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Übersicht laufende Einzelprojekte
Projektverantwortlicher: Dr. Felix Hinz
Das Projekt geht der diskursgeschichtlichen Frage nach, wie europäische Reisende
zwischen 1550 bis Ende des 19. Jahrhunderts die bis heute nicht befriedigend
gedeuteten materiellen Reste des einstigen urbanen Zentrums Tiwanaku und der
kulturell-religiös eng mit ihm verbundenen Insel Titicaca (heute beides
Bolivien) wahrnahmen, sie deutend in ihr Weltbild integrierten und sogar
dasjenige der dort ansässigen Aymara-Indianer beeinflussten.
Bereits während der Eroberung durch die Pizarros untersuchten erste
interessierte Spanier diese beiden Stätten, um die sich schon zur Zeit der Inka
zahlreiche Ursprungsmythen rankten, und hinterließen hierüber (beginnend mit
Cieza de León, 1549-1550) Aufzeichnungen. In diesen zeigten sie sich von Anfang
an beeindruckt von der räumlichen Lage wie auch von der monumentalen
Ausgestaltung und stellten hierzu vielfältige, hinsichtlich ihrer Weltsicht
aufschlussreiche Überlegungen an.
In Tiwanaku erregten insbesondere die medial zu Toren, Reliefs und Statuen
geformten, originär ortsfremden Materialien die Fantasie der reisenden
Betrachter, die sie jeweils mit ihren kultureigenen Konzepten zu entschlüsseln
suchten. Herausragende Beispiele sind vor allem die monolithischen Statuen, die
sowohl für die Indigenen der Conquista-Zeit als auch für die heutigen Aymara
völlig atypische Kleidung und damals nicht zufriedenstellend interpretierte
Objekte in Händen tragen, aber eine gewisse Ähnlichkeit mit ihre Bibel haltenden
Mönchen aufweisen. Schon von den spanischen Eroberern wurden sie daher z.T. als
solche identifiziert („El Fraile“). Eine besondere Anziehungskraft auf Besucher
übte auch das ebenfalls monolithische sog. „Sonnentor“ aus, dessen Reliefs noch
immer zu Spekulationen herausfordern.
Während unklar blieb, warum das einst so bedeutende Tiwanaku an einem scheinbar
so ´nichtssagenden´ Ort errichtet wurde, fordert die Lage der Titicaca-Insel,
als deren urbane Nachbildung das nahe Tiwanaku gilt, zu einer
materiell-medialen, ´heiligen´ Aufladung geradezu auf. Am Rande des Kernbereichs
der Inkakultur und bis ins 19. Jahrhundert praktisch nur auf Schilfbooten
erreichbar war es ein Ort der Kontemplation und weitsichtigen Betrachtung des
Wassers, des Himmels und der Erde. Die Inka und ihre Vorgänger gestalteten
diesen Erinnerungsraum auf vielfältige, bis heute schwer zu entschlüsselnde
Weise. Doch zog er nach der Conquista angefangen bei Hernando Pizarro auch
zahlreiche spanische und indianische Schatzsucher an, die die ursprüngliche
räumliche Repräsentation weitgehend zerstörten.
Davon unbeschädigt lebten die Orte in der Erinnerung und in den Legenden der
Aymara fort und entfalteten so noch immer ihre normative Kraft. Wissbegierige
Reisende erkundigten sich entsprechend ihrer sprachlichen Möglichkeiten oftmals
bei den Einheimischen über die Lokalgeschichte der beiden Stätten. Die oral
geprägte Aymara-Kultur hatte jedoch nur noch vage Vorstellungen von den ´Viracochas´,
den legendären Kulturstiftern, die einst dort gelebt, übernatürlich gewirkt und
schließlich den Inka zur Macht verholfen haben sollen. Die Europäer schrieben
auf diesen Grundlagen Briefe und Berichte und trugen so einen wesentlichen Teil
zur Rezeption der ´rätselhaften´ Titicacaregion in Europa bei. Berücksichtigt
man auch die um Idolatrie und Synkretismus besorgten, meist jesuitischen
Priester vor Ort (v. a. in Juli) innerhalb des entsprechenden
Kommunikationskreislaufs, wird deutlich, dass die Fragen und eigenen
Überlegungen der europäischen Reisenden wie auch der Geistlichen ihrerseits
Rückwirkungen auf die Mythen und das Selbstverständnis der Aymara haben mussten.
Es geht also gerade nicht um die wissenschaftliche Erforschung des
archäologischen, historischen Tiwanaku und der Titicaca-Insel, sondern um die
bisher nicht untersuchte vorwissenschaftliche Imagologie, Interpretation und
Rezeption dieses Raumes, der als Wiege der andinen Kulturen gilt, bis zu Alphons
Stübel (1876). (Max Uhle leitete 1894-96 dann die ersten wissenschaftlichen
Untersuchungen in Tiwanaku ein.) Es wird untersucht, inwiefern sich der
erweiterte Horizont im Zuge der europäischen Expansion, die Aufklärung und
schließlich die Ideen der Französischen Revolution (u. Freiheitsbewegung in
Spanisch-Amerika) in den entsprechenden Quellen niederschlug und welche weiteren
Faktoren die aus den Darstellungen sprechenden Konzepte beeinflussten.
Zu diesem Zweck werden die Berichte über Tiwanaku und Titicaca anhand von
Chroniken, Berichten, Briefen, Notizen, Skizzen, Stichen und frühe Fotografien
analysiert.
Stand: 06. Februar 2008