26.05.2025 | Aktuelles

Interview mit Dr.-Ing. Julia Richter: Die Vision ist eine maßgenschneiderte Mikrostruktur für jedes Bauteil

"Unsere Forschung zielt auf belastungsoptimierte Strukturen ab, die je nach Anwendung angepasst werden. Dadurch können wir Bauteile optimieren und gleichzeitig Schäden minimieren sowie Material und Ressourcen einsparen."

Bild: IfW
Dr.-Ing. Julia Richter, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Werkstofftechnik, Metallische Werkstoffe sowie beim Forschungscluster BiTWerk - Biologische Transformation technischer Werkstoffe

Frau Dr.-Ing. Richter, was ist Ihr Forschungsgebiet und mit welchen Themen beschäftigen Sie sich im Detail?

Dr.-Ing. Julia Richter: Ich habe meine Doktorarbeit im Bereich der additiven Fertigung (Metall-3D-Druck) verfasst, mit Schwerpunkt auf mechanischen Eigenschaften und dem Ermüdungsverhalten metallischer Werkstoffe. Dabei untersuchte ich, wie wiederholte Belastungen die Lebensdauer von Bauteilen beeinflussen. Solche Tests sind essentiell, um Materialversagen und Unfälle zu verhindern. Ein bekanntes Beispiel von so einem Unfall ist das Zugunglück von Eschede.

In meinen Versuchen setzte ich Werkstoffe wiederholten Zug- und Druckbelastungen aus, um ihre Kurzzeitfestigkeit und Lebensdauer zu analysieren. Die Belastungszyklen reichten von 10³ bis 10⁹ Lastwechseln. Mein Fokus lag auf eisen- und aluminium-basierten Werkstoffen sowie Titanlegierungen. Nach meiner Promotion im letzten Jahr leite ich nun das Labor für additive Fertigung.

Bild: Blafield
Pulvereinfüllen in der Additiven Fertigung

BiTWerk ist eine Kooperation von 20 verschiedenen Fachgebieten, die das gemeinsame Ziel haben, den ökologischen Fußabdruck von Werkstoffen zu reduzieren. Welche gemeinsamen Projekte planen Sie derzeit in diesem Zusammenhang?

Dr.-Ing. Julia Richter: Interessant ist zum Beispiel eine Zusammenarbeit mit den Kontinuumsmechaniker:innen unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Andreas Ricoeur im Bereich der Rissausbreitung. Darüber hinaus kooperieren wir mit Prof. Dr.-Ing. Martin Fehlbier aus der Gießereitechnik. Hier wollen wir die Ermüdungseigenschaften von Gusswerkstoffen betrachten.

Aber auch über die Grenzen von BitWerk hinaus versuchen wir Bauteile zu optimieren wie beispielsweise mit dem Fachgebiet Technische Dynamik von Prof. Dr.-Ing. Hartmut Hetzler, die sich mit Schwingungen auskennen.

Was ist Ihr Ziel in der Zusammenarbeit mit dem Fachgebiet Technische Dynamik?

Mit Prof. Dr.-Ing. Hartmut Hetzlers Arbeitsgruppe erforschen wir die Schwingungsdämpfung in additiv gefertigten Bauteilen mit Metallpulver im Inneren. Die losen Pulverpartikel im Inneren sind frei beweglich: Ihre Bewegung verursacht Reibung und Energieverlust, wodurch Schwingungen gedämpft werden. Dadurch absorbiert das Pulver die Schwingungsenergie und reduziert Vibrationen.

Und für was ist das gut?

Dr.-Ing. Julia Richter: Diese Untersuchungen sind für stark belastete Bauteile relevant, da Dämpfer die Belastung reduzieren können. Aber auch über weitere Einsatzgebiete könnte man nachdenken: Ein Pulverdämpferelement am Fuß von Plattenspielern könnte Vibrationen reduzieren und die Klangqualität optimieren.

Bild: Blafield
Mikrostrukturuntersuchung von additiv gefertigten Proben mittels Rasterelektronenmikroskopie

Wie sieht Ihre Zusammenarbeit mit der Technischen Mechanik und Kontinuumsmechanik unter Leitung von Prof. Andreas Ricoeur aus?

Dr.-Ing. Julia Richter: Wir untersuchen mit den Mechaniker:innen die Rissausbreitung in 3D-gedruckten Werkstoffen, da ihre Mikrostruktur den Rissverlauf beeinflusst. Durch gezielte Prozessparameter möchten wir dieses Verhalten steuern. In der Luftfahrt werden kleinste Risse bereits berechnet, um deren Wachstum vorherzusagen und Wartungsintervalle zu optimieren.

