Forschungsstelle Geschichte Ökologisches Bauen (FGÖB)

Die Forschungsstelle Geschichte Ökologisches Bauen der Universität Kasselwidmet sich der wissenschaftlichen Erforschung der Geschichte und Theorie des ökologischen Bauens im deutschsprachigen Raum. Zur Dokumentation werden in Kooperation mit dem UniArchiv Vor- und Nachlässe zentraler Akteure des umweltbewussten, klimagerechten und sozialen Bauens und Planens sowie historische Erinnerungen von Zeitzeugen gesichert. Die Quellen werden historisch- kritisch erforscht und kontextualisiert sowie die Forschungsergebnisse in einer neuen Schriftenreihe publiziert. Besonderer Fokus liegt auf der Geschichte der 1971 gegründeten Gesamthochschule Kassel (heute Universität Kassel). Die bundesweit erste Forschungsstelle zur Geschichte des ökologischen Bauens will nicht nur eine Lücke in der jüngeren Architekturgeschichte schließen, sondern zugleich einen wichtigen Beitrag zu aktuellen Fragestellungen der Bauwende liefern.

 

Kooperation der mit dem UniArchiv und weiteren Kasseler Sammlungen

Ziel der FGÖB ist die Vernetzung der Sammlungsinfrastrukturen an der Universität Kassel unter einem thematischen Schwerpunkt. Die Forschungstelle ist ein Projekt der Fachgebiete Architekturtheorie und Entwerfen und Landschaftsarchitektur in Kooperation mit dem UniArchiv, dem doku:lab – Dokumentations- und Medienwerkstatt des Fachbereichs ASL und der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung (Kassel). Das UniArchiv verwahrt Vor- und Nachlässe von herausragenden Architekturschaffenden und Hochschullehrer*innen sowie die institutionelle Überlieferung des Fachbereichs Architektur – Stadtplanung – Landschaftsplanung, der Schwerpunkt des doku:lab ist seit 1974 die Sammlung der Arbeiten von Studierenden, während sich im Archiv der deutschen Frauenbewegung Arbeiten zu feministischen Ansätzen in Architektur und Plamnung befinden. Ergänzt werden diese analogen Dokumentensammlungen durch digitale Repositorien (Videos, Dokumente, E-Publikationen). Die Forschungsstelle setzt sich für eine Vernetzung und Kooperation mit thematisch verwandten (Hochschul-)Archiven im internationalen Kontext ein.

Die Leitung des FGÖB übernehmen Prof. Dr. Philipp Oswalt und Dr. Alexander Stumm.

 

Das „Kasseler Modell“

An der 1971 gegründeten reformpädagogischen Gesamthochschule Kassel (GhK) und dem integrierten Fachbereich Architektur Stadtplanung Landschaftsplanung (ASL) traf eine Vielzahl progressiver ökologischer Akteure zusammen. Das „Kasseler Modell“ gilt als wichtiger Reformansatz der Architektur und Planung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und ist prototypisch für neue Pädagogikkonzepte an Hochschulen im In- und Ausland. Anders als die Archive bedeutender Gestaltungsschulen wie dem Bauhaus (1919–1933) oder der Hochschule für Gestaltung Ulm (1953–1968) ist die Geschichte der Gesamthochschule Kassel bisher nicht umfassend aufgearbeitetund erforscht. Mit der Einrichtung des UniArchivs werden hierfür die Quellen systematisch gesichert, erschlossen und stehen erstmals für die Forschung zur Verfügung. Eine zentrale Aufgabe der Forschungsstelle Geschichte des Ökologischen Bauen Kassel ist es deshalb, die Prozesse und Zusammenhänge an der GhK seit den 1970er Jahren in Kooperation mit dem UniArchiv und anderen Samlungsinfrastrukturen zu dokumentieren, kritisch zu analysieren und im internationalen Diskurs zu verorten.

Grundlage sind Vor- und Nachlässe wichtiger ehemaliger Professoren, so von Gernot Minke (seit 2023), Michael Wilkens und Paul Posenenske (beide ab 2024), die durch großzügige Schenkungen Bestandteil des UniArchivs sind, sowie die Sammlung zu Lucius Burckhardts Lehrpraxis des doku:lab und Sammlungen von Ulla Terlinden u.a. im Archiv der deutschen Frauenbewegung. Um historische Genealogien sichtbar zu machen, sind auch Vertreter*innen des ökologischen Bauens avant la lettre wie Lebberecht Migge, zu dem eine Dokumentensammlung ebenfalls im doku:lab verwahrt liegt, Hannes Meyer, mit dem vom Fachgebiet Architekturtheorie und Entwerfen initiierten Forschungsnetzwerk Co-op Hannes Meyer, oder der Kasseler Architekt und Hochschullehrer Hans Soeder Teil des Themenprofils; nicht zuletzt werden Vorläufer im 18. und 19. Jahrhundert wie die Sonnenbaulehre des nordhessischen Arztes und Hygienikers Bernhard Christoph Faust einbezogen.

 

Begriff Ökologisches Bauen

Die Forschungsstelle versteht ökologisches Bauen als Überbegriff für diverse, teils widersprüchliche Bau- und Planungspraktiken, die sich mit Fragen des energieeffizienten, ressourcenschonenden und zirkulären Bauens, technologischen Entwicklungen und alternativen Baumaterialien, Weiterbauen im Bestand, Selbstbautechniken, gebrauchsorientierter Freiraumplanung, Planungskritik, dialogischer Planung, Planung „von unten“, Emanzipation, kollaborativen Arbeitsweisen sowie temporären, performativen Stadtinterventionen auseinandersetzen. Ökologisches Bauen ist eine integrative Praxis und umfasst Architektur, Stadtplanung, Landschaftsplanung sowie benachbarte Disziplinen wie Ingenieur- und Umweltwissenschaften. Ein allgemeiner Ökologiebegriff umfasst vor dem Hintergrund des Anthropozäns auch den Bereich der Technosphäre und plädiert damit für eine relationale Sichtweise von Umwelt in Architektur und Planung, die kybernetische Systeme und nicht-menschliche Akteursnetzwerke gleichermaßen einschließt.

 

Schriftenreihe Ökologisches Bauen

Die halbjährig erscheinende Schriftenreihe Ökologisches Bauen dient als Publikationsinstrument der Forschungsstelle und macht historische Dokumente und die Forschungsergebisse zugänglich. Sie verbindet dabei die Thematisierung historischer Positionen mit aktuellen Fragestellungen des umwelt- und sozialgerechten Bauens. Die Reihe wird herausgegeben von Philipp Oswalt und Alexander Stumm, Fachgebiet Architekturtheorie und Entwerfen der Uni Kassel.

In Vorbereitung befinden sich die Veröffentlichungen Gernot Minke. Experimentelle Architektur 1962–86, Mike Wilkens 1973–95, Der kleinstmögliche Eingriff. Für eine neue Planungskultur in Architektur und Stadt, Lucius Burckhardt Lehrforschungsprojekte 1973–93, Leberecht Migge: Berlin kolonisiert, Abrissfrage.