper. Sejdi dreht seinen Kopf nach rechts zur nahegelegenen Wand, schaut diese geradlinig an und verweilt kurz. Den Kopf weiterhin zur Wand gerichtet, verfolgen seine Augen den Tänzer nun nur über die Augenwinkel. Dieser streicht mit beiden Händen hastig über die Arme, dann über den Bauch, mal klopft und klatscht er abwehrend über den Körper. Sejdis Mundwinkel ziehen sich erneut weit nach hinten und seine Augen flüchten zurück zur Wand. Zeitgleich hebt Sejdi die rechte Hand vor seinen Mund, sodass sein Zeigefinger die Nasenspitze berührt und das breite Grinsen seines Mundes ein stückweit überdeckt. Nach einer Pause seiner Blicke an der Wand dreht er zuerst nur die Augen und dann ganz langsam folgend den Kopf zur Bühne. Der Tänzer wird immer flüssiger und größer in seinen Bewegungen. Er macht mit seinem Bauch wellenförmige Bewegungen und überträgt diese auf den ganzen Körper. Sejdi lacht auf, was diesmal seinen ganzen Oberkörper mehrmals zum Beben bringt. Ein breites Grinsen zeichnet sich hinter seiner Hand ab. Er wendet seinen Kopf zu Vivien und sucht ihren Blick.
Marion und Feli
von Susanne Dreßler
Marion und Feli sind in ihren roten Samtsitzen versunken. Die Beine parallel übereinandergeschlagen, rechts über links. Ihre Blicke wandern über die Bühne, ihre Arme ruhen auf den Stuhllehnen, sodass ihre Körper hungrig den leicht muDigen Geruch und die brummelnden Schwingungen des Saals empfangen. Hin und wieder tuscheln sie sich in die Ohren, dabei neigen sie ihre Köpfe dicht einander zu, während ihre Augen bei der Bühne bleiben. Dort hetzen Tänzerinnen und Tänzer von einer Seite auf die Bühne und fliegen aus der anderen Bühnenseite genauso eilig davon. Sie ächzen und schnauben, während sie barfuß über Bühnenbretter stolpern. Minutenlang springen sie mit gespreizten Beinen umher, fallen zu Boden, rollen über Stühle, kriechen unter den Reihen durch, es kracht und rumst vom ungeschützten Aufprall der Körper auf dem Boden. Oben auf der Bühne an der linken Seite steht ein Geiger, solistisch begleitet er das keuchende Auf und Nieder. Die Fingerspitzen von Marions Händen berühren sich zaghaft. Die Fingerkuppen streifen in kleinen Kreisen übereinander, erkunden die Fingerkuppen der jeweils anderen Hand, betasten die Nägel, die zarte Haut. Behutsam nehmen die Finger zueinander Kontakt auf, geben einander Halt, ohne ineinander zu verklammern. Marions Kopf neigt sich nach rechts, zu Feli, sodass nur ihr linkes, weit geöffnetes Auge wie ein Fernglas über das Bühnengeschehen schweift, fast unmerklich gleitet ihr Kopf hin und her. In unendlicher Langsamkeit verfolgt dieses linke Auge die Raserei auf der Bühne, während der Geiger unerlässlich sein Instrument traktiert, dem zarten Holzkorpus weitschweifige Melodielinien und pulsierende Rhythmen entlockt. Dazu werden die Frauen auf der Bühne immer kantiger von den Männern genommen, Hände krallen sich in Arme, Beine und Hüften fest, sie werden gedreht, gewendet und wie Gegenstände hin-, her- und schließlich weggeworfen. Die Oberkörper von Marion und Feli haben sich dabei ganz leicht aufgerichtet, sodass Luft zwischen Rücken und Sessel durchströmt. Marions Finger haben ihre Erkundungen eingestellt, ihr Blick ist weiter fest nach vorn gerichtet. Plötzlich lehnt sie sich zurück, rutscht tiefer in die rote Weichheit des Sessels, ihr Mund deutet ein Lächeln an: „Das ist toll!“
Robin
von Verena Freytag
Robin sitzt ganz nah an der Bühne, in der dritten Reihe. Er trägt einen bunten Hoodie, der sich von dem überwiegend dunkel gekleideten Publikum abhebt. Er versinkt nicht gemütlich in den plüschigen Theatersessel wie neben ihm seine Sitznachbarin, sondern sitzt aufrecht und gerade, als wolle er nichts, was vorne auf der Bühne passiert, verpassen. Neben ihm Lisa und Yildiz, daneben Aron. Robins Blick folgt den Tänzerinnen, seinen Kopf führt er vorsichtig mal nach rechts, mal nach links. Ein flirrender, durchdringender Ton hämmert durch den Saal, immer wieder ist ein kurzes lautes zu hören. Fast gespenstisch wirken die kurz eingespielten Stimmfetzen. Finger von Robins linker Hand berühren fortwährend, gedankenverloren Kinn, Wange und Mund.
Die Tänzerinnen und Tänzer treten nah an den Bühnenrand und stellen sich vor: „Hi, I am Jason. I’m good in stretching my joints”,„Hi, I’m Trisha. I’m good in relaxing“. Jason überstreckt seine Ellbogen als wären sie aus Gummi. Trisha fällt unzählige Male in sich zusammen. Die Sätze sind kaum zu verstehen. Alle Tänzerinnen und Tänzer reden durcheinander. Robin wendet sich kurz zu Aron und lacht leicht auf. Wenig später fährt er sich mit seiner rechten Hand erst durch die Haare, dann tasten die Finger seiner rechten Hand wieder über Mund und Kinn. Die Tänzerinnen und Tänzer verbeugen sich jetzt mit großen Gesten am Bühnenrand, als wäre das Stück zu Ende. Sie lächeln ins Publikum. Einige Zuschauerinnen applaudieren und auch Robin klatscht vorsichtig mit. Er überstreckt dann seinen Hals weit nach rechts und links, als wolle er seine Halsmuskulatur stretchen. Er lacht wieder leise auf und beugt sich dabei wieder an Yildiz vorbei zu Aron. Sofort danach blickt er wieder gerade nach vorne. Seine Fingerspitzen reiben abermals auf- und abfahrend, als wolle er eine Gesichtscreme verstreichen, über Wange und Kinn.
Ungefähr nach der Hälfte des Stücks wird es auf der Bühne still und alle Tänzerinnen und Tänzer treten ab. José und Amber bewegen sich zunächst unmerklich von der linken Seite auf die kaum beleuchtete Bühne. Ambers Füße stehen auf den Füßen von José. Wie Kinder wirken sie und José bewegt Amber mit seinen Schritten. Auf der Mitte der Bühne angekommen, tanzen sie ein Duett. Innig und doch kraftvoll bewegen sich ihre Köper. Oft hebt José Amber über sich. Sie scheint auf seinen Armen zu zerfließen. Sie trägt ein golden glänzendes Kleid, das an ein Unterkleid erinnert. Ihre langen Haare sind offen und schwingen zu ihren kraftvollen Bewegungen. Immer wieder wird das Gesicht von ihren Haaren verdeckt. Die Musik ist ruhig, nur ein Cello spielt. Während der ganzen Szene hat Robin die Hände in seinen Schoß gelegt. Den Kopf hält er die meiste Zeit weit nach rechts geneigt, als wolle er lauschen. Nach einer Weile wechselt er und neigt seinen Kopf für lange Zeit nach links.