Oh, wenn man das weiß, betrachtet man als Laie das Fliegen doch nochmal mit anderen Augen…

Dr.-Ing. Julia Richter: Nachdem ich im Studium gelernt habe, dass in jedem Flugzeug Risse sein können, hatte ich beim ersten Flug auch ein mulmiges Gefühl. Doch das Wissen über die Risse macht das Fliegen nicht nur sicher, sondern überhaupt erst möglich. Würde man mit üblichen Sicherheitsfaktoren arbeiten, wären Flugzeuge viel zu schwer, um überhaupt vernünftig zu fliegen. Diese Vorgehensweise lässt sich aber auf viele Bauteile übertragen, um Wartungsintervalle optimal festzulegen.

In welcher Größenordnung von Rissen bewegen Sie sich mit Ihrer Forschung?

Dr.-Ing. Julia Richter: Wir unterscheiden zwischen Mikro- und Makrorissen, die Grenze liegt da üblicherweise bei 0,5 mm. In Zusammenarbeit mit den Mechanikern drucken wir Proben mit verschiedenen Mikrostrukturen, um die Rissausbreitung bis zum Versagen zu analysieren und gezielt zu steuern. Mit Computermodellen können diese Risse dann modelliert werden.

Die dritte Zusammenarbeit planen Sie mit der Gießereitechnik und der Arbeitsgruppe von Prof. Dr.-Ing. Martin Fehlbier.

Dr.-Ing. Julia Richter: Beim Rheogussverfahren wird flüssigem Metall Feststoff, z. B. Metallspäne, beigemischt, um die Volumenreduktion beim Erstarren zu verringern. Dies reduziert Schrumpfungsrisse, verbessert die Formfüllung und ermöglicht das Gießen größerer Bauteile. Weiterhin ist es auch energieeffizienter. Wir untersuchen das Ermüdungsverhalten dieses noch jungen Verfahrens im Vergleich zum traditionellen Guss.

Wo findet das Rheogussverfahren schon in der Industrie Anwendung?

Dr.-Ing. Julia Richter: Dieses Verfahren hat einen relativ hohen Bekanntheitsgrad durch die Firma Tesla erhalten, da dort auf diese Weise die Fahrzeugkarosserien hergestellt werden. Dies sind große Bauteile, deren Fertigung aus einem Stück erst mit dem Rheogussverfahren möglich wird. Aktuell sehen wir aber auch, dass es da noch Probleme mit der Zuverlässigkeit gibt, sodass noch viel Forschungsbedarf vorhanden ist.

Inwiefern können die Ziele von BiTWerk mit diesen Projekten verwirklicht werden?

Dr.-Ing. Julia Richter: Unsere Forschung zielt auf belastungsoptimierte Strukturen ab, die je nach Anwendung angepasst werden. Durch gezielte Anpassung der Mikrostrukturen können wir Bauteile optimieren und gleichzeitig Schäden minimieren sowie Material und Ressourcen einsparen.

Bild: Blafield
Festigkeitsuntersuchung an Proben mit maßgeschneiderter Mikrostruktur

Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen den Fachgebieten?

Jedes Fachgebiet hat seine eigene Sprache, was es schwieriger macht, schnell auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Bei Präsentationen fällt auf, dass beispielsweise Architekt:innen und Mathematiker:innen ganz anders denken. Das macht es so spannend. Man muss sich immer wieder überlegen wie man seine Expertise einem fachfremden Publikum vermittelt, indem man komplexe Inhalte vereinfacht. Die erste Herausforderung besteht also darin, die anderen Fachgebiete zu verstehen und eine gemeinsame Sprache zu finden.

Warum haben Sie sich für die Werkstofftechnik entschieden und was interessiert Sie besonders an Ihrer Forschung?

Dr.-Ing. Julia Richter: Mich faszinieren Mikrostrukturen und wie sie die Eigenschaften von Bauteilen beeinflussen. Besonders interessiert mich der 3D-Druck, da er enorme Freiheiten in Form und Geometrie bietet. Doch sobald man das Potenzial dieser Technik versteht, rücken die Werkstoffeigenschaften in den Fokus. So ist es in einigen Fällen möglich die Festigkeit eines Materials im Vergleich zu anderen Fertigungsverfahren im 3D-Druck zu verdoppeln.

Warum haben Sie sich die Universität Kassel ausgesucht für ein Studium?

Dr.-Ing. Julia Richter: Ich komme aus Kassel und schätze das gute Forschungsumfeld sowie den exzellenten Betreuungsschlüssel der Uni Kassel. Im Gegensatz zu anderen Universitäten, wo man oft nur eine Nummer ist, lernt man hier die Professor:innen persönlich kennen und erhält eine individuelle Förderung.

Welche Projekte sind für die Zukunft geplant?

Dr.-Ing. Julia Richter: Ich plane, das Forschungsfeld 3D-Druck am Standort zu erweitern, insbesondere in Zusammenarbeit mit Physiker:innen und Chemiker:innen, um Oberflächeneigenschaften zu untersuchen. Dabei möchte ich die beispielsweise die Korrosionseigenschaften von Implantatwerkstoffen und biologisch abbaubaren Materialien in der Medizintechnik erforschen.