Eine, auch im Kontext von Inklusionsbemühungen, wieder neu entdeckte Herausforderung für die Lehrerbildung ist, Studierende auf den Umgang mit Heterogenität vorzubereiten und sie bestenfalls bereits in der ersten Phase im Rahmen von z.b. fallorientierten Praxisprojekten auch damit zu konfrontieren. In der universitären Lehrerbildung wird immer wieder sowohl aus erziehungswissenschaftlicher als auch aus studentischer Perspektive mehr Praxisorientierung und Berufsfeldbezogenheit eingefordert. Innerhalb der Lehrerbildung der Universität Kassel bieten neben den Schulpraktischen Studien sogenannte „Reflexive Praxisstudien“ im Format von Projektseminaren oder Lehrforschungsprojekten die Möglichkeit den Theorie-Praxisbezug auch in der ersten Phase der Lehrerbildung zu stärken.
Solche Projekte sind nur mit kleinen Studierendengruppen möglich, weshalb aber auch nur eine geringe Zahl von Studierenden teilnehmen kann. Um mehr Studierenden diese Möglichkeit zu bieten, ist das Projekt InLEO als ein weiteres Projektseminar in der Lehrerbildung der Universität Kassel in Kooperation mit der Offenen Schule Waldau umgesetzt worden. Es ist dem Schwerpunktmodul 9 (M9) des Kernstudiums zugeordnet, das sich mit Bildung und Erziehung im gesellschaftlichen Kontext befasst.
Studierende begleiten im Projekt InLEO die Entwicklung von Schüler*innen fördernd und forschend und erleben und reflektieren dabei deren Kindheit und Lebenswelt, sowie die pädagogische Arbeit der Offenen Schule Waldau. Das Arbeiten ist am Fall orientiert. Die Studierenden treffen sich für ein Jahr wöchentlich in oder ausserhalb der Schule mit ihrem Patenkind.
Die Inhalte der Begleitung richten sich nach den individuellen Anliegen der Schüler*innen und den Möglichkeiten der Student*innen, in Absprache mit den Lehrer*innen. Konkret sind das z.B.:
- Unterstützung in der schulischen Arbeit, sowohl an den Schwächen als auch an den Stärken orientiert
- Unterstützung im psycho-sozialen Bereich
- Erweiterung der Lebenswelt und des Horizonts der Schüler*innen durch erfahrungs- und handlungsorientierte gemeinsame Ausflüge und Erlebnisse die in den schulischen Kontext eingebunden sein können
Das Projekt wird durch ein wöchentlich stattfindendes Seminar begleitet. Hier werden fachspezifische Inhalte (z.B. Kommunikationsstrategien, Praxis der Beratung, Sozialisation und Bildung, Kindheit und Jugend im gesellschaftlichen Kontext) und methodische Inhalte (z.B. Sozialraum- und Lebensweltanalyse, Fallarbeit) behandelt. Einen Teil der Themen bestimmen die Studierenden je nach Interesse im Bezug auf die Arbeit in der Patenschaft. Ausserdem hat die Fallreflexion dort ihren Platz.
Es besteht mit der OSW eine feste Anbindung an eine Schule und einen Jahrgang in der Schule. Da die OSW im Team-Kleingruppen-Modell arbeitet, ist ein enger Kontakt zu den verantwortlichen Lehrer*innen gegeben, die Schüler*innen für InLEO vorschlagen und die Lern- und Entwicklungsbegleitung von schulischer Seite unterstützen. Hierfür werden Patenschaftstandems gebildet, die, bestehend aus Student*in und Lehrer*in, die Erreichung der individuell entwickelten Ziele anstreben.
Die Lehrer*innen haben dabei mehrere wichtige Funktionen:
- sie integrieren die Arbeit der Patenschaften in die schulische Arbeit, indem sie diese beispielsweise mit den Themen des Freien Lernens verknüpfen
- sie geben den Studierenden Sicherheit im Umgang mit den Schüler*innen durch reflexive Gespräche, Hospitationen in ihrem Unterricht und Unterstützung bei der Planung der Begleitung, bei Fragen und Unsicherheiten
- sie stehen in engem Kontakt mit der Projektleitung von InLEO, es finden Kooperationsrunden statt und die Lehrer*innen können sich in der konzeptionellen Entwicklung einbringen
- sie übernehmen, besonders in der Anfangsphase, eine vermittelnde Funktion zwischen Schüler*innen und Student*innen und bieten in der Schule einen geschützten Rahmen für das erste Kennen Lernen
Die Verortung des Projekts in der Offenen Schule Waldau als inklusiv arbeitender Integrierter
Gesamtschule bringt einen der beiden inhaltlichen Schwerpunkte mit sich: Es wird der Umgang mit Heterogenität erprobt und reflektiert. Außerdem stellt die OSW die professionelle Gestaltung von Beziehungen ins Zentrum ihrer pädagogischen Arbeit. Für die Schule steht der Beziehungsaspekt vor Erziehung und Unterricht. In diesem Anspruch ist der zweite Schwerpunkt der Arbeit im Projekt InLeo zu finden: Die Studierenden können in einer einjährigen Begleitung und in der Kooperation mit der OSW erfahren wie zentral die Beziehungsgestaltung für Lehr- und Lernprozesse ist.
Es sind bisher, neben den Falldarstellungen aus jeder Patenschaft, fünf Examensarbeiten in Verbindung mit dem Projekt entstanden. Sowohl die Falldarstellungen, als auch diese empirischen Abschlussarbeiten weisen zum einen auf eine hohe Lernwirksamkeit des Projekts für die Student*innen hin. Zum anderen wird der Kompetenzzuwachs der Schüler*innen im fachlichen und psycho-sozialen Bereich durch die einjährige Patenschaft betont. Die enge Kooperation mit den Lehrer*innen der Patenkinder erscheint als eine wichtige Grundlage für die Qualität des Projekts.